Anna-Lena Wenzel: Der Bärenzwinger ist geprägt durch die starke Architektur: Statt einem White-Cube hat man es mit mehreren funktionalen Innenräumen inklusive den Bärenkäfigen und den zwei Außengehegen zu tun. Wie würdet ihr eure Künstler*innen-Auswahl beschreiben? Wo liegt euer Schwerpunkt?
Julia Heunemann: Es ist ein interessanter, aber ein schwer zu bespielender Ort. Man kann hier nicht wahllos alles zeigen. Man muss sich auf den Ort einlassen. Aber genau das war auch die Idee unseres dreiteiligen Programms: Die Geschichte des Ortes und seine Architektur zum Thema zu machen und Künstler*innen einzuladen, sich damit auseinanderzusetzen. Ich finde es interessant, mit den Erwartungshaltungen zu spielen, die an diesen Ort herangetragen werden und zu Perspektivwechseln anzuregen.
Weil immer wieder Besucher*innen reinkommen, frage ich ob die beiden sagen können, wer ihre Besucher*innen sind?
Nadia Pilchowski: Hier kommen ganz unterschiedliche Besucher*innen hin – neben Kunstpublikum auch viele Anwohner*innen aus Nachbarschaft und Leute, die hier arbeiten und die in der Mittagspause kommen. Genau das ist schön – dass sich das so mischt. Zwischen September bis Januar sind ca. 5000 Besucher*innen hier gewesen, das ist eine ganze Menge.
JH: Ja, es gibt einerseits ein Interesse für den Ort und andererseits für die Kunst. Es ist ein schöner Effekt, dass die Besucher*innen, die den Ort kennen, sich für die Kunst öffnen, und die Kunst-Interessierten wiederum einen neuen Ort entdecken. Unser kuratorisches Konzept greift ja explizit die Geschichte des Ortes auf und will den Ort langsam transformieren. Dass der Ort ein kommunaler Ort bleibt, war uns im Fachbereich Kunst und Kultur wichtig.
Ihr seid ein mehrköpfiges Team – neben euch gehört noch Sebastian Häger zur künstlerischen Leitung. Ihr beide seid Volontärinnen in kommunalen Galerien und arbeitet dort als kuratorische bzw. wissenschaftliche Assistentinnen – Nadia, in der Galerie Wedding und Julia in der Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten. Was ist das Besondere an der Arbeit im Bärenzwinger?
JH: Im Team der Galerie Nord kann ich unglaublich viel lernen über den Umgang mit Kunst und Künstler*innen, übers Kuratieren. Hier dagegen haben wir es mit einer ganz anderen Art von Raum zu tun. Wir können unsere Erfahrungen aus den Galerien sozusagen unter anderem Vorzeichen umsetzen und auch erweitern. Der Ort musste ja erst zum Kunstort umgewandelt werden! Hier lernen wir an uns – das ist aufregend.
NP: Ja, es ist weder ein Whitecube noch ist es ein etablierter Ort. Die Strukturen, die es in der Galerie Wedding und in der Galerie Nord schon gibt, bauen wir hier erst auf. Sowohl das kuratorische Konzept als auch die Corporate Identity mussten erst konzipiert werden, genauso wie die Pressearbeit und das Vermittlungsprogramm.
Wie viel Arbeitszeit dürft ihr für das Projekt „abzwacken“?
NP: 20 Prozent…
Oh, das ist nicht viel…
JH: Nein, aber das hier ist auch eine Herzensangelegenheit. Es macht viel Spaß, vor allem weil man etwas Neues machen und gestalten kann – aber tatsächlich geht es nur für eine bestimmte Zeit.
Dabei trifft Öffentlicher Dienst auf Freiberuflertum, das ist bestimmt nicht immer einfach zu koordinieren. Hilft es, dass ihr ein kuratorisches Team seid?
JH: Ja, es war die Idee als Team Aufgaben aufteilen zu können, aber es tut manchmal weh, nicht vor Ort sein können. Das musste ich zum Beispiel lernen.
Der Bärenzwinger ist Teil des Bezirksamts Mitte von Berlin, Fachbereich Kunst und Kultur, was unterscheidet diesen Ort von einem Projektraum? Ich frage, weil ihr ähnlich wie Projekträume vor allem „jüngere“ Künstler*innen ausstellt.
JH: Der größte Unterschied ist die Infrastruktur, auf die wir zurückgreifen können. Es gibt den Rückhalt durch das Kulturamt und eine einfachere Möglichkeit mit anderen Ämtern zu kooperieren.
NP: Alvaro Urbano hat für seine Arbeit zum Beispiel Äste vom Grünflächenamt Neukölln zur Verfügung gestellt bekommen.
JH: Der Nachteil ist, dass man sich an bestimmte Kommunikationswege und Abläufe halten muss und einige dieser Amtswege mehr Zeit in Anspruch nehmen und man weniger spontan sein kann als wenn man „frei“ arbeitet.
Der Bärenzwinger gehört zum denkmalgeschützten Ensemble des Köllnischen Parks. Was bedeutet das für eure Arbeit? Könnt ihr hier einfach einen Nagel in die Wand hauen?
JH: Wir müssen bauliche Eingriffe amtlich abklären – aber wir wollen den Ort ja auch gar nicht radikal verändern. Es geht uns eher um einen sensiblen Umgang mit ihm. Das heißt konkret, dass wir die Räume sukzessive entleert haben, aber sowohl die Bärengardinen als auch die Bärentassen bislang noch da sind.
NP: Das geschieht vor allem auch in den Ausstellungen durch die Künstler*innen. Z.B. wurden mit dem Künstler Reto Pulfer Käfige und Lagerraum zur Ausstellungsfläche. Vor der Sauna-Performance des Künstlerduos PPKK (Sarah Ancelle Schönfeld und Louis-Phillippe Scoufaras), wurden die Innenräume intensiv gereinigt. Damit verschwand dann auch der für den Ort charakteristische animalische Duft.
JH: Das Künstlerduo NEOZOON hat wiederum im Herbst die wild wuchernden Pflanzen in den Außengehegen zurückschneiden lassen. Dadurch wurde für die darauf folgende Ausstellung „Hibernation“ wiederum der Blick auf Linda Kuhns in den Gehegen situierte Skulpturen frei.
Wo kommt ihr her? Wie seid ihr zum Kuratieren gekommen?
JH: Ich bin Kulturwissenschaftlerin und habe nach meiner Studienzeit in Weimar 2008 mit mehreren Personen zusammen ein Projekt in der Republik Moldau kuratiert. Die Idee war, 20 Künstler*innen zwei Monate dorthin einzuladen um mit lokalen Künstler*innen und Kurator*innen zusammenzuarbeiten und beiderseits Perspektivwechsel herzustellen. Später habe ich dann freiberuflich im Kunst- und Ausstellungsbereich gearbeitet.
NP: Ich habe Kunstgeschichte Ostasiens und Sinologie in Berlin studiert und war eine Zeit lang in China. Dann habe ich in Galerien gearbeitet und das Ausstellungsprojekt Spiel der Throne des Humboldt Labs in den Museen Dahlem wissenschaftlich betreut.
Wie lange geht euer Projekt?
JH: Unser aktuelles Ausstellungsprogramm läuft erstmal bis Winter 2018/19 –. Mal schauen, was dann kommt. Wir würden uns auf jeden Fall wünschen, dass der Ort weiter von den Volontär*innen des Fachbereichs und jungen Kunst- und Kulturschaffenden bespielt werden kann.
Das heißt, dass es noch keine langfristige Finanzierung für den Ort gibt – und ihr eure Arbeit nur dank einer Förderung machen könnt?
NP: Ja, wir haben die Spartenübergreifende Förderung der Senatsverwaltung erhalten, die unser Programm für zwei Jahre sichert. Ein nächster Förderantrag ist geplant.
Wenn ihr einen Wunsch frei hättet – was sollte eurer Meinung nach mit dem Bärenzwinger passieren?
NP: Ich denke der Ort sollte unbedingt ein Kunstort bleiben. Die besondere Architektur bietet viele interessante Möglichkeiten für Ausstellungen. Das Konzept, jeweils zwei Künstler*innen einzuladen, funktioniert gut, weil die symmetrische Architektur das nahelegt. Und der Bärenzwinger eignet sich wie kein anderer Ort in der Stadt für die Thematisierung einer Dichotomie von Kultur und Natur.
JH: Ich finde, dass der Ort eine tolle Möglichkeit ist, junge Künstler*innen und Kurator*innen einzuladen und etwas auszuprobieren und ihnen die Chance bietet mit dieser starken Architektur und den sich an sie anschließenden Diskursen umzugehen.