Marina Naprushkina

Marina Naprushkina, geboren in Minsk/Belarus lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Künstlerin, hat an der Frankfurter Städelschule studiert, unterrichtet an der Weissensee Kunsthochschule/Berlin und stellt international aus. Sie hat verschiedene Initiativen gegründet, wie die Neue Nachbarschaft/Moabit, Refugees Library, oder das Büro für Antipropaganda. Aktuell leitet sie "institutions extended" für den Fachbereich Kunst und Kultur in Mitte.

Du kannst mich aufbrauchen. Was kommt als nächstes?„Technik, Technik, bei mir läuft vieles intuitiv. Und Erfahrung, auf die ich zurückgreife, kann auch langweilig sein.“

24.03.2020
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"Lebt und arbeitet in Berlin" ist unsere neue Reihe, in der Künstler*innen miteinander sprechen. Das Format wechselt zwischen verschiedenen Genres, die die Künstler*innen jeweils wählen. Die Reihe ist Teil des Projekts Institutions Extended. Für diese Ausgabe unterhalten sich der Dichter und Musikdramaturg Christian Filips und die Schauspielerin Susanne Bredehöft.

Filips: Susanne! Ich will dich nicht fragen, wie das alles angefangen hat, mit der Kunst, dem Theater und deiner Karriere als Filmstar im Tatort, bei Tykwer, Schlingensief und all den anderen, die du beschenkt hast mit deinem Spiel. Ich habe auch gar keine Distanz zu dir, wir kennen uns ja intim.

Bredehöft: Ja, lassen wir das mit den üblichen Fragen. Ich habe gar keinen wirklich aktiven künstlerischen Motor außerhalb des Spielens. Und auch da bin ich anpassungsfähig. Ein grausames Schicksal. Ich bin zurzeit leer.

Filips: Wenn es uns gelingt, Intimität und Metaphysik nicht zu verleugnen, dann geht es vielleicht doch, Frau Bredehöft.

Bredehöft: Intim kann ich immer. Vielleicht nur über Sex reden? Sei umarmt. Schluchz.

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Sämtliche Bilder sind Stills aus dem Video „Kommt, Ihr kleinen Krabben!“ (2018, Berlin Westhafen) ©Christian Filips

Filips: Nicht weinen. Dargestellt, ist das Authentische ja auch immer nur Metapher. Ist Sex nicht das, was immer fehlt? War der wirklich je da? Ich bin mir nämlich nicht so sicher, ob er je da war. Kann mich nicht erinnern. Bei dir sehe ich in jeder Geste auf der Bühne dieses exzessive Sehnen, das weiß: „Etwas fehlt“. Und es muss alles ganz anders werden. Da ist nie Wehleid, sondern die Bereitschaft dazu, dass es gleich alles ganz anders werden kann! Vom Anderen her. Eine ewige Vorfreude, die den Schmerz nicht verleugnet. Und wenn wieder mal nichts kommt, hat man sich wenigstens vorher gefreut.

Bredehöft: Ja, mir ist Gott erschienen. Da habe ich ab sofort nicht mehr am Daumen gelutscht. Aber praktisch wurde ich nicht wiedergeliebt. Das Blut, die Stoppeln, Blasenentzündungen wurden mir auf Dauer zu lästig. Ich praktiziere Marktschreierei, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Ich weiß, du bist jetzt enttäuscht, und erwartest mehr Humor in der Sache.

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Filips: Oh nein, ich bin gar nicht enttäuscht. Humor ist eine sehr ernste Sache. Gott höchstselbst! War er die Kindheit? Hast du von deinem Daumen abgelassen und danach gleich an Gott gelutscht? Vom Säuglingsalter direkt in die Pubertät. Bald senil? Und warum hat Gott die Liebe nicht beantwortet, der Idiot?

Bredehöft: Gott hatte sich verkleidet – und ich mich auch. Die ersten Schritte meiner Schauspielkarriere. Ich spielte die Salondame im Gewand der blutjungen Elevin oder umgekehrt. Natürlich nackt. Und Gott war ein toller Mime. Wir verwechselten aber oft die Genres, so wussten wir nicht aus noch ein. Ich glaube, Gott hat es nicht gefallen. wenn mich seine penetranten Monologe langweilten. Da habe ich mir erst mal Zigaretten eingesteckt. Ich muss gerade an Simone Signoret denken. Und schon wieder an Gottes Daumen, dem ich huldige.

Filips: Gretchenfrage: E-Zigaretten, IQOS-Tabakerhitzer, die guten alten Ziesen oder rauchfrei? An was glauben Sie, Frau Simone? Was raucht die autonome Jazz-Sängerin von heute, um sich vor Gottes Phallus und seinen ewigen Monologen zu behaupten?

Bredehöft: Oh, ich muss mir erst eine anzünden, um nachzudenken. Aaaah! Das ist ja der Widerspruch: Autonomie, Abhängigkeit. Du kannst dir bestimmt vorstellen, wie mich das beunruhigt. Mit Gott ist es am Schönsten mit Gras, da wird zusammen geweidet und alles andere vergessen. Bis die Wiesen völlig abgegrast sind. Gott wird enthauptet. Christian, ich stehe jetzt im Stall, es ist Winter, es gibt Heu, und Gott ist tot. Ich bin Rosinante, das sprechende Pferd.

Filips: War Gott auch ein Raucher, als er noch lebte? Und sind Sie jetzt, wo er tot ist, weniger abhängig? Oder bleibt das Problem mit der Autonomie weiterhin bestehen?

Bredehöft: Gott war starker Raucher. Meine Abhängigkeit hat sich gesteigert, da ich immer noch seinen Tabak verrauche. Aber ich mische ihn. Es gibt Rezepturen, die ich geradezu ausstoße. Das sprechende Pferd qualmt dann aus den Nüstern. Das erschreckt einige. Es verpestet ihre Duftbäumchen und andere tanzen im Rauch. Darin erscheinen neue Götter, die mir Feuer geben. Und in Flammen galoppiere ich aus dem Stall, da stoppt mich nicht die Wiese, um abzugrasen, und über die Daumen springe ich. So anziehend sie auch sind. Etwas schmerzlich, aber dann fange ich wieder infantil an, daran zu saugen und zu lutschen. Ist die Frage der Autonomie beantwortet?

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Filips: Voll und ganz. Welche Rolle spielen Techniken in Ihrem Beruf? Hat sich die Schauspielschule gelohnt? Oder war Ihre Zeit bei Bhagwan entscheidender?

Bredehöft: Ob sich die Schauspielschule gelohnt hat? Mein Dispokredit ist immer am Anschlag. Ja, Technik, Technik, bei mir läuft vieles intuitiv. Und Erfahrung, auf die ich zurückgreife, kann auch langweilig sein. Die dynamische Meditation, die ich dir neulich in Kurzform vorgeführt habe, ist Müllabladen von Zuständen, Phantasie und Irrsinn. Das gefällt mir, ich schmeiße das nicht unbedingt weg. Hauptsache, ich bremse mich nicht ab, und das kann schnell passieren. Das ist immer ein Jonglage. Deswegen brauche ich Leute wie dich.

Filips: Du kannst mich aufbrauchen. Was kommt als nächstes?

Bredehöft: Lieber Christian. Es geht weiter… Leute wie dich… ich hasse das Wort: Leute. Du siezt mich in diesem Interview. Selbst das Wort Mensch, Künstler, Individuum erfasst nicht die Begegnung, auf die ich als Schauspielerin… Oh Gott… Mensch aus bin… um (Om Hahaha )… abzulassen. Ablass nicht als Therapie, sondern als Ansage. Und um Essentielles darzustellen, möglichst übertrieben, im Raum. Den gibt jemand, oder etwas, vor. Spirit. Ich komme aus den Puschen. Im Real Life bin ich zögerlicher. Am besten scheine ich zu sein, wenn ich nichts verstehe. Aber angefixt bin. Du siehst wieder: ich bin abhängig. Und ein Medium. Das ist ein Schauspieler. Oh, Christian wie lange dauert dieses Interview noch – und war ich überhaupt intim? Oder das Schlimmste für meine Zunft: War’s langweilig?

Filips: Ich habe keine Angst vor dem Ungeheuer Langeweile. Schlimmer ist doch das Zukleistern mit Schein-Relevanz. Und glaubst du, hier schaut uns wer zu?

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Gefördert von der Europäische Union – aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und das Land Berlin im Rahmen der Zukunftsinitiative Stadtteil, Programm Sozialer Zusammenhalt

Christian Filips
Lebt als Dichter, Regisseur, Musikdramaturg in Berlin. Studien der Literatur, Philosophie, Musikwissenschaft in Brüssel und Wien. 2001 Rimbaud-Preis des Österreichischen Rundfunks. Seit 2006 Programmleiter der Sing-Akademie zu Berlin. Inszenierungen von Opern, Volkstheaterstücken, sozialen Plastiken u.a. am Haus der Berliner Festspiele. An der Volksbühne inszenierte er 2015 DIE BISMARCK mit Sophie Rois als Reichskanzlerin.

Susanne Bredehöft
Langjähriges Ensemblemitglied am Schauspiel Bonn. Sie gastiert u. a. am Staatstheater Stuttgart, Schauspiel Köln, an der Oper Wuppertal, am Schauspiel Frankfurt, bei den Bad Hersfelder Festspielen, am Ernst Deutsch Theater Hamburg und an der Volksbühne Berlin. Zusammenarbeit u. a. mit den Regisseuren Hansgünther Heyme und Christoph Schlingensief. Fernsehproduktionen u.a. mit Tom Tywker und Helge Schneider.

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