Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Ist das noch Kunst?

21.06.2022
Marta Sala (rechts) auf der im Rahmen des Projektes
Marta Sala (rechts) auf der im Rahmen des Projektes "Arbeitspause" gemeinsam gestalteten Decke, Foto: Cheong Kin Man

In der Reihe „Community basierte Kunst“ geht es um Wege und Herausforderungen, Gemeinschaften zu bilden. Wie bringt man Leute an einem Ort zusammen? Wie ermuntert man sie mitzumachen? Wie hält man einen Raum und stiftet Verbindungen? Gemeinschaftsbildung hat ihren Ursprung oft in aktivistischen und subkulturellen Praxen und ist Teil künstlerischer Praxen. Sie wird verstärkt von Institutionen angefragt, um das Publikum zu erweitern und sich lokal zu verorten, als Care-Arbeit ist sie jedoch häufig prekär bezahlt.

Marta Sala und ich treffen uns auf einer kleinen Grünfläche neben der Klosterruine. Sala hat zwei Decken mitgebracht, die sie ausbreitet und auf denen wir Platz nehmen. Die Decken sind eigentlich Stoffbanner, die Sala zu den Treffen ihrer Gruppe Arbeitspause beigesteuert hat. Sie wurden in fünf öffentlichen Treffen der Gruppe immer weiter beschrieben und mit Stoffen ergänzt. „Common Ground“ steht in großen Lettern an einem Rand und damit sind wir direkt im Thema.

Marta Sala
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Sala beginnt zu erzählen: „Arbeitspause ist ein kollektiv angelegtes Projekt, das wir – Marcos García Pérez, Johanna Reichhart, Costanza Rossi, Cheong Kin, Man Katarzyna Sala, Francis Kamprath und ich – im September/ Oktober 2021 im Görlitzer Park durchgeführt haben. Es geht darum, in der Öffentlichkeit Gemeinschaft zu schaffen. An mehreren Terminen haben wir uns als Gruppe im Park getroffen, um Zeit miteinander zu verbringen und Gäste einzuladen. Es gab jeweils ein Motto: Beim ersten Mal haben wir mit Büchern, Fäden und Ameisen an einer gemeinsamen Basis, dem Common Ground gearbeitet. Ich habe Stoffe mitgebracht, die wir gemeinsam bestickt und beschrieben haben. Außerdem haben wir Texte zum Thema geteilt. Es wurde schnell klar, dass Essen ein wichtiger Bestandteil dieser Treffen ist, sodass wir beim zweiten Treffen Tee und Kekse mitgebracht haben. Es gab immer jemanden, die oder der das Treffen gehostet und als Caretaker fungiert hat. Beim zweiten Treffen ging es um Common Skills, wie Kommunizieren und Zuhören, die die Basis darstellen, um sich verständigen zu können. Zu unseren Treffen kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Muttersprachen und Hintergründen. Da geht es automatisch um das Übersetzen. Meistens wird „fehlerhaftes“ Sprechen oder Verstehen als Mangel empfunden, aber ich versuche das künstlerische Potential darin zu sehen. Es gibt auch tolle Missverständnisse und Wortschöpfungen! Außerdem entsteht eine andere Art der Aufmerksamkeit füreinander.

Bei Common Surviving habe ich selbstgenähte Kostüme mitgebracht und wir haben uns gemeinsam verwandelt und über die Bedeutung von Kleidung und Textilien diskutiert. Ich finde es super, gemeinsam an etwas zu arbeiten und etwas Konkretes zu schaffen. Dabei gibt es kein richtig oder falsch. Die Stoffe, die ich mitbringe, sind oft Reste oder Fundstücke. Es ist mir wichtig, möglichst nachhaltig zu arbeiten, aber es geht auch darum, Kosten zu sparen und eine spezielle nicht-perfekte Ästhetik zu etablieren.

Das letzte Treffen haben wir „Feierabend“ genannt. Es war insgesamt acht Stunden lang und wir haben mit dem Rezeptwagen von Marcos García Pérez (einem mobilen Werkzeug für die Gestaltung gemeinsamer Räume) einen Common Move durch den Park gemacht. Das war noch mal anders, als an einem Ort zu sitzen. Man ist sichtbarer und wird öfter angesprochen. Es ist interessant, damit zu spielen, was wir eigentlich machen. Ist es Kunst oder Aktivismus? Ist es Arbeit oder eine Pause vom Arbeiten? Ist es Community-Arbeit oder Self-Care? Letztlich ist die Frage nicht pauschal zu beantworten. Es ist gut, wenn es offen sein darf. Aber ich frage mich das selber öfter, weil der Organisationsaufwand so hoch ist. Manchmal ist es so mühsam, überhaupt einen gemeinsamen Termin zu finden. Das hat mit mehreren Aspekten zu tun: mit unseren unregelmäßigen Arbeitszeiten, der Ungewissheit, wie lange wir noch in der Stadt sind sowie der Tatsache, dass wir an unterschiedlichen Orten in der Stadt leben – wobei mittlerweile einige von uns in der Nähe des Tempelhofer Feldes wohnen, das ist toll. Das wird mein neues großes Atelier.“

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Common Nap im Rahmen der „Arbeitspause“, Foto: Cheong Kin Man
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Arbeitspausentreffen zu CommonSurviving, Foto: Cheong Kin Man

Sala lacht, als sie das erwähnt, doch die Prekarität ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen ist unmittelbare Realität – und immer wieder Thema ihrer Arbeit. Sei es bei Arbeitspause, wenn darüber diskutiert wird, wer sich überhaupt eine Arbeitspause genehmigen kann, oder in ihrer Masterarbeit Besser nicht mitmachen – es wird bestimmt nicht bezahlt, einer mehrdimensionalen Collage aus Bildern, Texten, Textilien und einer Videodokumentation, in der sie u.a. eigene Erfahrungen im Kunstfeld verarbeitet hat.

Sala erzählt, dass sie eigentlich Malerin ist und Malerei in Krakau an der Kunstakademie studiert hat. Doch schon während des Studiums hat sie angefangen, gemeinsam mit dem Kolektyw Niedzielni Performances und Aktionen durchzuführen und war Teil von Wodna Masa Krytyczna, der polnischen Water Critical Mass Bewegung. Diesen kollektiven Ansatz hat sie während ihres Studiums im Institut für Kunst im Kontext der Universität der Künste in Berlin noch intensiviert. Zur Jubiläumsausstellung „40 Jahre Kunst im Kontext“ 2018 hat sie mit Kommiliton*innen das Projekt 24 Stunden Gemeinschaffen durchgeführt, bei dem eine Gruppe für 24 Stunden vor Ort war, ein improvisiertes Haus errichtet, gekocht, gesungen und geschlafen hat. Als an der Uni Räume für die Studierenden fehlten, ist die Idee entstanden, in den öffentlichen Raum zu gehen und sich dort zu treffen. Als die Pandemie die Möglichkeiten sich zu treffen, drastisch einschränkte, wurde das Format der „Künstlerischen Beziehungssysteme im öffentlichen Raum“ mit Arbeitspause wieder aufgegriffen und mit der Unterstützung von Fördergeldern umgesetzt.

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Feierabend-Veranstaltung im Rahmen von „Arbeitspause“, Foto: Katarzyna Sala
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Sala versteht Kunst als etwas Offenes, als Möglichkeit, Leute einzuladen und als etwas, das sich im Prozess entwickelt. Besonders interessant sind für sie die fließenden Übergänge zwischen privatem und öffentlichem Raum. Wenn eindeutige Zuschreibungen leer laufen, entsteht eine andere Aufmerksamkeit, ergeben sich Gespräche und nicht planbare Situationen. Weil sich das Format bewährt hat, ist geplant, Arbeitspause auf dem Tempelhofer Feld fortzusetzen – vorausgesetzt es gibt eine Folgeförderung. „Das ist eine schwierige Frage“, sagt Sala, „macht man sich abhängig von Fördergeldern oder nicht? Ich finde es problematisch, Leute einzuladen und ihnen kein Honorar zahlen zu können.“ Genauso kniffelig ist es zu entscheiden, wer die Urheberschaft über die gemeinsamen Aktionen hat – eine Frage, die zum Beispiel bei Bewerbungen auftaucht. Sala sagt, es gäbe einen unausgesprochenen Konsens, dass es sich um eine Gemeinschaftsarbeit handelt, sodass es diesbezüglich noch keine Konflikte gegeben hätte. Und ergänzt, dass es zwar manchmal etwas chaotisch zugehen würde, aber alle auch miteinander befreundet seien, was helfen würde, Spannungen zu vermeiden. Genauso wichtig für ein gutes Miteinander sei nicht-definierte oder faule Zeit, sagt sie noch. Womit wir wieder bei den Arbeitspausen wären.

Marta Stanisława Sala hat einen Abschluss in Malerei an der Jan-Matejko-Akademie der Bildenden Künste in Krakau und in Kunst im Kontext an der Universität der Künste in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt auf Themen wie Intersektionalität, Prekarität, das Recht auf Stadt, Ökologie, Gemeingüter und Commoning, kreativer Anarchismus und Solidarität in der Vielfalt. Sala erforscht das Problem der Verschwendung, Ausgrenzung und Marginalisierung und schafft Werke aus verschiedenen materiellen Überresten. In 2021 organisierte sie gemeinsam mit Johanna Reichhart, Marcos García Pérez, Costanza Rossi, Katarzyna Sala, Cheong Kin Man, Francis Kamprath und geladenen Gästen „Arbeitspause im Görli – Künstlerische Beziehungssysteme im Öffentlichen Raum”. Die „Arbeitspause” arbeitet in kollektiven Strukturen in einem Zusammenschluss von Künstler*innen und Kulturschaffenden. Ab Herbst 2021 wurden im Görlitzer Park Aktionen durchgeführt, die sich mit Essen und Gemeinschaft beschäftigen, wie z.B. „Careful Listening – Gemeinsame Teezeit.” Weitere Aktionen der „Arbeitspause“ sind in Planung.
Sie war Podiums-Gast der Veranstaltung „Food and Justice. Zu Community basierter Kunst, Teil #2“ am Freitag, 13. Mai 2022 im OKK.

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