Vor 32 Jahren eröffnete in der Akademie der Künste Berlin (West) im Hanseatenweg die Ausstellung Das Verborgene Museum. Gezeigt wurden Kunstwerke von Frauen, die meist in den Depots der Berliner Kunstmuseen lagern – und dadurch weitestgehend verborgen sind. Für die Dauer von zwei Monaten entstand ein imaginäres Museum der Kunst von Frauen bestückt mit Gemälden, Grafiken, Plastiken und Objekten. Der Ausstellung voraus ging ein zweijähriger Forschungsprozess, in dem die Mitglieder der Arbeitsgruppe der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst in den Sammlungen von zehn Berliner Museen recherchierten und die sich dort befindenden Künstlerinnen aus der Unsichtbarkeit hervorholten. Die Bestandsaufnahme dokumentierte Kunst vom 16. bis ins späte 20. Jahrhundert und wurde von einem zweiten Teil ergänzt, in dem nur zeitgenössische Künstlerinnen gezeigt wurden (unter ihnen auch die Initiatorinnen Gisela Breitling und Evelyn Kuwertz). Deutlich wurde bei dieser Recherche vor allem das ungleiche Geschlechterverhältnis. So heißt es in der damaligen Pressemitteilung: „Nachlässigkeit und Desinteresse beweisen einmal mehr, wie sehr von männlicher Parteilichkeit bestimmt ist, was sich als universell-menschliches kulturelles Erbe ausgibt: von den 1.500 Bildern in der Gemäldegalerie Dahlem stammen nur 12 Bilder von Frauen.“ In Form der Ausstellung und eines Kataloges, in dem die Biografien und Informationen zu den Künstlerinnen versammelt waren, wurde versucht, der Unsichtbarkeit der Künstlerinnen entgegenzuwirken. Um das Material weiter zu nutzen und zu ergänzen gründete sich noch vor Ausstellungseröffnung 1986 ein Verein. Die Idee war das Projekt zu verstetigen und das gelang auch. In den Schlüterstraße 70 in Charlottenburg fanden sich im Hinterhaus Räume, in denen das Das Verborgene Museum ein Jahr später seine Arbeit aufnahm und bis heute aktiv ist. Marion Beckers, Geschäftsführerin und Chefkuratorin, hebt im Gespräch hervor, wie politisch der damalige Ansatz war: „Eine reine Künstlerinnen-Ausstellung zu machen, war ein Politikum. Den Museen den Spiegel vorzuhalten und zu fragen, warum diese Kunst nicht öffentlich gezeigt wird, war ein Affront. Einige Bilder waren ziemlich kaputt – über sie ist der ‚Sturm der Zeit‘ im Depot hinweggegangen. zum Teil hat man gar nicht gewusst, was man hat.“
Bei der Frage, ob sich seitdem was verändert hat, ist sie jedoch skeptisch. „Meine Vermutung ist, dass die erhöhte Präsenz von Frauen auch darauf zurückzuführen ist, dass die Museen immer weniger Geld zur Verfügung haben und es eine günstige Alternative ist, ins Archiv zu schauen und diese Positionen wiederzuentdecken. Es ist eine Aufgabe, an der man immer weiter arbeiten muss. Am Anfang dachten wir, nach zwanzig Jahren hat sich unser Anspruch erübrigt, aber heute sehen wir, dass wir eigentlich erst am Anfang stehe.“ [1] Viele der damaligen Forderungen wie eine ständige Sonderausstellung mit Arbeiten von Künstlerinnen oder Quotenregelungen für öffentliche Ankäufe sind jedenfalls nicht umgesetzt worden.
Ausstellungsansicht, Foto: Anna-Lena Wenzel
Die Alte Nationalgalerie war eine der untersuchten Institutionen. In der Ausstellung mit dem Titel Kampf um Sichtbarkeit – Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919 greifen die Kurator*innen das Thema auf und zeigen Künstlerinnen aus der eigenen Sammlung, die „es trotz aller Widrigkeiten in die Kunstöffentlichkeit geschafft und Eingang in die Sammlung der Nationalgalerie gefunden haben“, heißt es in der Presseankündigung. In der Ausstellung sind über 60 malerische und bildhauerische Werke von Künstlerinnen aus 140 Schaffensjahren zu sehen, die alle vor 1919 entstanden sind. Während einige wenige von ihnen Teil der Dauerausstellung sind (wie Caroline Bardua, Elisabeth Jerichau-Baumann oder Dora Hitz), ist der Großteil der Arbeiten noch nie in den Räumen auf der Museumsinsel präsentiert worden. Die Ausstellung möchte dementsprechend „eine Revision der eigenen Sammlung unter dem wichtigen Aspekt heutiger Diskurse um Gleichberechtigung“ anstoßen. Ob das wirklich gelingt, wird sich jedoch erst im Anschluss zeigen – wenn einige der ausgestellten Werke in die Dauerausstellung übernommen werden. Immerhin wurden zahlreiche Werke im Zuge der Ausstellung restauriert und neu gerahmt, was eine gute Grundlage für fortgesetzte Sichtbarkeit darstellt.
Als Aufhänger der Ausstellung fungiert das Jahr 1919 – in dem die ersten Frauen ihr reguläres Studium an der Berliner Kunstakademie aufnehmen und das erste Mal ihr Wahlrecht ausüben konnten. In sieben Kapitel wird das Thema in unterschiedliche Richtungen aufgefächert, unter anderem geht es um den Kampf um Gleichberechtigung wie er an den Akademien und dem Kunstfeld ausgefochten wurde, um Sammlungskonzepte der Museen oder um die Gründe für das Unsichtbarwerden. Unter dem Untertitel verschollen – verloren – vergessen werden verschiedene Gründe angeführt: zunächst sind viele der Künstlerinnen nur namentlich greifbar, ihre Biografien sind jedoch in Vergessenheit geraten. Ein weiter Grund ist, dass zwar Kunstwerke angekauft wurden, aber niemals in der Nationalgalerie gezeigt wurden, weil „sie zur Ausstattung von Amtsräumen unmittelbar an öffentliche Stellen verliehen [wurden].“ Der Zweite Weltkrieg führte vielfach zum völligen Verlust der Werke, wenn diese nicht bereits vorher als „entartete Kunst“ beschlagnahmt worden waren.
Schaut man sich die Provenienzen der Kunstwerke an, ist auffällig, dass es neben direkten Ankäufen aus Ausstellungen wie der Großen Berliner Kunstausstellung oder der Juryfreien Kunstschau Berlin viele Schenkungen der Künstlerinnen oder ihrer Nachfahren gibt. Man kann dies als Versuch lesen, selber für die eigene Sichtbarkeit zu sorgen. Doch auch wenn man es in die Sammlung geschafft hatte, hieß das noch lange nicht, dass man auch ausgestellt wurde. Zwei Original-Briefe von Paula Monjé an den Direktor der Nationalgalerie, in denen sie darum bittet, ihre Kunstwerke auch auszustellen, belegen, dass der Kampf um Sichtbarkeit auf vielen verschiedenen Ebenen stattfand. Auch die Tatsache, dass die Künstlerin durchaus positive Resonanzen auf ihre Kunstwerke bekam, konnte nichts gegen ein Sammlungskonzept ausrichten, das der Rolle von Künstlerinnen kein besonderes Augenmerk zu schenken bereit war.
Obwohl es hier um den historischen Kampf um Sichtbarkeit geht, wird deutlich, dass dieser Kampf noch lange nicht vorbei ist. Bei einer Diskussionsveranstaltung von Gender Pay und Gender Show-Gap in der Bildenden Kunst, die der berufsverband bildender künstler*innen berlin (bbk) im September 2019 veranstaltet hat und die man online komplett nachhören kann, geht es um ebendiese Fragen: Wie kann die Präsenz von Frauen in öffentlichen Sammlungen erhöht werden? Unter anderem werden folgende Forderungen diskutiert: 1. Politische und administrative Vorgaben einer Genderbudgetierung in der Bereitstellung von Ankaufsmitteln für die Bildende Kunst. 2. Gezielte Museumsankäufe von Werken von Künstlerinnen, um das bestehende Ungleichgewicht auszugleichen. 3. Die Arbeit der großen Museen und Ausstellungseinrichtungen muss unter der Perspektive der gleichberechtigten Förderung von Künstlerinnen betrachtet und verändert werden. Institutionen sollten Statistiken und Bilanzen über ihre Ausstellungs- und Ankaufspolitik hinsichtlich der Förderung von Künstlerinnen veröffentlichen, um den öffentlichen Druck auf diese Institutionen zu erhöhen.
Es sieht so aus, als gäbe es immer noch viel zu tun.
[1] Gespräch der Autorin mit Marion Beckers, Juni 2015, https://archiv.ngbk.de/projekte/das-verborgene-museum/
Museumsinsel Berlin, Alte Nationalgalerie
Bodestr. 1-3, 10178 Berlin-Mitte
11. Oktober 2019 – 8. März 2020