Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Das post-sozialistische Berlin im Blick

13.09.2022
Wilhelm Klotzek, David Polzin, „Runder Tisch (Geschäftsübernahmeverhandlungen), Berlin 1990“, 2015 (© Wilhelm Klotzek, David Polzin, Foto: Uwe Walter)

Der Künstler Wilhelm Klotzek ist in Berlin-Mitte aufgewachsen und lebt noch heute hier. Seine künstlerische Arbeit umfasst neben Installationen und Skulpturen auch Radiosendungen und Texte sowie Ausstellungsdisplays und Miniaturmodelle. Inhaltlich ist die Auseinandersetzung mit der post-sozialistischen Wirklichkeit ein wiederkehrendes Thema, während gleichzeitig der öffentliche Raum eine wichtige Rolle spielt. In der Gruppenausstellung Spheres of Interest in der ifa-Galerie bekommt man einen Einblick in seine vielfältige Arbeitsweise, denn hier ist er gleich mit mehreren Werken vertreten.

Die erste Arbeit befindet sich an der Außenfassade des Gebäudes und nennt sich ZfK Plastik-Blende (Dietrich, Förster, Rommel, Thiele) Sie besteht aus Blenden aus Blech, die Klotzek über den Fenstern platziert hat. Auf ihnen hat er Fotografien drucken lassen. Sie sind während eines Besuchs der ifa-Galerie in Stuttgart entstanden, und zeigen Skulpturen, die dort in Bananenkisten lagern. Pikantes Detail: es handelt sich hierbei um Kunstwerke aus dem ehemaligen Zentrum für Kunstausstellungen der DDR (ZfK), das teilweise in den ifa-Kunstbestand übergegangen ist und zum größten Teil noch nie ausgestellt wurde.

Aussenfassade der ifa-Galerie mit den Blenden von Wilhelm Klotzek. Foto: Victoria Tomaschko

Die Idee der Kuratorinnen Inka Gressel und Susanne Weiß für diese Ausstellung war es, sechs Künstler*innen einzuladen, sich mit dem ifa-Sammlungsbestand auseinanderzusetzen, ihn zu aktivieren und kritisch zu kommentieren. Mitinbegriffen war die Möglichkeit, Arbeiten aus dem Bestand auszuwählen und sie in der Ausstellung zu präsentieren. Klotzek holte zwei Skulpturen von Wieland Förster in die Ausstellung, die in der Berlinischen Galerie lagerten, und wählte außerdem eine mehrteilige Arbeit von Carlfriedrich Claus aus. Dessen Denklandschaften und Audioaufnahmen hat er eine eigene Soundarbeit mit dem Titel Küche (2016) zur Seite gestellt. Sie ist in der Ausstellung einmal pro Stunde kurzzeitig zu hören und besteht aus persönlichen Alltagsbeobachtungen, die Klotzek bei seinen Spaziergängen durch die Stadt aufnimmt. Er hat oft ein Aufnahmegerät dabei, nimmt dann den Sound der Straße auf und spricht seine Beobachtungen ins Mikro. Das Medium Radio zieht sich dabei wie ein roter Faden durch sein Werk. Schon sein Diplom bestand aus einer mehrstündigen Radiosendung, die er aus der Mensa der Kunsthochschule Weissensee sendete, wo er damals für ein paar Stunden ein Studio eingerichtet hatte. Er sagt, er habe sich damit bewusst einen Ort gesucht, der kein White Cube sei, sondern „wirklicher“ und angewandter; in dem sich automatisch Interaktionen mit anderen Menschen ergeben. Heute sendet er einmal im Monat seine Show Taroff und Willi – Horror des Alltags bei PiRadio Berlin.

Ähnlich wie eine Mensa ist auch der öffentliche Raum ein Ort, der ungeschützter ist als der White Cube, aber dafür ganz andere Begegnungen ermöglicht. Er taucht als Motiv und als Aktionsraum immer wieder in seiner Arbeit auf, z.B. für seine „Zigaretten-Skulpturen“ (überdimensionale Zigaretten, die durch das Hinzufügen von Armen und Beinen menschliche Züge bekommen), die er in unterschiedlichen Konstellationen und Haltungen schon mehrmals ausgestellt hat – unter anderem in der Vitrine vor dem Rathaus Tiergarten. Die Ausstellung mit der Skulptur Liegende (2018) greift ein klassisches Skulptur Motiv auf, das sowohl Wieland Förster (vor einer Kaufhalle in Berlin-Ost) als auch Henry Moore (vor der Akademie der Künste in Berlin-West) umgesetzt haben. Klotzek nimmt das Motiv und setzt es mit einem Gebrauchs- und Genussgegenstand um, das Kurator Andreas Prinzing als Element der Konsumkultur identifiziert.[1]  

Wilhelm Klotzek, „Liegende“ 2018 im Rahmen der Ausstellung „Guter Überblick über Passanten und Trottoir“ im Schaukasten am Rathaus Moabit (© Wilhelm Klotzek, Foto: Andreas Prinzing)

Noch mal zurück zur Ausstellung in der ifa-Galerie, denn dort gibt es eine weitere Arbeit von Klotzek, die ebenfalls etwas mit dem öffentlichen Raum zu tun hat: Auf dem Boden befinden sich ausgelegte Betongusssteine der sogenannten „Berliner Platte“, die in einen Rahmen eingefasst, eine zusätzliche Ebene bilden und als Display für andere Kunstwerke dienen. Der Künstler kauft diese Betonbausteine, die seit den 1920er Jahren im Einsatz sind, bei Bauarbeiten auf und setzt sie in verschiedener Funktion in seinen Kunstwerken ein. In diesem Fall sind sie Teil der Ausstellungsarchitektur, für die sich Klotzek ebenfalls verantwortlich zeigt.

Für den zweiten Teil der Ausstellung, der am 29. September eröffnet, überabereitet Klotzek momentan einen Foto-Film mit dem Titel DHM . Darin werden Fotos aus Ost-Berlin und der Zeit nach dem Mauerfall von ihm und seinem Vater mit einem Text unterlegt, der seinen ersten Besuch im Deutschen Historischen Museum Berlin in den 1980er Jahren beschreibt. Dieser Rückgriff auf persönliche Erinnerungen und historisches Material zieht sich durch seine Arbeiten, wie mehrere Bücher belegen. So verwendete er für die Arbeit Steine, Döner und Platin 68 gerahmte Kleinbild-Farbdias aus dem Archiv seines Vaters Peter Woelck, der in der DDR als professioneller Fotograf tätig war, und hat ein Buch mit Fotografien des Vaters herausgegeben. In Dancing in Connewitz, schreibt Bettina Klein, erzählen die Bilder auch vom Bruch in der Biografie des Fotografen, der in der Nachwendezeit immer wieder versuchte, als selbstständiger Werbefotograf Fuß zu fassen. Klotzek nimmt damit weniger einen nostalgischen Blick auf die DDR ein, sondern nimmt vor allem die Nachwendezeit in den Blick – wozu die Brüche in den Biografien ebenso wie das Verschwinden vieler Elemente des öffentlichen Raumes gehören. Das tut er häufig mit einem ironischen Unterton, wie in der Serie Donationsdystopien (zusammen mit David Polzin), in der es um paradoxe Spendenaufrufe geht, wie Spende Jetzt!! Aufbau West!, oder auch in der Zigaretteninstallation Endlich: 25 Jahre Deutsche Einheit (Aldi, Lidl) aus dem Jahr 2017.

Bei unserem Treffen kommt Klotzek gerade vom Foto-Labor, wo er Abzüge anfertigen ließ. Einen holt er heraus. Es sind Aufnahmen aus Mitte, die er als Jugendlicher in den 1990er Jahren gemacht hat. Darauf zu erkennen: Straßenszenen, Graffitis, unverputzte Mauern, Brachflächen. Es ist das Berlin seiner Jugend, das er auf den Fotos festhielt. Aufgewachsen in Mitte, wohnt Klotzek heute im obersten Teil der Ackerstraße (er sagt: im ehemaligen West-Teil) in einem unsanierten Gebäude mit Ofenheizung. Wie so häufig steht auch hier ein Verkauf des Hauses im Raum – mit der wahrscheinlichen Folge, dass die Mieten im Anschluss für Künstler wie Klotzek unbezahlbar wären. Befragt zur Veränderung dieses bis jetzt verschont gebliebenen Teils der Ackerstraße verweist Klotzek auf die SUV-Dichte, die jeden Morgen vor der Privatschule nebenan halten würde.

Woran er gerade dran wäre, frage ich ihn zum Abschluss, und Klotzek erzählt von einer Arbeit, die er für die Galerie Klosterfelde Edition entwickeln würde. Sie setzt eine Reihe von Arbeiten fort, die an Fassaden-Modelle von Läden erinnert. Entstanden sind bereits ein imaginärer Buchladen, die Repliken des Mitarbeiterinneneingang des Berliner Humboldt Forums (2022) und ein Modell des Wasserschaden auf der Mittel-Passarelle am S-Bahnhof Potsdamer Platz (2022). Er sei dabei, aus Stahl, Glas und Blech einzelne Elemente von Architekturoberflächen nachzubauen, wozu er regelmäßig die Bildhauerwerkstatt in der Osloer Straße nutzt. Beim Erzählen wird deutlich, wie spezialisiert sein Blick für Architektur ist: Ihn interessiere, wie Gläser eingefasst oder Nieten gestaltet seien, und was für Profile die Häuser haben.

Weil mir vor lauter unterschiedlichen Arbeiten, künstlerischen Fährten und Referenzen der Kopf schwirrt, kann ich es mir nicht verkneifen, ihn zu fragen, ob es nicht manchmal anstrengend sei, so vielseitig unterwegs zu sein. Klotzek überlegt kurz und sagt dann mit Bestimmtheit, dass es von außen vielleicht schwerer zu fassen sei und daher länger brauchen würde, um erkannt und wertgeschätzt zu werden, doch der Vorteil der unterschiedlichen Arbeitsweisen liege auf der Hand: „Jeder Inhalt erhält so seine passende Form“.


[1] Vgl. Ausstellungstext, https://wilhelmklotzek.de/visual/guter-ueberblick-auf-passanten-und-trottoir

Infos:
Spheres of Interest. Teil 1: bis 18.9.2022
Chains of Interest. Teil 2: 29.9.2022 bis 15.1.2023
ifa-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140, 10115 Berlin

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