Im Atelier von Maria Anwander leuchtet den Besuchenden unübersehbar eine Neonschrift entgegen: NOT ALL ART WILL GO DOWN IN HISTORY (nicht jede Kunst wird in die Geschichte eingehen). Gemeint ist das als Kontrapunkt zu Maurizio Nannucci’s Arbeit ALL ART HAS BEEN CONTEMPORARY (jede Kunst war einmal zeitgenössisch). Im Zusammenspiel lassen sich beide Aussagen so verstehen: Nicht alles, was künstlerisch produziert wurde und wird, wird irgendwann einmal in die Kunstgeschichte eingehen, aber dennoch hat jede künstlerische Produktion ihre Berechtigung, ihren Wert und trägt ihren jeweiligen Anteil bei zum Bestehen einer gelingenden Gesellschaft. Dabei wird aber bereits stillschweigend etwas vorausgesetzt: Für jede Form der Kunstproduktion braucht es Räume zum Arbeiten, und wenn Räume verschwinden, verschwindet die Kunst auch, noch bevor sie überhaupt die Chance bekommen hat, in die Geschichte einzugehen. Kunst verschwindet dann aus der Stadt, der Nachbarschaft, der Gesellschaft.
Maria Anwander ist Künstlerin und Mieterin eines Ateliers in der Wilsnacker Straße 62 in Berlin Moabit. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Skulptur, konzeptueller Kunst und partizipatorischen Arbeiten im öffentlichen Raum. Wie viele andere Berliner Künstler*innen blickt sie in eine ungewisse Zukunft. Eventuell verliert sie ihr Atelier Ende Oktober 2026, das sie mit Unterstützung des Arbeitsraumprogramms des Senats mietet. Bislang wurde der Hauptmietvertrag regelmäßig verlängert, nun scheint es, als würde die Kulturverwaltung viele der bislang bestehenden Verträge auslaufen lassen, um so Einsparungen vornehmen zu können. Aber was wird dann aus Maria Anwanders täglichem Tun als Künstlerin, was wird aus ihren Arbeiten?

Das Haus, in dem sich Anwanders Atelier befindet, hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich: 1881 errichtet als Badehaus, 1894 zu einer privaten Höheren Mädchenschule umgebaut, während des Nationalsozialismus zu Wohnzwecken umfunktioniert. 1980, inzwischen in einem mehr als unbenutzbaren Zustand, entkam das Gebäude nur knapp dem Abriss, indem es zur erhaltenswerten Bausubstanz erklärt wurde und aus Mitteln des Bau- und Wohnungswesens wieder instandgesetzt wurde. Dann, 1983, entstand schließlich die Idee eines Atelierhauses, ausgehend von einer Gruppe befreundeter junger Künstler*innen, damals noch Studierende von K. H. Hödicke. Ins Erdgeschoss zog ein Kinderladen ein, im 1. und 2. Stockwerk entstanden fünf Ateliers mit jeweils einer dazugehörigen Wohneinheit. Im Laufe der 1990er Jahre wurden die meisten Räume schließlich in das inzwischen entstandene Arbeitsraumprogramm des Bundes Bildender Künstler (bbk berlin) überführt. Von der Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) als Hauptmieter wird das Haus seitdem verwaltet und an Künstler*innen untervermietet. Derzeit gibt es im Gebäude ein Wohnatelier und sieben Atelierräume, eines davon gemietet von Maria Anwander, zusammen mit ihrem Partner Ruben Aubrecht.

Maria Anwander zeigt mir ihre Serie „In the studio“ aus 128 Dias, entstanden zwischen 2017 und 2020. Auf den Fotos sieht man sie an unterschiedlichen Stellen im Atelier stehen, sitzen, hocken und liegen, umgeben von Materialien, Arbeitstisch und Arbeiten im Prozess. Nur die Bildunterschriften weisen darauf hin, was Maria Anwander gerade tut: „Telepathically trying to make Ralph Rugoff show my works at the Biennale“ oder „Telepathically trying to make Egidio Marzona support my work“. In dieser Fotoserie thematisiert sie die Arbeit von Künstler*innen, die von der breiten Öffentlichkeit oft unterschätzt wird. Sie treibt den Akt des „Nichtstuns“ auf die Spitze und persifliert ihre eigene Tätigkeit als Künstlerin, in dem sie vorgibt auf gedanklicher Ebene von ihrem Raum aus Kontakt mit einflussreichen Personen der Kunstszene aufzunehmen, um somit das Betriebssystem Kunst zu beeinflussen. Es ist oft ein gut gehütetes Geheimnis, welche Taktiken und Strategien Künstler*innen anwenden, um ihre Karriere voranzutreiben. Die Arbeit von Maria Anwander ist in diesem Zusammenhang offenherzig und ehrlich, ein gesellschaftlicher Regelbruch, mit dem sie sich auch als Privatperson angreifbar macht.


Für Maria Anwander ist ihr Atelier Denk- und Produktionsraum, Lager und eben auch, wie in der erwähnten Arbeit, immer wieder Hauptprotagonist ihrer Arbeiten. Aufgewachsen in Bregenz in Österreich, Kunststudium an der Akademie in Wien. Berlin schien anschließend ein folgerichtiger Schluss: günstige Mieten, eine lebhafte und diverse Kunstszene und vor allem viel Freiraum zum Gestalten. Das Arbeitsraumprogramm war dabei mit ein Grund für die Entscheidung hierher zu ziehen. Seit 2010 ist sie in der Stadt, das Atelier hat sie seit 2016, da war sie gerade Mutter geworden. Das Arbeitsraumprogramm ist ein von der Kulturverwaltung des Landes Berlin und den Künstler*innen finanziertes Anmietprogramm zur Vergabe geförderter, mietpreis- und belegungsgebundener Ateliers und Atelierwohnungen. Es wurde angesichts von Mietsteigerungen und Immobilienspekulationen in den 1990ern von Künstler*innen erkämpft und mit Unterstützung des bbk berlin institutionalisiert. Denn so wie es nach dem Mauerbau durch Wegzug einiges an Leerstand in West-Berlin gab, so stiegen nach dem Fall der Mauer die Mieten und Immobilienpreise in Berlin sprunghaft an. Damals setzte der bbk berlin die erste systematische Atelierförderung in Berlin, und in Deutschland überhaupt, durch. Umgesetzt wird die Vergabe heute vom Atelierbüro im Kulturwerk des bbk berlin. Dabei werden die Räume über eine vom Senat berufene Auswahlkommission nach Kriterien der Professionalität sowie beruflichen und sozialen Dringlichkeit vergeben. Die GSE sowie die Kulturraum gGmbH mietet für Ateliers geeignete Flächen an, sowohl von privaten Eigentümern als auch aus dem Treuhandvermögen, diese werden vom Atelierbüro mitentwickelt und ausgeschrieben. Ein mehrheitlich aus Künstler*innen bestehender Atelierbeirat entscheidet anschließend über die Vergabe. Für ein Atelier zahlen Künstler*innen je nach Einkommen 4,90 Euro oder 6,50 Euro pro Quadratmeter bruttowarm, der Rest wird aus dem Berliner Kulturhaushalt ausgeglichen. Die Atelierswerden jeweils für die Dauer von zwei Jahren an Künstler*innen untervermietet, dann findet eine Einkommensüberprüfung statt – wer zu viel verdient, verliert den Anspruch und muss ausziehen. Bislang wurden diese Verträge – sofern das Einkommen nicht zu hoch ist – regelmäßig verlängert.
Doch nun ist es nicht mehr sicher, wie es mit Maria Anwanders Atelier und 367 anderen Ateliers weitergeht. Der Nachtragshaushalt von Ende 2024 reduzierte das Arbeitsraumprogramm bereits um die Hälfte seiner Mittel. Dies soll für den Haushalt 2026/27 fortgeschrieben werden. Die Absicherung von insgesamt 28 Atelierhäusern steht dadurch auf dem Spiel. Manche dieser Räume haben eine Mietvereinbarung seit den 1990er-Jahren und sind dementsprechend kostengünstig. Absurderweise würden also gerade diejenigen Atelierstandorte verloren gehen, die die Stadt am wenigsten kosten. Auch die Standorte in landeseigenen Immobilien könnten aus dem Programm fallen und deutlich teurer werden. Darüber hinaus wird langfristig geplant, auch den übrigen Bestand an Atelierräumen zur Kosten- oder Marktmiete an neue Zielgruppen zu vermieten. Ausstattungsstandards sollen reduziert und eine Verkleinerung oder Mehrfachnutzung der Räumlichkeiten in Erwägung gezogen werden. Wenn die Maßnahmen umgesetzt werden, wird diese Reorientierung auch zu einer Verdrängung der Atelierstandorte führen, die noch nicht akut bedroht sind. Aus diesem Grund hat sich Maria Anwander gemeinsam mit ihren direkten Ateliernachbar*innen sowie den Künstler*innen der anderen bedrohten Häuser zusammengetan und eine Petition gestartet: #saveourstudiosberlin. Darin beziehen sich die Absender*innen auf die kulturpolitische Verpflichtung des Landes Berlin: So sei die Förderung von Kunst und Kultur eine Aufgabe des Landes, und die geförderten Atelier-, Arbeits- und Proberäume Berlins seien in dem Zusammenhang seit Jahrzehnten ein wichtiges Instrument zur Umsetzung dieser Verpflichtungen. Eine Reduzierung oder Auflösung dieser Strukturen würde einen massiven Verlust an kultureller Infrastruktur bedeuten. Geförderte Ateliers erfüllten zudem eine Aufgabe von übergeordnetem öffentlichen Interesse, denn sie trügen dazu bei, künstlerische Arbeitsprozesse jenseits der Zwänge des Marktes zu ermöglichen. Durch die Einbindung von Ateliers in den Stadtraum würden Atelierstandorte auch stabilisierend in sich verändernden Quartieren wirken, und sie trügen zur sozialen Durchmischung bei. Ihr Wegfall würde nicht nur die künstlerische Produktion gefährden, sondern auch die kulturelle Attraktivität und Standortqualität Berlins nachhaltig schwächen.

Berlin, ein seit Jahrzehnten international anerkanntes Zentrum für Kunst und Kultur, droht in der Tat sich zu verändern. Immer häufiger hört man von Künstler*innen, die wegziehen, viele ins Berliner Umland, andere verlassen gar Deutschland. Prognostiziert wurde das bereits vor vielen Jahren. Nach Erhebungen des bbk berlin leben und arbeiten aktuell um die 10.000 freie Künstler*innen in der Stadt. Von diesen 10.000 verdienen jedoch nur zwei bis vier Prozent akzeptabel auf dem Kunstmarkt. 73% der Künstler*innen geben an, monatlich maximal 1.500 Euro zur Verfügung zu haben. 49% bewegen sich in der Spanne bis 1000 Euro. Insofern müssen die meisten Künstler*innen mit einem Einkommen zurechtkommen, das nur ein Drittel des Durchschnittseinkommens der abhängig Beschäftigten beträgt – außerdem sind die Einkommen stark schwankend. Solch ein Einkommen reicht nicht aus, um Gewerberäume zu Marktmieten zu bezahlen. Zudem haben die im laufenden Jahr umgesetzten Kürzungen im Kulturetat die finanzielle Situation bereits maßgeblich verschlechtert, viele Projektgelder wurden gestrichen, Lehraufträge an Hochschulen sind weggefallen.
Auch Maria Anwanders finanzielle Situation ist schwankend, mal ausreichend, dann wieder sehr schwierig. Zudem belaste sie die unsichere Situation, ob und in welcher Form das Atelier weiter bestehen wird. Manchmal überlege sie bereits, weiter zu ziehen. Aber, das betont sie, sie sehe das Atelierprogramm auf keinen Fall als selbstverständlich an. Wie viele der ansässigen Künstler*innen arbeite sie tagtäglich nicht nur an der Weiterentwicklung der eigenen Kunst, sondern engagiere sich ehrenamtlich in bezirklichen Bildungseinrichtungen, stelle neben Museen auch in nichtkommerziell geführten Projekträumen aus, lehre immer wieder an (Kunsthoch-) Schulen oder gebe dort Workshops. Sie sagt, Künstler*innen leisteten durch die öffentliche, zumeist kostenfrei zugängliche Präsentation ihrer Werke einen umfassenden Beitrag zu Bildung und Freizeitgestaltung von Stadtbevölkerung und Besucher*innen. Das Arbeitsraumprogramm hat dazu beigetragen, gewachsene Infrastrukturen für die Kunst zu sichern in einer Stadt, die sich durch sukzessive Wellen von Gentrifizierung weiterhin rasant ändert. Heute ist die Atelierförderung notwendiger denn je, denn die Sicherstellung bezahlbarer Produktionsstätten für Bildende Kunst ist Voraussetzung dafür, dass Berlin internationale Metropole der Bildenden Kunst ist und bleibt.

Zuletzt zeigt Maria Anwander noch zwei weitere Arbeiten. #sculpture besteht aus mehreren Kartons und Schachteln, wurde für ein Open Studio hier im Atelier installiert, kann jedoch flexibel an verschiedene Ausstellungskontexte angepasst werden. Der Neonschriftzug erklärt die Objekte zur Skulptur. Die Arbeit wirkt wie ein visualisierter Zwischenzustand: hier ist jemand im Kommen oder im Gehen, im Aufbauen oder Abbauen. Die andere Arbeit No Masterpieces, Only Works wirkt auf den ersten Blick ähnlich. Ein beschriftetes Blatt hängt neben umgedrehten Leinwänden und Kartons. Befinden sich die Arbeiten im Aufbau oder im Abbau? Was versteckt sich auf der anderen Seite der Leinwand, was in den Kartons? Eine Einsicht drängt sich aber, angeleitet durch den Titel der Arbeit, geradezu auf: Ideen fallen nicht vom Himmel, wie es vom Schöpfungsprozess sogenannter Meisterwerke gerne angenommen wird, Kunst will und muss erarbeitet werden – „Keine Meisterwerke, einfach nur arbeiten“. Maria Anwander, die zurzeit in Berlin lebt und arbeitet, möchte auch gerne weiterhin genau das tun: einfach nur arbeiten.

Maria Anwander
Die in Bregenz geborene Konzeptkünstlerin Maria Anwander lebt in Berlin, sie studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien Medienkunst und Bildhauerei, an der Universität Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Zuletzt waren ihre Arbeiten 2025 im Kunstmuseum Liechtenstein zu sehen sowie 2024 in der National Gallery of North Macedonia und der Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten in Berlin-Moabit. Neben Auslandsstipendien in New York, Paris, Bilbao, Los Angeles und Mexico City wurde ihr Werk unter anderem mit dem Dorothea-Erxleben-Stipendium (2017), dem Förderpreis der Klocker Stiftung (2019) sowie mit dem Stipendium der Stiftung Kunstfonds (2025) ausgezeichnet.
