Die Galerie NOME in der Potsdamer Straße 27 bewegt sich mit ihrem Programm an der Schnittstelle von Kunst, Technologie und Politik. Die Ausstellungen erkunden zeitgenössische und historische Narrative – insbesondere solche, die von Machtsystemen, kultureller Repräsentation und technologischen Einflüssen geprägt werden. Gezeigt werden international etablierte, aber auch aufstrebende Künstler*innen, deren Arbeiten sich mit aktuellen globalen Themen befassen – von Überwachung und Datenschutz bis hin zu ethnografischen Erkundungen indigener und schwarzer Gegennarrative. Die laufende Ausstellung Accurate Misreadings ist Teil der Berlin Art Week 2025.
Heimo Lattner: NOME hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer international vernetzten Galerie entwickelt. Apropos vernetzt: das Internet spielte in diesem Unterfangen von Beginn an eine wichtige Rolle. Kannst du uns etwas zu den Anfängen der Galerie und deinem Hintergrund erzählen?
Luca Barbeni: Mein Background ist die Medienkunst. Ich habe einige Jahre als Kurator des Medienkunstfestivals Share in Turin gearbeitet. In dieser Zeit, also zwischen 2005 und 2012, kam ich fast jedes Jahr zur Transmediale nach Berlin. Ich bin mit einer damaligen Kuratorin, Tatiana Bazzichelli, seit den 1990-er Jahren befreundet. Nun ist es so, dass du im Rahmen eines Festivals mit den Künstler*innen vielleicht drei Tage lang zusammenarbeitest. Ich bin aber an einem langfristigen und kontinuierlichen Austausch mit den Künstler*innen interessiert. Ich hatte Zweifel, ob das in Turin möglich wäre. Die Kunstmetropolen London oder Paris konnte ich mir nicht leisten, also habe ich es in Berlin versucht.
HL: NOME wurde am 22.Mai 2015 mit einer dreiteiligen Ausstellungseihe, zunächst an einem Standort in Friedrichshain, eröffnet. Dabei ging es um Massenüberwachung und die Machenschaften der US-Geheimdienste. Wie kam es zu diesem Thema?
LB: Erinnern wir uns zurück: 2013 flog die NSA- Affäre auf, dieser Skandal um die systematische Überwachung der weltweiten Kommunikation durch den amerikanischen Geheimdienst. Der Whistleblower Edward Snowden hatte tausende streng geheime Dokumente gehackt, die eine systematische Massenüberwachung belegten, die er an den Journalisten Glenn Greenwald weitergab. Das war damals die Ausgangslage. Den Auftakt der Ausstellungsreihe machte der Künstler, Hacktivist und Kulturkritiker Paolo Cirio mit einem Portrait der Protagonisten dieser Affäre, die bei ihrer Einvernahme durch den amerikanischen Kongress unter Eid gelogen hatten: James Comey, Chef des FBI, den Trump 2016 feuerte. CIA-Chef John Brennan, Michael Rodger, Chef der NSA, General David Petraeus und andere. Für jede Grundfarbe, also Yellow, Magenta, Cyan und Schwarz, wurde mit dem Lasercutter eine Schablone geschnitten, die Farben wurden dann aufgesprüht.
HL: Es folgte eine Ausstellung von James Bridle, der als Tech-Autor 2015 vom Wired-Magazin unter den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres gelistet wurde.
LB: James Bridle ist eigentlich als Schriftsteller bekannt. Er hat zwei großartige Bücher über Intelligenz und das, was nicht der menschlichen Intelligenz vergleichbar ist, wie die Problemlösungskomptetenz der Pflanzen oder Pilze, geschrieben. Er verbindet dieses Denken mit der künstlichen Intelligenz. Seiner Arbeit, die damals gezeigt wurde, liegt eine Beschäftigung mit dem Freedom of Information Act 2000 zugrunde, dem britischen Informationsfreiheitsgesetz, das jedem Menschen das Recht auf Zugang zu Informationen von staatlichen Stellen und Institutionen sichert. Er hat denen jede Menge Fragen gestellt, zum Beispiel zur Speicherung von Aufnahmen aus Überwachungskameras in der Londoner U-Bahn. Er bekam auch diverse Dokumente ausgehändigt, allerdings mit umfangreichen Schwärzungen. Er hat ein Computerprogramm entwickelt, das den Text, dem Inhalt entsprechend, in Farben übersetzt. Was unkenntlich gemacht wurde, zum Beispiel in Schwarz.
HL: Die Recherchen zu den politischen Hintergründen sind eine Sache, die Präzision bei der Übersetzung in Kunst ist nochmal eine andere.
LB: James Bridle liess sich hier auch von den Fraunhoferlinien inspirieren. Der deutsche Physiker hat nachgewiesen, dass Teile des Farbspektrums des Sonnenlichts in der Sonnen-Photosphäre und von den Gasen der Erdatmosphäre absorbiert werden. Das Spektrum ist also nicht mehr vollständig, wenn es hier unten ankommt. Frauenhofer hat diese Beobachtung in Farbverläufen dargestellt. Bridle stellt eine Verbindung zwischen der Unvollständigkeit der ausgehändigten Informationen und diesen frauenhoferschen Absorbtionslinien her.
HL: Den Abschluss dieser Trilogie bildete eine Ausstellung mit Photographien von Jacob Appelbaum – ein enger Freund von Julian Assange und ehemaliger Star der Hacker-Szene. Er hat, zusammen mit Spiegel-Journalisten aufgedeckt, wie das Handy von Angela Merkel von der NSA abgehört wurde. 2016 wurden gegen ihn Missbrauchsvorwürfe erhoben und er ist seither von der Bildfläche verschwunden.
LB: Ich weiß nicht, was wirklich vorgefallen ist, ich war nicht dabei. Die Anschuldigungen wurden anonym erhoben und Recherchen von Journalist*innen führten auch zu keinen belastbaren Fakten. Wir werden die Wahrheit vermutlich nie erfahren. Die Parallelen zu Julian Assange sind aber auffällig: Beide hatten Ärger mit amerikanischen Behörden und gegen beide wurden Missbrauchsvorwürfe erhoben. Soviel dazu. Ich würde mich gerne auf seine Kunst konzentrieren, die Ausstellung fand auch ein Jahr vor den Anschuldigungen statt.
Appelbaum verwendete für die Fotos einen Infrarotfilm, wie er auch in den 1970-er Jahren von den USA im Vietnamkrieg in der Luftüberwachung eingesetzt wurde. Er reagiert auf Chlorophyll, grüne Blätter etwa erscheinen in den Bildern rot, Tarnuniformen hingegen nicht. Die Aufnahmen zeigen enge Vertraute von Edward Snowden, wie den Pulitzerpreisträger Greg Greenwald mit seinem Partner in Brasilien, Laura Poitras, die neben Greenwald als erste die NSA- Dokumente zugespielt bekam. Ihr Film über Snowden, Citizenfour, erhielt 2022 den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig. Wir sehen Julian Assange und die Journalistin Sarah Harrison, eine ehemalige Mitarbeiterin von WikiLeaks, die ihn beraten hat. Sie hat Snowden 2013 auf seiner Flucht von Hongkong nach Moskau begleitet. Eine Aufnahme zeigt den Whistleblower William Binney. Ai Weiwei ist auch dabei, er hat zuvor gemeinsam mit Appelbaum an einem Projekt gearbeitet. Ja, ich hatte plötzlich diese heiße Kartoffel in der Hand. Ich habe sie aber nicht fallen gelassen.
HL: Der Ausgangspunkt der ersten drei Ausstellungen war das digitale Datenuniversum. Die Kunstwerke selbst sind in „analogen“ Medien ausgeführt. Wie kam es zu diesem Schritt, von der Medienkunst zurück zu den eher klassischen Formaten?
LB: Ich habe danach tatsächlich wieder mehrere Ausstellungen mit Medienkunst gezeigt. Aber die Entscheidung, mich mit Politik und Kunst zu beschäftigen, war getroffen. Ich komme wie gesagt aus der Medienkunst und es war tatsächlich keine besonders gute Idee, die Digitalkunst in die zeitgenössische Kunstwelt bringen zu wollen. Kaum jemand hat sich dafür interessiert. Mit der Covid-Pandemie setzte der Hype um NFTs ein. Non-Fungible-Token (Anm.: nicht-austauschbare Wertmarken) haben mit Digitalkunst aber überhaupt nichts zu tun. Das war reine Spekulation. Das Positive daran war aber, dass sich die Aufmerksamkeit von Sammlern und Institutionen auf die digitale Kunst zu richten begann. Der Hype um die NFTs war ja auch sehr schnell wieder vorbei, das Interesse an digitaler Kunst hält aber an, wenngleich sie auch nur eine wirklich sehr kleine Nische besetzt. Ich habe versucht, den Fuß in diese Türe zu bekommen, das hat aber nicht richtig funktioniert.
HL: 2017 folgte eine Gruppenausstellung mit Künstler*innen, die einen investigativen, forensischen und dokumentarischen Arbeitsansatz verfolgen und auf der Suche nach Wahrheit, Beweise aus komplexen sozialen Systemen offenlegen. Dabei ging es um nicht weniger als die Geopolitik nach 9/11: die Aushöhlung von Bürger*innenrechten, und humanitäre wie ökologische Desaster.
LB: Diese Ausstellung, Evidentiary Realism, wurde von Paolo Chirio kuratiert, dem ich ewig dafür dankbar sein werde. Die Identität der Galerie stützt sich bis heute auf diese Ausstellung. Paolo hat damals Künstler*innen der Galerie mit etablierten Namen wie Harun Farocki, Hans Haacke, Mark Lombardi oder Eyal Weizman in Verbindung gebracht. Die Ausstellung ging später auch nach New York, wo sie in der Friedman Gallery gezeigt wurde. In Berlin war ich mit der Galerie zu diesem Zeitpunkt schon von Friedrichshain nach Kreuzberg umgezogen. 2020 eröffnete NOME dann an der heutigen Adresse in der Potsdamer Straße.
HL: Nach welchen Kriterien wählst du die Künstler*innen für dein Programm aus?
LB: Mich interessieren Künstler*innen, die sich auf die eine oder andere Weise mit der aktuellen Verfasstheit unserer Gesellschaft und mit Politik auseinandersetzen. Im Grunde genommen sind es forschungsorientierte Künstler*innen. Konzeptkünstler*innen. Ich komme aus keiner Galeristen- oder Sammlerfamilie. Es ist ein sehr komplexes Geschäft, und nach zehn Jahren würde ich noch immer behaupten, dass es über Learning by Doing funktioniert. Fast immer werde ich von Künstler*innen auf jemanden aufmerksam gemacht, wie zum Beispiel auf Kameelah Janan Rasheed. Paolo Cirio hatte mir von ihr erzählt. Auf ihre Ausstellung bei NOME 2018 folgten schnell Solos in den Kunst-Werken (KW), am Art Institute of Chicago und Nominierungen für Preise. Im Oktober wird sie an einer Ausstellung im Palais de Tokyo in Paris teilnehmen. Kameelah ist eine leidenschaftliche Sammlerin von Typographien. Erst vor Kurzem hat sie beim Lesen ein eigenartiges Aufmerksamkeitsdefizit festgestellt. Wenn aber jeder Buchstabe in einer anderen Typo gesetzt ist, funktioniert ihre Konzentration viel besser. Sie hat ein riesiges Archiv unterschiedlicher Schriften, die sie abfotografiert und aus denen sie für ihre Arbeit Buchstaben, Wörter oder Phrasen collagiert. Sie hat damals sehr viel mit Kopiergeräten gearbeitet, heute macht sie Videos, aber auch Siebdrucke und sie hat zu malen begonnen.
HL: Inwieweit bist du in die Entwicklung neuer Arbeiten der Künstler*innen involviert.
LB: Die Diskussionen im Vorfeld einer neuen Produktion ist zweifellos der spannendste Aspekt meiner Arbeit als Galerist. Natürlich ist die Beziehung nicht zu allen Künstler*innen gleich intensiv und ich bin auch kein Künstler. Die Entscheidungen treffen sie letztlich selbst. Ich unterstütze die Produktionen finanziell und bin für Kontakte, Netzwerke und den Verkauf verantwortlich. Am Ende des Tages ist eine Galerie ein kommerzielles Unternehmen, das Umsätze generieren muss.
HL: Man hört ja oft, dass Berlin lediglich dem Prestige von Galerien dient, die Geschäfte aber anderswo gemacht werden. Auf Messen zu Beispiel.
LB: Ich habe in Berlin ein paar wenige Sammler und natürlich muss ich an diesen unglaublich teuren Messen teilnehmen. Alleine 2019 waren es sechs. Man kann sich dieser Aufmerksamkeit auch nicht verweigern. Ich mag Messen eigentlich sehr gerne, sie erinnern mich an Casinos: Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du. Und auch hier gilt die Regel: Das Casino gewinnt immer. Für eine kleine Galerie sind zehn- oder zwanzigtausend Euro Verlust schnell tödlich. Wenn es zwei oder dreimal hintereinander nicht läuft, ist Schluss. Die Situation ist aktuell auch sehr angespannt. Wir sehen, wie sich das Kapital in fast allen Branchen an der Spitze konzentriert, mittelständische Unternehmen werden verdrängt. Die großen Player machen 80 % des Umsatzes aus. Das gilt auch für die Kunstwelt und natürlich auch für die Kunstmessen. Dieses Jahr werde ich nur an ein bis zwei Messen teilnehmen und mich dabei auf die Spitzen konzentrieren und auf die Sammler, die unsere Arbeit schätzen.
Aber wenn ich von harten Zeiten spreche, muss ich das relativieren. Galeristen sind sehr privilegierte Menschen, die gesamte Kunstwelt ist eine privilegierte Blase. Also, ich meine, wenn ich Leute jammern höre, wie schlecht es um den Markt steht, muss ich doch daran erinnern, dass wir in einem Luxussegment tätig sind. Wir sollten uns nicht allzu laut beschweren. Nee. Aber klar, die Zukunft sieht gerade nicht gut aus für die Galerien. Es gibt diese weltweiten Unsicherheiten und Sammler geben weniger leichtfertig Geld aus, das ist offensichtlich. Aber noch etwas beobachte ich, und zwar eine größere Freiheit, politische Kunst in kommerziellen Galerien zu präsentieren als in Institutionen. Seit dem 7. Oktober 2023, hat sich das radikal verändert.
HL: Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe spricht von einem agonistischen Pluralismus, der nur möglich ist, wenn Dissens nicht unterdrückt, sondern institutionell ermöglicht und kanalisiert wird. Die Verunsicherung, wie Dissens institutionell abgesichert werden kann, ist gerade groß.
LB: Nimm zum Beispiel diese Arbeit hier von Cian Dayrit (siehe Aufmacherbild). Seine Kunstwerke sind Gegenkartografien, die enthüllen, wie Geografie systematisch als Kontrollinstrument eingesetzt wird. Das Krokodil versinnbildlicht die korrupten philippinischen Politiker*innen. Der Künstler hat die Statue verbrannt und dann diese kleinen roten Stoffflecken darauf appliziert. In der philippinischen Kultur werden sie auf die Kleidung Neugeborener genäht, um sie vor allen möglichen Geistern zu schützen. Das Werk ist wie ein Zauber gegen den Faschismus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Skulptur aktuell in keiner deutschen Kulturinstitution aufgestellt werden würde, aber hier steht sie. Galerien unterliegen dem Druck des Marktes, ja. Aber sie unterliegen viel weniger dem Druck der Politik als die Institutionen.
NOME
Potsdamer Str. 72
10785 Berlin
https://nomegallery.com/
Öffnungszeiten:
Dienstag–Samstag, 13–18 Uhr