Papier wird in Glas gebrannt, die Klimakrise wird von innen heraus entlarvt, Hände zerbrechen Zuckerglas, Brennnesseln brennen Säure in eine Jacke, ein tiefes und schweres Atmen füllt einen Raum.
In der Ausstellung „Goldrausch 2023 – on the edge of“ setzen sich die Künstlerinnen* in einer Vielfalt von Medien mit Fragestellungen zu ökologischen Notständen, politischen Umbrüchen und sozialen (Ungleichheits-)Verhältnissen auseinander. Beim Betrachten der teils aktuellen Arbeiten steigt das Gefühl von Bedrohung und Gefahr auf. Man spürt eine Dringlichkeit. Der Titel “Goldrausch 2023 – on the edge of” wurde in Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen* gewählt und reflektiert diesen ganz bestimmten Moment: Wir befinden uns an der Schwelle, zu dem, was als nächstes kommt.
Die jährliche Ausstellung, die seit 1990 in öffentlichen Ausstellungsorten und kommunalen Galerien stattfindet, ist vielleicht der sichtbarste Teil des gesamten Goldrausch Künstlerinnenprojekts. Die aktuelle Ausgabe wurde von Alumna Laure Catugier und Projektleiterin Hannah Kruse in engem Dialog mit den Künstlerinnen* kuratiert. Die Gruppenausstellung mit Begleitprogramm wurde im vergangenen September eröffnet und läuft noch bis 21. Januar 2024 in der galerie weisser elefant.
Hinter dem Namen “Goldrausch” steckt jedoch so viel mehr, als sich auf den ersten Blick erahnen lässt:
Das Frauennetzwerk Goldrausch e.V. bietet in unterschiedlichen Projekten geschlechtsspezifische Beratung und Förderung an, in denen es Frauen und Geld in Berlin zusammenbringt. Das größte und bekannteste ist das Goldrausch Künstlerinnenprojekt, ein vielschichtiges Weiterbildungsprogramm für Bildende Künstlerinnen* [1], welches 1989 in West-Berlin initiiert wurde. Ziel war und ist es die Präsenz von Frauen* in der Kunst zu stärken und den anhaltenden Herausforderungen von Künstlerinnen* zu begegnen – denn im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen* erhalten sie weniger Einzelausstellungen, ihre Arbeiten werden seltener in Sammlungen angekauft und sie verfügen über ein deutlich geringeres Jahreseinkommen [2], um nur einige der Missstände zu nennen. Aus dieser Beobachtung heraus gründete sich das Goldrausch Künstlerinnenprojekt, dessen Alleinstellungsmerkmal sein Ansatz ist: Ausstattung der Künstlerinnen* mit spezifischen Fähigkeiten und Wissen, eine öffentlichkeitswirksame Präsentation ihrer Arbeiten und eine gezielte Netzwerkbildung, sowohl unter den Teilnehmenden als auch über die Grenzen des Programms hinaus.
Kernstück des Projekts ist ein zwölfmonatiger Professionalisierungskurs, in dem die Künstlerinnen* lernen, ihre berufliche Selbstständigkeit erfolgreich auszuführen. Einige der Kurselemente sind konkret – wie Finanzplanung und Steuerwissen – manchmal wiederum widmen sie sich abstrakten und individuellen Fragestellungen: Wie mache ich mich für eine*n Kurator*in oder Sammler*in auffindbar? Wie gestalte ich meine Social Media Präsenz? Wie vermittle ich meine Kunst? Und wie kann ich meine Arbeit mit aktuellen Finanzierungsmöglichkeiten und Möglichkeiten des Geldverdienens verbinden?
Jede Künstlerin* hat eine individuelle Arbeitsweise und der Kurs erhebt nicht den Anspruch, einen hermetischen Fahrplan für eine künstlerische Karriere zu erstellen. Vielmehr bietet er allen Teilnehmenden und Anleitenden in den oben genannten Bereichen einen Rahmen, um sich auszutauschen und zu erkunden, was für sie selbst funktioniert.
Epizentrum des Programms ist 2019 eine Fabriketage in Lichtenberg, das nicht nur das Büro der fünf Mitarbeitenden von Goldrausch ist, sondern auch der Seminar- und Begegnungsraum der Teilnehmenden. Dort werden Kurse von Januar bis Dezember – durchgehend an zwei Tagen in der Woche – größtenteils von freischaffenden Dozierenden abgehalten und Gespräche geführt, einzeln oder in Gemeinschaft. Diese Zeit ist eine Investition und das Programm verlangt eine gegenseitige Verbindlichkeit.
Um die oben genannten übergreifenden Fragen der Teilnehmerinnen* zu beantworten, erschließt die Gruppe auch die kulturelle Landschaft der Stadt und besucht externe Akteur*innen zum Beispiel (kommerzielle oder Kommunale) Galerien, Kunstinstitutionen und weitere Kulturschaffende, um deren Konzepte und Profile als auch deren Auswahl-prozesse kennenzulernen. Auch andere Bereiche, so wie Kunst-am-Bau-Wettbewerbe werden erkundet, zudem gibt es gelegentlich Portfolio-Besprechungen und auch die Präsenz der Künstlerinnen* im digitalen Bereich ist Gegenstand der Auseinandersetzung.
Doch nicht nur der Input, sondern auch der Austausch untereinander bestimmt den Bildungsprozess. Die Gruppe lernt durch die breite Vielfalt an künstlerischen Positionen voneinander und zeigt im kleinen Kreis eines der Grundprinzipien des Feminismus: Frauen unterstützen Frauen. Die Heterogenität ist wichtiger Bestandteil der Gruppe der 15 Künstlerinnen*. Sie unterscheiden sich sowohl in ihrem Ansatz, ihren Inhalten als auch in den Materialien und Medien, mit denen sie arbeiten.
Kriterien für die Aufnahme sind nicht nur die künstlerische Qualität, sondern auch der Zeitpunkt in der Karriere der Künstlerinnen*. Sie sollten an einem Punkt angelangt sein, an dem das Fundament in ihrer Praxis bereits gelegt ist und sie klare Ziele für sich definieren können, die sich im Rahmen des Projekts umsetzen lassen.
Die Auswahl erfolgt durch eine jährlich wechselnde Fachjury, bestehend aus der Projektleitung, einer Vertretung aus dem Team, einer Kuratorin*, einer Kunstkritikerin*; sowie einem Alumni-Mitglied. Der Open Call selbst läuft jährlich von Juli bis September und wird in zwei Phasen durchgeführt. Zunächst reichen die Bewerberinnen* eine digitale Mappe ein, um sich dann in einem nächsten Schritt persönlich vorzustellen.In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Programm von vielen projektbasierten Förderungen oder öffentlichen Ausschreibungen, wie sie in Berlin weit verbreitet sind. In dem Sinne, dass es wirklich die Künstlerinnen* in den Mittelpunkt stellt – ihren Werdegang und ihre Arbeit als Ausgangspunkt nimmt – und keine Kriterien für ein Thema oder eine Arbeitsweise hat, oder vorgibt, dass während des Programms neue Arbeiten entstehen müssen.
Im “Plenum” stehen die Mitarbeitenden und die Teilnehmerinnen* des Goldrausch Künstlerinnenprojekts in einem ständigen Austausch und erfahren aus erster Hand, wie ihre Lebens- und Arbeitssituationen sind und welche Themen in der Berliner Kunstwelt eine Rolle spielen. Seit der Gründung des Programms vor über 30 Jahren haben sich sowohl die Kunstszene und ihre Diskurse als auch die Stadt Berlin deutlich verändert. “Arm aber sexy” sind nicht mehr die ersten drei Worte, die einem in der Beschreibung Berlins über die Lippen gehen. Berlin ist mittlerweile zur größten Kunst- und Kulturstätte Deutschlands herangewachsen. Im Jahr 2014 lebten bereits deutschlandweit 42% der Bildenden Künstler*innen in Berlin [3] und dieser Anteil steigt kontinuierlich an. Laut Angaben des bbk Berlin verfügt Berlin über die weltweit höchste Dichte von Bildenden Künstler*innen nach New York City. [4]
Die Stadt als Beute:Wohn- und Arbeitsraum in Berlin ist, anders als noch vor 20 Jahren, zunehmend umkämpft. Atelierplätze werden knapper und teurer, die Beantragung eines Künstler*innenvisums sowie die Bewerbung für viele Förderprogramme – unter anderem auch das Goldrausch Künstlerinnenprojekt – ist an einen Wohnsitz in Berlin geknüpft, was in Zeiten von Gentrifizierung ein konkretes Problem darstellt.
Das Goldrausch Künstlerinnenprojekt wird gefördert aus Mitteln der Europäischen Union (Europäischer Sozialfonds Plus) und des Landes Berlin. Diese Förderung muss alle zwei Jahre neu gesichert werden.
Generell sind Förderstrukturen, die versuchen Künstler*innen zu unterstützen, abhängig von der jeweiligen politischen Situation und Entscheidungen. In diesen lassen sich derzeit folgende Tendenzen beobachten: Haushaltssperren werden verhängt, Budgets gekürzt, Förderungen drohen gestrichen zu werden – die Landschaft nach der Pandemie sieht karg aus. Für die Künstler*innen bedeutet das (mögliche) Ausbleiben von Förderprogrammen fehlende Finanzierung für Recherchen, Infrastruktur und künstlerische Produktion. Weitere Hürden, um ihre Arbeit auszuführen und zu verbreiten und so in der Welt Resonanz zu finden. Wobei Letzteres ein wichtiger Teil des Aufbaus einer nachhaltigen und reaktiven Kunstpraxis ist, so wie das Goldrausch Künstlerinnenprojekt sie unterstützt.
Gewollt oder ungewollt wirft “Goldrausch 2023 – on the edge of” – sowie das gesamte Projekt – auch die Frage auf, was es bedeutet, Künstlerin zu sein und ob dies für die Kunst von Bedeutung ist. Können Kunst und Künstlerin* getrennt voneinander betrachtet werden? In dem Bewusstsein, dass wir eine Welt anstreben, in der Geschlecht kein erwähnenswertes Thema sein sollte, präsentiert unter anderem die aktuelle Ausstellung und die versammelten Arbeiten eine kaleidoskopische Sammlung der Lebens- und Arbeitserfahrung von Künstlerinnen* und erlaubt sich, neu zu definieren, was das bedeutet.
Katharina Faller, die als Mitarbeiterin den Goldrausch Kurs 2023 begleitet hat, kann die Entwicklung bezeugen, die die Künstlerinnen* in einem Jahr durchlaufen. Sowohl in der Präsentation als auch in der Positionierung ihrer Arbeiten werden sie klarer und präziser, selbstbewusster. Es sind diese kleinen Momente, die das Team von Goldrausch wahrnimmt und auf die es stolz ist. Die Teilnehmenden zeigen, wie ein Ansatz der Solidarität und Gemeinschaft aussehen kann. Durch die intensive Zeit, die man miteinander verbringt, entsteht eine starke Verbindung innerhalb der Gruppe. So kommt es vor, dass sich Absolventinnen* gegenseitig zu Ausstellungen einladen oder sich zusammenschließen, um gemeinsam einen Atelierraum zu mieten. Im Fall von “on the edge of” war eine Alumna Co-Kuratorin und das nicht zum ersten Mal – auch Surya Gied (“Sirene” (2020); “Mutual Matters” (2021)) oder Kerstin Honeit (“Hydra” (2019)) haben Ausstellungen co-kuratiert und zeigen somit wie nachhaltig die Verbindungen des Goldrausch Netzwerks wirken.
Zwar werden die Debatten um die Anerkennung Bildender Künstlerinnen* und ihrer Werke heute sichtbarer geführt als in den Gründungsjahren des Projekts, doch ist von einer geschlechtlichen Gleichstellung noch nicht zu sprechen, wie ein bestehender Gender Pay Gap von 22% in der Bildenden Kunst [5] zeigt.
Berlin ist in diesen Tagen alles andere als ein Eldorado und die Frage der Finanzierung, Vermarktung und Gleichberechtigung ist so aktuell wie eh und je.
Paradoxerweise zielt das Programm auf eine Welt ab, in der es selbst überflüssig wäre. Aber das ist es immer noch nicht, und es hat 34 Jahre in Folge bewiesen, wie wertvoll es ist. Mit Blick auf den Sparkurs der Politik bleibt nur zu hoffen, dass uns das Programm auch noch in den nächsten Jahren erhalten bleibt, damit die Künstlerinnen* und ihre Arbeiten prosperieren können.
1 Das Projekt wendet sich an Bildende Künstlerinnen*, also an Frauen*, darunter auch trans Frauen sowie an inter und nicht-binäre Menschen. Das Sternchen am Ende soll zusätzlich weitere Variationen der Geschlechtervielfalt einbeziehen.
2 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2021: Spartenbericht Bildende Kunst, online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Kultur/Publikationen/_publikationen-innen-spartenberichte.html (zuletzt besucht: 07.01.24)
3 Vgl. Dritter Kreativ Wirtschaftsbericht, 2015, S. 55
4 Vgl. bbk Berlin (2019), Gender Pay Gap / Gender Show Gap in der Bildenden Kunst, online verfügbar unter: https://www.bbk-berlin.de/sites/default/files/2020-01/bbk%20berlin%20Fact-Sheet%20Gender%20Gap.pdf (zuletzt besucht: 05.01.24)
5 Vgl. Angaben des Deutschen Kulturrats (2023), online verfügbar unter: https://www.stadtkultur-hh.de/2023/10/baustelle-geschlechtergerechtigkeit-datenreport-zur-wirtschaftlichen-und-sozialen-lage-imarbeitsmarkt-kultur/?cn-reloaded=1 (zuletzt besucht: 07.01.24)
Ausstellung Goldrausch 2023 – on the edge of
bis 21.01.2024
galerie weisser elefant
Auguststraße 21 | 10117 Berlin
Dienstag bis Sonntag: 11 – 19 Uhr