Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Rehabilitierung des DDR-Alltags

20.05.2019
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Die Ausstellung OST-BERLIN im Stadtmuseum Foto: Christian Kielmann

Über die Ausstellung Ost-Berlin – Die halbe Hauptstadt im Museum im Ephraim-Palais

Dreißig Jahre nach dem Mauerfall widmet sich eine Ausstellung im Museum im Ephraim-Palais der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Sie nimmt das soziale und kulturelle Leben der Stadt von Ende der 1960er Jahre bis zum Mauerfall in den Blick und beleuchtet es Anhand einer Vielzahl historischer Objekte. In der zweiten Etage werden persönliche Geschichten von und mit Objekten erzählt, „Mein Ost-Berlin“ heißt dieser Ausstellungsteil. Eines der Objekte ist eine Büste von Walter Ulbricht, die sich verbotenerweise in Familienbesitz befand. Stefanie Thalheim, wissenschaftliche Volontärin im Stadtmuseum, erzählt die dazugehörige Geschichte: „Sie stand ursprünglich am Roten Rathaus und wurde 1973 nach dem Tod von Walter Ulbricht entfernt. Mein Großvater, ein Schlosser, bekam den Auftrag, die Büste stillschweigend einzuschmelzen. Er versteckte sie jedoch in seinem Werkstattspind und nahm sie später mit nach Hause. Nachdem mein Großvater im Jahr 2014 verstorben war, fand mein Vater sie im Keller. Er schenkte sie dem Stadtmuseum. Ich war damals 15 Jahre alt und interessierte mich nicht dafür. Als ich 2017 mit meiner Arbeit im Stadtmuseum begann, sah das anders aus. Heute wüsste ich gerne, warum mein Großvater den Ulbricht aus Bronze rettete.“ Der Text zeigt exemplarisch am Beispiel eines Objekts, dass der Blick auf das Ost-Berlin in der DDR-Zeit voller Widersprüche ist, dass Geschichte meist nicht linear und einseitig verlaufen ist, und dass sich hinter den offiziellen Erzählungen private Geschichten befinden, die oft anders lauten, als die öffentlichen Versionen.

Anhand von neunzehn thematischen Schwerpunkten wie „Machtzentrum“ und „Grenzen“, „Selbstinszenierung“ und „Vergnügen“ wird den vielfältigen Aspekten des DDR-Alltags nachgegangen. Herausgekommen ist eine prall gefüllte Ausstellung, in der auf drei Etagen diverse Gegenstände aus der DDR versammelt sind wie eine Rakete aus dem Fahrgeschäft des Kulturparks im Plänterwald von 1969, Eisbecher aus der Mokka-Milcheisbar aus den 1980er Jahren und einer Karte von 1984, auf der die Aufmarschpläne für den Kriegsfall eingezeichnet sind. Flankiert werden diese Gegenstände von Kunstwerken, Fotografien, Texten und Infografiken.

Ausstellungsansicht, Foto: Christian Kielmann

Die Ausstellung will dezidiert einen Fokus auf das Alltagsleben legen – und rückt damit die ideologischen Verwerfungen in den Hintergrund. In einem Statement heißt es dazu: „Ost-Berlin wurde [in den bisherigen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit] zum zentralen Ort für eine Erinnerung, die das Scheitern des Staatssozialismus und die Aufdeckung des in der DDR begangenen Unrechts in den Mittelpunkt stellte. Als ehemaliges Machtzentrum wurde die Stadt zur Projektionsfläche für die Auseinandersetzung mit dem politischen Herrschaftssystem der SED und der Machtelite des untergegangenen Staates.“ 30 Jahre nach Mauerfall sei dagegen nun die Zeit gekommen, sich auf differenziertere Weise der Geschichte zu nähern.

Dass die Repression und Überwachung der DDR dennoch vorkommen, davon zeugt dieser Text über eine Ausstellung mit „Junger Kunst“ im Märkischen Museum im Februar 1981: „Schon während der Aufbauarbeiten [häufen sich] Besuche anonymer Kontrolleure. Immer wieder müssen Exponate ausgetauscht werden, bevor die Ausstellung eröffnet werden darf. Nach kaum einer Woche muss sie schon wieder schließen. Als Grund wird ein Defekt an der Museumsheizung vorgeschoben. Man hatte wohl das Aufsehen eines staatlichen Verbots vermeiden wollen und daher den Direktor zu einer ‚technischen Lösung‘ veranlasst.“

Dieser selbstkritische Hinweis (das Märkische Museum ist, wie das Museum Ephraim-Palais Teil des Stadtmuseums Berlin) ist wertvoll, dennoch ist es gut, dass die Ausstellung nicht nur Geschichten von der Repression erzählt. Das wäre naheliegend gewesen, wenn man sie als Kontrapunkt zu ihrem Vorgänger im Ephraim-Palais entwickelt hätte, die sich 2014/2015 WEST:BERLIN gewidmet hat. In der Schau bildete „der viel beschworene Begriff der ‚Freiheit‘ […] das Leitmotiv: Er zielte auf das demokratische Selbstverständnis der Halbstadt West-Berlin, aber auch auf die Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung und Selbstverwirklichung. Im Fokus standen dabei die Ausstrahlung und Mentalität der ‚Insel im roten Meer‘, ebenso wie das Lebensgefühl der verschiedenen Milieus zwischen liberaler Weltoffenheit und provinzieller Enge.“

Die Eröffnung der Ausstellung über West-Berlin fiel zusammen mit den Pegida-Protesten in Dresden und dem Aufstieg der AfD – seitdem hat sich der Diskurs über die DDR verändert und es wird stärker in den Blick genommen, was nach der Wende passierte: die Erfahrungen des Buchs, die Abwertung der DDR-Geschichte ihrer Bürger*innen und das Verschwinden ihrer Kunst, ihren Erzählungen und ihrer Materialitäten. Die Ausstellung über Ost-Berlin verpasst die Chance, diese Erfahrungen aus der Zeit nach dem Mauerfall zu erzählen – auch wenn einzelne künstlerische Arbeiten aus der Zeit nach 1989 stammen. Das macht sie zum Teil etwas nostalgisch, auch wenn ihr zu Gute zu halten ist, dass sie sich eben jenen Dingen widmet, die heute größtenteils verschwunden sind, wie der Palast der Republik. Durfte der Blick auf West-Berlin noch schwärmerisch sein, ist die Ausstellung über Ost-Berlin einer historisch-differenzierten Darstellung verpflichtet – davon zeugt unter anderem die Kooperation zwischen Stadtmuseum und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und die Begleitung durch einen Fachbeirat dem unter anderem Marion Brasch und Thomas Flierl angehören.

Ausstellungsansicht, Foto: Christian Kielmann

Doch das Bemühen um eine ausgewogene Darstellung führt dazu, dass die Ausstellung etwas harmlos daherkommt. Eine Besucherin, geboren in der DDR, empfindet die Ausstellung als zu „abgesichert“. „Weniger wäre mehr gewesen“, sagt sie. Obwohl im Ephraim Palais viele künstlerische Werke ausgestellt sind (neben Malereien vor allem Fotografien u.a. von Helga Paris und Harald Hauswald) sind diese eher Zeitdokumente als Übungen in Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit, die zu einer eigenen Positionierung herausfordern.

Dass die Auseinandersetzung mit der DDR dreißig Jahre nach Mauerfall jedoch auch ganz anders aussehen kann, das hat die dreitägige Veranstaltungsreihe Palast der Republik der Berliner Festspiele gezeigt, die dieses Jahr im März stattfand. Mit den Formaten Diskurs, Performance, Musik und Film wurden weniger Dinge betrachtet als eine Auseinandersetzung darüber geführt, welche emanzipatorischen Bewegungen und Haltungen der Wendezeit heute verschwunden sind, aber noch immer gebraucht werden.

Es bleibt die Hoffnung, dass das umfangreiche Begleitprogramm inklusive partizipativen Angeboten, Filmen, Diskussionen, Lesungen und Führungen viele Gelegenheiten schafft, um den Anspruch einzulösen, gemeinsam einen komplexen wie kontroverseren Blick auf das Ost-Berlin der DDR zu entwickeln..

 

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