Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Von zerstörten Kirchen, zugeschütteten Bunkern und einem wiedergefundenen Stier – Ein Porträt des Volksparks Humboldthain

23.05.2023
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Rodelbahn vom südlichen Trümmerberg abwärts, Foto: ALW
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Kinderspielplatz, Foto: ALW
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Rosengarten, Foto: ALW
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Biberbrunnen im Rosengarten, Foto: ALW

Zerstörungen und Zuschüttungen

Der Volkspark Humboldthain ist eine großflächige Grünfläche, ein beliebter Freizeitort und ein vielschichtiger Geschichtsort in einem. Auf seinem Areal befinden sich ein akkurat gepflegter Rosengarten und ein sich selbst überlassenes Rechteck Natur, diverse Sportgelegenheiten (ein Freibad, ein Abenteuerspielplatz, eine Sportkletteranlage, eine Rodelbahn, mehrere Spielplätze und ein Sportparcours), es gibt Orte für das Gegenwärtige (eine Kirche und ein Projektraum) und für das Vergangene (ein betretbarerer Flakturm, ein archäologisches Fenster und zwei Gedenksteine, die an den Namensgeber Alexander von Humboldt erinnern). Obwohl der Park bereits 1869 angelegt wurde, ist die spezifische Topografie mit den zwei Hügeln erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zwischen 1949 und 1951,entstanden. Zu dieser Zeit wurden das Gelände und insbesondere die Ruinen des Flak- und des sich weiter südlich befindenden Leitturms mit Erde und Trümmerschutt aus den benachbarten Stadtvierteln aufgeschüttet, so dass der Park seine heutige, durch die zwei Trümmerberge geprägte Form erhielt.

„In den Jahren 1941/1942 wurde im Park ein als Hochbunker ausgeführter Flakturm errichtet und etwas südlicher ein als Leitturm bezeichneter Turm mit Radaranlage für die Führung der Flakgeschütze gebaut. Die kurze Bauzeit der monumentalen Bauten war nur unter Einbeziehung zahlreicher Zwangsarbeiter möglich.“

Diese Informationen stehen auf einer der Infotafeln am Eingang des Parks zur Brunnenstraße. Sie wurden vom Verein Berliner Unterwelten aufgestellt, der sich als Forschungs- und Vermittlungsinstanz versteht und nicht nur zahlreiche Informationen und Infrastrukturen zur Geschichtsvermittlung zusammengetragen, sondern auch den ehemaligen Flakturm so weit wieder zugänglich gemacht hat, dass hier seit 2004 Gruppen durchgeführt werden können – jedenfalls von April bis November, denn im Winter dient der Bunker als Fledermausquartier.  

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Flakbunkerruine Humboldthain, Blick vom Eckturm 2 zum Eckturm 3 © Berliner Unterwelten e.V. / Holger Happel
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Flakbunkerruine Humboldthain, Blick über die Schutthalde in Richtung Eckturm © Berliner Unterwelten e.V. / Holger Happel

Der ehemalige Flakturm, der sieben Geschosse tief in die Erde ragt, ist heute noch betretbar, weil er nur teilweise gesprengt und zugeschüttet wurde. Das Betreten der Ruine ist ein abenteuerliches Unterfangen, da große Teile des Bunkers durch Sprengungen beschädigt worden sind. (Aber keine Sorge: bei der Führung wird penibel auf die Sicherheit der Besucher*innen geachtet.) Dass ein Teil des Bunkers heute noch steht, und nicht wie die Bunker im Volkspark Friedrichshain und auf dem Gelände des Berliner Zoos komplett gesprengt wurde, hat damit zu tun, dass das französische Militär nach dem Krieg nicht riskieren wollte, die sich in unmittelbarer Nähe befindenden und unter sowjetischer Hoheit stehenden Bahnanlagen zu beschädigen. Auf diese Weise kann man nicht nur einen Trümmerberg besteigen, sondern auch die Aussicht auf einer Plattform auf dem ehemaligen Bunker genießen. Doch während man heute auf Bäume schaut, richtete sich der Ausblick 1945 auf eine Trümmerlandschaft:

„Der Volkspark Humboldthain war im Mai 1945 fast vollständig zerstört und übersät mit Bombentrichtern, Trümmerschutt und Kriegsschrott, Baumstümpfen und verbrannten Gehölzen. Überall lagen Tote herum, die in den ersten Nachkriegstagen in ‚Notgräbern‘ vor Ort beerdigt wurden. Die wenigen Bäume, die den Krieg überstanden hatten, wurden im eiskalten Nachkriegswinter von den Berlinern zu Brennholz verarbeitet.“

Die Neugestaltung nach dem Krieg beinhaltete nicht nur die Errichtung von zwei Trümmerbergen, sondern auch einen Rosengarten (der allerdings nur im Sommer zugänglich ist): Er beherbergt ca. 15.000 Rosen, die von gestutzten Buchsbaumhecken umgeben sind. Eine Pergola und zwei Skulpturen, die unterschiedlicher kaum sein könnten – eine Jagende Nymphe (von Walter Schott, 1929) und ein kleiner Biberbrunnen – ergänzen das strenge Ensemble. Auch das Sommerbad Humboldthain, das über ein 50-Meter-Schwimmbecken, eine Sprunganlage, eine Rutsche und ein Planschbecken verfügt, ist in dieser Zeit entstanden. Seit ein paar Jahren erfährt der dortige Kiosk unter dem Namen Tropez als Projektraum für Kunst eine Zweitnutzung.

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Blick auf die Infotafel an der westlichen Seite des Parks parallel zur Brunnenstraße, Foto: ALW
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Blick in das Archäologische Fenster, Foto: ALW
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Älterer Infokasten mit historischen Aufnahmen am Südeingang zur Brunnenstraße, Foto: ALW

Wie der Park früher aussah, erfährt man in einem überdachten Archäologischen Fenster direkt an der Brunnenstraße, gegenüber dem U-Bahn-Ausgang des Bahnhofs Gesundbrunnen. Wie die Begehbarmachung des Flakturms ist auch das Archäologische Fenster auf Initiative des Vereins Berliner Unterwelten entstanden und wurde 2015 errichtet. Hier kann man auf Fundamentreste der Himmelfahrtskirche blicken und historische Ansichten des Parks und der Umgebung bestaunen. Auf einer Texttafel wird die Geschichte der Himmelfahrtskirche erläutert, die hier bis zum Zweiten Weltkrieg stand:

Die Himmelfahrtskirche war ein neoromanisches Bauwerk mit einem 72 Meter hohen Turm, der über die Baumwipfel und Häuserdächer der Umgebung herausragte. […] Der Architekt August Orth hat den traditionellen Kirchenbaustil mit baulichen Innovationen des 19. Jahrhunderts vereinigt. Für die Bauform kombinierte er den kreuzförmigen Grundriss einer gotischen Kirche mit dem überkuppelten Zentralraum der Renaissancekirche. Der Dachstuhl bestand aus einer Stahlkonstruktion, wie seit der Industrialisierung bei Großbauten üblich. […] Durch die heftigen Kampfhandlungen bei der Verteidigung Berlins zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gotteshaus durch Bombardierung und Beschuss zerstört. Nach Beendigung der Kämpfe war das Kirchendach vollständig zerstört und der Innenraum mit Trümmern übersät. Die Kirchenruine wurde am 14. Juli gesprengt.“

Eine neue Himmelfahrtskirche nach Plänen des Architekten Otto Bartning wurde 1956 im südlichen Teil des Humboldthains eingeweiht. Die neue Kirche ist typisch für die Architektur der Nachkriegszeit: schlicht und weiß, günstig gebaut, mit einem eigenen Glockenturm. Sie wird heute ökumenisch auch von der syrisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Kirche genutzt.

Wiedergefundener Stier

Es kann sein, dass das Archäologische Fenster bald durch ein weiteres Exponat ergänzt wird, dessen Entdeckung einer wahren Abenteuergeschichte gleicht: Im November 2021 veröffentlicht Monika Puhlemann ein Gedicht im Nachbarschaftsmagazin brunnen, in dem sie nach dem Verbleib des sogenannten „Weiße Stier“ fragt, den sie als Kind noch aufgestellt im Park gesehen hat. Es handelt sich um eine Marmor-Skulptur des Bildhauers Ernst Moritz Geyger, der in Rixdorf geboren wurde. Die Skulptur wurde 1901 auf der zentralen Wiese des Parks neben einem Teich aufgestellt. Im Krieg beschädigt, war sie seit den 1950er-Jahren verschollen.

Daraufhin wurden der Vereinsvorsitzende der Berliner Unterwelten, Dietmar Arnold, und die Archäologin Claudia Melisch aktiv. Sie recherchierten und machten mit Hilfe von historischen Karten und Aufnahmen den ursprünglichen Standort ausfindig. Anfang 2022 führte dann Melisch in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt Berlin Probebohrungen durch und wurde tatsächlich fündig. „Das ist eigentlich ein kleines Wunder, dass dieses Kunstwerk noch da liegt!“, sagte sie dem rbb, der noch von der Fundstelle berichtete. Die Skulptur wurde unmittelbar neben ihrem Aufstellungsort geborgen und auf das Gelände der Berliner Unterwelten gegenüber des Parks gebracht, wo sie auf ihren neuen Standort wartet.

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Die Archäologin Claudia Melisch hält ein Foto des originalen Standortes des „Weißen Stieres“ hoch. Foto: ALW
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Foto des „Weißen Stieres“ im Archäologischen Fenster, Foto: ALW

Bei unserem Treffen Anfang April berichtet Melisch von Plänen, die Skulptur in das Archäologische Fenster zu integrieren, obwohl dafür zunächst eine Lösung für die Restaurierung des Stiers gefunden werden müßte. Melischs Wunsch wäre es, sie wieder an ihrem ursprünglichen Platz aufzustellen. Das Landesdenkmalamt aber hat Vorbehalte gegen diese Idee und will den Park, wie er nach 1945 gestaltet wurde, bewahren. Für Melisch beginnt die Geschichte des Parks jedoch nicht erst nach dem Krieg. Gerade die beschädigte Stierskulptur, deren Hörner abhandengekommen sind und deren Kopf vom Rumpf getrennt wurde, könne die bewegte Geschichte des Parks vermitteln, denn sie würde von den Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg ebenso Zeugnis ablegen, wie von seiner Neugestaltung. Melisch fände es zudem wichtig, dass der Park, der oft als Problemareal betrachtet wird, etwas Schönes zurückbekäme. Sie beschreibt den lebensgroßen, naturalistisch gestalteten Stier nicht als monumentale Skulptur, sondern als eine in sich ambivalente Erscheinung – so wie er den Kopf senkt und die Vorderbeine spreizt.

Ob der weiße Stier wieder zu einem Markenzeichen des Parks wird, ist also ebenso offen, wie die Frage, wer die Kosten übernimmt. Der Verein jedenfalls sammelt schon eifrig Spenden.


Berliner Unterwelten, Tour 2 – Vom Flakturm zum Trümmerberg
Geöffnet von April bis November.
Dauer: ca. 90 Minuten
Preis: 16 € (ermäßigt 13 €)
Mindestalter: 18 Jahre

https://www.berliner-unterwelten.de/fuehrungen/oeffentliche-fuehrungen/vom-flakturm-zum-truemmerberg.html

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