Montagnachmittag im August, 30 Grad, bestes Freibadwetter also. Die Warteschlange am Eingang zum Strandbad Plötzensee ist trotzdem überschaubar. Kaum bin ich drin, stehe ich vor einem großen Infoschild, mit einem Lageplan und einer kurzen Einführung in die Geschichte des Ortes: „Früher war der Plötzensee Militärgelände. Das erste große Schwimmbad am Plötzensee baute dort 1877 der Turnlehrer Wilhelm Auerbach – mit künstlichen Wellen, einem Sprungturm und einem separaten Schwimmbereich für Frauen. […] In den 1920er Jahren wurde das mittlerweile öffentlich geführte Schwimmbad zu einem Erholungsort für die Weddinger Arbeiterschaft und ihre Familien. Sie liebten den Plötzensee: Zu Hochzeiten stiegen die Besucherzahlen des Bades auf 30.000 bis 40.000 Besucher am Tag!“
So viele Besucher*innen sind heute nicht da, auch wenn der Sandstreifen am Strandbad Plötzensee gut gefüllt ist. Hier haben sich Familien ausgebreitet, es wird Beachvolleyball gespielt, ein paar Leute stehen an, um sich bei Monella eine Pizza zu kaufen, während der mit einem Sonnenschutz überdachte Dancefloor noch relativ leer ist. Aber das ändert sich im Laufe des Abends, denn hier kann man bis 23 Uhr abhängen. Noch ein paar weitere Dinge unterscheiden das privat betriebene Bad von anderen Schwimmbädern: die Musik, die ab 15 Uhr im Beachbereich ertönt; die Auswahl an gastronomischen Angeboten und Bars (neben Pizza gibt es Tacos und Pommes) und die Preise: Mit 9 Euro Eintritt ist das Bad deutlich teurer als die öffentlichen Bäder – dafür gibt es jedoch einen vergünstigten Abendtarif. Mit dem abgetrennten Schwimmer- und dem Strandbereich kann man hier beides: Bahnen ziehen und im Wasser planschen.
Ein Herzensprojekt
Das Freibad Plötzensee ist Eigentum der Berliner Bäderbetriebe, wird jedoch privat betrieben. Alle zehn Jahre wird der Pachtvertrag neu ausgeschrieben. 2019 bekam die Nordufer Event GmbH den Zuschlag, die von Michel Verhoeven mit zwei weiteren Gesellschaftern betrieben wird. Verhoeven hat zuvor über 20 Jahre eine Beach-Bar in den Niederlanden betrieben, er kennt sich also aus im Business und bringt sowohl Geschäftstüchtigkeit, hippieskes Improvisationstalent als auch eine gehörige Portion Idealismus mit. Steht man ihm gegenüber, kann man sich seinen funkelnden Augen und seiner Macherenergie nur schwer entziehen. Die trägt dazu bei, dass sich das Bad seit 2019 zu einem umtriebigen Freizeitgestalter gemausert hat, bei dem ständig etwas Neues hinzukommt und ausprobiert wird. So wurde 2023 ein barrierefreier Zugang zum Wasser gelegt und in Kooperation mit dem Unionhilfswerk einmal im Monat ein inklusiver Strandtag eingeführt (nächster Termin: 13. September 2024). Es gibt Freiluftkino, einen Action Parcours und regelmäßige Kulturtage – zuletzt unter dem Motto „Hip-Hop“, inklusive Breakdance Battles und Graffiti-Live-Show. Außerdem wird das Areal für verschiedene Veranstaltungen wie Hochzeiten oder private Feiern vermietet und es gibt Unterpächter wie ein Survival Camp. „Wir sind darauf angewiesen, zusätzliche Einnahmen zu generieren“, sagt der Betreiber, „auch weil die Sommersaison relativ kurz ist.“[1]
Vom Eingang führt ein Weg auf das charakteristische Torgebäude aus Backsteinen zu, von dem eine breite Treppe zum Strand hinunterführt. Es wurde in den 1920er Jahren von den Architekten Johannes und Walter Krüger errichtet und ist heute denkmalgeschützt. Während unten Trubel herrscht und verschiedene gastronomische Angebote die Besucher*innen versorgen, ist im oberen Teil des Geländes wenig los. Es ist weitläufiger, als man vermuten würde, inklusive Wiese, einem kleinen Wäldchen, Funktionsgebäuden und einem abgesperrten Bereich, in dem einige der Betreiber*innen wohnen.
„Eine gute Zeit haben“
Einer von ihnen ist Florian Heep, der neben Michel Verhoeven für den reibungslosen Ablauf und die Programmgestaltung zuständig ist. Er holt mich vor dem Office ab und wir setzen uns in eine von mehreren Bars direkt am Strand. Er ist seit 2022 dabei und ebenfalls 24/7 im Einsatz: „Das ist schon ein ziemlich fordernder Job, bei dem du kein Wochenende hast“, sagt Heep und zündet sich eine Zigarette an. Es gilt über 200 Mitarbeitende – von den Rettungsschwimmern über die Securities, Handwerker*innen und die Gastro-Mitarbeitenden – zu betreuen, das Programm zu organisieren und vor allem, „den Menschen eine gute Zeit zu verschaffen. Dabei versuchen wir den unterschiedlichen Besucher*innen gerecht zu werden – einerseits Beachclub-Atmosphäre zu schaffen und gleichzeitig für Familien attraktiv zu sein, einen FKK-Bereich anzubieten und zugleich kultursensibel damit umzugehen.“
Da die öffentlichen Schwimmbäder immer wieder wegen Übergriffen in die Schlagzeilen kommen, frage ich, wie es hier im Schwimmbad aussieht. „Wir haben damit weniger Probleme, aber auf Security können wir deshalb trotzdem nicht verzichten.“ „Und wie sieht es mit Mitarbeiter*innen aus, die werden ja auch händeringend gesucht?“, hake ich nach. „Auch damit haben wir keine Probleme, die Leute arbeiten gerne hier – auch weil wir uns gut um sie kümmern.“
Jonglieren unterschiedlicher Interessen
Beim Blick auf den Steingarten an der gegenüberliegenden Uferseite, von dem immer wieder Menschen ins Wasser steigen, und die vielen Boote auf dem See, wird klar, dass das Naturidyll ganz schön beansprucht wird. Das bedeutet, dass die Betreiber beständig verschiedene Interessen jonglieren müssen: Zwischen Erhalt der Grünanlage und der Notwendigkeit, den Umsatz zu steigern, um in die teils marode Infrastruktur investieren zu können; zwischen dem Bestreben nach möglichst hoher Auslastung inklusive breitem Kulturangebot und dem Einhalten von Verordnungen und Lärmschutzmaßnahmen.
Ich frage Heep nach der Wasserqualität und er sagt, diese sei gut, auch wenn das Wasser etwas trüb sei. Ich erzähle, dass ich zuvor einmal um den See herumgefahren bin und gesehen habe, dass trotz zum Teil zweifacher Zäune Menschen am Uferbereich liegen und von dort ins Wasser steigen. Und dass, obwohl Schilder auf den geschützten Uferbereich und die Renaturierungsmaßnahmen hinweisen und um Verständnis werben: „Zur Vorbereitung einer Neubepflanzung werden in diesem Bereich des Landschaftsschutzgebietes die Zäune ergänzt. Um wieder naturnahen Lebensraum zu schaffen, werden Röhricht und Sträucher gepflanzt. Das Umwelt- und Naturschutzamt bittet darum, die Renaturierungsmaßnahme, die auch dem Uferschutz und der Verbesserung der Wasserqualität dient, zu respektieren und die gesperrten Uferbereiche nicht zu betreten!“
Zusätzlich gibt es mehrere Infotafeln, auf denen Tiere und Pflanzen vorgestellt werden, die im und um den Plötzensee herum leben, wie die Wasserfledermaus, Karpfen, Plötze und Schilf. Vom Schilf ist jedoch kaum noch etwas übrig. Heep erklärt, dass die Uferbepflanzung die Funktion erfüllt, die Sauberkeit des Wasser zu fördern; wenn die Bepflanzung zerstört wird, geht diese natürliche Wasseraufbereitungsanlage verloren, zusätzlich wird die Erde in den See getragen und beeinträchtigt die Wasserqualität. „Ich habe schon diverse Vorschläge gemacht, um den Uferbereich noch effizienter zu schützen, aber die Ämter sind langsam.“ Ich weise auf die Kampagne “Haialarm am Plötzensee“[2] hin, mit der das Bezirksamt auf kreative Art versucht, für die Problematik zu sensibilisieren. Wir kommen auf das ökologische Engagement des Strandbads zu sprechen und Heep wirft ein, dass sie regelmäßig Aufräumaktionen machen, bei denen der Plötzensee entmüllt wird und dass sie im hinteren Teil des Geländes einen Naturlehrpfad angelegt haben, der ein kleines Biotop der Artenvielfalt darstellt.
Ein nahendes Jubiläum
Das Strandbad wurde in seiner jetzigen Form zwischen 1922 und 1928 parallel zum Volkspark Rehberge errichtet. Theoretisch könnte man also jederzeit das 100-jährige Jubiläum begehen. „Gibt es dazu Pläne?“, frage ich Heep zum Abschluss. „Ja, wir würden total gerne groß feiern. Und die ganze bewegte Geschichte des Bades Revue passieren lassen. Aber wahrscheinlich schaffen wir es erst übernächstes Jahr. Die ersten Jahre waren hart, weil wir viel investieren mussten, die vorherigen Betreiber haben das Bad in keinem guten Zustand hinterlassen, zusätzlich gab es Schäden durch Vandalismus. Dann kam Corona und wir mussten uns erneut umstellen. Jetzt läuft es, aber ein weiteres Jahr Konsolidierung wäre gut. Aber dann soll das Jubiläum gebührend gefeiert werden – am liebsten mit (Soli-)Konzerten zu Beginn und Ende der Saison.“
Tipp: Wer es lieber ruhiger mag, dem sei ein Spaziergang über das ehemalige Friedhofsgelände an der nord-östlichen Spitze des Sees empfohlen. Von dort gelangt man zum Schwarzen Graben, einem schmalen Bachlauf, an dem es sich hervorragend durch den Volkspark Rehberge wandern lässt.
[1] Chlorgesänge, Podcast Folge 23: Schwimmen am Strand, https://www.podcast.de/episode/623620864/folge-23-schwimmen-mit-strand
[2] https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/umwelt-und-naturschutzamt/naturschutz/haialarm-ploetzensee-1216911.php
Infos:
Strandbad Plötzensee
Nordufer 26, 13351 Berlin
Montag – Freitag: 10 bis 22 Uhr
Samstag, Sonn- und Feiertag: 9 bis 23 Uhr
Das Saisonende ist noch offen. Sehr wahrscheinlich wird das Schwimmbad auch im September noch geöffnet haben – wenn auch nicht jeden Tag.
Aktuelle Infos gibt es auf Instragram: @strandbad.ploetzensee