Ausgerechnet am heißesten Tag im Monat, dem 30. Juni, fand erstmals die Veranstaltung Literatur auf der Parkbank im Tiergarten statt. Da erfüllten die roten Schirme, die neben den 50 Parkbänken aufgestellt waren, auf denen die Autor*innen saßen, gleich eine doppelte Funktion – waren Hinweis und Sonnenschutz zugleich. Das Konzept: Einen Nachmittag lang lesen Autor*innen aus ihren Werken und man kann von Bank zu Bank fahren oder schlendern und sich etwas vorlesen lassen, ohne dafür Eintritt bezahlen zu müssen. „Ein super Konzept“, findet Charlotte Spitzer, deren Schirm ich als erstes ansteure. Sie gehört zu den jüngsten unter den Autor*innen und liest aus ihren Kurzgeschichten vor. Für sie ist es eine willkommene Gelegenheit die eigenen Geschichten vorzulesen, die sie bisher nur auf facebook veröffentlicht hat. Eckhard Hündgen gehört zur Initiatorengruppe der Veranstaltung und erläutert in einem Gespräch die Idee dahinter: „Wir möchten Literatur aus den bekannten, traditionellen Foren herausholen und einen möglichst niedrigschwelligen Zugang schaffen. Dafür eignet sich ein Park auf ganz besondere Art und Weise, zumal man da so schön schlendern kann: man kann von einer Bank zur anderen gehen, und sich dort eine Viertelstunde etwas erzählen lassen.“ [1]
Autor*innen erhielten über einen Open Call die Chance, sich für Literatur auf der Parkbank zu bewerben, um eigene Texte vorzulesen, wenn auch ohne Honorar. „Es geht mir um das Moment der Begegnung, und natürlich auch darum, dass Leute sich mit Literatur auseinandersetzen. Deswegen kostet es kein Geld, jeder kann kommen und gehen“, sagt Hündgen, der in Berlin auch schon die Krimitage ins Leben gerufen hat. „Ich wollte, dass Leute Leuten zuhören und zwar möglichst auf Augenhöhe.“ Dieses Konzept geht auf, oftmals entspinnen sich im Anschluss an die Lesungen Gespräche mit den Autor*innen. Die Nähe zu den Autor*innen und die ungezwungene Atmosphäre führen dazu, dass sich die Zuhörer*innen eher trauen, etwas zu fragen.
Michael Küppers Adebisi, Foto: Anna-Lena Wenzel
Während einige aus ihren unveröffentlichten Manuskripten lesen, haben andere ihre Bücher dabei und lesen aus ihnen vor. Man merkt schnell, dass es nicht nur um den Text geht, sondern es genauso wichtig ist, gut vorzulesen, um die Zuhörer*innen zu fesseln. Einige der Autor*innen haben deshalb die Bank den Zuhörer*innen überlassen und sich vor die Bank gestellt, um frei zu stehen. Man spürt schnell, wer bereits Übung (und Spaß daran) hat, dabei auch ein bisschen zu performen – so wie Michael Küppers Adebisi, der sein Manuskript „Der Reichstag/Kafka in the reMix“ immer wieder unterbricht, um zu improvisieren: in ein Fahrradtaxi einsteigen oder die Vorbeikommenden ansprechen, wie den Obdachlosen auf der Bank nebenan oder die vorbeikommenden Fußgänger*innen, die er fragt, ob sie extra für die Literatur gekommen sei. Aber nur wenige unterbrechen spontan ihren Spaziergang und bleiben stehen, um zuzuhören. Es scheint, die meisten Zuhörer*innen sind gezielt gekommen, weil sie von der Veranstaltung gehört hatten oder ein*e der Autor*innen kennen. Dass das ganze so kurzfristig überhaupt hier stattfinden konnte (der erste „Wortgarten Berlins“ basiert auf einer spontanen Idee der Initiatorengruppe Crazy Pineapple), hat damit zu tun, dass keine extra Genehmigungen nötig waren, da keine Gegenstände im öffentlichen Raum installiert wurden. Schon am Abend sind die roten Schirme wieder eingesammelt und von der Aktion nichts weiter übrig, außer den vielen Geschichten, die die Leute mit nach Hause nehmen – von Nick, dessen Vater gestorben ist, von einem Herrn Hagemeister und dessen Unlust zu arbeiten, von einer Lektorin, die rein ökonomisch denkt und nicht das veröffentlichen will, was die Autorin schreibt. Geschichten aus dem Leben eben.
Fremdgehen
Einige Tage zuvor fand eine weitere Aktion im öffentlichen Raum statt – an der Grenze des Bezirks Tiergarten zu Kreuzberg. Die Performance Fremdgehen beginnt auf dem Askanischen Platz und besteht aus einem Rundgang durch den umgebenden Kiez. Man wird von eine*r Performer*in abgeholt, um dann für circa eine Stunde durch den angrenzenden öffentlichen Raum zu laufen. Pro Runde gibt es nur vier Plätze, das heißt nur vier Personen können bei der Performance dabei sei, weil man dabei in ganz enger Interaktion mit dem*r Performer*in steht.
Foto: Andrea Keiz
Zusammen gehen wir um die Ecke, betreten einen Hofeingang, fassen die dortigen Pflanzen an, bleiben einen Moment stehen, um einfach nur zu hören und zu beobachten. Zwischen Potsdamer Platz und Askanischem Platz befindet sich eine interessante Mischung aus Sozialwohnungen aus den 1970er Jahren, vielen Gebäuden, die zur IBA 1986/87 entweder saniert oder neu gebaut wurden, und Neubauten aus den 1990er Jahren. Ministerien befinden sich hier neben Wohnbauten und Malls. Die Performerin bringt mich dazu, meine Bewegungen in der Stadt zu verändern. Hier werde ich herausgeholt aus meinen täglichen Routinen, aus der funktionalen Durchquerung der Stadt wenn ich von A nach B will, betrete unbekannte Hinterhöfe. Ich werde aufgefordert stehen zu bleiben und zu warten – Gelegenheit, den Blick schweifen zu lassen, genauer hinzuschauen, auf die Geräusche zu achten und beispielsweise einen Vogel zu entdecken, der oben an der Häuserfassade sitzt. Im nächsten Moment soll ich die Augen schließen und mich führen lassen. Plötzlich verlangsamt sich alles, kommen einem die Distanzen viel weiter vor. Im nächsten Moment rennen wir ein Stück, weil die Zeit schon fast um ist. Neben der gesteigerten Aufmerksamkeit für die Umgebung geht es auch darum, der Performerin zu vertrauen, sich im wahrsten Sinne in ihre Hände zu begeben, denn das meiste geschieht non-verbal.
Foto: Andrea Keiz
Die Choreografin Sabine Zahn interessiert etwas Ähnliches wie den Initiator des Literaturevents, Eckhard Hündgen: Performance soll aus dem geschlossenen und relativ sicheren institutionellen Raum herauskommen, soll auf die Straße und für alle sichtbar sein. Es geht um die Konfrontation und Interaktion mit dem Stadtraum, darum, die Sinne zu sensibilisieren für die Umgebung – die Architekturen, die Gerüche, Geräusche und die Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten oder ihn durchqueren. Wo hört der öffentliche Raum auf und beginnt ein privater zu werden, ist eine der Fragen, die ich mir im Anschluss stelle. Ist der unterirdische S-Bahn-Bahnhof noch öffentlich, wenn man ein Ticket braucht, um ihn zu betreten? Warum hat man Hemmungen, den neu errichteten Wohnblock zu betreten, wenn dieser öffentlich zugänglich ist? Der Schritt aus den Institutionen heraus bringt mit dem Stadtraum einen neuen Protagonisten ins Spiel, der allerdings keiner Anweisung folgt und den Zufall in den Prozess integriert. Was für eine Bereicherung und ein Luxus, diese intensive Erfahrung machen zu dürfen!
[1] https://audioboom.com/posts/7274277-literatur-auf-der-parkbank-ein-gesprach-mit-eckhard-hundgen
Die Premiere von Fremdgehen ist am 2.7. weitere Aufführungen: 3./4.7. + 5./6./7./8.8.2019, jeweils um 11 Uhr und 13 Uhr.
Infos und Tickets gibt es hier.