Zvi Hecker verstand sich als Künstler, dessen Medium die Architektur war. Über ein halbes Jahrhundert schuf er Bauten, die künstlerische Überzeugung und gesellschaftliches Miteinander verbinden. Im Zentrum seines Denkens stand dabei immer der Mensch. Die Aufgabe der Architekt*innen besteht darin, so Heckers Auffassung, Schutz für Menschen zu schaffen. Ganz gleich ob vor Bomben, der Sonne oder dem Regen.
Im Lebenslauf Zvi Heckers spiegeln sich viele Brüche der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts: Geboren wurde er am 31. Mai 1931 in Krakau. Im Alter von acht Jahren floh seine Familie vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen über Sibirien nach Samarkand in Usbekistan. Nach Kriegsende emigrierte er nach einem kurzen Zwischenstopp in seiner Geburtsstadt nach Israel, wo er Malerei an der Avni Academy in Tel Aviv und Architektur am Technion in Haifa studierte.
Gemeinsam mit seinem Lehrer, dem in Wien geborenen Architekten Alfred Neumann und seinem Kommilitonen Eldar Sharon, gründete Hecker 1959 ein Büro. Es folgte eine Reihe vielbeachteter Wettbewerbserfolge: wie beispielsweise eine Anlage für den Club Méditerranée in Akzib, ein Dorf für arabische Flüchtlinge bei Jerusalem oder eine Offiziersschule der israelischen Armee und dazugehörige Synagoge in Mitzpe Ramon. Das Trio war Teil einer experimentellen Architekturbewegung im jungen Staat Israel.
Nach Neumanns Tod 1968 ging Zvi Hecker seine eigenen Wege. Er verfolgte dabei seine Vision einer Unabhängigkeit der israelischen Architektur im zwanzigsten Jahrhundert konsequent weiter.
Von 1984 bis 1989 arbeitete er, weitgehend im Alleingang, am Spiral Apartment House in Ramat Gan, einem Vorort von Tel Aviv. Er selbst beschrieb es einmal so: „Das Haus spricht viele Sprachen gleichzeitig: Es spricht in Arabisch über den menschlichen Zustand. Es argumentiert auf Hebräisch die schiere Notwendigkeit, Muskeln und Materialien zusammenzubringen. Sein Russisch ist ziemlich fließend, wenn das Bauen zur Architektur wird, und sein Italienisch, das ist sehr barock, wie es im Piemont von Guarino Guarini gesprochen wurde.“
Zvi Hecker war kompromisslos in der Umsetzung seiner Ideen. Jeder seiner Entwürfe galt für die Bauherr*innen als unrealisierbar. Doch er bewies stets das Gegenteil. Vor Ort, auf den Baustellen. Und während man ihn sehr wohl als einen rebellischen Architekten sehen kann, Anekdoten dazu gibt es viele, darf die Zerstörung aber nicht missverstanden werden: es ist eine präzise Arbeit und nicht kopfloser Aktivismus oder gar Vandalismus, die ihn dazu bewegten, etwa Wände mit dem Vorschlaghammer wieder abzureißen. Zvi Hecker erachtete sein Handeln als eine Verpflichtung gegenüber seinem Beruf.
Die Entstehung eines Gebäudes beruhte bei Hecker in ganz wesentlichem Maß auf der Handzeichnung. Ein Künstler wisse nicht, was er tut, aber er habe es gut zu tun. Dies sei selbsterklärend. Und wenn ich wüsste, was ich tue, bräuchte ich nicht so viele Skizzen. Papier ist der Friedhof von Ideen, so Hecker. Bei seinem Spiralgebäude löste sich für ihn die Notwendigkeit des Zeichnens auf dem Papier vorübergehend auf. Er ersetzte den Stift durch den Hammer. Designing with the hammer, nannte er es. Er folgte hier während der Arbeit also nicht mehr einer ursprünglichen Idee, sondern entwickelte und änderte diese kontinuierlich weiter. Das Spiral Apartment House ist ein Werk von unvollständiger Präzision, weil der erreichbaren Präzision hier keine Grenzen gesetzt sind. In der Unvollständigkeit der Spirale liegt auch ihre Poesie. Poesie war für ihn die präziseste Form im Streben des Menschen nach Perfektion.
Oder als wieder einmal die Umsetzbarkeit eines Gebäudes, in diesem Fall der Heinz-Galinski-Schule, infrage gestellt wurde, zog Hecker kurzerhand 1991 nach Berlin und gründete hier ein Büro. Es war der erste Neubau einer jüdischen Schule in Berlin nach dem Holocaust. Hecker entwarf eine kreisende Spirale, aus der Keile herausschießen und die Gestalt einer Sonnenblume annehmen. Aber auch die Form eines aufgeschlagenen Buches ist darin angelegt: die Schule als „Haus des Buches“, wie das hebräische Wort dafür lautet.
Zvi Hecker hat sich nach diesem Erfolg an drei der prestigeträchtigsten Architektur- und künstlerischen Gestaltungswettbewerben für die neue Bundeshauptstadt beteiligt. Keine der Ideen kamen in die Umsetzung. Darunter sein Denkmal für die ermordeten Juden Europas, 1997. Hecker griff hier wieder die Metapher des Buchs auf. Diesmal war es ein zerfleddertes Buch, das für immer unleserlich gemacht wurde: Es fehlen Seiten. Es sind die Seiten, die aus dem Buch der jüdischen Geschichte herausgerissen wurden. Den Bau des Denkmals hatte er als Prozess gedacht: Die Besucher*innen verlegen über Jahre die Ziegel dafür selbst. Ein Maurermeister ist ihnen dabei behilflich. „Stell dir vor, am Denkmal für die ermordeten Juden stünde ein Maurermeister anstelle eines Polizisten“, bemerkte er einmal in einem Gespräch.
Zvi Hecker arbeitete bis zuletzt zusammen mit den Mitarbeitenden in seinem Studio an mehreren Projekten. Und bis zuletzt pflegte er auch einen regen Austausch mit Architekt*innen und Künstler*innen bei Kaffee und Mehlspeisen in seiner Wohnung in Moabit. Er war einer von jenen, mit denen man sich gerne über so große Themen wie Architektur und Kunst und ihre Bedeutung für die Gesellschaft, unterhält. Aber dabei immer mit Witz, Charme und Humor.
Er wird fehlen!