Nach Auflösung ihrer Band im Jahr 2000 begann Bernadette La Hengst eine Solokarriere mit bislang sieben Alben, führte Regie in Theaterproduktionen und spielte in der Inszenierung von David Bowies Musical Lazarus am Hamburger Schauspielhaus Gitarre. Chöre sind ein zentrales Instrument ihrer künstlerischen Arbeit, als ein Mittel um gesellschaftliche und politische Zustände zu analysieren, Visionen zu thematisieren und kollektive Utopien zu besingen.
Der Chor tritt in der Antike etwa 700 v. Chr. auf, da, wo Feste zu Ehren von Dionysos gefeiert wurden; dem Gott des Weines, des Rausches, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns, der Freude, der Ekstase. Eine wesentliche Rolle bei der Konstitution des Chores haben ursprünglich Frauen gespielt, die Verehrerinnen des Dionysos nämlich. Im antiken Theater ist später die Zugehörigkeit zum Chor ausschließlich Bürgern der Polis vorbehalten, wohin es ihn verschlagen hatte. Frauen werden als theatrale und politische Form ausgeschlossen. Der eigentlich tragische Konflikt dabei ist der Ausschluss des einzelnen, der Figur, aus dem Kollektiv, das heißt dem Chor. Das Dionysostheater in Athen war nicht nur die Geburtsstätte des Theaters der Antike, sondern auch des Dramas überhaupt.
Heimo Lattner: Deine „Werdung“ führt auch über die Provinz.
Bernadette La Hengst: Ja, ich komme aus Bad Salzuflen, einer kleinen Stadt in Ostwestfalen, die von Kurgästen lebt. Meine Eltern hatten dort zwei Geschäfte, einen Orthopädieladen und einen Kunstgewerbeladen. Alle anderen Geschäftsleute und Inhaber in der Innenstadt kannten auch uns Kinder und dadurch stand man immer unter Beobachtung. Es war diese Beobachtung, die am meisten genervt hat. Ich bin dann auch sehr früh durch Europa getrampt, mit vierzehn oder fünfzehn und habe angefangen, Straßenmusik zu machen, weil es auch gar keine andere Bühne gab.
HL: Außer der Bühne vom Kursalon.
BLH: Aber da wollte man natürlich auf gar keinen Fall hin. Es gab auch eine Theater-AG an meiner Schule, bei der ich mitgespielt habe. Da wurden eher klassische Stücke gespielt. Ich habe dann begonnen, mich an Schauspielschulen zu bewerben.
„Ich wollte unbedingt auf eine Schauspielschule, in einer Großstadt.“
HL: Um Schauspiel zu lernen oder um Regie zu machen?
BLH: Schauspielerin wollte ich erst mal werden. Ich hatte ja auch keine Ahnung, was das bedeutet, sondern nur gemerkt, dass es mich zur Bühne zieht. Ich bin aber nicht genommen worden. Das hatte für ein junges Mädchen mit einem Ego zwei Seiten: totale Enttäuschung und totale Wut. Die Ablehnungen haben einen Trotz in mir ausgelöst, der ganz gesund war. Ich habe dann die ersten Versuche gemacht, deutschsprachige Popsongs zu schreiben: über mein Leben, meine Gefühle, über Freundschaft, Liebe, das Kleinstadtlebensozusagen.
Das Kassettenlabel Fast Weltweit hatte ein Studio in Bad Salzuflen, da habe ich aufgenommen. Das waren alles Jungs dort, ich war die einzige Songschreiberin. Aber jeder hat bei jedem oder jeder mitgespielt. Frank Spilker, der dann später in Hamburg Die Sterne gründete, hat in meiner Band Bass gespielt und der Schlagzeuger Mirko Breeder auch. Ich habe bei Michael Girke mitgesungen (Sänger und Gitarrist von Jetzt!), Jochen Distelmeyer (Texter, Sänger und Gitarrist von Blumfeld) hat bei mir mitgesungen.
HL: In Bad Salzuflen?
BLH: In Bad Salzuflen, beziehungsweise in der Gegend Ostwestfalen: Herford, Brake, Bielefeld. Dort gab es auch das Forum Enger, so eine Art Indiedisko. Alles Mögliche wurde da gespielt zwischen Punk, New Wave, Pop und frühem Hip-Hop. Viele internationale und abseitige Indie-Bands haben da Halt gemacht.
HL: Irgendwann war die Schulzeit zu Ende. Berlin oder Hamburg?
BLH: Es gab zwei Pole. Die eine Hälfte ist nach Berlin, die meisten von Fast Weltweitsind nach Hamburg gezogen. Ich wollte aber nicht dahin, wo die Jungs alle hingingen und habe mir gedacht, ich fände in Berlin was ich suche, also eine neue Heimat.
HL: Die aber nicht die Schauspielschule wurde.
BLH: Es sollte wohl nicht sein. Und ich bin auch keine Schauspielerin. Ich weiß das jetzt. Dafür braucht man andere Talente. Ich habe dann aber in Berlin in einer freien Theatergruppe gespielt. Das war eigentlich ein totaler Traum, so, wie man sich das Leben als Künstlerin eben vorstellt. Die anderen waren aber viel älter als ich, was mich dann doch nicht so richtig mitgenommen hat. Ich wollte dann eine Band gründen. Ausdrücklich eine Frauenband. Ich habe aber niemanden gefunden und bin kurz vor dem Sommer ‘89 nach Hamburg gezogen.
HL: Die halbe Bad Salzufler Ostwestfalenszene war ja mittlerweile Teil der Hamburger Schule.
BLH: Ja, da hat es mich dann schon hingezogen, weil mich das auch viel mehr interessiert hat als diese 80er-Trümmer-Musik in Berlin wie die Einstürzenden Neubauten oder Die tödliche Doris. In Hamburg war ein anderer Spirit, da gab es ja auch die Geschichte des Star Clubs und auch so verspielt absurde Bands und Künstler*innen jenseits der NDW wie Palais Schaumburg und Andreas Dorau. Ende 1989 hab ich dann mit Nathalie Sturlèse, Karen Dennig, Barbara Hass und Katja Böhm die Band Die Braut haut ins Auge gegründet. Peta Devlin kam erst 1992 dazu.
HL: Was war euer Anliegen?
BLH: Das Anliegen der Braut? Wir wollten uns einfach dasselbe Recht wie die Jungs rausnehmen, nämlich Musik zu machen und auf einer Bühne zu stehen, anstatt vor der Bühne als Fans die Männerbands anzuschmachten. Mir war damals gar nicht bewusst, dass es so wenige andere, sichtbare Musikerinnen gab. Erst später wurde mir klar, was für eine strukturelle Ungleichheit in dieser Szene auch geherrscht hat. In Rezensionen wurden bei den Jungs seitenlang über die genialen Texte und die angeblich unglaublich neue Musik geschrieben. Und bei uns? Entweder fanden wir in der Spex nicht statt oder wir wurden in anderen Zeitungen aufs Äußerliche reduziert: Die fünf frechen Mädchen aus Sankt Pauli. Auf der anderen Seite hatten wir natürlich das große Glück, dass es fast keine anderen Musikerinnen gab, sodass wir tatsächlich sichtbarer waren als manch andere. Und dass wir bei einer Major-Plattenfirma einen Vertrag bekamen, lag nicht daran, dass wir dahin wollten, sondern dass alle Indie-Labels uns abgelehnt haben. Es hat alles immer zwei Seiten, ne?
HL: 2000 hat sich die Band aufgelöst und du hast solo weiter gemacht.
BLH: Das war natürlich eine Entscheidung, die auch den finanziellen Zwängen unterworfen war, bis heute. Die Braut war ja nicht so erfolgreich, dass wir alle davon leben konnten. Peta Devlin ist die einzige neben mir, die überhaupt noch Musik macht, davon leben kann und als Produzentin arbeitet. Alle anderen haben es aufgegeben. Komplett. Als Duo oder als Trio Live-Konzerte zu spielen konnte ich manchmal noch bezahlen. Aber viele Jahre bin ich auch ganz alleine getourt, weil ich davon leben wollte und das nicht möglich war mit einer Band. Ich steckte immer irgendwo zwischen diesem Einzelkämpfer-Solo-Ding, gleichzeitig ist da immer auch die große Sehnsucht, Teil einer Band, eines Kollektivs oder eines Chores zu sein.
HL: An welcher Stelle setzt der Chor bei dir biographisch ein?
BLH: Solosängerin bin ich, seitdem ich ein Kind war. Mit neun oder zehn hat mich der Pfarrer der katholischen Kirche, mit der wir auch die Minderheit waren in Bad Salzuflen, gefragt: Der Vorsänger, ein Junge, komme in den Stimmbruch, ob ich diesen Job übernehmen wolle. Ja, klar, da hat mich jemand erkannt. Von da an habe ich jeden Sonntag in der Kirche solo vorgesungen, und die ganze Gemeinde hat als Chor geantwortet. Auch das Vaterunser. Was für ein erhebendes Gefühl für so ein kleines, pathetisches Mädchen.
Dann wurde dort ein Chor gegründet, da habe ich ein bisschen dirigieren gelernt und auch gemerkt, wie schön es ist, in einer Gemeinschaft zu singen und Musik zu machen. Ich brauche tatsächlich beides. Ich benötige nicht unbedingt die anderen, um Musik zu machen. Aber ich fühle mich natürlich wie jeder Mensch als soziales Wesen total wohl, wenn ich Teil einer Gemeinschaft sein kann und Resonanz bekomme.
„Ich war und bin auch immer noch die Vorsängerin“
1999 habe ich in Hamburg das Schwabinggrad Ballett mitgegründet. Wir sind auf No Border Camps gefahren, haben dort auf der Straße gespielt, auch Aktivist*innen waren dabei, die gar keine Musiker*innen sind. Da wurde durchaus auch viel chorisch gesungen, aber auch theatrale Performance war dabei. Die Musik bewegte sich zwischen Improv-Jazz, Folk und Techno mit live gespielten Instrumenten. Raus aus den Theaterhäusern, aus den Institutionen, die Straßen mit Kunst und Performance besetzen und den Demos eine neue ästhetische Kraft geben – das war die wichtige Erkenntnis beim Schwabinggrad Ballett.Es gab auch den ernsthaften Versuch, als Kollektiv tatsächlich Dinge gemeinsam zu entscheiden. Die Behauptung eines Kollektivs ist natürlich immer etwas anderes als die Realität, und es ist schwierig, kollektive Entscheidungen auszuhandeln. Das waren sehr wichtige Jahre für mich.
HL: Was macht eine Chorleiterin des bedingungslosen Grundeinsingens?
BLH: 2003 hat mich Matthias von Hartz für das Stück Alles muss man selber machen in den Sophiensaelen in Berlin angefragt. 2004 kam meine Tochter zur Welt, und weil es mir in Berlin so gut gefallen hat, bin ich dann Ende des Jahres hierhin gezogen. Danach wurde ich vom Theater Freiburg gefragt, ob ich Lieder schreiben will mit Senioren, im Seniorenheim, Songs über die Zukunft. Das war auch schon so eine Art Chor. Und dann hat denen das so gut gefallen im Theater Freiburg, dass sie mich 2008 gefragt haben, bei einem Stück namens Die Bettleroper (Regie: Christoph Frick) mitzumachen. Also nicht Brecht, aber so ein bisschen daran angelehnt, mit eigenen Texten, die mit dem Ensemble entwickelt wurden. Ein Stück über Abstiegsangst, Armut und die Finanzkrise mit einem Chor aus Expert*innen mit Armuts- und Obdachlosigkeitserfahrung. Die Hälfte der Mitglieder des von mir gegründeten sogenannten Bettlerchors sind leider mittlerweile tot.
Nach der Bettleroper wurde ich immer wieder von verschiedenen Theatern angefragt, ob ich bei solchen partizipativen Stücken mitarbeiten möchte und ich habe mir meine Skills dann learning by doing erarbeitet. Zum Beispiel, wie man mit Menschen Songtexte entwickelt, und wie man die auf die Bühne bringt. Das Schönste daran ist eigentlich diese Bedingungslosigkeit, die auch darin besteht, allen Leuten die Chance zu geben, mit dabei zu sein.
2013 hat mich dann Adrienne Goehler bekniet, ein Stück in den Sophensaelen über das Grundeinkommen zu machen. Und dafür habe ich mir diesen schönen und klangvollen Titel ausgedacht: Bedingungsloses Grundeinsingen. Das Grundsetting war, dass ein Chor zufällig Auserwählter seit 5 Jahren ein Grundeinkommen erhält und dieses 5-jährige Jubiläum auf der Bühne mit einer großen Gala feiert. Während dieser Show wurde das Grundeinkommen singend verhandelt und das Publikum wurde auch zu Chormitgliedern gemacht.
„Natürlich zweifle ich auch immer ein bisschen an diesem Konstrukt ‚Chor'“
HL: Seit den Nullerjahren kommt der Chor wieder verstärkt zum Einsatz, sowohl auf der Bühne, als auch als Protestorgan auf der Straße und in der bildenden Kunst. Aber verändert: Es werden die Dynamiken von Massen und die Spannung zwischen Individualität und Kollektivität erforscht, oder die Fragmentierung und Vielstimmigkeit moderner Subjektivität durchgespielt.
Bei René Pollesch sind es die vom Neoliberalismus gezeichneten Individualist*innen, die sich in ihrer Selbstoptimierung verrannt haben. Was bleibt ist das verzweifelte sprechen Wollen, aber es hört niemand mehr zu; chorisch gebrülltes „SCHEISSE!“. In späteren Stücken treten bei ihm abwechselnd Personen aus dem Chor aus und werfen sich leidenschaftlich in den Dialog mit den Figuren. Wer hier die Bühne betritt und sprechen kann, ist schon Teil des Herrschaftssystems.
BLH: Ja, genau. Das finde ich ja gerade spannend. Bei Volker Lösch kriege ich eine Krise, wenn ich sehe, wie da gleich immer geschrien wird von allen. Als wäre so klar, dass wir alle derselben Meinung sind. Das kann nicht sein. Da wird auch kaum Schwäche oder Zartheit zugelassen und kein Fehler, kein Scheitern. Da ist alles gleichmacherisch gleichlaut, obwohl er behauptet, dass es partizipative Stücke sind, die mit den Leuten entstehen. Aber wer hat die Macht, am Ende über die Auswahl der Texte zu entscheiden?
HL: Die heikle Frage nach der Autor*innenschaft.
BLH: Wenn man die verschiedenen Textzeilen, die einem Leute bei der Probe zuwerfen, versucht, in einem Lied unterzubringen, ist das ein demokratischer Prozess. Oft diskutiere ich mit den Leuten die Songtexte, das ist spannend. Vor allem dann, wenn die Leute auch das Lied mitsingen. Und sie müssen nicht nur die Meinung der anderen aushalten, sondern sie müssen sie sogar mittragen. Dass ist oft noch viel schwieriger, als einfach nur so theoretisch zu sagen: Ja, ja, mein Nachbar ist halt ein bisschen anders. Nee, man muss das mitsingen und das ist was Körperliches und das macht etwas mit den Menschen.
Natürlich muss man sich dann wieder die Frage stellen, wo die Grenze des Aushaltenmüssens oder des Mittragens verläuft. Diese Grenzen verschieben sich ja laufend. Was ist rassistisch, was ist diskriminierend, was ist zu negativ? Treibe ich die sogenannte Spaltung voran oder führt der Text dazu, alles zu verharmlosen, zu verschlimmschönern? Also zwischen diesem Aushandeln von Harmonieschaffen und gleichzeitig nichts unter den Teppich zu kehren, bewegen sich diese Songs. Und ich möchte, dass da Widersprüche drin sind. Unbedingt. Nur das hält eine Gesellschaft lebendig, indem man Widersprüche zeigt. Und manchmal muss man halt eine kleine Bombe reinschmeißen und mit dem Finger auf die Leute zeigen, die die Demokratie abschaffen wollen und sagen oder singen: Du Arschloch!
„Ich würde jetzt auch nicht von mir behaupten, dass ich absolut kollektiv mit allem umgehe.„
HL: Man trägt als einzelne Person sehr viel Verantwortung für den Chor. Der Chor muss immer stärker sein als sein Gegenüber. Das gelingt natürlich nur dann, wenn das Individuum nicht in der Masse aufgeht und in ihr verschwindet. Chor ist maximal anstrengend!
BLH: Bei einem Sprechchor braucht man die Genauigkeit. Bei mir sind so eine gewisse Luschigkeit und Lässigkeit durchaus auch Konzept. Ich habe diesen Begriff „bedingungslos“ nicht einfach so, sondern tatsächlich auch als Konzept für meine Chorarbeit eingeführt, damit es möglichst niedrigschwellig funktioniert und damit die Leute da einfach reinspringen können. Ich erhebe auch keinen Anspruch auf totale Perfektion. Den stelle ich an mich in meinen eigenen Songs. Aber in einem Chor ist für mich das Entscheidende, dass die Texte etwas mit unserem Leben zu tun haben und dass wir im besten Fall auch Texte gemeinsam schreiben und die mit einer Überzeugtheit in die Welt tragen. Und auch, dass da eine Gemeinschaft entsteht, ohne den Druck der Perfektion. Ich kenne viele Leute, die vorher in anderen Chören gesungen haben, die zu uns gekommen sind und gesagt haben: Endlich ist dieser Druck weg, endlich keine Noten.
HL: 2019 versammelst du einen neuen Chor bildlich an dem Ort, dem ihn das antike Theater zugewiesen hatte: Die Orchestra, der Platz vor dem Palast. Dort tritt er gegen Gentrifizierung, gegen Klimawandel und für ein Europa der offenen Grenzen und Solidarität an. Getragen wird er von Frauenstimmen.
BLH: Stimmt. Die meisten sind Frauen zwischen 35 und 60, deutsch und weiß, ein paar mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen sind Kulturarbeiterinnen. Wir haben viel zu wenig Männer! Dazu kam es, als das Haus der Statistik am Alexanderplatz 2015 quasi besetzt wurde. Künstler*innen haben sich aufgrund fehlender Räume für Ateliers damals zusammengeschlossen. Sie haben an dem seit zehn Jahren leerstehenden Haus ein Banner heruntergelassen: „Hier entstehen für Berlin Räume für Kunst, Kultur und Soziales.“ Es war wirklich zum Verwundern. Wie kann das sein? Stimmt das denn?
HL: Tatsächlich hat sich die Berliner Politik danach dazu entschieden, das Gebäude zu erhalten. Ob die Künstler*innen dort auch bleiben können? Man weiß es nicht.
BLH: Man hat mich jedenfalls gefragt, ob mir was einfällt für den großen Einzug. Mein Vorschlag war, einen Chor zu gründen. Wir proben dort nun seit fünf Jahren fast wöchentlich. Manchmal unregelmäßiger, wenn ich auf Tour bin. Im Verteiler sind 300 Leute. Die kommen natürlich nicht immer alle(lacht), aber fünfzig bis sechzig sind es schon bei den Proben und Auftritten.
Im Lockdown 2020 haben wir eine alternative Europahymne der Vielen zusammen mit Barbara Morgenstern und ihrem Chor der Kulturen der Welt aufgenommen. Das war unsere chorische Antwort auf die Schließung der EU-Grenzen wegen der Pandemie.
HL: Der Chor der Statistik ist die kollektive Stimme, die reflektiert. Er ist keine homogene Stimme, die sozusagen im Einklang spricht, sondern eine Ansammlung von Einzelstimmen, die gemeinsam Kritik an sozialen und politischen Umständen übt, die Vielfalt und das Plurale artikuliert. Und dabei von den subjektiven Träumen und Wünschen für eine bessere Gesellschaft singt.
BLH: Es geht natürlich um Selbstermächtigung. Die Sänger*innen haben ja eine Stimme, die müssen sie nur finden, die muss raus, raus auf die Straße. Wenn für eine Demo die Straße gesperrt wird und wir singen da mit 100 Leuten von Hoffnung und möglichen Utopien für eine Zukunft, wie schön ist das denn!
Bernadette La Hengst ist eine Berliner Musikerin, Regisseurin und bedingungslose Chorleiterin.
Schon seit ihrer Beat-Pop-Girl-Band Die Braut haut ins Auge, der einzigen Frauenband der sogenannten „Hamburger Schule“ in den 90ern, schrieb sie unendlich viele Ohrwürmer für Utopist*innen, Feminist*innen, Beat- und Elektro-Pop-Fans.
Alle Alben von Die Braut haut ins Auge wurden im April 2024 erstmals auf allen digitalen Plattformen veröffentlicht. Am 4.10.2024 erschien bei Trikont das Vinyl-Album Die Braut haut ins Auge – Hits 1990 bis 2000.
La Hengsts 7. Solo-Album Visionäre Leere erschien im November 2023 bei Trikont.
Seit 2004 realisierte sie unzählige Theaterprojekte und Hörspiele als Musikerin, Regisseurin und Autorin u.a. in Berlin (Sophiensaele, HAU), Hamburg (Schauspielhaus, Thalia Theater), am Theater Freiburg oder Theater Bonn.
Als bedingungslose Chorleiterin leitete sie viele Chöre in partizipativen Stadt- und Dorfprojekten, u.a. mit den alternativen Stadtplanern Ton Matton, raumlaborberlin oder als Teil des Performance-Kollektivs Recherchepraxis.
Mit ihrem 100-köpfigen Chor der Statistik besingt sie seit 2019 das Haus der Statistik am „Allesandersplatz“ mit Songs über die Zukunft der Stadt.
Seit März 2021 moderiert sie jeden vierten Dienstag im Monat ihre eigene zweistündige Musiksendung auf Radio Eins.
2003 erhielt sie für ihr bisheriges Gesamtwerk den Künstlerinnenpreis für Popularmusik in Nordrheinwestfalen.
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