Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Mut zur Wirklichkeit

28.09.2023
Die Galeristin Barbara Wien an ihrem Schreibtisch, Foto: Maggie Zaiss
Die Galeristin Barbara Wien an ihrem Schreibtisch, Foto: Maggie Zaiss

Galerien sind Mittler, Verkäufer und Unterstützer. Sie sind die Verbindung zwischen Künstler*innen und Kunstmarkt, stellen durch ihre Ausstellungsräume Sichtbarkeit her und knüpfen Kontakte zu Kurator*innen und Institutionen. In der dritten Folge stellen wir die Galeristin Barbara Wien vor.

Schräg gegenüber der Neuen Nationalgalerie, im dritten Stock eines Wohnhauses, hat Barbara Wien ihre Galerieräume. Großzügig geschnitten, mit hohen Decken und viel natürlichem Licht. Der Wohnungscharakter trägt dazu bei, dass sich kein klassischer White Cube-Effekt einstellt, auch wenn die Räume minimalistisch eingerichtet sind. Das hat auch mit dem bookshop zu tun, der gleichzeitig Bibliothek ist, und auf einem schmalen Tisch Raritäten und aktuelle Publikationen der Künstler*innen der Galerie präsentiert. Bücher von Dieter Roth, Dorothy Iannone, Haegue Yang, Michael Rakowitz und Jimmie Durham sind darunter, die zum Teil im eigenen Verlag erschienen sind. Hier wird der Kosmos der Künstler*innen eröffnet, die für Barbara Wien prägend waren und mit denen sie zusammen arbeitet. Zugleich wird hier dem Medium Künstler-Buch gehuldigt, das sie schon immer interessiert hat. Es überrascht nicht, dass Wien erzählt, dass sie in den 1970er Jahren zum Germanistikstudium nach Berlin kam und anschließend als Journalistin gearbeitet hat. Doch ein Faible für Literatur und die Fähigkeit, gut schreiben zu können, machen noch keine Galeristin. Wie ist sie zur Kunst gekommen? Wien berichtet, dass sie beim Magazin tip Anfang der 80er Jahre als Redakteurin den Kunstteil betreut hat und relativ unabhängig ihre Inhalte einbringen konnte. Sie bevorzugte damals wie heute die Form des Interviews und sprach mit vielen Künstler*innen die damals in Berlin ausstellten – dazu zählen Nam June Paik, Shigeko Kubota, Reiner Ruthenbeck, Franz Erhard Walther, André Thomkins, Günter Brus und Hermann Nitsch – um nur einige zu nennen. Einer von ihnen war Dieter Roth und die Begegnung mit ihm beschreibt Wien als „life-changing“ – im konkreten Sinne, weil sie anfängt, für seinen Verlag zu arbeiten und im übertragenen Sinne, weil Roths Haltung und seine Konzepte zur Vergänglichkeit und zum Prozesshaften in der Kunst sie nachhaltig prägen werden. „Seine Schokoladenskulpturen oder seine Bilder aus Abfallprodukten, die da so vor sich hin schimmelten – waren einfach wunderschön.“ Als sie aus finanziellen Gründen nicht länger für Roth arbeiten kann, gründet sie 1988 eine eigene Galerie in der Charlottenburger Goethestraße. Sie wird dann mehrmals umziehen – nach Schöneberg, in die Linienstraße und dann 2010 in ihre heutigen Räume am Schöneberger Ufer, Berlin Tiergarten.

Bookshop der Galerie Barbara Wien, Foto: Toshiaki Miyamoto

Nach einem gemeinsamen Nenner der von ihr vertretenen Künstler*innen gefragt, antwortet sie, dass sie an konzeptuell arbeitenden Künstler*innen interessiert sei, bei denen man spüre, dass eine intensive intellektuelle Auseinandersetzung stattfinde. Dabei denkt sie medienübergreifend und hat Künstler*innen im Programm, die sich auf Papier konzentrieren und Sprache miteinbeziehen (wie Tomas Schmit) oder eher skulptural und installativ arbeiten (wie Nina Canell oder Haegue Yang); es gibt sowohl fotografische Positionen (wie Peter Piller oder Elisabeth Neudörfl) als auch Künstler*innen, die mit Film arbeiten (wie Éric Baudelaire oder Dave McKenzie), wobei sich viele nicht auf eine Disziplin festlegen lassen. Etliche Künstler, mit denen sie anfangs zusammen gearbeitet hat, sind bereits verstorben, wie Dieter Roth, Arthur Köpcke, Hans Peter Feldmann, Robert Filliou oder Jimmie Durham. Sukzessive kamen jüngere internationale Positionen wie Dave McKenzie, Mariana Castillo Deball oder Daniel Lie hinzu.

Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten der von der Galerie vertreten Künstler*innen auf der Website, kommen mir mehrere Stichworte in den Kopf: Sperrigkeit, Humor, Reduktion, Abstraktion, Präzision, Mut zur Unvollkommenheit und zur Wirklichkeit. Was widersprüchlich klingt, geht durchaus zusammen, wie die aktuelle Ausstellung des britischen Künstlers Ian Kiaer zeigt. Es handelt sich um Malereien, relativ klein im Format, die großzügig auf die Räume verteilt sind. Durchgehend ziehen sich mit Bleistift gezogene Raster über die Leinwände, die mit Acrylfarben hauchdünn übermalt und manchmal auch mit Jute, einer leichten Gaze, oder auch mit farbiger Folie unterlegt sind. Markant an den Arbeiten sind die scheinbaren Fehler, wie Flecken, eingemalte Haare oder die Klammern, mit denen Kiaer die Leinwand auf dem Rahmen tackert. Kiaer spielt mit dem Imperfekten in einer immer glattgebügelteren Zeit. „Es steckt sehr viel Recherche hinter diesen minimalistischen Bildern. Sie beziehen sich, wie auch die installativen Arbeiten Kiaers, immer auf das Thema des Modells in Architektur und Philosophie“, sagt Wien und verweist auf Referenzen in der aktuellen Ausstellung zu Claude Parent und Paul Virilio, die eine Theorie der schrägen Architektur entwickelt haben. Zudem hebt sie Kiaers Mut zum Instabilen hervor – für sie sei dies auch Kiaers permanente Infragestellung eines veralteten Werk- und Zeitbegriffs. Hier sieht Wien eine Verbindung zu Künstlern wie Dieter Roth und Tomas Schmit, die auf humorvolle, manchmal auch ironische und bissige, aber immer auf eine ästhetisch herausfordernde Weise bürgerliche Kunstvorstellungen hinterfragt haben. „Das hat mich immer begeistert: wenn auch Ironie dabei ist und der Mut zum Abfall, zum scheinbar Wertlosen. Bei der Arbeit von Ian Kiaer finde ich eben auch die Dreckränder der benutzten Plexiglasscheibe interessant, aber es gibt Sammler*innen, die würden das nicht kaufen, weil es dreckig ist. Ich dagegen finde genau das gut – das Imperfekte und die Fähigkeit, den Zufall zuzulassen.“

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Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Ian Kiaer, Foto: Nick Ash
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Ausstellungsansicht , Foto: Ian Kiaer

Wenn Barbara Wien spricht, hört man ihre Freude an ihrem Beruf heraus, den sie seit über 35 Jahren ausübt. Der Austausch mit den Künstler*innen ist es, der sie reizt, ebenso wie das Begleiten und Entwickeln gemeinsamer Projekte, wobei Bücher definitiv einen besonderen Stellenwert einnehmen. „Die Energie so etwas so lange zu machen, kommt vielleicht aus der Mischung von Kunst und Büchern. Diese ganzen Themen, die die Künstler*innen haben! Diese wahnsinnige Bereitschaft schwierige Perspektiven einzunehmen, auf Themen zuzugehen, die andere für gelöst halten. Das ist wie ein lebenslanges Studium.“ Doch die Galeriearbeit besteht auch aus Messeteilnahmen, Sammler*innenbetreuung, Personalführung und dem Verkauf von Kunstwerken. „Ich glaube, die wichtigste Entscheidung ist, willst du wachsen, oder willst du nicht wachsen. Wenn du das Level halten kannst, ohne immer größer zu werden, ist es umso wahrscheinlicher, dass du es schaffst, im Kontakt mit den Künstler*innen zu bleiben. Ich bin kein Verkaufsgenie, aber mit der Zeit lernt man ja auch das“, sagt Wien. „Aber ich staune immer wieder, wenn ich höre, andere Galerien hätten richtige Sales-Teams. Die machen anscheinend nichts anderes, als Sammler*innen anzuwerben. Sowas habe ich nicht, leider.“  Dabei lacht sie, um in nächsten Moment mit ernster Stimme fortzufahren: „Was mir Sorgen macht, ist die gesellschaftliche Entwicklung. Die Kosten steigen kontinuierlich, alles hat immer mehr mit Geld zu tun.“ Sie beschäftigt die öffentliche Wahrnehmung der Galerien: „Wir unabhängigen, mittelgroßen Galerien entdecken und fördern die Künstler*innen, auch wenn ihre Konzepte verdammt schwierig zu vermitteln sind. Das machen ja nicht die blue chip-Galerien, die überall in der Welt Dependancen haben und auf etablierte und abgesicherte Positionen setzen.“ Sie vermisst mitunter die Anerkennung für diese zeitintensive und riskante Arbeit: „Zwar haben wir uns eine gewisse Anerkennung dafür erarbeitet, dass wir gute Leute entdeckt haben und sie jahrzehntelang begleiten können, aber fast niemand weiß, was es finanziell bedeutet, so etwas heutzutage zu meistern. Ich habe viele Kolleg*innen, die sagen, sie arbeiten immer am Rande des Ruins, ständig auf Kante. Galeristen gelten immer noch als Dealer, dabei setzen manche von uns immer und immer wieder alles ein, finanziell und energietechnisch!“

Bei Barbara Wien spürt man, dass sie eine von denen ist, die alles einbringen. Ein gutes Beispiel für ihren Einsatz ist das Archiv des Künstlers Tomas Schmit, das sich ebenfalls in den Galerieräumen befindet. Schmit war der Lebensgefährte von Wien, seit dessen Tod im Jahr 2006 kümmert sie sich um dessen Nachlass und hat unter anderem eine Doppelausstellung im Kupferstichkabinett und n.b.k. 2021/22 mitinitiiert. Um eine Gesamtausgabe der Texte von Tomas Schmit und ein Oral-History Projekt voranzubringen, hat sie 2022 den gemeinnützigen Verein schneckentreffen gegründet – ein treffender Titel für ein Unterfangen, das langsam, aber kontinuierlich vorangeht.

Barbara Wien im tomas schmit archiv, Berlin 2022; Still aus dem Film: Die Bibliothek von Tomas Schmit / Teil 1

Barbara Wien – gallery and book store
Schöneberger Ufer 65
10785 Berlin
Di – Fr 11– 18 Uhr, Sa 11 – 16 Uhr
barbarawien.de

Die Ausstellung „Endnote oblique, pink“ von Ian Kiaer ist noch bis zum 9. November 2023 zu sehen.

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