Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Zu Besuch bei Air Berlin Alexanderplatz

09.07.2019
Das Team von ABA: Aleksander Komarov, Susanne Kriemann und Beatrijs Dikker, Foto: ALW

In einem ehemaligen Discounter in einem Gebäudekomplex aus den 1970er Jahren im östlichen Rand von Kreuzberg treffe ich das Team von Air Berlin Alexanderplatz Susanne Kriemann, Aleksander Komarov und Beatrijs Dikker.

Die leeren Räume sind spartanisch mit Tischen ausgestattet, ein Beamer ist aufgebaut, wir setzen uns gemeinsam an den Tisch, um über ABA zu sprechen – einer Künstlerinitiative, die zugleich Residency, Salon, Netzwerk und Publikationsorgan ist. Weil die vielen verschiedenen Aktivitäten von ABA in einer Wohnung im zehnten Stock am Alexanderplatz ihren Ausgang nahmen, heißt die Initiative nach dem Platz in Mitte. Während des Gesprächs spürt man schnell, dass ABA aus der Neugierde an künstlerischen Prozessen entstand und motiviert ist von dem Wunsch nach Austausch und der Verknüpfung von Menschen und Orten in Berlin.

Susanne Kriemann und Aleksander Komarov, beide Künstler, sind 2009 nach Berlin gekommen und liebten den besonderen Mix am Alexanderplatz aus Geschäften, Peter Behrens‘ Trafo-fabrik und Fernsehsehturm. „Das gibt einen guten Einblick von Berlins eklektischem Wesen. Der Alexanderplatz ist nicht nur super zentral, er ist ein Ort der Geschichte und den Geschichten von Döblin und Fassbinder und vielen mehr“, sagt Susanne Kriemann. Die Möglichkeit an diesem Ort zu wohnen, konnten sie mit Hilfe einer holländischen Stiftung (Mondriaanfonds) an andere Künstler*innen weitergeben. Die Residency beschäftigt sich vor allem mit dem Thema der künstlerischer Recherche. „Wir haben den Stipendiat*innen eine Wohnung für vier oder sechs Monate zur Verfügung gestellt. Dort konnten sie ihre Arbeiten entwickeln. Für uns war es konzeptuell wichtig, dass die Künstler*innen nach Berlin kommen und Strukturen haben, die es ihnen ermöglichen, zu denken, zu lesen, zu entwickeln. Dabei sollten sie im Berliner Alltag zu Hause sein, statt in einem Schloss oder einem Studio untergebracht zu werden. Wir wollten die Residency als Arbeitsmodus neu denken: die Leute mittendrin unterbringen, im sozialen Wohnungsbau.“ Aleksander Komarov ergänzt: „Wir ermöglichen Forschung, weil uns das selber beschäftigt und Teil unserer Praxis ist. Die Künstler*innen haben die Gelegenheit, neu in die Stadt zu kommen und in ein politisches und ökonomisches System einzutauchen, ohne dabei gleich an die Fertigstellung oder Ausstellung ihrer Arbeiten denken zu müssen.“

Ein Format, um den Künstler*innen das Ankommen zu erleichtern, ihnen Zugänge zur Stadt zu eröffnen und in einen Austausch mit ihren Protagonisten zu treten, sind die regelmäßigen Salons. Die ersten Salons fanden in der Wohnung am Alexanderplatz statt und waren zunächst thematische Abende. Schnell weiteten sie sich auf diverse Orte in der Stadt aus. Mittlerweile hat ABA circa 60 Salons organisiert. Sie finden meist an Orten statt, die in den Recherchen der Künstler*innen eine Rolle spielen, wozu eine Karaoke Bar, eine Teppich-Galerie, ein privater Plattenladen oder auch eine Praxis für funktionelle Optometrie und Augentraining gehören können genauso wie das Tierstimmenarchiv oder die Ethnographischen Sammlung in Dahlem. Susanne Kriemann ist immer noch überzeugt von diesem Format, auch wenn es mit ziemlich viel Aufwand verbunden ist: „Weil wir selber Künstler sind, ist jeder Salon wie eine Miniarbeit mit und für die eingeladenen Künstler*innen. Es ist schön, Berlin so zu erleben. Es entstehen immer wieder neue öffentliche Situationen. Für uns ist es wichtig, rauszugehen aus den Studios, und die Stadt als Möglichkeitsraum zu begreifen.“

Salon Tamuna Chabashvili, 29.4.2018, Penelope’s Sphere, Fehrbelliner Str. 56, Foto: Aleksandr Komarov

Auf der Webseite schauen wir uns gemeinsam einige Dokumentationen der Salons an. Beatrijs Dikker spricht enthusiastisch: „Es ermöglichen sich andere soziale Strukturen, wir kommen so mit verschiedensten Menschen ins Gespräch.“ Durch die Dokumentation der Salons ist zudem ein ganzes Archiv zu der Frage entstanden, wie man dieses besondere (Vermittlungs-)Format am besten dokumentiert. Neben Fotografien gibt es auch Mitschriften oder Soundaufnahmen, die man auf der Webseite nachhören kann.

Weil die Kombination von Stipendium und Salons auf positive Resonanz traf, arbeitet ABA nun mit mehreren internationalen Stiftungen zusammen. Susanne Kriemann vermutet, dass der Erfolg der ABA auch dadurch kam, dass Künstlerische Forschung einen immer größeren Stellenwert in der Kunstszene bekam und in Berlin sehr viele Möglichkeiten mit dieser Art von Kunstverständnis vorhanden sind.

Doch das Konzept der Künstler-Wohnungen im sozialen Wohnungsraum ist komplizierter geworden. Ein neues Gesetz unterband 2015 die Nutzung von Räumen in Sozialwohnungen zum Arbeiten. Susanne Kriemann ist enttäuscht, wenn sie davon spricht: „Wir sind ein eingetragener gemeinnütziger Verein, kein Airbnb! Aber die Anti-Airbnb-Welle hat uns voll erwischt. Auf der einen Seite macht es Sinn, dass Sozialwohnungen nicht zu Gewerbezwecken umgenutzt werden dürfen. Künstler*innen arbeiten aber sehr oft in den Wohnungen, in denen sie leben.“ Für Aleksander Komarov geht dies an den veränderten Arbeitsbedingungen von vielen Künstler*innen vorbei: „Künstler*innen heute arbeiten anders – sie brauchen nicht unbedingt ein Studio, sie können auf dem Weg arbeiten oder zu Hause. Das ist aber noch keine gewerbliche Nutzung!“

Beatrijs Dikker ergänzt: „In unser Programm fließen Erkenntnisse von zehn Jahren ABA ein: Was braucht man als Künstler*in in einer Metropole? Was sind die minimalen Anforderungen? Die Mischung aus den Wohnungen, die wir bereitstellen und den Salons, die an Orten überall in Berlin stattfinden, sind eine Reaktion auf die internationale Kunstszene, die sehr durch Mobilität geprägt ist. Die Künstler*innen sind bei uns herausgefordert, in die Stadt zu gehen und Anbindungen zu finden, gleichzeitig haben sie ein festes Zuhause. Wir wollten kein geschlossenen System sein oder anbieten. Ein schönes Beispiel hierfür ist die neue Veranstaltungsreihe „World of Noon“, für die wir Expert*innen aus verschiedenen Feldern einladen, um sie mit unseren Künstler*innen in ein Gespräch zu bringen. Auch da wollen wir aus der Kunstblase ausbrechen.“

Das Organisieren der Wohnungen für die Residency wird immer mühsamer, berichtet Beatrijs Dikker und die anderen beiden nicken. Für das Team von ABA bedeutet das, dass sie sich ihre Zeit zwischen eigener Praxis und ABA-Aktivitäten gut aufteilen müssen. Doch auch wenn sich die Voraussetzungen verändern, die Lust an der Sache ist ihnen nicht vergangen – und äußert sich darin, dass immer wieder neue Aktivitäten und Formate entstehen. So berichtet Susanne Kriemann, die auch Professorin an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ist, das zur Zeit die Berlin Field School stattfindet, die sie zusammen mit Judy Radul, einer befreundeten Professorin aus Vancouver in Kanada, durchführt, bei der dreizehn ihrer Student*innen sechs Wochen in Berlin verbringen und die Stadt und seine Kunstszene kennenlernen.

Das Künstlerduo Robbert&Frank Frank&Robbert in ihrer Gastwohnung, Foto: Anna-Lena Wenzel

Bevor die Student*innen kommen, beenden wir das Gespräch und Beatrijs Dikker begleitet mich um die Ecke in die Wohnung der aktuellen Stipendiaten Robbert&Frank Frank&Robbert. In der großzügigen und hellen Wohnung stehen die Fenster wegen der Hitze weit offen, auch die Tür zum Balkon inklusive Campingstuhl ist auf. Das Künstlerduo aus Belgien ist seit Mai hier und hat es sich schon häuslich eingerichtet. Unter anderem haben sie einen kleinen Altar auf dem Regal errichtet, auf dem Boden liegen Bücher und diverse Flyer herum. In unserem kurzen Gespräch kommen sie regelrecht ins Schwärmen von der Gelegenheit hier längere Zeit zu verbringen, ohne am Ende etwas liefern zu müssen. „Es ist sehr besonders, sich aufmachen zu können und erstmal nur zu entdecken“, sagt Frank (oder Robbert?).

Es ist zu hoffen, dass dieser Aufwand weiterhin gewürdigt und ABA noch vielen Künstler*innen diese Freiräume schenken und mit ihren Salons Begegnungen initiieren und Räume öffnen kann!

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