Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Flussporträt: Die Panke – gedeckelt, renaturiert und verwunschen

13.07.2021
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Mündung der Südpanke in die Spree, Foto: ALW
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Angedeuteter Verlauf der unterirdisch verlaufenen Panke, Foto: ALW
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Durch das Charité-Geländer fließt die Panke weitgehend überirdisch, Foto: ALW
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Kurz darauf kann man zum ersten Mal entlang der Panke spazieren, Foto: ALW
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Im Weddingfließt die Panke an zahlreichen Kulturinstitutionen vorbei - hier die Bibliothek am Luisenbad, Foto: ALW
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Im Wedding wird der Verlauf der Panke immer grüner, Foto: ALW

Fangen wir ausnahmsweise vom Ende her an: dort wo ich in die Spree fließe und in die Kaimauer mein Schriftzug eingraviert ist: Südpanke. Hier ist meine ursprüngliche Einmündung in die Spree. Geht man von dieser „Flussmündung“ (offiziell bin ich ein „kleines Niederungsfließgewässer“[1]) nordwärts und überquert den Bertolt-Brecht-Platz, muss man bloß dem angedeuteten Flussbett in Form einer geschwungenen Linie im Boden folgen, der am Berliner Ensemble auf der einen und an Neubauten auf der anderen Seite vorbeiführt. Kurz wird es schwierig mir zu folgen; man muss einen ziemlichen Umweg gehen, um meine Fährte an der Oberfläche wieder aufzunehmen, denn ich gelange unterirdisch auf das Gelände der Universitätsklinik Charité, das nur wenige Eingänge hat. Aber es lohnt sich, denn hier fließe ich zwischen alten Backsteingebäuden hindurch und werde von kleinen Brücken überquert, es ist wie eine Zeitreise. Besonders gefällt mir, dass ich, nachdem ich zwischen Häusern hindurch ein enges Steinbett entlangfließe, von einer Grasböschung umgeben bin, auf der sich die Studierenden setzen können, um ihre Füße in mein Wasser zu halten.

Ich verlasse das Gelände durch einen Tunnel, um eine Straße zu unterqueren. Auf der anderen Seite gelange ich wieder an die frische Luft; linkerhand führt zum ersten Mal ein Fußweg an meinem begradigten Flussbett entlang, rechts stehen gerne Kinder aus der Kita am Zaun und werfen Steine in mein Flussbett. Erneut verschwinde ich in einem Tunnel, komme zwischen einem Bürogebäude und Straße kurz zum Vorschein, um dann wieder für längere Zeit unterirdisch weiter zu fließen, wobei auch hier ein angedeuteter Flusslauf in den Boden eingelassen ist. Auf der linken Seite des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur komme ich wieder heraus, winke kurz zum Mauerbrunnen herüber und tauche noch einmal kurz unter, bis ich endlich in meinem renaturierten Teil angekommen bin. Hier verlaufen an beiden Seiten breite Wege, Wiesen und Schilf, und ich kann mich etwas ausbreiten, gut bewacht von den Sicherheitsanlagen des Bundesnachrichtendienstes, dessen Gelände bis zu meinem Grünzug reicht. Weil es hier angenehm ruhig und grün ist, kommen die Menschen gerne her, um mit ihren Hunden spazieren zu gehen oder sogar eine kurze Abkühlung zu nehmen.

Renaturierter Panke-Abschnitt neben dem BND-Gebäude, Foto: ALW

Vor 30 Jahren als Berlin noch eine geteilte Stadt war, sah diese Gegend ganz anders aus und ich floss an der Chausseestraße unter der Grenze hindurch. Kurz darauf treffe ich auf die „Nordpanke“ treffe, die am Erika-Heß-Eisstadion vorbei weiter zum Nordhafen im Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal fließt. Am sogenannten Schlauchwehr, das angelegt wurde, um den Höhenunterschied zwischen der heutigen Panke und der Südpanke zu überbrücken, zweige ich ab. Von der Quelle bis zur Mündung beträgt der gesamte Höhenunterschied ca. 40 Meter!

Ab hier ist mein bescheidenes Fließgewässer Teil eines europaweiten Renaturierungsprojektes: Als erstes gemeinsames Pilotprojekt der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie begannen 2007 die Vorarbeiten für verschiedene Renaturierungsmaßnahmen der Panke von der Quelle bis zur Mündung. Dazu wurde zunächst ein Gewässerentwicklungskonzept erarbeitet und interessierte Bürger*innen beteiligt, darauf aufbauend die Maßnahmenplanung konkretisiert und ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt.

Das Ziel: „Unter hochurbanen Bedingungen soll eine größtmögliche Annährung an den guten Zustand erreicht werden, indem sich ökologische Schwerpunkte (Strahlursprünge) mit Abschnitten mit wenig Entwicklungspotential (Strahlwegen) nach dem Prinzip des Verbundsystems abwechseln.“[2]

Das Problem: „Über 150 Jahre intensiver menschlicher Nutzung haben das Leben in der Panke fast zum Erliegen gebracht. Nur wenige Arten haben bis heute durchgehalten.“ Die Panke gilt als „stark geschädigt“, von ihrem ursprünglichen Verlauf ist kaum etwas übrig geblieben, weil sie aus Stadtplanungs- und Hochwasserschutzgründen begradigt, reguliert und verrohrt wurde.

Während man Mitte des 19. Jahrhunderts in der Panke noch baden konnte und es reichlich Fisch wie Barsche Hechte, Stichlinge, aber auch Forellen und Bachneuaugen gab, „wurde mit zunehmender Besiedelung und Industrialisierung des Berliner Nordens ab ca. 1850 aus dem munteren Bächlein die ‚Stinke-Panke‘, eine Müllkippe und Abwasserleitung. 1882 gab es an der Panke 23 Gerbereinen. Zum Gerben wurden täglich 500 Eimer Hundekot verarbeitet. Dazu kamen vier Leimsiedereinen, eine Darmseidenfabrik, eine Knochenkocherei und zwei Papierfabriken.“[3]

Flussaufwärts geht´s durch die Rechenanlage an der Schulzendorfer Straße, die uns von Geäst und Müll befreit,[4] Ab der Rechenanlage fließe ich durch ein recht breites Flussbett, das größtenteils durch Backsteinmauern (inklusive bunter Graffitis) begrenzt wird. An meinen Seiten befinden sich angelegte Wege und Grünstreifen, an denen man bis nach Pankow spazieren kann.

Entlang der Panke im Wedding, Foto: ALW

Hier hat man endgültig den Ortsteil Mitte mit seinen repräsentativen Bundesministerien verlassen und taucht in den Wedding ein, der besonders entlang der Panke vielen Kulturinstitutionen Unterschlupf bietet, wie der Wiesenburg, den Gerichtshöfen inklusive Panke Gallery, den Uferhallen und -studios, der Bibliothek am Luisenbad und der Bildhauerwerkstatt des bbk. Je nördlicher man kommt, umso verwildeter wird der Grünzug, an einer Stelle weitet er sich zum sogenannten Franzosenbecken, das jedoch fast vollständig zugewachsen ist. Kurz darauf befindet sich direkt an meinem Ufer der Abenteuerspielplatz „Panke“, der verschiedene Angebote für Kinder anbietet. Auf der anderen Seite ziehen sich Kleingärtenanlagen fast bis zur Kühnemannstraße, hinter der der Bezirk Pankow beginnt. Mich interessiert das nicht so, ich fließe einfach durch die Bezirksgrenzen durch, so wie ich auch unter der ehemaligen Grenze durchfloss – mit einem Gitter versehen, um Fluchtversuche zu verhindern.

Kurz vor der Bezirksgrenze zu Pankow wird es richtig grün, Foto: ALW

Wie steht es denn nun aber mit dem Berliner Pilotprojekt der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie?Frau Goll von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz berichtet im Telefonat von den vielen verschiedenen Interessen und Herausforderungen, die es bei der Umsetzung der Maßnahmen gibt. So seien bei den Planungen verschiedenste Belange wie der Denkmal- und Hochwasserschutz, Gewässerunterhaltung, Grünflächen- und Trinkwassersicherung mitzudenken. Auch auf sich ändernde Planungsvoraussetzungen (und Kostensteigerungen) ist zu reagieren. Inzwischen sind die ersten Bauleistungen zur Herstellung einer Fischwanderhilfe im Nordhafenvorbecken ausgeschrieben. Als nächstes folgen Maßnahmen im Oberlauf der Panke von Karow bis zu den Pölnitzwiesen wie der Einbau von einer Mindesthabitatsausstattung[5] und die Aufweitung des Flussbettes und Initiierung eigendynamischer Entwicklungen. Weitere Renaturierungsmaßnahmen folgen und sollen bis zum Ende des dritten Bewirtschaftungszyklus der Wasserrahmenrichtlinie 2027 abgeschlossen sein. Es wird deutlich: auch wenn die Panke an vielen Stellen schon verwunschen aussieht, ist ihr ökologischer Zustand laut aktuellem Länderbericht weiterhin unbefriedigend. Bis Stichling, Aland und die grabende Eintagsfliege Ephemera danica sich in der Panke so richtig wohlfühlen, wird es noch etwas dauern, obwohl sie voraussichtlich im nächsten Jahr schon die Panke aufsteigen können, wenn die Fischwanderhilfe gebaut wurde.

[1] Mein Quellgebiet liegt nördlich von Bernau, im Pankeborn. Insgesamt bin ich ca. 27 km lang, von denen 18 km durch Berlin fließen. Typisches Kennzeichen für diese Gewässer ist träge fließendes, oft trübes Wasser, https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/wasser/eg-wrrl/de/inberlin/wasseradern.shtml

[2] https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/wasser/eg-wrrl/de/inberlin/panke.shtml

[3] Panke 2015. Ein Bach wird naturnah. Informationsheft zur europäischen Wasserrahmenrichtlinie, herausgegeben von der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, 2009.

[4] Seit ihrem Bau 1988/1989 ist die Rechenreinigungsanlage an der Schulzendorfer Straße in Berlin-Mitte in Betrieb. Monatlich werden mehrere Tonnen Treibgut, Äste, Laub, Holz, aber auch Abfälle oder „entsorgte“ Einkaufswagen aus der Panke gefischt, um den ca. 120 m flussabwärts liegenden sogenannten Pankedüker unter der Chausseestraße, freizuhalten. Mit dem niederdeutschen Wort „Düker“ wird das Abtauchen bzw. Unterqueren eines Gewässers unter einem Hindernis beschrieben. Der Pankedüker – er besteht aus drei Rohren – an der Chausseestraße unterquert seit 1917 die damals im Bau befindliche U-Bahn, die heutige U 6. Damit die Düker-Röhren nicht verstopfen, muss größeres Treibgut aus der Panke entnommen werden. Vgl. https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/wasser/eg-wrrl/de/inberlin/panke.shtml

[5] Darunter versteht man die Etablierung eines Mindestmaß an Strukturen für eine möglichst natürliche Gestaltung der Gewässersohle mit Sandbänken und kleinen Inseln, auf denen sich Pflanzen ansiedeln, mit Steinen und Totholz, die Strudel und Ruhezonen schaffen mit einer besonderen Gewässerunterhaltung, die ausreichend Pflanzen im Wasser belässt.

 

Die Senatsverwaltung hat ein interaktives Computerspiel entwickelt, mit dem eine ökologisch sinnvolle Umgestaltung von Fließgewässern am Beispiel der Panke durchgespielt werden kann. Eine Libelle begleitet dabei den Spieler zu neun Standorten – von der Stadtgrenze in Buch bis zur Mündung in Berlin Mitte – erklärt die Situation und schlägt Lösungen vor. Das Spiel kann von Menschen ab 10 Jahren genutzt werden und steht unter  kostenlos zur Verfügung.

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