Robert Eckstein

Interview mit den Programm-Koordinatorinnen

12.04.2017
Jennifer Aksu und Kerstin Wiehe von k&k

Robert Eckstein im Interview mit Kerstin Wiehe und Jennifer Aksu von k&k kultkom - Kulturmanagement & Kommunikation

Wie werden Förderungen für kleine Kunst- und Kulturprojekte in Berlin vergeben? Und welche Mitbestimmungsrechte haben dabei Bewohner in der Stadt, die ihren Kiez mitgestalten wollen? Das Interview mit Kerstin Wiehe und Jennifer Aksu im Schöneberger Büro von k&k Kultkom beschreibt die Arbeitsweisen von Kulturarbeitern in Berlin und gibt Anregungen für die Umsetzung von eigenen Projektanträgen.

Hallo, du als Kerstin Wiehe, bist mit der Programmkoordinierung von Projekten der Stadtkultur und Vernetzung beauftragt. Jennifer Aksu, du bist Urbanistin und Mitglied des Künstlerkollektivs „Invisible Playground“ und ebenso Programmkoordinatorin. Stellt doch bitte in groben Züge vor, wie ihr eure Aktivität und Aufgaben versteht.

KERSTIN: Es gab ja im Oktober 2015 eine Ausschreibung im Bezirk für eben diese Programmkoordinierung von Projekten der Stadtkultur und Vernetzung. Wir haben uns überlegt, was wäre aus unserer Sicht spannend und haben uns verschiedene Formate ausgesucht, wo es im Kern darum geht, uns mit Künstlern zu treffen: Kunst- und Kulturschaffenden zu begegnen,  wobei es dabei egal ist, ob sie als „Freie“ oder als Institutionen dabei sind. Es geht uns auch darum, Konzepträume oder Kollektive spartenübergreifend kennenzulernen. Durch diese Begegnung soll ein Erfahrungswissen ausgetauscht werden, das wir für den Bezirk sammeln, um Lebens- und Arbeitsrealitäten von Kunst- und Kulturschaffenden zu verstehen.

Woher kennt ihr euch?

JENNIFER: Wir arbeiten seit 2010 zusammen. Start war eine größere stadtweite Produktion für ein Musikfestival in Eisenach. Wir haben damals viele Tage zusammen in Eisenach verbracht. Anschließend bin ich als freie Mitarbeiterin mit Kerstin verbunden geblieben.

KERSTIN: Genau – das Projekt aus Eisenach ist ein schönes Beispiel dafür, mit welchen Formaten wir uns beschäftigen. Ich selbst bin seit 1993 freiberuflich tätig – als Kulturmanagerin und Publizistin, das heißt auch mit vielen unterschiedlichen Projektformaten. Ein Schwerpunkt ist beispielsweise Stadt und Raum aus dem Kontext von Kunst und Kultur zu betrachten, und diese neu zu bewerten. Das Beispiel Eisenach ist deswegen so schön, weil wir dabei zusammen mit Bewohnern und Musikern die Stadt bespielt haben. Es geht uns immer darum, über die Einbindung von Kunst und Kultur die Wahrnehmung der Stadt zu verändern oder zu fokussieren. Dieses (Praxis-)Wissen bringen wir mit in unsere Formate für „Programmkoordination Stadtkultur und Vernetzung“ ein.

(Puh, was für ein sperriger Titel, alle lachen kurz)

Wie ist euer Vorgehen für das Projekt „Stadtkultur Mitte“?

JENNIFER: Das Projekt gliedert sich für uns in mehrere Phasen. Es ist vor allem von dem Prinzip des „make“ statt eines „make do“ geleitet, das heißt, wir schaffen nicht einen Rahmen, in dem andere etwas machen, sondern wir machen auch selber etwas, das uns interessiert. Das oszilliert zwischen: Menschen zum Machen und Gestalten einzuladen und dazwischen Formate zu entwickeln, die uns als künstlerische Kuration auch selbst interessieren. Das Projekt gliedert sich in die Phasen der Recherche und der Begegnung – als erstes vor allem das meet´n greet, wo wir als utopisches Handlungsziel formuliert haben: Wir wollen bis zum Ende unserer Beauftragung jedem Kunst- und Kulturschaffenden hier in diesem Bezirk Mitte begegnet sein und uns vorgestellt haben. Um Kenntnis und Wissen von und übereinander zu generieren, arbeiten wir an der Schnittstelle zwischen Bezirksamt und der „Freien Szene“. Da geht es um Wissen und Verstehen von Abläufen und Alltag für beide Seiten als Prozess, den wir anstoßen und begleiten.

KERSTIN: Dieser Prozess addiert sich. Wir generieren Wissen im Auftrag des Bezirkes, wobei es unsere Idee ist, dieses Wissen den Kunst- und Kulturschaffenden zurückzugeben. Wir haben ein Förderprogramm kreiert, die sogenannten „miKrOPROJEKTE“, wo Kooperationen und das Ausprobieren von Neuem als Experiment im Mittelpunkt stehen. So konnten 2016 schon 7 Projekte gefördert werden und im Jahr 2017 bisher 5 Projekte – eine Restsumme wird noch vergeben. Bei diesen kleinen Projekten stehen 3000 €  für künstlerische Kooperation zur Verfügung. Auch dieses Format ist eine Plattform des Experimentierens. Es geht darum, dass der Bezirk Erfahrungen sammelt, wie Zusammenarbeit funktionieren kann. Dafür machen wir Prozessbesuche, das heißt, wir schauen vor Ort wie die Idee der Kooperation funktioniert, was es für Hürden oder neue Erkenntnisse gibt. Anders als bei anderen Förderformaten in Berlin, ist der Prozess Kern der Förderung. Uns geht es um den Prozess und das Wissen, was wir in den Einzelgesprächen erwerben und die Erfahrungen die die Künstler*innen in ihren Prozessen machen. Dieses Wissen transportieren wir in Workshops an den Bezirk zurück. Am Ende des Prozesses möchten wir eine Karte erarbeiten, die die vorhandenen Ressourcen auf verschiedenen Ebenen sichtbar macht. Es geht dabei darum Hilfsmittel und Arbeitsgrundlagen für die so vielfältige Freie Szene in Berlin-Mitte zu erarbeiten – in Form einer Karte – und die Akteure*innen damit auch sichtbar zu machen.

JENNIFER: Es ist eine Mischung aus „Stadt-Machen“ und „Stadt-Betrachten“ ! Uns geht es darum zu fragen: Wie schaffst du eigentlich Räume, um „Stadt machen“ zu können? Und natürlich aus der Praxisperspektive: Was sollte in einer Stadt gemacht werden, damit wir darin leben und zukünftig gut und gerne arbeiten können? Am Ende hoffen wir, dass wir diese Vielschichtigkeit an Wissen darstellen können, ohne dass es komische Beziehungsgefälle aufbaut.

KERSTIN: Wir betrachten uns als Begleiter eines Prozesses, von dem wir am Ende nicht wissen, was dabei herauskommt. Das macht eine solche Arbeit extrem spannend und vielfältig.

Stellen wir uns vor, jemand würde euch fragen, wie ihr Berlin-Mitte oder Berlin als Stadt treffend charakterisiert. Was würdet ihr antworten?

KERSTIN: Diversität ist ein absolutes Merkmal von Berlin. Es ist schon so, dass man nur eine Straße weiter gehen muss, um ein völlig anderes Berlin zu erleben. Dies kann auf die Kunst und Kultur übertragen werden. Je nachdem, mit welcher Sparte oder Form ich mich beschäftige, um so anders gestaltet sich mein Blick auf Stadt und meine Wirkung in Stadt hinein. Zum Beispiel kann ich als Musiker im Studio bleiben oder konfrontativ in die Öffentlichkeit gehen. Es gibt also keine übergreifende Charakterisierung von Berlin und alles ändert sich permanent, das ist auch faszinierend.

JENNIFER: Berlin ist ein urbanes Chamäleon. Auf der einen Seite extrem wandelbar und auf der anderen Seite passt sich jeder Kiez seinen Entwicklungen an. Es stellt sich dabei natürlich die Frage, passt man sich an oder wird man angepasst.

KERSTIN: Der Prozess des Anpassens ist zum einen etwas Positives, wenn es etwas Wandelbares ist und zum anderen stellt sich die Frage, wer wird verdrängt? Es ist wichtig zu fragen, was findet statt und welche Möglichkeiten gibt es, sich auszutauschen. Und da gibt es in so einem Bezirk wie Mitte ganz unterschiedliche Ressourcen, die in einzelnen Kiezen vorhanden sind. In dieser diversen Konstellation gibt es immer neue Dynamiken, die sich schnell verändern können. Dieser Herausforderung stellen wir uns, weil es für diese Veränderungen Visionen geben muss.

Wo seht ihr in Berlin Differenzen zwischen Stadtentwicklung und Stadtkultur?

KERSTIN: Es gibt dieses Spannungsfeld zwischen Bau und Stadtentwicklung. Bau ist oftmals ein singulärer Vorgang, zum Beispiel gibt es bei dem Kauf einer Brachfläche und dem Bauvorhaben darauf gewisse Rahmenbedingungen, an die sich der Käufer halten muss, diese sind stadtentwicklerisch fest definiert. Nun sind aber die Veränderungen, die solche Veränderungen im Gebiet auslösen, in der Festlegung nicht planbar. Das fängt in den letzten vier Jahren an, dass es Gesetzesgrundlagen für Zweckentfremdungen und Ähnliches gibt, um Verdrängungsprozesse aufzuhalten. Das ist die eine Ebene und die andere ist, dass mit jeder Veränderung innerhalb dieser Gesamtkonstellation „Stadt“ weitere Veränderungen einhergehen. Eigentlich ist Stadtkultur das Zusammenleben der Menschen. Wenn wir das auf Kunst- und Kulturschaffende beziehen, dann sieht man, dass sie selten autark, also ohne Kontakt zu ihrer Umwelt arbeiten.

Welches kulturelle Projekt, in Berlin, würdet ihr beschleunigt wissen wollen?

KERSTIN: Da gibt es so viele (lacht).  Wichtig finde ich bei Kulturprojekten, dass sie eine demokratische Beteiligung ermöglichen. Das sollte bei kulturellen Projekten, wie ich finde, ein Kernpunkt sein. Es ist wichtig, das Spannungsfeld zu verstehen, in dem sich Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland befindet. Da gibt es drei Verwaltungsebenen, Bund, Senat und Kommune, zwischen denen Kommunikation nicht immer so geführt wird, dass es produktiv ist. Insbesondere da wo es um Steuergelder geht, sollte bei einer Entscheidung, für welche Kultprojekte diese eingesetzt werden, eine demokratische Teilhabe ermöglichen. Diese Umsetzung in Bezug zur Stadtkultur braucht eine Beschleunigung. Wenn diese demokratischen Prozesse, die Menschen direkt betreffen (egal ob Kulturschaffender oder nicht), nicht in (stadt-)kulturellen Entscheidungsprozessen verankert sind, wird das Leben der Menschen, die hier leben, und das was sie umgibt, irgendwann nicht mehr zusammen passen. Insofern wäre das eines der großen Kulturprojekte: eine Demokratieentwicklung mit Hilfe von kulturellen Mitteln.

Inwieweit können Bürger*innen urbane Raumkulturen in Berlin selbst mitgestalten?

JENNIFER: In dem Maß, in dem sie sich einbringen wollen. Also unsere Arbeit beispielsweise, ist für alle Interessierten offen. Nun sind unsere Projekte zwar vorrangig für Kunst- und Kulturschaffende, doch da ist unsere Definitionsbandbreite sehr offen.

KERSTIN: Wenn wir die Frage nicht nur auf unsere Arbeit beziehen, ist es eher so, dass es viel zu wenige Gestaltungsmöglichkeiten gibt, an denen mitgearbeitet werden kann. Dafür sind die Quartiersmanagementgebiete, die aus Stadtentwicklungsmitteln für die „Soziale Stadt“ finanziert sind, ein gutes Beispiel. Hier können sich Bürger*innen und Anwohner*innen mit eigenen Projekten bewerben oder in Quartiersräten aktiv mitentscheiden, was umgesetzt werden soll. Wenn wir das auf kommunaler Ebene weiterdenken, funktioniert eine Teilnahme an Entscheidungsprozessen schon nicht mehr. Am Beispiel der Brachfläche kann man das herleiten: Es gibt für öffentliche Flächen eine Einsichtsmöglichkeit, wo ich dann einen Kommentar abgeben darf. Doch ob ich den gemacht habe oder nicht, ändert oftmals an der Umsetzung des Vorhabens nichts. Das sind eher pseudo-demokratische Verfahren, wie ich finde.

Wie eignet ihr euch den urbanen Raum „Stadt“ an?

KERSTIN: Auf Projektebene: Viele unserer Projekte beschäftigen sich mit dem Thema Stadt. Und sicherlich auch, indem wir manche Hürden innerhalb der Stadt kreativ überspringen, indem wir, wenn wir beispielsweise Festivals organisieren, nicht jedes Detail anmelden, sondern nur die übergreifende Idee dessen, was wir machen wollen. Dieses Überspringen beruht auf einem Erfahrungswissen, was wir auch gern mit anderen teilen und verständlich machen. Im letzten Sommer haben wir das Arbeitscamp „MACHT“ angeboten, wo es genau um diese Fragen ging. Die Fragen, was kann ich überhaupt im öffentlichen Raum machen, was sind Hürden und wie kann ich diese überwinden? Ein Austausch darüber ist sehr wichtig. Das fand in einer Fläche – der Klosterruine Mitte – statt, die eigentlich als Raum in der Stadt nicht zur Verfügung stand. Wir waren da die erste aktive Kulturnutzung seit Langem. Es geht darum, durch Projekte, Orte wieder zu bespielen und der Öffentlichkeit zurück zu geben, die ansonsten in der Wahrnehmung als öffentlich-gemeinschaftliche Fläche nicht vorhanden sind.

JENNIFER: Es ist die Frage, was mutest du dir zu. Meine Herangehensweise ist sehr klar: Wir versuchen, so viel wie möglich mit Leben und Arbeiten im öffentlichen Raum zu experimentieren. Das kann semi-legal bis offiziell sein, es geht um eigene Erfahrungen in Grauzonen, die anschließend hinterfragt werden können.

KERSTIN: Diese Form der Zumutung, Mut zu zusprechen, ist eine meiner Projektmaxime. Experimentell und ergebnisoffen zu sein, bedeutet eben, dass man am Anfang nicht festlegt, was am Ende entstehen soll. Damit würde man den Prozess und also auch die Ergebnisse wahnsinnig begrenzen und unglaubwürdig machen.

Vielen Dank für eure Zeit (des Interviews) und alles Gute für eure weiteren Projekte!

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