Monika Rinck: Also das Sumpfige ist unser Thema. Ich habe jüngst mit einigen Leuten in froher Runde über Sumpf und Schlamm geredet, auch kam die Sprache auf das Moor. Im Gegensatz zum Schlamm, der mich als Lawine erfassen und umbringen kann, muss man zum Sumpf hingehen. Der Sumpf ist lokal, er gehört eher zu den formlosen Naturphänomenen, ist also doch irgendwie verwandt mit Schlamm und Schleim, wobei Schleim ja ein organisches Phänomen ist. Ganz allgemeine Frage: Was hat es auf sich mit dem Sumpfigen in Berlin? Ist es auch eine losgelöste oder von seinem Ort lösbare Qualität? Und wie kommt das Barock mit hinein?
Lukas Matthaei: Vielleicht kann ich zunächst mal sagen, dass mein Sumpf irgendwo auf meinem eigenen Weg durch Berliner Landschaften liegt.
Ich bin zu ihm aus verschiedenen Richtungen gekommen: Seit mir das Trauerspielbuch des Charlottenburgers Walter Benjamin begegnet ist, wollte ich mich irgendwann mal mit Figurationen des Barocken beschäftigen. Dessen ganz eigenes Gemisch aus Formwille, Schwere, Dekoration und vor allem Prallheit hatten sich in mir eingetragen. Weil ich da was nicht verstehe, da bekomm ich was nicht zu greifen, kann mir keinen Abdruck machen und dann nagt das an mir. Also möchte ich jetzt wissen, ob das nun erratische Größe ist – oder doch nur Bathos. Und vor allem, was sich auf der Rückseite dieser Kulissen findet. Wobei dieses dekuvrierende Verlangen, hinter die Illusionen zu schauen, unterm Glanz ihren Gips und in der Form ihre Ängste zu finden, bereits in der einladenden Geste der Kulisse selbst enthalten ist.
MR: Erratische Größe, also etwas das umso stärker wächst, je rätselhafter es ist? Und wenn man es endlich begreift, verschwindet es womöglich im Ganzen? Pardauz? So wie Bathos gescheitertes oder lächerliches Pathos ist? Ein Absturz? Nur das Rätsel stützt die ganze Chose? Und die Kulissen, das wären die Gründerzeitfassaden von Berlin? Es gibt übrigens ein paar Straßen, wo ich ganz deutlich das Gefühl habe, ich gehe an der Rückseite von Läden entlang, z.B .da wo Kreuzberg übergeht in äh Treptow? Wenn man diese Wege an der Spree langgeht, wo Wagenburgen und Zirkusprojekte waren, aber ich war wirklich schon lange nicht mehr dort. Ich würde gerne wissen, haben die Rückseiten der Kulissen etwas mit Sumpf zu tun? Wäre also der Sumpf quasi die verstellte, verborgene und auch mit allen Mitteln versteckte Wahrheit der architektonischen, urbanen Bemühungen? Form und Formlosigkeit, darum geht es doch, oder? Vielleicht ist die Form auch die Unwahrheit der Formlosigkeit, oder ist das zu albern?
LM: Also Form als Lüge, oder zumindest Verfehlen von Wahrheit – das gefällt mir sehr! Ohne mich jetzt auf die glitischige Ebene von Wahrheitsdiskursen wagen zu wollen, finde ich den Gedanken enorm verlockend, eine Erkenntnis des Sumpfes zu formulieren: Was können wir mit oder im Sumpf denken, was wir mit dem Moor nicht denken können? Oder mit dem Sand? Mit den Findlingen, dem Kies? Zu all dem gibt es ja gut erprobte Figuren: Das Irrlichtern und die Rettung, die Wüste, das Delirieren, die Stimme Gottes, das Werk und das Sprechen mit vollem Mund. Beim Sumpf aber? Nada. Gänzlich unerkundete Landschaften. Vielleicht unerkundbare auch? Oder kennst Du Entdeckerinnen, die daraus zurückgekehrt sind?
MR: Die Droste kommt aus dem Sumpf zurück: „Unke kauert im Sumpf, / Igel im Grase duckt, / in dem modernden Sumpf / schlafend die Kröte zuckt, / und am sandigen Hange /rollt sich fester die Schlange.“ Das ist aus dem Gedicht „Das Hirtenfeuer“ – allerdings verwendet Droste Sumpf und Moor synonym. Und: Das Ding aus dem Sumpf? Das kommt dann zwar ziemlich verändert zurück, halb Tier, halb Pflanze, aber es kommt zurück. Wie hast Du die Sache mit dem Sumpf entdeckt?
LM: Ich arbeite meistens in und mit der Stadt als Landschaft, als unaufhörlich morphende Realität diverser Erfahrungsräume, Skripte, Materialien. Bei zunächst unbekannten Städten und Ländern nähere ich mich aus Distanz, entdecke Aspekte, in denen auf verdichtete, verschobene Weise etwas sichtbar wird und kippe dann immer weiter in sehr spezifische Wirklichkeiten vor Ort. In der eigenen Stadt muß man das erst wieder herstellen, zumal ich in Berlin in den vergangenen 20 Jahren bereits mit sehr vielen Menschen diverse Areale und Themen bearbeitet habe.
MR: Mir fällt auf, dass du Erlebnisse und Erfahrungen gerne in Metaphern packst, die etwas von stürzen oder sinken haben. Man sagt ja auch: Immersion. Hier z.B., sagst du, dass du in sehr spezifische Wirklichkeiten vor Ort „hineinkippst“, da denke ich an einen Kipplaster, ein bisschen denke ich auch an Erfahrung als Halde – ich kann mir aber gleichfalls vorstellen, dass auch das in Verbindung mit dem Sumpf steht. Verstehend sinkt man immer tiefer hinein. Die Erfahrung ist eine Art der Versenkung, so sagt man ja. Hast Du das Gefühl, dass du in der Recherche in dein Thema hineinsinkst? Die Schwerkraft und die Konzentration – und die Konzentration konzentriert dann vielleicht auch das Gewicht der eigenen Gedanken und man sinkt tiefer hinein? Gedankenversunken? Gedankenversunken im Sumpf?
LM: Ah ja? Danke, das war mir noch gar nicht so aufgefallen. Vielleicht kommt daher diese Sehnsucht nach Theater, nach dieser „Bresche in der Zeit“, in die man mit anderen eintritt, um auf das Unbekannte zu warten, wie sich Benjamin aus seiner Kindheit erinnert. Wo einem Affe wie Theaterspieler gleich nah oder fern sind.
Kipplaster und Halde haben absolut notwendig mit Theater und Erkenntnis zu tun! Ich würde sogar hinzufügen: Mulden! und Siedlungsabfälle! Für unser Projekt DIE SUMPFGEBORENE eine barocknovela haben wir gerade im September vier sondierende „Probebohrungen“ unternommen, eine davon in einer Baustoffrecyclinghalle in Heinersdorf. Wo nicht nur Schutt abgeladen wird, sondern auch das ganze Treibgut menschlichen Lebens. So dass sich dort Rentenbescheide neben zertrümmerten Büromöbeln, anzügliche Skatkarten neben sogenanntem „feuchten Siedlungsmüll“ finden.
Den Ort hatten wir mit unserem ingeniösen Ausstatter Michael Graessnergefunden. Zwischen diese Haufen platzierten wir dann das Publikum, die Schauspielerin Anne Welenc performte ihre Texte, Milena Kipfmüller und Klaus Janek musizierten mit Elektronik und Blockflöte und irgendwann tauchte auch noch der Barockgitarre spielende Michael Metzler hinter den Haufen auf.
Das große Finale war jedoch, als die Angestellten der Firma mit Bagger und Hublader aufs überraschte Publikum zufuhren, kurz vorher abbremsten und sich dann das schwere Gerät minutenlang tänzerisch drehte! Dabei fiepste die Blöte weiter barock, auf dem LED-Display lief „CVNTA FLVVNT * * * Alles fließt“ – und ich war zutiefst berührt und glücklich, mitten in allegorische Erkenntnis gekippt. Dem Kritiker erging es bedauerlicherweise nicht so: Seine Gattin wand sich die ganze Vorstellung hindurch, der Gestank der feuchten Siedlungsabfälle und die fortwährend durchs Gesichtsfeld huschenden Rattenhorden hatten ihr ästhetisches Empfinden wohl arg gestört. Und wir bekamen am nächsten Morgen die Quittung präsentiert.
MR: Das ist aber schade. Ich bedauere sehr, dass ich die tanzenden Bagger und Hublader verpasst habe. Andererseits: Wenn man mit der Atmosphäre so gar nicht umgehen kann… auch schwierig. Dabei fällt mir ein, dass ich vor vielen Jahren im Inforadio ein langes Interview gehört habe, über die Entsorgung der Essensabfälle der gastronomischen Betriebe in den Potsdamer Platz Arkaden, und auf welche Weise dabei unterirdisch aus den Essensresten höchst energiereiche Pellets gepresst werden. Das ist jetzt aber weniger die Rückseite der Stadt, sondern ihre eigenartige Unterwelt. Was liegt unter der Stadt? Eher Sumpf als Strand?
LM: Gute Frage – hängt wohl von der Nachbarschaft ab, wann dort gebaut wurde. Dazu gibts sehr schöne digitale Karten, in denen man die Schichten in verschiedenen Tiefen nachschauen kann. Verbreitete Klischees rufen ja gern auf, dass Berlin in den „märkischen Sand“ gebaut sei, von den Preußen in der „Streusandbüchse“ der Mark Brandenburg errichtet wurde. Und dann ist die Imagination rasch bei Heiner Müller und seinen soldatischen Gespenstern des 2. Weltkriegs, die durch diesen Sand noch irren und Berlin tanzt wie Babylon über flirrenden Sandwüsten daher.
MR: Ahh! Unsicheres Terrain, oder?
LM: Genau: Man landet im falschen Sediment. Auf Lossens geologischer Berlinkarte von 1879 sieht man noch die vier Inseln, auf denen sich die ersten slawischen Siedler niederließen. Das slawische „brlo“ bedeutet wohl gleichermaßen „Sumpf“, wie auch „trockene Stelle im Sumpf“. Also ziemlich ambivalent: Gleichermaßen Heimstatt wie Absacken. Alles was später ringsum im Urstromtal entstand, ist also auf Sumpf gebaut. Wozu Brandenburgs Wälder die Pfähle lieferten und seine Tonvorkommen die Ziegel.
MR: Jetzt ist „Brlo“ doch so ein Craftbeer, oder? Pale Ale? Ein interessanter Name für ein Bier: Trockene Stelle im Sumpf. Oder weil man versumpft, wenn man zuviel davon trinkt? Da fällt mir auf, dass man das gar nicht mehr so häufig sagt: Wir sind voll versumpft. Ich würde historisieren: so Ende der 80er, Mitte der 90er Jahre: Das Jahrzehnt der regionalen Versumpfung. Stichwort: Musikcafé in Neunkirchen. Das gleiche Musikcafé gab es bestimmt auch in Leverkusen. Aber wie kommen wir von hier zurück zu Heiner Müller?
LM: Kein Problem! Fast zu naheliegend sogar: Denn Müller sagt auch, dass Kreativität immer aus der Provinz kommt, nie aus der Metropole. Das habe Lenin schon gewußt. Keine Ahnung, worauf er sich da bezieht. Ich wundere mich auch über mich selbst, dass ich heute so oft an Müller denke, dessen Nachlass doch vor allem von außereuropäischen Goethe-Instituten verwaltet zu werden scheint? Allerdings tut meine Erinnerung Müller Unrecht: Er ist nicht nur der Sandmann der deutschen Geschichtsdramatik. Erst neulich habe ich ein Interview mit ihm gefunden, wo er auf eben dieses Klischee, dass Berlin auf Sand gebaut sei, antwortet: „Auf Sand und Sumpf!“ – und dann Nietzsche anklingen lässt, von dem es den demütig-kämpferischen Sumpfgedanken gibt, dass das Verlangen nach absoluter Freiheit des Willens und danach, in sich selbst die letzte Verantwortung zu suchen, ein irrationaler Widerspruch in sich sei: „die Münchhausensche Verwegenheit, sich selbst aus dem Sumpf des Nichts an den Haaren ins Dasein zu ziehn.“ Womit man Gesellschaft, Politik, Zufall unnötig entlastet.
MR: Ist das Selbstermächtigung, der Kern des Coachings? Entsolidarisierung? Nicht um Hilfe rufen, sondern es selber tun? Oder eine Maschine übernimmt, automatisch versendet der Sumpfsensor des Smartphones einen Hilferuf, aber wohin?
LM: Nicht zufällig kommt Müller auf den Sumpf zu sprechen in einem Interview zum Scheitern des Leitungsteams am Berliner Ensemble 1995, worin er auch feststellt, dass die Intrige das strukturgebende Element des Theaters sei.
MR: Aaah!
LM: Nietzsches Bild geht etwas in die Irre: Der Sumpf ist ja gerade nicht nichts, sondern verflüssigte und verdichtete organische Masse.
MR: Genau! Anders ließe sich ja sein Sog und seine Kraft gar nicht erklären, er muss mindestens genauso schwer sein wir wir! Sonst könnte er uns ja gar nicht nach unten ziehen, oder?
LM: Stimmt. Aus dem Sumpf kommt nichts mehr so heraus, wie es reingeraten ist.
Foto: Hanna Schaich
Der Sumpf ist ein großer Verwandler, er lässt sich nicht rationalisieren, urbar machen. Warum er auch vom Moor zu unterscheiden ist, auf dessen ewigem Geschwappe Torf entsteht, was dann wiederum einen ökonomisch nützlichen Kreislauf begründen kann – von den Torfstechern bis hin zur Datschengentrifizierung entlang des Schorfheideexpress. Im Sumpf hingegen, der auch mal trockenfallen kann, wird alles Organische vollkommen zersetzt. Und während aus den luftdichten Schichten des Moors noch schwarz glänzende Moorleichen auftauchen, die sauber konserviert, frei von Bakterien, hübsch anzuschauen sind – gebären Sümpfe faulige Dämpfe, aus denen uns Monster entgegenwanken: Swamp Things. Eher schon Aliens, mehr Reptil als Mensch. Der Sumpf löst alle Formen auf und bringt gänzlich neue, bis dato ungesehene hervor.
MR: Wie hieß denn noch der Film? Mit dem Dings und mit der Musik, ahh….Blake? Im Sumpf, im Boot, die ganze Zeit, altmodische Kostüme… Aber das führt jetzt vielleicht irgendwie weg.
LM: Ah – der, wo der Killer (oder ist er ein Priester? Oder beides?) durch so eine musicalhafte Südstaatensumpflandschaft zieht, in schwarz weiß, glaub ich. Und die Kinder sich vor ihm verstecken müssen, sonst ists um sie geschehen?
MR: Nein, das ist „The Night of the Hunter“ mit Robert Mitchum. Ich meinte einen anderen, komme nicht drauf. Das ist in der Halbwelt des nicht mehr richtig Erinnerten versumpft. Aber zurück.
LM: Gut, zurück nach Berlin! Die Auflösung der Materie als Übergang zu einer neuen Seinsstufe bringt mich zu einem weiteren, einem strahlenden Berlinbezug, mein liebster zur Zeit: Im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen am Kulturforum findet sich das älteste bekannte Exemplar des „Splendor Solis“ von 1532. Diese Bücher, von denen es einige über ganz Europa verteilt gibt, waren Luxusausgaben, die alchemistisches Grundlagenwissen überaus reich illustriert in Rätselbilder einfassten und für die Eingeweihten überlieferten. Auf der achten Tafel des Berliner „Splendor Solis“ sieht man die Szene von „Sumpfmann & Engel“.
MR: Sumpfmann und Engel, wie toll, kann ich das mal sehen? Oder wollen wir es lieber beschreiben als zeigen?
LM: Ich würds dir lieber beschreiben, wenn das okay ist? Es geht ja um Geheimwissen, entre nous quasi. Also: In einem reich mit wunderbaren Pflanzenmotiven und Vögeln dekorierten Rahmen sieht man zwei Figuren: Links eine männliche, die aus einem sumpfigen Gewässer steigt – rechts ein Engel in Frauengestalt, mit wertvollen schwerfaltigen Stoffen bekleidet, Krone, Stern und großen weißen Flügeln ausgestattet. Sie hält dem Sumpfmann ein rotes Tuch entgegen, wie ein Handtuch, um ihn abzutrocknen. Oder ein neues Gewand. Sein nackter Körper wiederum ist schwarz – der linke Arm, mit dem er nach dem Tuch greift, ist jedoch strahlendweiß, der rechte leuchtendrot. So wie auch sein Kopf fast ganz von einer roten Glaskugel umgeben zu sein scheint. Auf manchen Versionen hat man da sogar etwas Reflektionen drauf gemalt, damit die Vorstellung einer Glashülle rüberkommt. Abgefahren, oder?
MR: Ich glaube, ich kann es mir in etwa vorstellen. Die Farben müssen ja irre sein.
LM: Die Interpret*innen erklären uns nun, dass wir hier Zeuge der erfolgreichen alchemistischen Fixation oder Coagulation werden: Flüssiges und Flüchtiges gerinnt zu Festem, Verfaulung und Verwesung verwandeln sich in himmlischen Purpur.
MR: Weiß man, wo diese Darstellungen ihren Ursprung haben? Oder zirkulierten die einfach so in ganz Europa?
LM: Ich bin da sicher kein Fachmann, aber man kann wohl sagen, daß der „Splendor Solis“ quasi eine subjektive Essenz des im 16. Jahrhunderts gängigen alchemistischen Wissens darstellt, das sich seinerseits aus einer Mixtur von antiken, arabischen und ägyptischen Quellen verdichtet hatte. Wobei alles, bis hin zur Anzahl der Tafeln, allegorisch auf anderes verweist. Das ganze Buch ist ein Destillat von Form, Bild und Text, ein Wissensschatz, der von Eingeweihten zu lesen wäre. Wobei es vielleicht weniger um eine letztendliche Antwort, als um eine lebenslange Versenkung ins unendliche Flirren und Glucksen von Verweisen und Bezügen geht. Und von der Fassung des süddeutschen Meisters, vom dem wohl der Berliner „Splendor Solis“ stammt, wurden dann anscheinend Kopien für andere Interessenten produziert.
Foto: Merlin Nadj-Torma
Auf der achten Tafel dieses prächtigen Buches sieht man zwischen Sumpfmann und Engel, also in der Mitte des Bildes, in der Ferne eine Stadt auf einem Plateau, zu der einige Menschen einen gewundenen Weg hinauf ziehen. Im Vordergrund, vorm Dekor-Rahmen, tummeln sich zwei Hirsche und zwei Affen. Das könnte einerseits auf den gemarterten Geist des fälschenden Alchemisten in der Göttlichen Komödie verweisen, der sich selbst als „Affe der Natur“ bezeichnet. Oder aber man denkt daran, wie Bocaccio in der Renaissance die Künstler und die Künste gerade in der Figur des naturnachahmenden Affens nobilitiert. Was Hartmut Böhme an der Humboldt Universität mal sehr schön rausgearbeitet hat.
Falls sich die Affen nun umdrehen und auf die Stadt blicken, sehen sie den Sumpf, der sich von faulig Flüchtigem zu himmlisch leuchtendem Purpur zu wandeln anschickt. Wobei die Stadt immer in diesem einen Moment zwischen ausgestreckter Hand der nackten Figur und dem Angebot einer neuen Hülle liegt.
Am Sumpf tummeln sich also Fälscher – oder Künstler. Und so als beobachtender, spielender Künstleraffe, den Blick auf die Stadt über den Tanz von Verwesung zu Versprechen: Diese Aussicht gefällt mir sehr.
Oder wie Peter Fox aus Berlin-Schönow singt: „Ein Primat muss keinen Beruf haben // Ein Stadtaffe muss die Stadt im Blut haben.“
MR: Ein Stadtaffe muss die Stadt im Blut haben. Ein gutes Schlusswort, würde ich sagen, oder?
LM: Ja.
Stadt im Kopf – das ist ein Stadtquartett, das mit den Tierskulpturen im Berliner Stadtraum begann, sich dann dem sichtbaren und unsichtbaren Stuck an den Fassaden zuwandte, und im Spätsommer auf den Berliner Wasserstraßen entlang fuhr. Nun kommt die letzte Ausgabe von „Stadt im Kopf“ und die versinkt sozusagen im Sumpf.