»Der Prozess der Bewegung und des Übergangs, des Hinein- und Hinausgehens in
eine Praxis, ein Projekt, ein Leben und das, was darin geschieht, ist mein
Hauptinteresse am Ensemble.« Anton Kats
Mit der Künstler*innenresidenz und dem gleichnamigen Musikensemble »Grounded Outer Space People« von Anton Kats, das als performative Ausstellung in der Galerie Wedding präsentiert wird, verschiebt sich der Wahrnehmungsmodus vom Visuellen zum Klanglichen. Das Projekt bietet einen ausstellungsähnlichen Rahmen für die Proben des Ensembles, für Konzerte und Präsentationen, Klang- und Bildarbeiten, hochskalierte Partituren und Zeichnungen und lädt das Publikum ein, die erste Iteration der »Transmigration Library« (dt. Trans-Migrations Bibliothek) zu besuchen. Die »Transmigration Library« ist eine Sammlung von Büchern, welche die Reinkarnation als nützlichen Rahmen für Musikforschung und politisch engagierte künstlerische Praxis betrachten, aus der die Poetik geografischer Verdrängung hervorgehen könnte.
Solvej Helweg Ovesen (SHO): Du sagst oft, dass du auf »nach vorne hörst«, oder »einer Sache entgegenlauschst« (»listening forward«). Wie kann man sich das vorstellen?
Anton Kats (AK): Das ist eine schöne Frage – was ist »vorwärts lauschen« (»listening forward«), bzw. »entgegenhören«? Ich habe mich dabei ertappt, dass ich diesen Ausdruck lieber mag als »mit Freude entgegensehen« (»looking forward«). Anfangs dachte ich, es sei nur eine Folge meines Widerstands, mich dem visuell dominierten Verständnis der Welt zu unterwerfen und meinen Augen zu vertrauen, die gewohnheitsmäßig Bedeutung über das Gesehene projizieren. Auf diese Weise begann ich, der Praxis des »listening forward« (»entgegenlauschen«) den Vorzug zu geben, anstatt nach vorne zu schauen. (…) In vielerlei Hinsicht denke ich, dass das Zuhören alles ist, was ist. Zuhören geht dem Klang voraus, Zuhören geht der Stille voraus, Zuhören geht allem voraus. Es ist der Hauptausgangspunkt. Ich verstehe diesen Ausdruck so, dass ich nicht einer bestimmten Sache »entgegen lausche«, sondern dass ich das »listening forward« als Praxis einsetze und dort beginne. Das Zuhören ist also das, was zuerst kommt, die Praxis des Zuhörens tritt hervor.
Und wenn alles im Zuhören liegt, ermöglicht dies auch eine Abkehr von der visuellen Darstellung von Klang, die dazu neigt, Klang auf eine Welle zu reduzieren (…). Klang ist keine zweidimensionale Welle. Die Welle ist die Art und Weise, wie sich der Klang ausbreitet, aber der Klang ist eigentlich ein Feld, und es ist gut, ihn im Sinne eines Volumens zu betrachten. Er ist viel näher an einem Gefäß, einem Mutterleib. (…) Hören und Klang sind großartige Mittel, mit denen wir die Welt erfahren können, aber es ist natürlich nicht so einfach, dass man nach vorne, nach links oder rechts lauscht. Wir müssen uns auf das Zuhören einstimmen, zuhören und Klang sein, uns selbst als Klang verstehen, in Begriffen des Zuhörens, des Klangs, der Stille, der Lautstärke, der Frequenz, der Tonhöhe, der Klangfarbe usw. denken und handeln, was aus dieser Perspektive das Potenzial hat, umfassender, allumfassender und ganzheitlicher zu sein, sowohl in unserem Verständnis als auch in unserem Missverständnis der Welt.
SHO: Es scheint, dass du dich von unserem Universum oder der Idee des Weltraums und der Raumfahrt als Spiegelbild unseres Verständnisses der Erde und unseres täglichen Lebens angezogen fühlst. Benutzt du das als Metapher, und steht es im Zusammenhang mit deiner Arbeit mit Klang?
AK: Es hat sehr viel mit meiner Herangehensweise an Klang zu tun, aber auch mit meiner Entfremdung gegenüber unserer Gegenwart. Das Radiohörspiel »Vostok 7«, das wir hier in der Ausstellung als Vinyl und Soundstück vorstellen, beginnt mit einem Zitat des Antihelden William Burroughs: »Betrachten Sie sich als Pilot eines ausgeklügelten Raumschiffs, in einem unbekannten Territorium«. Es wirft einen spielerischen Blick auf die erste Begegnung von Menschen in der Umlaufbahn. Der Moment, in dem die erste Frau im Weltraum, eine andere Antiheldin, die Russin Valentina Tereschkova, ihre erste Funkverbindung im Kosmos mit Valery Bykowsky aufnahm. Nach ihrer Rückkehr auf die Erde wurde Tereschkova zu einer politischen Schlüsselfigur. Sie ist immer noch ein sehr aktives reaktionäres Mitglied von Putins Partei »Unser Russland«. Ihre Rolle in der Politik ist speziell darauf ausgerichtet, die lächerlichsten und »spaced out« (abgefahrensten, oder entrücktesten) Vorschläge einzubringen, wie z. B. die unbegrenzte Verlängerung von Putins Amtszeit als Präsident. Die großen Wandzeichnungen im Hauptausstellungsraum zeigen die Vorbereitungen für ihre Reise (auf der rechten Wand) und ihre Landung (auf der linken Wand). Dabei ist es nicht hilfreich, »spaced out« oder abgespaced zu sein. Ganz im Gegenteil, dieser Zustand hat eine sehr konkrete und eine sehr dunkle Seite. Wenn man sich den Klang als Sphäre vorstellt, befinden wir uns bereits im Weltall. Wenn wir wirklich ehrlich zu uns selbst sind, sind wir schon da, wir können nirgendwo hingehen, es passiert schon. Wir müssen nirgendwo hingehen, sobald wir aufhören zu gehen und uns auf das einlassen, was ist, ist der Weltraum schon da. Das Fantastische ist nicht irgendwo anders, sondern in der sehr weltlichen, sehr gegenwärtigen, sehr pragmatischen Beschäftigung mit dem Alltäglichen, von Moment zu Moment, von Tag zu Tag.
SHO: Wir sprechen oft über deine klangbasierte und fantastische Weltsicht und Wahrnehmung von Konflikten und koexistierenden Realitäten und Intransparenzen – gegenwärtige Präsenzen, die wir nicht haptisch sehen oder berühren können, von denen wir aber wissen, dass sie da sind. Vielleicht können wir kurz über das Narrowcast-Radio-Konzept sprechen, denn du hast die »Agency« beim Zuhören als etwas sehr Wichtiges für deine Praxis und das, was du in einem Raum erzeugen willst, erwähnt. Meiner Meinung nach gibt es eine gewisse Verbindung von »Grounded Outer Space People« als Ensemble, als Treffpunkt, in dem du Sound als eine fast aktivistische Plattform verwendest, zu den Narrowcast- oder Community-Radiosendern, die du bisher auf der ganzen Welt als Künstler geschaffen hast. Wie würdest du diese Verbindung beschreiben?
AK: Mein Leben und meine Erfahrung haben mich so geprägt, für mich geht diese Verbindung auf meinen Großvater Prokofii zurück. Ich bin in den 1980er/90er Jahren in der Ukraine aufgewachsen und er wuchs auch in der Ukraine auf, aber in den 1930er und 40er Jahren. Als der zweite Weltkrieg begann war er ein Teenager.
Prokofii wollte sehr entschieden die Nazis bekämpfen, so wie viele minderjährige Kinder meldete er sich damals freiwillig zur Front. Er wurde auch eingezogen, war aber zu jung und körperlich zu klein. Trotzdem wendig genug. Und so gab man ihm anstelle einer Waffe eine Feld-Radiostation. (…) So ging er als Funker durch den Krieg und nutzte das Radio als strategisches Instrument, was auf die dunklere Seite der Geschichte des Radios verweist, und dem, was Menschen immer noch fähig sind, mit dem Radio anzurichten. Natürlich dient nichts davon der Unterhaltung oder einfach als Nachrichten oder Wetterbericht. Und obwohl Prokofii während des Krieges viele Tode gestorben ist, überlebte sein Körper irgendwie. Viele Lektionen, die durch ihn vermittelt wurden, handelten davon, der Natur zuzuhören, von dem Überraschtsein darüber, am Leben zu sein, die Käfer zu beobachten, verblüfft zu sein von der Geschwindigkeit, mit der das Gras wächst, den Bäumen zuzuhören und mit ihnen zu kommunizieren, aber auch davon über Radio als strategisches Werkzeug und als Instrument des Kampfes nachzudenken. Dies waren meine frühen Sendungen, die sich mit verschiedenen Formen der Präsenz und gleichzeitig mit verschiedenen Formen des Kampfes und des Reagierens mittels der Praxis des Radios und des Zuhörens befassten.
(…) Eines der Dinge, die ich dabei wirklich neu überdenken musste, ist der Begriff des Radiostudios. Wenn wir daran denken, denken wir meistens an den Rundfunk, eine sehr zentralisierte Form der Übertragung, bei der es um Infrastruktur und Fachwissen geht, darum, wer Zugang hat, wer sprechen darf, was gesagt wird, ob es bearbeitet wird oder nicht usw. Ich finde das meistens sehr schwierig, zu exklusiv und zentralisiert von oben nach unten und deshalb wollte ich ein solches Radiostudio und damit die Radiosendung (engl. radio broadcast) destabilisieren und vielleicht öffnen und umkehren. Und so wurde es zum »Radio Narrowcast«. Auf diese Weise brachte ich die Radiostudios nach draußen, auf die Straße, öffnete sie, mischte auf, wer zuhört und wie gesendet wird usw. Auf diese Weise hatte ich das große Glück, Radiosender in Kingston, auf Jamaika, London, St. Petersburg, Kassel, Minneapolis, Berlin, Bergen, Amsterdam und an vielen anderen Orten zu schaffen. Und das Schöne daran, was passiert, wenn man von der Produktion eines klassischen Radios zu „anderswo“ weggeht, ist, dass sich die Aufmerksamkeit von der Produktion eines radiospezifischen Inhalts auf die Idee der Übertragung selbst verlagert. Im Vergleich zum Bandprojekt in der Galerie Wedding geht es also weniger darum, eine Band, einen Song, ein bestimmtes Programm zu machen, sondern vielmehr um die Fragen der Übertragung, die auch Fragen der Handlungsfähigkeit sind. Wer überträgt was an wen, mit welchen Mitteln und warum wird es übertragen? Es gibt eine Art von Resonanz zwischen Radio Narrowcast und »Grounded Outer Space People« in der Art und Weise, wie man mit einem flexiblen Studio arbeitet und wohin sich das Projekt entwickeln kann.
SHO: Das führt uns zum Titel deines Projekts und Ensembles »Grounded Outer Space People«, mit dem du in dem Format des »offenen Studios«, das du in der Galerie Wedding gestaltest, arbeiten und auftreten wirst. Es ist ein sehr konkreter Prozess, ein Ensemble zu schaffen. Was wollt ihr mit diesem Projekt erforschen, wie wählt ihr eure Mitstreiter*innen aus und welche Rolle spielt die »transmigration«?
AK: Die Gründung der Band »Grounded Outer Space People« wurde 2021 von ILYICH, meinem Mitspieler, im Rahmen des Popkultur-Festivals in Berlin beauftragt. (…) Nach all den Lockdowns und Isolationsphasen dachte ich, dass es toll wäre, wieder gemeinsam zu arbeiten und zu sehen, wie die Einschränkungen, Instabilitäten und Umbrüche des aktuellen Moments mit einem Musikensemble übersetzt und aufgearbeitet werden können. Wie kann ein Ensemble eine übergreifende Methodik des Praktizierens und der Auslotung dieses aktuellen Moments vom Standpunkt der Musik aus darstellen? Wie kann ein Ensemble die Instabilität annehmen und was bedeutet das für die individuelle und kollaborative Praxis, für die Arbeit und den Zusammenklang? Außerdem war ich sehr neugierig, wie die Menschen, die mich bereits umgeben, diese erstaunlichen Künstler*innen und Musiker*innen, ihre Kräfte bündeln und ihre individuellen Praktiken zusammenführen können.
Die Begriffe »Migration« und »Übergang« (engl. »transition«) schienen in dieser zunehmend komplexen Fluidität untrennbar miteinander verbunden zu sein. »Transition«. »Migration«. »Transmigration« (Seelenwanderung). Der Begriff »transmigration« geht zurück auf das neugierig sein, aber auch auf das Überqueren. Natürlich umfasst der Begriff der »transmigration« oder Seelenwanderung auch die Reinkarnation und die Betrachtung des Lebens aus dem Blickwinkel einer Inkarnation, einer ganz bestimmten Inkarnation, eines ganz bestimmten Körpers, einer Familie, eines Landes, eines Planeten, eines Kontextes, einer Geschichte usw. Dennoch liegt der Hauptfokus bei der Erforschung der »transmigration« für mich natürlich darauf, den Lernstoff dieser ganz bestimmten Lebensphase zu nehmen und ihn durchzuarbeiten. Schritt für Schritt, ein Leben nach dem anderen sozusagen. Ich bin im Weltall, ja, aber auch sehr geerdet. Und genau darum geht es hier, um dieses aktuelle Leben und diesen aktuellen Moment. In diesem Sinne ist »transmigration« eine Art und Weise, sich mit der Überleitung von einem Daseinszustand in einen anderen zu beschäftigen. Und auch wenn es vielleicht ein wenig weit hergeholt oder klischeehaft klingt, bin ich sehr an dem ganz konkreten Leben nach dem Patriarchat, nach dem Rassismus, nach dem Sexismus, nach dem Faschismus, nach dem Kapitalismus interessiert.
So wurde die Beziehung zwischen »transmigration« (Seelenwanderung) und Musik zum Ausgangspunkt für die Entwicklung eines nomadischen Ensembles, in dem die Bandmitglieder ein- und austreten und an einer Künstler*innenresidenz bei den »Grounded Outer Space People« teilnehmen können. Die Künstler*innen sind eingeladen, neue Projekte zu entwickeln und zu präsentieren oder laufende Projekte zu überarbeiten und einzeln oder gemeinsam zu präsentieren. Auch die Praxis, sich als Ensemble zu bewegen und dauerhafte Residenzen in verschiedenen Räumen wie der Galerie Wedding in diesem Jahr oder dem HKW, Haus der Kulturen der Welt, in den kommenden Jahren einzunehmen, ist ein Kernelement dieser Arbeit. (…) Dieses Projekt ist auch inspiriert von Projekten wie »Col. Bruce Hampton and the Aquarium Rescue Unit«, »Chicago Boys: While we were singing, they were dreaming« (ein fantastisches Projekt des Künstlers Hiwa K, bei dem ich ebenfalls das Glück habe, dabei zu sein), »Sun Ra Arkestra« natürlich, und viele mehr.
SHO: Kannst du auch etwas über die anderen Ensemblemitglieder sagen?
AK: Ja, natürlich. Hani Mojtahedy ist eine kurdisch-persische Musikerin und Künstlerin, die stets im künstlerischen und politischen Kontext zwischen Kurdistan und Europa arbeitet. Ich habe noch keinen Menschen erlebt, dem nicht das Herz aufgeht, wenn Hani singt. Ich freue mich, dass Aiko Okamoto dem Ensemble beitreten konnte. Aiko ist eine visuelle und akustische Künstlerin, Organisatorin, DJ und auch Teil des Kollektivs female:pressure, einem internationalen Netzwerk von weiblichen, transgender und nicht-binären Künstler*innen in den Bereichen elektronische Musik und digitale Kunst. Dann haben wir einen erstaunlichen und sehr talentierten Musiker und Schlagzeuger, einen Jazzer, Ziggy Zeitgeist, der auch seine eigene Band Zeitgeist Freedom Energy Exchange hat. Vom Jazz kommend, erforscht
Ziggy die Musik als Schnittstelle von Improvisation und Tanz. Wir freuen uns, Khaled Kurbeh begrüßen zu dürfen, einen syrischen Musiker und großartigen Komponisten, den ich zum ersten Mal als Dozentenkollege im Masterstudiengang »Raumstrategien« an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin kennen gelernt habe. Seitdem hat mich sein Gespür und seine Sensibilität für Herz und Kontext, Klang und Präsenz, sein Ohr für Harmonisierung und seine Musikrecherchen umgehauen. Wir haben auch das große Glück, mit Anja Jadryschnikova zu arbeiten, die letztes Jahr als Dichterin und Tänzerin zum Ensemble gestoßen ist. Anja hat eine enorme Erfahrung als Tänzerin, Choreografin und Organisatorin. Anja hat außerdem das Kunstkollektiv »The Way« gegründet, das sich der Erforschung der Improvisation widmet und mit dem ich ebenfalls das Glück habe, gelegentlich zusammenzuarbeiten. Zu uns gesellt sich auch Jared Meier-Klodt, der tatsächlich fließend Russisch spricht, was ziemlich verrückt ist. Jared ist Musiker, aber auch ein sehr talentierter Musikproduzent mit vielen Projekten, wie dem Produktionsstudio jay.jay, das er mitbegründet hat. Er hat ein Talent für das Spielen von Drumcomputern und die Zusammenarbeit mit Maschinen im Allgemeinen. Als Teil des Musikduos »Pale« beschäftigt sich Jared in seiner Arbeit auch mit den unbequemen Erfahrungen deutsch-afrikanischer Identität/Herkunft und der Entwicklung und dem Austausch von Erzählungen, die zu Möglichkeiten der Heilung führen.
SHO: Und was ist Deine eigene Rolle in der Band, abgesehen von deiner Funktion als Bassist?
AK: Hahaha, ich bin in erster Linie ein Bassist und der Bass ist meistens »dazwischen«. Bass, E-Bass oder Kontrabass ist eine Basis zwischen der Rhythmusgruppe und der Melodiegruppe der Band, und er hat die Rolle eines Trägers, eine Art Membran, etwas, das beide Teile trägt, aber auch etwas, das für die Kommunikation und das Zusammenspiel der rhythmischen und melodischen Elemente sorgt. Der Bass hält sich etwas im Hintergrund, kann aber bei Bedarf ein Solo spielen. Und ja, wenn ich andere einlade, sich an dem Projekt zu beteiligen, muss ich, ob ich will oder nicht, die Rolle und die Verantwortung eines »Kapitäns unter Gleichen« übernehmen.
SHO: Und die Bibliothek?
AK: Die »Transmigration Library« befindet sich in ständigem Wandel. Ihre Iteration in der Galerie Wedding ist ein Vorschlag, eine Bibliothek in der U-Bahn zu schaffen. Ein transitorischer Ort, an dem sich die Menschen mit Literatur auseinandersetzen können, die sich mit verschiedenen Übergangszuständen befasst. Auch wenn das sehr weit gefasst klingt, sind die Bücher, die sich derzeit in der Galerie befinden, speziell auf der Grundlage meiner Forschungsinteressen im Bereich Klang und Musik ausgewählt worden. Dazu gehören Pauline Oliveros, »Quantum Listening«; Tara Rodgers und Jonathan Sterne, »The Poetics of Signal Processing«; Sun Ra, »The Immeasurable Equation«; »The Music and Mythocracy of Col. Bruce Hampton«; Jacques Attali, »Noise: The Political Economy of Music«; Hazrat Inayat Khan, »The Mysticism of Sound and Music« (1923); bell hooks, »Teaching to transgress« (2000); Salome Voegelin, »The Political Possibility of Sound: Fragments of Listening« (2018); Felix Guattari, »Popular Free Radio« (1986); Victor Wooten, »The Music Lesson« (2006) und viele andere. Aber auch alte Schriften, die viele Musiker*innen beeinflusst haben, wie zum Beispiel die Bhagavad Gita, das tibetische und das ägyptische Totenbuch, sind in der Bibliothek vertreten.
SHO: Meine letzte Frage lautet: Welche Rolle spielen Deine Zeichnungen – auch die ausgestellten?
AK: Ich betrachte Zeichnungen gerne als »pre-formances« (Prä-formungen). Etwas, das eine Form, einen Prozess, eine Richtung andeutet und einen Weg auf nonverbale, performative Weise vermitteln kann. Eine Zeichnung prä-formiert ein Projekt und performt die Idee, wenn das Sinn macht. Viele Zeichnungen hier sind auf diese Weise entstanden, einige von ihnen haben Form angenommen, wie beispielsweise einige der Radio-Soundsysteme, die mit dem Studio174 in Kingston (Jamaika) während der documenta 14 oder auf der 10. Berlin Biennale entwickelt wurden. Einige von ihnen sind immer noch in der Vorform und warten darauf, endlich materialisiert zu werden.
Anton Kats ist ein Künstler, Musiker und Tänzer aus Kherson, Ukraine. Antons künstlerische Praxis entspringt informellen, alltäglichen Beziehungen in einem lebendigen Viertel seiner Heimatstadt und wird ergänzt durch die Notwendigkeit und Pragmatik der Selbstlegalisierung in Europa durch den Eintritt in formale Bildungseinrichtungen. Seine Arbeit umfasst gleichermaßen Installationen, Performances, Filme und Skulpturen, offene Bildungsprogramme, Musik, Radio und Klang Interventionen, die durch die Innovation konkreter Hör- und Radiokonzepte in einem Kunstkontext entwickelt wurden. Kats schlägt die Figur des Künstlers als denjenigen vor, der sich mit den Problemen auseinandersetzt, die sich aus der Entwicklung der Werke ergeben, wobei er die Kunstpraxis als einen legitimen Ort der kritischen Untersuchung betrachtet. Kats schloss sein Studium mit einer praxisbezogenen Promotion an der Goldsmiths University of London ab und entwickelt regelmäßig experimentelle Lernorte und Curricula an Universitäten in aller Welt. Seine Arbeiten wurden unter anderem bei SAVVY Contemporary, Serpentine Galleries, Tate Modern, Tate Britain, Victoria and Albert Museum, Roskilde Festival, Showroom Gallery, Bergen Kunsthall, Kochi Muziris Biennale, Haus der Kulturen der Welt und auf der documenta14 in Athen und Kassel ausgestellt und aufgeführt.
www.antonkats.net
Solvej Helweg Ovesen (*1974) ist Kuratorin und Theoretikerin der Kulturwissenschaften (MA in Kommunikations- und Kulturwissenschaften der Universität Kopenhagen). Außerdem absolvierte sie das De Appel Curatorial Training Program in Amsterdam (2003). Derzeit ist sie künstlerische Leiterin der Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst, Berlin. Außerdem war sie neulich künstlerische Leiterin und Co-Kuratorin der Gruppenausstellung „Existing Otherwise – The Future of Coexistence“ (2022) mit Ibrahim Mahama im SCCA, Redclay Studio und Nkrumah Volini in Tamale, Nordghana. In 2021 gründete sie auch XO Curatorial Projects mit Katrin Pohlmann, die u.a. hinter diesem Projekt in Ghana und das Performance Festival “Movement Research ACROSS”, Rathaus Vorplatz und Galerie Wedding, 2022, co-kuratiert von Nitzan Margoliot, steht. 2020 war sie Mitbegründerin des Kuratorenlehrgangs „CURARE“ für Berliner Kuratoren, die für die Stadt Berlin arbeiten. 2018 war sie assoziierte Kuratorin der ersten Riga Biennale of Contemporary Art (RIBOCA1). 2017 war sie Mitglied des Kuratorenkonsortiums des dänischen Pavillons, der Kirstine Roepstorff repräsentierte, „INFLUENZA – Theatre of Glowing Darkness“ auf der 57. internationalen Kunstausstellung La Biennale di Venezia.
Grounded Outer Space People
14.10. bis 19.11.2022
Performative Ausstellung mit Künstler*innenresidenz und Musikensemble von Anton Kat
Im Rahmen des Ausstellungsprogramms Existing Otherwise | Anders Existieren 2021–22 in der Galerie Wedding
Künstlerische Leitung: Solvej Helweg Ovesen
Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst
Müllerstraße 146 – 147
13353 Berlin
www.galeriewedding.de
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