Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Das Haus der Statistik wird zu einer großen WG

26.02.2019
Das Haus der Statistik im Oktober 2017. Foto: Chris Alban Hansen, CC BY-SA 2.0
Das Haus der Statistik im Oktober 2017. Foto: Chris Alban Hansen, CC BY-SA 2.0

Es tut sich was im Haus der Statistik. Der riesige Koloss am Alexanderplatz stand über zehn Jahre leer. Nun gibt es nicht nur Konzept und Plan, es beginnen auch die Sanierungsarbeiten.

Das Haus der Statistik ist ein Faszinosum dieser Stadt. Es ist ein Gebäude, riesig groß, ein Koloss, das mitten in der Stadt am Alexanderplatz steht – und zerfällt. Denn es steht seit elf Jahren leer. „Stop Wars“ prangt prominent in großen roten Buchstaben an der vorderen Fassade des Plattenbaus, bei dem sich Fenster- und Verkleidungsreihen abwechseln. Nicht das einzige Zeichen der Zeit. Wenn man das große Gebäude umrundet, entdeckt man neben dem Emblem eines Cafés, das mal in dem Gebäude ansässig war, auch viele Edding-Kritzeleien. Offensichtlich ist es vielen Menschen ein Abenteuer gewesen, das verwahrloste Haus zu erkunden. Die müssen sich nun einen neuen Zeitvertreib suchen. Denn es tut sich etwas im Haus der Statistik.

Seine Geschichte beginnt 1970, als das Gebäude eingeweiht wird und die staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR einzieht. Nach der Wende ging es in den Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) über. 2008 wird es geräumt. Seitdem es leer steht, wird darüber diskutiert, was mit dem Komplex passieren soll. Soll man es abreißen, um neu auf dem Gelände bauen zu können? Soll es renoviert und neu genutzt werden? Soll der Staat es behalten oder der Privatwirtschaft übergeben?

An diesem Tag Mitte Februar ist ein Großteil dieser Fragen geklärt. Kalter Wind lässt die Plastikplanen, die die Fensterscheiben ersetzen, flattern. Das Glas wurde 2015 entfernt. Aus Sicherheitsgründen, so hieß es. Tauben fliegen an der Rückseite des Komplexes auf. Wahrscheinlich nisten sie auch in dem großen Haus – immerhin kommen sie leicht an den Planen vorbei. Ein Mann in einem roten Arbeitsanzug tritt in regelmäßigen Abständen aus dem Gebäude. Er trägt Fensterrahmen nach draußen und schmeißt sie in einen von zwei Containern, die neben einem Lastwagen stehen. „Das Gebäude wird gerade entkernt“, sagt Leona Lynen, Stadtforscherin und Botschafterin der Werkstatt am Haus der Statistik. „Alle Türen und Fenster, die wir noch verwerten können, haben wir schon herausgetragen. Der Rest kommt jetzt raus.“

Ein vielfältiger Ort

Leona Lynen ist Teil der Genossenschaft ZUsammenKUNFT Berlin eG. Die hat sich ergeben aus der Initiative Haus der Statistik, die Kulturschaffende, Künstler*innen, Architekt*innen und Politiker*innen 2015 gegründet haben, um den Verkauf des Gebäudes an Investor*innen zu verhindern. Ihre Idee: Sie wollen im Haus der Statistik einen Ort schaffen, den es so in Deutschland noch nicht gibt. Einen Gemeinwohl-orientierten Ort, an dem Leben und Arbeiten zusammenkommt. An dem bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird für Studierende, Künstler*innen und Geflüchtete. An dem es Ateliers, Büros und Verwaltungsräume wie das neue Rathaus des Bezirksamts Mitte gleichermaßen gibt. „Das Haus wird Repräsentant eines zentralen gesellschaftlichen Wertes: des Gemeinwohls, basierend auf zivilgesellschaftlichen Engagement“, heißt es in dem Konzept. Leona Lynen beschreibt es so: „Hier soll ein lebhaftes, gemeinwohlorientiertes Quartier entstehen, das die Vielfältigkeit der Stadt abbildet.“

Wenn man jetzt liest, dass Impulse der Initiative für das Haus schon 2016 in den Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung aufgenommen und das Gebäude 2017 vom Land Berlin gekauft wurde, scheint das eine reibungslose Entwicklung gewesen zu sein. Doch das täuscht. Damit heute, an diesem Tag im Februar, der Mann mit dem roten Arbeitsanzug das Gebäude entkernen kann, musste viel passieren, viel Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Immerhin: mit Erfolg. 2016 wurde aus der Initiative Haus der Statistik die Genossenschaft ZKB ZusammenKUNFT Berlin eG, „um einen rechtsfähigen Arm zu haben“, wie Lynen erklärt. Die wiederum bildete zusammen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirksamt Mitte, der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) und dem Berliner Immobilienmanagement (BIM) die Koop5. Gemeinsam verantworten sie die Entwicklung des Projektes.

Der Sieger steht fest

Während an diesem Tag auf der Rückseite des Hauses der Statistik Fensterrahmen herausgetragen werden, wird auf der Vorderseite geplant. In dem alten Fahrradladen hat sich die Werkstatt Haus der Statistik niedergelassen. Durch das große Fenster scheint die Sonne auf drei Modelle. Sie alle bilden das Gelände vom Haus der Statistik ab. Doch sie alle zeigen unterschiedliche Gebäudeteile in unterschiedlichen Farben. Es sind die städtebaulichen Entwürfe der Büros, die eine Grundlage für den anschließend zu erstellenden Bebauungsplan des Geländes liefern. Die Planungsbüros mussten dafür fixe Vorgaben, was alles auf dem Gelände untergebracht werden soll, einarbeiten. Bei den Modellen ging es also nur um den Städtebau. Für die Fassaden fand schon ein Wettbewerb statt, für die Architektur wird noch einer folgen. Seit Freitag steht fest: Das Modell der Berlin-Hamburger Planungsgemeinschaft „Teleinternetcafé und Treibhaus“ wird umgesetzt.

Der Entwurf sieht vor, dass die bestehenden Altbauten an der Alexander- und Otto-Braun- Straße mit rund 46.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche um weitere rund 66.000 Quadratmeter Neubau ergänzt werden. In der Mitte des Areals entstehen drei Höfe für gemeinschaftliche Nutzung und Begegnung, gesäumt von zwei 15- und 12-geschossigen Wohnhochhäusern zur Berolinastraße, einem 16-geschossigen Büroturm an der Otto-Braun-Straße für das Rathaus Mitte und drei „Experimentierhäusern“ für wechselnde Nutzungen. Außerdem sind Dachgärten und Gemeinschaftsterrassen angedacht.

Das Gewinner-Modell: Blick von Süden nach Norden (Im Vordergrund die Karl-Marx-Allee und das Haus A mit der „Stop Wars“ Schrift, im Hintergrund rechts der Mercedes-Turm). Foto: ZKB eG

Dass diese Idee umgesetzt wird hat ein Obergutachtengremium entschieden – aber nicht alleine. Bei einer Bürgerbeteiligung gab es viele Formate, bei denen Anwohner*innen mitwirken können. Dieses Verfahren zeigt die Arbeitsweise der Initiator*innen. „Das Projekt hat einen sehr kooperativen, diskursiven Charakter“, sagt Lynen. „.Es gab vielfältige Formate der Mitwirkung für Anwohner*innen und Interessierte aus der Stadtgesellschaft, um sich aktiv in das Verfahren einzubringen.“ Immer wieder suchten sie den Dialog mit den Anwohner*innen, um ihre Ideen zu vermitteln, aber auch, um die Wünsche zu ergründen. Im Gutachtengremium für den Bebauungsplan sind so auch vier Delegierte aus der Stadtgesellschaft, die bei einem Treffen gewählt wurden. Bei verschiedenen Treffen, zum Beispiel Workshops oder dem Café Statistik, kann sich jede*r mit einbringen, der*die da Lust zu hat. Alle Ideen wurden diskutiert.

Kreativität statt Konsum

In der Werkstatt, in die durch das große Fenster so schön die Sonne scheint, bekommt man einen Eindruck von dem Geist des Projekts. Auf der linken Seite steht eine Küchenzeile, davor Module, mit denen man den Raum teilen kann, gebaut aus alten Türen des Hauses. Rechts stehen schlichte Tische aus Spanplatten zu einem Kreis aufgestellt. Vier Personen sitzen mit ihren Laptops daran, arbeiten konzentriert. An den Wänden sind Pläne, Texte und Ideen mit buntem Klebeband angebracht. Alles wirkt improvisiert, aber auf eine kunstvoll-durchdachte Weise. Kreativität ist spürbar. Und ein starker Gegensatz zu dem Konsum, der das Umfeld am Alexanderplatz mit all den Läden und Einkaufszentren prägt.

Die Türen stehen offen in der Werkstatt. Foto: ZKB

Dass die Tür für jeden offen ist, erzählt auch von dem offenen, gemeinschaftlichen Geist des Projekts. Denn hier in die Werkstatt kann jede*r kommen, der*die sich einen Eindruck von dem Projekt verschaffen möchte. Regelmäßig lädt die Koop5 auch zu einer Kaffeerunde ein, bei dem sich ausgetauscht werden kann. Und hier eröffnet bald eine Ausstellung, die einen Rückblick auf die letzten Jahre und das Ergebnis des Werkstattverfahrens zeigen wird. Das genaue Datum steht noch nicht fest. Möglichst bald, im Frühling oder Frühsommer, sollen Pioniere das Gebäude beziehen – obwohl es da noch nicht fertig saniert sein wird. „Das wird wahrscheinlich ein bisschen abenteuerlich“, sagt Leona Lynen und lacht. „Wir wollen jetzt schon im Kleinen abbilden, was später im Großen sein soll“, sagt sie. „So haben Bewohner*innen beispielsweise einen kleineren Privatraum, bekommen dafür aber größere Gemeinschaftsräume. Der gesamte Charakter des Quartiers bildet dieses Miteinander und die starke Nutzungsvielfalt ab.“

Der zeitliche Plan sieht vor, dass 2024 der Bau der Wohnungen fertiggestellt ist und 2025 mit dem Bau des Rathauses begonnen wird. Bis dahin, so die Vorstellung, sollen schon die ersten Erfahrungen aus dem Pionierprojekt in die weitere Planung einfließen – damit das Ergebnis am Ende dann auch so lebendig ist, wie es nun die Ideen sind.

Aktuellste Entwicklungen zum Haus der Statistik gibt es auch auf Facebook. Wer bei dem Projekt mitwirken möchte, findet hier Informationen dazu.

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