Marina Naprushkina

Marina Naprushkina, geboren in Minsk/Belarus lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Künstlerin, hat an der Frankfurter Städelschule studiert, unterrichtet an der Weissensee Kunsthochschule/Berlin und stellt international aus. Sie hat verschiedene Initiativen gegründet, wie die Neue Nachbarschaft/Moabit, Refugees Library, oder das Büro für Antipropaganda. Aktuell leitet sie "institutions extended" für den Fachbereich Kunst und Kultur in Mitte.

„Ich kriege keine Einladungen aus West-Berlin“ Ein Gespräch mit Wolfgang Leber

24.08.2021
© mn
© mn

"Lebt und arbeitet in Berlin" ist unsere neue Reihe, in der Künstler*innen miteinander sprechen. Das Format wechselt zwischen verschiedenen Genres, die die Künstler*innen jeweils wählen. Die Reihe ist Teil des Projekts Institutions Extended. Für diese Ausgabe traf sich die Künstlerin Marina Naprushkina mit dem Künstler Wolfgang Leber in seinem Atelier in Berlin-Mitte.

Marina Naprushkina (MN):
Sie haben an der Kunsthochschule Weißensee unterrichtet, kommen die ehemalige Student*innen Sie manchmal besuchen?

Wolfgang Leber (WL):
Ich wundere mich darüber, warum das nicht passiert. Als ich dreißig war und meinen Beruf angefangen habe, war ich sehr froh, ältere Maler*innen, die mir künstlerisch nahestanden, gekannt zu haben und diese natürlich auch zu besuchen.

MN: Wer war das?

WL: Herbert Tucholsky, ein Grafiker. Er war mit Käthe Kollwitz und Werner Heldt befreundet. Sie hatten ihre Ateliers in der Klosterstraße, bevor sie zerbombt wurde. Dann noch Arno Mohr, der hat die Druckwerkstatt in Weißensee geleitet, Egmont Schaefer oder Charlotte E. Pauly, eine Malerin. Ich war am Austausch sehr interessiert. Das waren künstlerisch wichtige Leute für mich. Den ehemaligen Direktor der Hochschule, Walter Womacka, habe ich nie besucht… weil er mir künstlerisch fern war.

MN: Ihr Studium an der Universität der Künste wurde 1961 durch den Mauerbau unterbrochen und beendet.

WL: Ich hatte im Frühjahr 1961 gerade mein Examen in der Werkkunstschule gemacht und hätte dann noch fünf Jahre an der Hochschule weiterstudieren können. Ich wohnte im Ostteil Berlins, aber das war ja bis dahin kein Problem, weil man die Grenze ohne weiteres täglich passieren konnte. Da war ich dann nur ein halbes Jahr. Aber das hat mich beruflich in gewisser Weise gerettet, weil man im Ostteil politisch nicht sehr angesehen war, wenn man im Westen studiert hat… beim „Klassenfeind“. Wer also im Westen sein Studium absolviert hatte, hat dann keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen im Osten. Bei mir ging das gerade noch so.

Wollen wir uns hinsetzen? Haben Sie einen Fragezettel dabei?

MN: Ich habe Ihr Buch dabei, „Betrachtungen, Zeichnungen und Notate“ und ich zitiere daraus: „Meine Kindheit bestand aus Spielen, Basteln, Sammeln und Klauen. Die Schulen hatten keine Fenster, die Lehrer keine Bücher und die Köche standen vor leeren Töpfen.“
Ihre Eltern waren keine Künstler. Wie haben sie es Ihnen in der Nachkriegszeit erlaubt, Kunst zu studieren?

WL: Ich kenne keinen Künstler, bei dem die Eltern gesagt haben, prima, eine wunderbare Berufswahl. Ein normaler Bürger hat vom Künstlerdasein eigentlich… eigentlich eine richtige Vorstellung! (lacht) Nur die jungen Leute glauben es nicht, wie fast aussichtslos es ist, davon zu leben. Mein Vater hatte einen Handwerksbetrieb, ich war der älteste Sohn. Natürlich sollte ich den Betrieb übernehmen. Das war eine Schneiderwerkstatt und ich habe mit 15 schon diesen Beruf gelernt. Ich bereue es auch nicht, die drei Jahre die ich durchgehalten habe. Man lernt seine Hände zu benutzen.

© mn

MN: Was ist für Sie in der Malerei spannend? Sie sagen, dass Sie beim Malen Angst vor dem Sich-Wiederholen haben. Wie schaffen Sie es dann, ein Leben lang in der Malerei zu bleiben?

WL: Ich habe ja Grafik studiert und theoretisch hätte ich in der Grafik bleiben können. Ich habe früher sehr viel gezeichnet. Meine Schränke hier sind voll mit Zeichnungen. In der DDR wurde Grafik, kann man schon sagen, gefördert. Es gab die Idee, die Kunst ans Volk zu bringen. Und das war am einfachsten mit Grafik: kleine Formate, preiswert. Es hat funktioniert, auch für mich. Meinen Lebensunterhalt konnte ich durch Grafik verdienen. Es war immer ausreichend.

MN: Es gibt den Begriff der Berliner Schule, der Sie angehören. Was steht dahinter?

WL: Die Berliner Schule ist im Grunde genommen aus einer Antihaltung gegenüber der Leipziger Schule entstanden. Letztere war zu DDR Zeiten sehr gefördert, da wurde etwas gemalt, was der Partei sehr gut gefallen hat. Sie hatten alle wichtigen Positionen im Künstlerverband unter sich aufgeteilt: Tübke, Mattheuer, Heisig, Sitte. Die nannte man schon die Viererbande. Wenn es eine Ausstellung im Ausland gab, dann waren sie es, die dorthin fahren und ausstellen durften. Sie haben den Staat nach außen politisch vertreten.
Der Kunstwissenschaftler Lothar Lang hat dann diesen Begriff Berliner Schule dagegengesetzt. Er hat uns auch durch kleine Ausstellungen unterstützt.

MN: Gab es eine feste Gruppe?

WL: Der Kern bestand aus fünf, sechs Leuten, Maler und Bildhauer. Aber es gab mehr, die dann je nach Anlass dazu gehörten. Wir haben versucht, zusammen zu halten, haben Ausstellungen organisiert. Das war aber nicht leicht. Das war alles so langsam und zäh in der DDR.

MN: Was war der Gruppe wichtig?

WL: Ein Teil von uns hatte in West-Berlin studiert. Das hat schon eine Rolle gespielt. Man hatte Verbindungen und vielleicht Verwandtschaft drüben, man konnte sich zumindest geistig über die Mauer zurufen. Und es waren solche Künstler wie Harald Metzkes, Manfred Böttcher – sie hatten in Dresden studiert und sehr gute Lehrer gehabt. Maßgeblich war die Vorstellung, dass das Gegenständliche für die Malerei noch nicht erschöpft ist. Nicht die abstrakte Kunst, die war nur am Rande interessant. Wir hatten die Vorstellung, dass der Realismus eine Möglichkeit ist, die noch nicht verloren war.

© mn

MN: Sie beschreiben sich als einen Stadtmaler.

WL: Stadt ist mein Thema. Ich bin in Berlin geboren. Ich habe immer hier gelebt. Und wenn man etwas malerisch bewältigen möchte, muss man es geistig bewältigen. Man muss eine Dimension hineinlegen, um auch etwas hinzufügen zu können. Das braucht Zeit. Es muss sich entwickeln. Maler ist ein Erfahrungsberuf.

MN: Wie oft sind Sie im Atelier?

WL: Jeden Tag. Außer sonntags. Da gehen wir, meine Frau und ich, spazieren.

MN: Besuchen Sie Ausstellungen?

WL: Ich habe neulich eine kleine Ausstellung angeschaut und habe gemerkt, dass mir die Malerei schon fast fremd geworden ist, außer meiner eigenen. So lange war wegen Corona alles zu. Das hatte plötzlich so eine unheimliche Wirkung auf mich!

Allerdings bin ich nicht mehr so oft in Museen wie zu DDR-Zeiten. Die Museen sind zu teuer. Ich bin nicht arm. Aber zwölf oder vierzehn Euro Eintritt, und wir gehen immer zu zweit…


MN: Können Sie über Ihren „Zirkel für Laien“ erzählen?

WL: Gerne. 1970 gründete ich das Werkstudio Grafik am Berliner Kulturhaus Prater, später initiierte ich auch die Galerie am Prater dort.
Es gab schon einige solcher Zirkel, aber sie waren meist Großbetrieben angeschlossen. Sie hatten so viel Geld, dass sie einen Künstler beschäftigen konnten, auch unter dem Motto „Die Kunst für das Volk“. Die Arbeiter*innen konnten sich dann künstlerisch bilden.
Ich unterrichtete einmal in der Woche abends, es waren immer zwischen zehn bis fünfzehn Teilnehmer*innen. Das war angemessen für den Raum. Ich hatte ein Stillleben aufgebaut oder wir haben Modell gezeichnet. Man sollte erstmal mit dem Bleistift probieren, Ordnung auf seinem Papier zu schaffen.
Wenn man damals Kunst studieren wollte, hatte man wenig Chancen auf einen Studienplatz. Es wurden nur fünf Leute an der Kunsthochschule in einem Studiengang aufgenommen. Und es gab viele Leute, die unbedingt studieren wollten. Sie sind dann auf die Zirkel ausgewichen. Ich hatte sehr gute Leute! Bessere manchmal als die, die studiert hatten. (lacht)
Es gab viel Zuspruch. Manche sind vier, fünf Jahre lang zu mir gekommen. Wie ein Studium! Ich habe keine Aufnahmeprüfung gemacht. Und manchmal musste ich Leute wegschicken, weil ich keinen Platz mehr hatte.

MN: Hat das Unterrichten Ihnen Spaß gemacht?

WL: Ja. Es war traumhaft, wenn ich heute so zurückdenke! Und es war ein freier Raum. Ich habe keinen Politikunterricht geben müssen. Das reguläre Studium war ja immer ideologisch durchsetzt. Aber die Genossen waren zu bequem, zu prüfen, was wir machen.

© mn

MN: Und ihre Verbindung zum Theater? Sie haben doch an der Volksbühne gearbeitet.

WL: Das war folgendermaßen: die Mauer war plötzlich da. Ich saß im Osten und hatte keine Arbeit. Ich habe mich überall beworben, auch an der Volksbühne. Dort war vorher ein Grafiker eingestellt, der nicht mehr kommen konnte. Er kam nicht über die Mauer. Die Stelle war frei. Der Bühnenbildner hat meine Mappe gesehen und sagte: Nehmen wir. Er hat gesehen, dass ich gewisse Fähigkeiten habe… Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Er ist, glaube ich, schon verstorben.
Das war eine wunderbare Stelle. Ich konnte Plakate und die ganzen Theaterhefte gestalten. Ich habe viel gelernt. Theater ist ein Kunstbetrieb, man beschäftigt sich mit geistigen Tätigkeiten, mit Literatur und den Inszenierungen.

MN: Hat diese Erfahrung einen Einfluss auf ihre Malerei gehabt?

WL: Klar! Ich hatte das Theater schon immer gemocht, mehr als Kino. Und es ist ein Unterschied, ob man das Theater von vorne sieht oder von „hinter der Bühne“. Als Macher sozusagen. Das Theater ist ein Prozess. Es ist eine kollektive Leistung. Ich war bei allen Besprechungen der Werkstätten und Bühnenbild dabei und ich habe viele Leute kennengelernt, mit denen ich noch lange im Kontakt war.

MN: Sie sagen „Der Versuch, Malerei zu versprachlichen, ist an der Malerei vorbeigedacht“.

WL: Für diesen Satz habe ich viel Ärger von den Kunstkritiker*innen bekommen. Aber die Kunstkritik gibt es heute übrigens nicht mehr. Ich muss keine Angst haben, dass meine Bilder, zum Beispiel nach einer Ausstellungseröffnung, in der Presse verrissen werden.

MN: Es ist vielleicht gut so, dass die Kritik nicht mehr so mächtig ist.

WL: Dass die Kunst nicht mehr so eng ist, ist gut. Aber der Betrachter möchte sich auch an irgendetwas orientieren. Wie kann ich wissen, ob ein Bild nun gut ist oder nicht? Es ist tatsächlich schwer.

MN: Sie schreiben über Ihr Lebenswerk: „Die Leidenschaft und Freude haben zu viel entstehen lassen.“ Würden Sie mir Ihre Zeichnungen zeigen?

© mn
1/3
Wolfgang Leber zeigt seine Zeichnungen, die auf den Rückseiten von zerschnittenen Einladungskarten entstehen. „Aus West-Berlin kriege ich keine Einladungen,“ sagt er.
Leber_3
2/3
Leber_6
3/3
© mn

Wolfgang Leber, geboren 1936 in Berlin, ist ein Maler, Grafiker, Bildhauer und Hochschullehrer. Er arbeitete er als Grafiker an der Volksbühne. 1970 gründete Wolfgang Leber das Werkstudio Grafik am Berliner Kulturhaus Prater und leitete dieses bis 1995. 1973 war er im selben Haus Initiator der Galerie am Prater, die vielen jungen Künstlern eine erste Plattform bot. 1981 wurde ihm der Berlin-Preis verliehen. Wolfgang Leber lebt und arbeitet in Berlin. Arbeiten von ihm befinden sich unter anderem im Besitz der Berliner Nationalgalerie, der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, des Berliner Kupferstichkabinetts, des Lindenau-Museums Altenburg, des Museums der bildenden Künste in Leipzig und des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.

 

 

This image has an empty alt attribute; its file name is Logoleiste-institutions_extended-1.png
Gefördert von der Europäische Union – aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und das Land Berlin im Rahmen der Zukunftsinitiative Stadtteil, Programm Sozialer Zusammenhalt
Teilen