Beginnt man mimi ferments online zu recherchieren, erscheint eine Fotostrecke im Zeit Magazin, ein Artikel im Feinschmecker und ein Youtube-Video der Vegan Master Class. Auf der Website von mimi ferments verweisen die zahlreichen Restaurant-Kooperationen auf eine breite Kundschaft aus dem Feinkostmilieu und die über tausend Follower auf Instagram auf viele Begleiter*innen. Betritt man jedoch die Produktionsstätte in den Osramhöfen, die mimi ferments im März 2022 bezogen hat, lässt der nüchterne Raum kaum erahnen, was für Spezialitäten hier produziert werden: Auf der einen Seite des lang gestreckten Raumes befindet sich eine Art Großküche, auf der anderen Seite ist der Raum fast komplett mit Holzfässern vollgestellt, in dem Sojasoßen und Miso-Pasten reifen – Lebensmittel, die durch Fermentation, also Vergärung, gewonnen werden, was durchaus mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann.
Als ich vorbeikomme, hat das Team um Markus Shimizu gerade sein Mittagessen beendet und wir setzen uns zusammen mit Reiko Kanazawa, seiner Partnerin, einen Tisch weiter. Beide sind von Haus aus Künstler und im folgenden Gespräch wird es immer wieder darum gehen, wie Künstler- und Unternehmer-Sein, wie Kunstproduktion und Unternehmertun zusammengehen.
Markus Shimizu erzählt, wie er 2000 für das Kunststudium aus Den Haag nach Berlin kam und seine Kunst schon immer in einem erweiterten Sinne verstanden habe – als ein Kooperieren, Experimentieren und Initiieren, wovon die Berliner Produzentengalerie Stedefreund (2006 bis 2012), das Zentrum für Kunst und Ökologie Oiyakaha (2007 bis 2013) in Brasilien und natürlich mimi ferments (seit 2016) zeugen, die er jeweils (mit)gegründet hat. Reiko Kanazawa hat einen etwas anderen Schwerpunkt: sie organisiert die Salons und Veranstaltungen von mimi ferments, bei denen sorgsam komponierte Speisen (Equinox-Dinner) mit Performances, Ausstellungen oder Vorträgen kombiniert werden. So wurden die neuen Räume mit einer Performance des Künstlers Reto Pulver eröffnet, während vorherige Veranstaltungen in der Pickle Bar des Künstlerkollektivs Slavs und Tatars oder im Café Bravo in der Auguststraße stattfanden. Die Equinox-Dinner finden viermal im Jahr statt. Die Termine orientieren sich an traditionellen Feiertagen wie der „Tagundnachtgleiche“ im Frühling und Herbst, und dem „bon“, einem japanischen Brauch nach der Sommersonnenwende, und Neujahr. Die nächste Veranstaltung ist gerade in Planung: ein Dinner, das im Rahmen der Bootstour „Citizenship“ des Zentrums für Kunst und Urbanistik (ZK/U) voraussichtlich im Juni stattfinden wird. Damit ist mimi ferments über Eck Teil des documenta-Programms, denn das ZK/U gehört zu den diesjährigen documenta-Teilnehmenden. [1]
Beim Rundgang durch die Räume betreten wir zuerst den abgetrennten Produktionsbereich. Hier beeindrucken mehrere große Küchenmaschinen: zwei große Bottiche zum Dämpfen, ein Dampfgenerator, zwei Fermentationsräume, ein Standwolf und eine Maschine zum Vakuumieren. Ihre Anschaffung habe jeweils so viel wie ein Kleinwagen gekostet, berichtet Shimizu.
Als wir die Küche wieder verlassen, gehen wir an den zahlreichen Fässern und einem Regal mit einer Sammlung aus eingelegten Dingen und Gläsern vorbei, deren Inhalte meist nur erahnbar sind, die ich aber gerne einmal durchprobieren würde. Im hinteren Teil des lang gezogenen Raumes gibt es eine Art Lager und Werkstatt, in der deutlich wird, dass Shimizu nicht nur fermentiert, sondern auch Möbel wie Tische und Hocker, an denen wir am Anfang saßen, selber baut.
An den Wänden stapeln sich Verpackungskartons, die Shimizu bestellt hat, bevor die nächste Preiserhöhung kommt. „Wir bekommen die Preissteigerungen extrem zu spüren – seien es die Bio-Rohstoffe für die Produktion, die Materialien für die Lagerung oder die gestiegenen Strompreise. Hinzukommen die um ein Vielfaches gestiegenen Mietkosten der neuen Räume und die Ausfälle durch Corona, weil wir während dieser Zeit keine Workshops durchführen konnten.“ Dabei sei mit den Workshops oder besser: mit dem großen Interesse am Fermentieren eigentlich alles losgegangen, erzählt Shimizu. Sie hätten anfangs Interessierte zu sich nach Hause eingeladen, um etwas über das Fermentieren zu erzählen und Kostproben anzubieten. Ab 2016 mieteten sie ein kleines Ladengeschäft in der Stephanstraße in Moabit und veranstalteten dort regelmäßig Workshops. Unter den Teilnehmenden waren auch Gastronom*innen, mit denen sich über die Jahre Kooperationen ergaben, die zum Teil gegenseitig sind: Benutzen die Gastronom*innen Fermentationsprodukte in ihrer Küche, bekommt mimi ferments von ihnen Reste, die sie weiterverarbeiten können. Ein nachhaltiger Kreislauf.
Weil aufgrund des großen Interesses an dem spezifischen Wissen über Fermentation und der gestiegenen Nachfrage nach den Produkten die Räume mit der Zeit zu klein wurden, hätten sie bereits vor zwei Jahren mit der Suche nach geeigneten Räumen begonnen – keine leichte Aufgabe angesichts der angeheizten Immobilienlage.
Hier deutet sich bereits die Kehrseite des Erfolgs an: Obwohl es ein organisches Wachsen war, ist mit dem Größerwerden nicht nur Druck gestiegen, genug Geld zu erwirtschaften, um Miete, Gehälter und Investitionen zu zahlen. Auch Markus Shimizus Aufgaben haben sich hin zu mehr Organisation und (Mitarbeiter-)Verwaltung verschoben. Da bleibe immer weniger Zeit und mentaler Freiraum, um das zu tun, was am Anfang gestanden habe: ergebnisoffen zu experimentieren. Am Ende des Rundgangs reicht mir Shimizu eine neu entwickelte Hautcreme auf Basis natürlicher und fermentierter Inhaltsstoffe.
Wir stehen im kleinen Verkaufsbereich direkt am Eingang, wo auf zwei schlichten Holzschränken die Produkte von mimi ferments präsentiert werden. Wirkt die Auswahl von fünf verschiedenen Flaschen, die oben ausgebreitet ist, auf den ersten Blick überschaubar, erweitert sich die Produktpalette mit dem Öffnen der weiteren Schubladen: es gibt nicht nur Miso auf verschiedener Getreidebasis, sondern auch Mirin (Reislikör), Natto (fermentierte Sojabohnen) und Koji, ein Schimmelpilz, der die Basis für die Fermentation darstellt und von Shimizu & Team selbst hergestellt wird. Beim Durchprobieren der Misos, die nicht nur im Geschmack und Farbe variieren, gibt Shimizu Tipps, wie und wo man die Produkte überall einsetzen kann: neben der traditionellen Verwendung als würzige Soße oder Brühe kann man mit ihnen auch Nudelsaucen oder Dressings verfeinern oder sie sogar pur (z.B. mit etwas Öl) aufs Brot schmieren. Shimizu erzählt, dass sie zwar den meisten Umsatz mit ihrem Online-Shop machen würden, aber auch immer wieder Kunden im Laden vorbeikämen. Diese könnten hier nicht nur die verschiedenen Produkte probieren, sondern bekämen auch ausführliche Informationen zur Herstellung und Weiterverarbeitung. Weil das Interesse an der Fermentation und den japanischen Produkten so groß sei, wären sie mittlerweile dazu übergegangen, die Website mehr und mehr als Vermittlungsformat zu nutzen und dort ausführliche Informationen und Erläuterungen anzubieten. Momentan überlegen sie, wie man diese um Rezepttipps ergänzen könnte.
Nachdem ich den Laden verlasse habe, wird mich der kräftige Geschmack des Genmai Miso, das ich zuletzt probiert habe, noch eine Weile begleiten.
[1] https://www.zku-berlin.org/de/projekte/citizenship-vom-dach-zum-boot/
www.mimiferments.com
Oudenarderstrasse 16, Haus C
13347 Berlin
Öffnungszeiten:
Montag – Freitag
10 – 18 Uhr
Workshops zur Herstellung von Miso und Shoyu, inklusive Kostprobe, werden regelmäßig angeboten.
Dr. Anna-Lena Wenzel ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.
www.alwenzel.de