Gastautor*in

Das Kultur Mitte Magazin widmet sich der öffentlichen Stadtkultur und allen Formaten der Gegenwartskunst. Wir informieren hier regelmäßig über aktuelle Ausstellungen und die Arbeit und Lage der freien Szene, berichten über unsere Kooperationspartner*innen sowie über Leute im Bezirk, die etwas auf die Beine stellen. In wöchentlichen Beiträgen werden sowohl zeithistorische Hintergründe beleuchtet als auch aktuelle Einblicke in die diverse und dynamische Stadtkultur von Berlin-Mitte gegeben. Wir stellen Netzwerke und Orte vor, in denen Neues ausprobiert wird und wo kulturelle Transformation stattfindet. Im Mittelpunkt von kurzen Essays und Gesprächen stehen stadträumliche und soziale Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur sowie Arbeitsweisen und künstlerische Handschriften. Unsere Serien Was läuft … oder Stadt im Kopf wie auch regelmäßige Porträts, beispielsweise von Plätzen und Straßen, verdichten Themenschwerpunkte und profilieren das Magazin über die Jahre zu einem Archiv der Stadtkultur in Berlin-Mitte. Autorinnen: Ferial Nadja Karrasch, Marina Naprushkina, Monika Rinck, Dr. Anna-Lena Wenzel; Redaktion: Katja Kynast, Judith Laub und Dr. Ute Müller-Tischler.

Die Möglichkeit einer Insel

07.04.2020
Bärenzwinger Außengelände mit Skulptur von Jasmin Werner; Foto: Stephanie Kloss
Bärenzwinger Außengelände mit Skulptur von Jasmin Werner; Foto: Stephanie Kloss

Der Künstler Heimo Lattner und die Fotografin Stephanie Kloss trafen sich im März zu einer Ortsbegehung rund um den Köllnischen Park und sprachen über die Poesie der Ein- und Überschreibungen, von Zweckentfremdungen und Nutzungsphantasien.

Eingefasst von der Wallstraße im Norden, der Straße am Köllnischen Park im Osten, der Rungestraße im Süden und der Inselstraße im Westen liegt der Köllnische Park im Ortsteil Mitte. Er ist der letzte erhaltene Rest einer ursprünglich deutlich größeren innerstädtischen Gartenanlage aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die den barocken Festungsanlagen vorgelagert war, welche ab 1658 um die Doppelstadt Berlin-Kölln errichtet und ab 1750 wieder abgetragen wurden.

Es ist ein eigenartiges Ensemble aus unterschiedlichen Stilepochen, auf das man heute hier trifft und dem ähnlich dem „Modellelager“ eines Urbanisten, eine Poesie der Ein- und Überschreibungen, von Zweckentfremdungen und Nutzungsphantasien innewohnt.

Heimo Lattner (HL): Mit Henri Lefebvre gesprochen ist „Raum“ eine Konsequenz von Aushandlungsprozessen unterschiedlicher Akteur*innen. Hier haben wir es mit einem Ort zu tun, an dem sich aufgrund seiner langen Geschichte und seiner für die Stadt zentralen Lage und Bedeutung unzählige Nutzungskonzepte und architektonischen Schichten überlagern, ohne sich jedoch jemals gänzlich überschrieben zu haben. In dem zentralen Gebäude auf dem Platz, dem Märkischen Museum, ist diese Vielschichtigkeit ja gewissermaßen bereits in der Planung angelegt. Es wurde zwischen 1901 und 1907 nach Plänen des Stadtbaurats Ludwig Hoffman errichtet und ist sozusagen ein Mischmasch aus Gebäudeteilen verschiedener Bauwerke der Mark Brandenburg und Norddeutschlands aus Romantik, Gotik und Renaissance. Bei anderen Bauwerken werden die Überschreibungen durch unterschiedliche „Belegungen“ vor allem erst im Inneren lesbar. Aktuell scheint hier wieder ein Umstrukturierungsprozess in Gang zu kommen, der den Ort vermutlich erneut überformen wird. Eine der teuersten Adressen der Stadt, das „Metropol Park“, begrenzt den Platz an seiner südlichen Seite.

Stephanie Kloss (SK): Das expressionistische Gebäude wurde ursprünglich im Auftrag der Zentralverwaltung der AOK Berlin von Albert Gottheimer entworfen und 1933 eröffnet. Später diente es als Sitz der DDR-Parteihochschule Karl Marx, inklusive Kinosaal. Nach der Wende ging das Gebäude durch verschiedene Hände und wurde aufwändig renoviert und wird nun als Boardinghouse für kurzzeitiges Wohnen genutzt. Die Überschreibung einer ehemaligen Krankenkassenverwaltung über die SED-Parteihochschule hin zu teurem Wohnen ist ja typisch für Berlin. Nachdem im Sommer 1990 die Parteihochschule abgewickelt wurde, stand das Gebäude zunächst einige Zeit lang leer, dann wurde es in das Eigentum der AOK Berlin zurückübertragen. Die AOK ließ es sanieren und nutzte den Komplex bis 2003. Danach erwarb der Projektentwickler Vivacon die Immobilie, der sie als „Haus Luise“ zu Luxuswohnungen ausbauen lassen wollte. Nach der Pleite von Vivacon wurde aus „Haus Luise“ das Boardinghouse: „Wohnen am Metropol Park“. Eine Erfindung also, die nichts mit der ursprünglichen Architektur und Nutzung des Hauses zu tun hat, und auch der Park vor seiner Tür trägt einen anderen Namen. Es wurden mehrere Aufstockungen errichtet, das Seitengebäude abgerissen, der Hof gläsern überdacht und die ehemalige Schalterhalle ist jetzt ein großes Nichts, einzig und allein für Briefkästen. Insgesamt entstanden 205 Eigentumswohnungen. Als Käufer wurden Berliner und internationale Investoren und Eigennutzer*innen erwartet. Die Kaufpreise waren mit bis zu 8.000 Euro pro Quadratmeter kalkuliert.

Außenfassade und Aufstockung, Boardinghouse Metropol, Wassergasse
Überdachter Innenhof, Boardinghouse Metropol, Wassergasse
Eingangsbereich mit Briefkästen, Boardinghouse Metropol, Wassergasse

Der Immobilienvermittler Zabel Property wurde mit dem Vertrieb der Eigentumswohnungen beauftragt. Der Kinosaal etwa wurde als Ballsaal vermarktet. Die Presse bezeichnete ihn auch als „Berlins teuerste Einzimmerwohnung“. Doch irgendwas schien nicht recht funktioniert zu haben und die teuren Eigentumswohnungen fanden wohl kaum Käufer*innen. Jetzt kann man über booking.com „authentisch am Metropolen Park“ übernachten.

Treppenhaus, Boardinghouse Metropol, Wassergasse
Flur vor einer Wohnung, Boardinghouse Metropol, Wassergasse

HL: 1971 wurde dem Gebäudekomplex östlich, an der Straße Am Köllnischen Park, ein Erweiterungsbau für Ausstellungen, Kongresse und andere Großveranstaltungen hinzugefügt. Dieser wurde in den letzten Jahren abgerissen und es entstehen auf der Fläche aktuell unter dem Namen „Embassy“ Neubauten für 133 hochpreisige Eigentumswohnungen. Immerhin befinden sich im Umfeld tatsächlich die Botschaften von Australien, Nigeria, Kosovo, Angola, Brasilien und die Konsularabteilung Chinas. Ein anderes, nicht nur aus bauhistorischer Perspektive interessantes Gebäude, steht in der Wallstraße 65.

Außenfassade, ehemaliges Verwaltungsgebäude des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von Max Taut

SK: Ja, es ist das ehemalige Verwaltungsgebäude des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), das von Max Taut geplant und 1922-23 gebaut wurde. Der erste größere Bau für den Architekten Taut überhaupt. Der ADGB war von 1919 bis zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten die weltweit größte nationale gewerkschaftliche Dachorganisation. Max Taut entwickelte hierfür einen Beton-Rahmenbau, der die Konstruktion zeigte und eine neue demokratische Offenheit des Bauens symbolisierte. Soweit man an historischen Fotos erkennen kann, war die Schalterhalle sehr nüchtern und modern, offenliegende rohe Betonstützen gliederten den Raum. Der ehemalige Verwaltungsbau ist heute absolut unkenntlich gemacht worden.

Historische Eingangshalle, ehemaliges Verwaltungsgebäude des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von Max Taut

HL: Man muß schon sehr genau hinsehen, um unter den Rollteppichen und abgehängten Decken die qualitativ hochwertigen Baustoffe und die Volumina des Tautschen Originalbaus zu erahnen.

Ehemaliges Treppenhaus, ehemaliges Verwaltungsgebäude des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von Max Taut mit verbautem Thermometer Fenster

SK: Eigentlich ist nichts mehr davon erkennbar. Kleine Büros wurden in das Gebäude eingezogen. Nur eine Plakette teilt zurückhaltend mit, dass das Haus im Mai 1933 von den Nazis besetzt wurde und die freie Gewerkschaftsarbeit zerschlagen, Mitglieder verfolgt und ermordet wurden: „Der Zukunft verpflichtet. Für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.“ Der ADGB besaß einige gemeinwirtschaftliche Unternehmen, beispielsweise die 1924 gegründete Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Sie befand sich auf der Rückseite des Gebäudes am Märkischen Ufer. Auch dieser Bau ist auffallend modern und sticht heute noch mit seiner stark strukturierten Fassade am Spreeufer hervor.

Außenfassade, ehemalige Arbeiterbank, Märkisches Ufer

Nach dem Krieg wurde die Tradition der Gewerkschaftsbanken durch die Bank für Gemeinwirtschaft fortgesetzt. Die Eingangshalle der ehemaligen Bank ist jetzt zugig, aber anscheinend noch original gekachelt. Auf wenig informativen Fotoreproduktionen werden historische Aufnahmen gezeigt. Wieder ist nichts bis auf die Fassade vom Originalzustand erhalten, diese macht jedoch in ihrer modernen Formensprache stutzig, weil sie sich so gar nicht einfügen will.

Historische Eingangshalle, Arbeiterbank, Märkisches Ufer
Eingangsbereich, ehemalige Arbeiterbank mit historischen Fotografien, Märkisches Ufer
Detail der konservierten Mosaikkachel im Eingangsbereich, ehemalige Arbeiterbank, Märkisches Ufer

HL: Ein anderes interessantes Gebäude aus dem Jahr 1888, im Stil Schweizer Landhäusern nachempfunden, liegt zwischen dem Tautbau und dem Metropol. Bauherr war der gemeinnützige Berliner Verein für Volksbäder. Man wollte „der weniger bemittelten Bevölkerung Berlins die Wohltat eines warmen Bades zu jeder Jahreszeit zu dem denkbar billigsten Preise zukommen lassen“. Derzeit ist darin das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks Mitte untergebracht. Nichts deutet mehr auf die Nutzung als Volksbad hin: kleine Stuben und größere Aufenthaltsräume im Erdgeschoss, im 1. Obergeschoss werden die Räume als Aktenarchiv genutzt, im Keller lagert das Gartengerät.

Aufenthalts- und Besprechungsraum, Straßen- und Grünflächenamt
Keller mit Geräten, Straßen- und Grünflächenamt

SK: Die Dichte interessanter Gebäude auf dieser kleinen Fläche ist beachtlich. Vom Eingang des ehemaligen Badehauses aus blickt man zum Beispiel direkt auf einen anderen imposanten Baudenkmalkomplex von Alfred Messel, der das spätexpressionistische Gebäude mit barocken Stilelementen Anfang des 20. Jahrhunderts für die Landesversicherungsanstalt entworfen hat. Zwischen 1950 und 1980 war dann darin die Verwaltung der Staatlichen Sozialversicherung der DDR untergebracht und jetzt nutzt es die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.

Für das Gebäude unmittelbar nebenan, an der Ecke Am Köllnischen Park und Märkisches Ufer 48/50, ist derzeit ein sehr ambitioniertes Projekt geplant.

Fassade des ehemaligen Marinehauses

Otto Liesheim hat den Bau Anfang des 20. Jahrhunderts im Stil der Neorenaissance für die Berliner Kriegerheim GmbH entworfen. Bis 1918 diente es als Vereinshaus einer kaiserlichen Marineeinheit, daher stammt auch der Name Marinehaus. 1919, während der Novemberrevolution, war darin der Führungsstab der Volksmarinedivision untergebracht. Danach wechselte es mehrfach den Besitzer, wurde aber meist als Verwaltungsbau genutzt. Nach der Wiedervereinigung ging es an die Landesversicherungsanstalt zurück, in deren Besitz es sich vor dem Krieg befunden hatte. Diese verkauft es wiederum 1993 an den Senat weiter. Seither steht es leer. Es gibt aber seit geraumer Zeit Pläne, es an das Märkische Museum anzugliedern. Ein erstes Planungsverfahren dafür scheiterte 2011 zunächst. 2017 haben Bund, Senat und die Lotto Stiftung Berlin eine Finanzierungsvereinbarung abgeschlossen, wonach ab 2022 das Marinehaus zusammen mit dem Märkischen Museum zu einem Museums- und Kreativquartier werden soll.

HL: Ein Begegnungsort für „Stadtakteure und Communitys“, so wird das Quartier genannt, ein „Stadtlabor“, mit dem sich das Stadtmuseum Berlin nach den Vorstellungen seines Leiters Paul Spies als „Analyst und Katalysator der Stadtidentität“ aufstellt, „ein wichtiger Ansprechpartner für die Themen und Debatten der urbanen Gesellschaft“.

SK: Hinter diesen großen Worten verbirgt sich zunächst die nüchterne Tatsache, dass der Sieger des Architektenwettbewerbs nun endlich feststeht: der ausgewählte Entwurf des Büros Adept aus Kopenhagen, dessen flexible Struktur „Raum für gemeinschaftliche, kulturelle Nutzungen“ bieten soll und das historisch wertvolle Gebäude auf unterschiedlichen Ebenen erhalten möchte, „wodurch die neue Nutzung wie selbstverständlich in den Stadtraum integriert wird“. Es ist eine Art Über- bzw. Einschreibung in Form eines „Haus-im-Haus“-Prinzips. Marode Decken werden im Innern durch einen eingesetzten Baukörper ersetzt. Im öffentlich zugänglichen neuen hallenhohen Foyer sind Gastronomie und das sogenannte „BerlinLabor“ vorgesehen. In den Obergeschossen 1 bis 3 folgen Werkstatträume Studios bzw. Ateliers. Im 4. Obergeschoss sind Werkstattbühne und Veranstaltungssaal geplant. Die Gebäudekubatur selbst bleibt unangetastet und im Inneren wird auf kostensparende Bauweise geachtet, auch mit den Materialien will man nicht prunken, sondern auf polierten Beton, für Verkleidungen auf Sperrholz setzen. Ende 2022 sollen die Bauarbeiten beginnen. Ich frage mich, ob diese Konzeption nicht schon veraltet ist und im Haus der Statistik, das ja nur einen Kilometer weiter steht, bereits besser umgesetzt wird.

HL: In diesem Kontext wird die Nutzung des Bärenzwingers, der sich zentral auf dem Platz befindet, nochmal interessant werden.

SK: Auf dieser Fläche befand sich von 1900 bis 1938 ein Straßenreinigungsdepot mit öffentlicher Bedürfnisanstalt. Bereits 1928 bezogen Bären einen ersten umgestalteten Teil davon, 1939 wurde der Umbau zum Zwinger fertiggestellt und offiziell eröffnet. Nachdem 2013 der letzte Bär (Schnute) gestorben ist, wird er seit September 2017 vom Bezirksamt Mitte als Ort für zeitgenössische Kunst genutzt.

HL: Ein markantes Gebäude wie der ehemalige Bärenzwinger, zwischen hochpreisigem Wohnen und Kreativquartier, schafft natürlich Begehrlichkeiten. Ich bin gespannt, wie bzw. wohin sich der Ort in Zukunft entwickeln wird.

SK: Ich glaube erstmal nicht so ganz daran, dass das Quartier aus seinem Dornröschenschlaf erwachen wird. Obwohl ja auch die Waisen-Brücke, die ehemalige Verbindung zwischen den Stadtteilen Alt-Berlin und Neu-Cölln über die Spree wiederaufgebaut werden soll. Das liegt zum Teil an der „seltsamen“ Bevölkerungsstruktur, die aus alteingesessen Ostberliner*innen, Botschafts- und Senatsmitarbeiter*innen, Gewerkschaftler*innen und Tourist*innen besteht. Ich miete in der Inselstraße seit letztem Jahr ein Ladenlokal, das ich zufällig beim Vorbeifahren entdeckt habe. Es liegt in einem der letzten Plattenbauten, die in Ostberlin gebaut wurden. Der Block zieht sich um drei Straßenecken und weist im Erdgeschoss eine eigene Mischung aus Gewerben auf: Es gibt das Café Re (spiegelverkehrt geschrieben), in dem die Zeit still zu stehen scheint, das Küchenstudio MyLady, eine gut gehende türkische Bäckerei, einen Friseur Salon und ein Architekturbüro, alles in diesem einen Block.

Außenfassade, Inselstr.

Der Besitzer der leerstehenden Gewerberäume ließ sich schnell ausfindig machen, er wohnt nur ein Haus weiter am Märkischen Ufer in einem alten Stadtpalais und ist engagiert im historischen Hafen Berlin e.V. tätig. Mit der Künstlerin Sarah Lüttchen, die zunächst für ein paar Monate in das Projekt eingestiegen war, habe ich die Räume völlig entkernt und in den rohen Plattenbauzustand zurückbauen lassen. Am 30. Mai 2019, zum 721. Geburtstag des Berliner Hafens mit historischem Hafenfest – einer der kulturellen Höhepunkte war „Ulli und die grauen Zellen“ mit RBB Kult-Moderator Ulli Zelle – hatten wir die erste öffentliche Veranstaltung: eine Austernbar. Es war schon gewagt, inmitten eines Rummelplatzes in einem Sichtbeton-Ambiente 200 Austern anzubieten.

HL: Die Setzung war so präzise, dass die meisten Leute vermutlich gar nicht gemerkt haben, dass es sich um eine Inszenierung im Sinne etwa einer relationalen Ästhetik handelt.

SK: Es gab keine erkennbare Zuschreibung, dass es ein Kunstort ist. Er hat auch bis heute keinen Namen. Passant*innen fragen regelmäßig, was passiert denn hier, ihr streicht aber schon noch, oder?

HL: Das ist gleichermaßen mutig wie sympathisch. Der Ort widersetzt sich dem Druck eines klar definierten Productplacements, auch künstlerische Projekträume können sich dem zwischenzeitlich nicht mehr entziehen. Die Gewinner des Projektraumpreises waren jahrelang automatisch Teil des Rahmenprogramms der Artweek. Das hat sich mittlerweile ja wieder geändert.

Vorbereitung der Aktion Tattoo Studio von Leonard Neumann, Inselstr.

SK: Die nächste Veranstaltung vor Ort fand tatsächlich parallel zur Artweek 2019 statt und verursachte einiges Aufsehen. Wir wollten ein Auto, das zugleich ein mobiles Tattoo Studio ist, in den Raum stellen, eine Arbeit des Künstlers Leonard Neumann. Sein Vater, der Volksbühnen-Bühnenbildner Bert Neumann, arbeitete gerne höhnisch mit Ready Mades aus der „tristen, bunten Warenwelt“. Wenn sich die Wirklichkeit andauernd inszeniert und die Gesellschaft des Spektakels so tut, als sei sie die Wirklichkeit, reicht es, ihre Oberfläche zu kopieren und elegant zu verfremden. Als bekannt wurde, dass auf Wunsch des damaligen Berliner Kulturstaatssekretärs Tim Renner der Kurator Chris Dercon die Volksbühne übernehmen soll, antwortete Neumann unmissverständlich: Lieber als mit Dercon zu arbeiten, der öffentlich um ihn warb, wolle er „ein Tattoo-Studio“ eröffnen. Dazu kam es leider nicht mehr, Bert Neumann starb 2015.

Sein Sohn Leo machte dann beim Abschiedsfest von Frank Castorfs Volksbühne ein mobiles Tattoo Studio in seinem Mercedes Kombi auf und wir haben ihn eingeladen, es für einen Abend in der Inselstraße zu parken. Die Idee war, den Raum als Garage zu entfremden und das Auto als Raum im Raum zu benutzen. Gleichzeitig aber auch etwas Tatsächliches anzubieten, nämlich ein Tattoo deiner Wahl. Etwas, das erstmal bleibt. Ein syrischer und ein französischer Tätowierer führten diese fachgerecht aus.

Leider kam es nicht dazu, dass wir den Mercedes tatsächlich in den Laden stellen konnten, was vielleicht auch gut war, da schon die Nachbarschaft mit Anzeige und Bauaufsicht drohte. Wir kannten die Berliner Garagenordnung natürlich auch nicht, die keine Autos in Wohnhäusern vorsieht.

Installation Tattoo Studio von Leonard Neumann, Inselstr.

HL: Das Auto parkte dann direkt vor dem Schaufenster und tätowiert wurde im Raum, einer wunderbar schummrigen Spelunke. Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?

SK: Es hat sich leider herausgestellt, dass die Nachbarschaft eher feindlich einer Veränderung gegenübersteht, die sie nicht einordnen kann. Kein Schild, kein klares Gewerbe usw. Ich nutze die Räume momentan als Atelier. Es gibt aber mehrere Ideen, die „Undefiniertheit“ des Ortes weiter fortzuschreiben. Vielleicht, falls das bis dahin wieder möglich ist, noch vor dem Sommer.

Fotos: © Stephanie Kloss, 2020

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