Kurz nach der Wende liefen die Kund*innen Manfred Albrecht den Laden ein. Zu viert mussten sie arbeiten, um alle bedienen zu können. Der kleine Plattenladen Moon Dance an der S-Bahn-Haltestelle Wedding war gerappelt voll und vor der Tür bildete sich eine Schlange. „Das war so stressig, du wusstest am Abend nicht mehr, wie du heißt“, sagt Albrecht. Die Menschen wollten Westmusik kaufen. Vor allem ein Künstler war gefragt: „Viele haben die ganze Kollektion von Udo Lindenberg eingepackt. Der war in der DDR ja verboten“, erzählt Albrecht.
An diesem Samstag Anfang April sieht das anders aus. Albrecht steht alleine in seinem Laden, bedient einen Kunden, ab und zu klingelt das Telefon. Manchmal geht er dann zu einem Regal, in dem CDs stecken. „Ja, hab ich da“, sagt er dann. Oder er sagt „Muss ich bestellen“ und schreibt Interpret*in und Titel auf einen karierten Ringblock. Ein echt ruhiger Samstag also – dabei ist heute Record Store Day, der internationale Tag der unabhängigen Plattenläden. 2008 fand er das erste Mal in den USA statt. Die Idee: Musikliebhaber*innen, die ihre Musik vermehrt im Internet kaufen, wieder in die Läden locken.
Dazu gibt es in einigen Shops nicht nur Konzerte oder Partys, sondern die Labels veröffentlichen auch Sondereditionen, die exklusiv an jenem Tag in den teilnehmenden Läden zu kaufen sind. Der Record Store Day lief gut in Amerika, die Idee verbreitete sich bis nach Europa und so ist auch Deutschland mit dabei. 14 Plattenläden nehmen dieses Jahr in Berlin an dem Aktionstag teil. Im Stadtteil Mitte sind es zwei: Moon Dance und das KulturKaufhaus Dussmann.
In Manfred Albrechts Laden Moon Dance sieht der Record Store Day kaum anders aus als andere Samstage im Monat. Die Sondereditionen passen meist nicht in sein Sortiment, deswegen bestellt er sie häufig nur auf vorherigen Wunsch von Kund*innen. „Diese Dance- oder Chart-Musik, die passt hier einfach nicht in den Laden“, sagt er. „Die kann ich schwer verkaufen.“
Ein Urgestein unter den Berliner Plattenläden
Sein Fokus liegt woanders: Schon beim Eintreten wird man mit schnellen Gitarren-Riffs begrüßt, die von zwei an der Decke angebrachten Lautsprechern stammen. Rechts, links, geradeaus: Alles ist voll mit CDs. Guano Apes, Pink Floyd, Accept, die Ärzte, Jimmy Page, Pur – die Auswahl ist riesig. Wo die Regale enden, bedecken Poster und Banner die Wände. Meist sind die Poster schwarz, wirken morbide oder zeigen kernige Typen. Rock, Hardrock, Heavy Metal – darauf hat sich Moon Dance spezialisiert. Im linken Teil des Ladens steht eine lilafarbene Konsole. Darauf: noch mehr CDs, schwarze Kopfhörer, rote Aschenbecher. An der Wand dahinter ein Tisch mit Platten. Rote Aschenbecher stehen herum. Zigarettenrauch liegt in der Luft und passt wunderbar zu der Atmosphäre, die sich irgendwo zwischen uriger Eckkneipe, Rock-Disco und Jugendzimmmer bewegt.
1981 hat Manfred Albrecht den Laden übernommen. Den wiederum gibt es schon um die 40 Jahre – ein Urgestein unter den Berliner Plattenläden. Das Geschäft aber hat sich in all den Jahren verändert – natürlich durch das Internet. „Die ganze Streamerei und Downloaderei hat einen großen Einfluss auf den Einzelhandel“, sagt Albrecht. „Die Leute kaufen viel weniger CDs oder Platten. Sie kriegen ja für 4,99 Euro im Monat ’ne Flatrate an Musik.“ In seinen Laden kommen vor allem Sammler*innen, die nach Raritäten suchen. Und Leute, die den Klang echter Tonträger noch zu schätzen wissen. „Das Gequäke aus den Handys oder Brüllwürfeln könnte ich echt nicht ertragen“, lacht Albrecht. Auch Second Hand-CDs machen einen Großteil seines Geschäfts aus. „Das hier ist ja immerhin Wedding“, sagt er. „Viele Leute haben nicht viel Geld und freuen sich, wenn sie für fünf Euro ’ne CD mitnehmen können.“ Mit Neuheiten macht er wenig Umsatz.
Musik hören geht im Plattenladen Moon Dance klar, rauchen auch. Foto: Maike Brülls
Konsum im Namen der Musik
Immerhin: Dem Streaming-Trend zum Trotz sind seit ein paar Jahren LPs insgesamt wieder gefragter. Laut dem Bundesverband der Musikindustrie stieg der Absatz für Vinyl-LPs seit 2009 stetig an. 2017 der Höhepunkt: Da wurden 3,3 Millionen Platten verkauft. Auch Plattenspieler und gute Boxen werden wieder häufiger gekauft. Offenbar haben viele keine Lust mehr auf den schlechten Sound von Handy und Co. Das merkt Albrecht zwar auch in seinem Laden, doch den generellen Abwärtstrend federt das nicht ab. Er komme zwar über die Runden, sagt er, aber es werde immer schwerer. Deswegen steht er immer alleine hinter der Theke, jemanden einzustellen sei zu teuer. Dem Vinyl-Trend traut er nicht. Die Jugend sei so sprunghaft, das könne schnell wieder ein Ende haben. Die Zahlen geben ihm Recht. Auch wenn der Absatz insgesamt noch auf einem guten Niveau ist, wurden 2018 nur noch 3,1 Millionen Platten verkauft – also 6,6 Prozent weniger als im Vorjahr.
Es sind aber nicht nur Läden wie seiner, um die Albrecht sich sorgt. „Ich weiß nicht, wie es in ein paar Jahren ist mit der Musik“, sagt er. „Denn vor allem für die kleineren Künstler*innen werfen die Streamingdienste kaum etwas ab. Vielleicht bleiben bald nur noch Castingshows, um Musiker*innen bekannt zu machen.“ Für Menschen, die Musik mögen, hat er einen klaren Appell: Wer die Künstler*innen unterstützen will, so Albrecht, solle zwischendurch auch mal das ein oder andere Album kaufen.