Im Oktober 2024 feierte das Goethe-Institut im Exil seinen zweiten Geburtstag. Seit seiner Gründung 2022 hat sich das Projekt als Bühne und als wichtiger Begegnungsort für geflüchtete Kunst- und Kulturschaffende aus aller Welt etabliert.
Am 20. Oktober 2016 wurde der Projektraum Goethe-Institut | Damaskus im Exil eröffnet. Für knapp drei Wochen bot er geflüchteten syrischen Künstler*innen Raum für ihre Kunst; neben Ausstellungen, Workshops, Performances und Konzerten wurden Themen wie Flucht, das Leben im Exil aber auch kulturelle Perspektiven für ihr Heimatland diskutiert. Der Konflikt in Syrien, der 2011 mit friedlichen Protesten gegen das Assad-Regime begonnen hatte, war zu diesem Zeitpunkt längst zu einem grausamen Stellvertreterkrieg geworden.
Aufgrund der Umstände musste das Goethe-Institut Syrien in Damaskus bereits 2012 geschlossen werden; das Projekt Goethe-Institut | Damaskus im Exil sollte nun temporär die Arbeit der nach Deutschland geflohenen syrischen Künstler*innen unterstützen. In seiner auf arabisch gehaltenen Eröffnungsrede sagte der Generalsekretär des Goethe-Instituts Johannes Ebert: „Wenn sie – hoffentlich – einmal zurückkehren, werden sie eine große Verantwortung für den Wiederaufbau ihrer Gesellschaft haben.“
Knapp neun Jahre später beginnt das Jahr 2025 für im Exil lebende Syrer*innen mit Hoffnung. Das Regime ist gestürzt, die Möglichkeit des Wiederaufbaus, des Neuanfangs ist zum Greifen nah. Am 23. Januar findet im Kunsthaus ACUD die Veranstaltung Syrien: Quo Vadis. Literarische Perspektiven auf Erinnerung, Wandel und Zukunft statt. Die renommierten syrischen Exil-Autorinnen Dima Wannous, Rosa Yassin Hassan und Inana Othman sprechen über die Themen Identität, Verlust, Angst sowie über die neu gewonnene Freiheit. Der syrische Schriftsteller, Journalist und Podcaster Ahmad Katlesh berichtet über seine Reise, die er kurz nach dem Sturz Assads unternommen hat.
Ausgerichtet wird die Veranstaltung vom Goethe-Institut im Exil, das sich aus dem Projekt Goethe-Institut | Damaskus im Exil entwickelt hat.

Zahlreiche Kulturinstitutionen mussten ihre Arbeit in den Kriegs- und Krisengebieten einstellen
„Die Grundidee des Projekts ist es, einen Ort zu schaffen, der sowohl Schutzraum ist als auch Bühne für Künstler*innen, die zu uns kommen aus Ländern, in denen die Arbeit der Goethe-Institute nicht mehr fortgesetzt werden kann. Wir versuchen aufzufangen, was vor Ort nicht mehr möglich ist, zumindest temporär“, so Rebecca Ellsäßer, die im Goethe-Institut im Exil für die Kommunikation verantwortlich ist.
Das Projekt ist also nicht nur eine Reaktion auf den Syrien-Krieg und die Schließung des dortigen Instituts. In den vergangenen Jahren mussten zahlreiche Kulturinstitutionen wie das Goethe-Institut ihre Arbeit in den unterschiedlichen Kriegs- und Krisengebieten einstellen oder modifizieren: So beispielsweise das 1965 gegründete Goethe-Institut Afghanistan in Kabul, das 2017 gezwungen war, seine Arbeit zu beenden, nachdem sein Gebäude – die ehemalige Residenz der DDR-Botschaft – bei einem Anschlag schwer beschädigt wurde. Die Filiale in Belarus sowie der dort ansässige DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) mussten ihre Tätigkeit im Juli 2021 nach Aufforderung seitens der belarusischen Regierung einstellen. Die Arbeit des Goethe-Instituts Sudan in Karthum ist wegen der Kämpfe zwischen den sudanesischen Streitkräften und der paramilitärischen Miliz Rapid Support Forces seit 2023 nicht mehr möglich, wird aber aus Kairo fortgesetzt und koordiniert. Und in Kyiv geht die Arbeit im Goethe-Institut Ukraine zwar auch nach Beginn des Angriffskrieges Russlands weiter, jedoch unter extrem schwierigen Bedingungen, wie Institutsleiter Fabian Mühlthaler in einem Video über die Arbeit vor Ort berichtet.
Begegnungsort und Transitraum
Seit seiner Eröffnung im Oktober 2022 hat sich das Goethe-Institut im Exil mit Sitz im Kunsthaus ACUD schnell zu einem wichtigen Begegnungsort für Kunst- und Kulturschaffende entwickelt. Hier finden Ausstellungen, Paneldiskussionen, Performances, Lesungen, Konzerte und Installationen statt, man kommt zusammen, tauscht sich aus, vernetzt sich.
Das Projekt nimmt die Funktion eines „Transitraumes“ ein, in dem die Kunst- und Kulturschaffenden an ihre bisherige Arbeit anknüpfen können: „Es ist uns wichtig, die Menschen mit ihrer jeweiligen Expertise wahrzunehmen und sie bei der Fortsetzung ihrer Arbeit zu unterstützen, so dass sie auch in ihre Herkunftskontext hineinwirken können“, sagt Ellsäßer.
Bestehende Netzwerke sollen hier gestärkt, neue Verbindungen geschaffen werden. Außerdem will das Goethe-Institut im Exil wichtige regionale und globale Diskurse fortführen bzw. sichtbar machen.

Je nach Möglichkeit steht das Berliner Team mit den Kolleg*innen der jeweiligen Institute in Verbindung, die Arbeit soll so gut es geht fortgeführt werden. So ist beispielsweise Ibrahim Hotak, der nach dem Sturz der Taliban-Regierung ab 2005 am damals neu eröffneten Goethe-Institut in Kabul arbeitete und dieses von 2015 bis 2019 leitete, heute in Berlin für die Kuration des Schwerpunkts Afghanistan verantwortlich. Aufgrund der erneuten Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 kann seine Arbeit in Kabul vorerst nicht weitergeführt werden. In einem Interview, das auf der Homepage des Goethe-Instituts im Exil zu finden ist, berichtet er über seine Arbeit in einem von langanhaltendem Krieg zerstörten Land: „Zwanzig Jahre Krieg, Vertreibung und Exil haben zahlreiche Künstler*innen und Kulturschaffende aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt. Viele sind ins Ausland gegangen, andere hatten den Mut und die Hoffnung verloren und waren mit der Bewältigung des täglichen Lebens beschäftigt. (…) Ein (…) Fokus lag darin, Künstler*innen und Kulturschaffende ausfindig zu machen und zu vernetzen, sie physisch zusammenzubringen.“
Hier wird die Funktion des Projekts als „Transitraum“ deutlich: Die Arbeit des Goethe-Instituts im Exil zielt auch auf Kontinuität ab, hat einen Punkt in der Zukunft im Blick, an dem die Arbeit „Zuhause“ wieder möglich sein wird. So wie derzeit im Fall der syrischen Menschen. Viele der Besucher*innen der Veranstaltung Syrien: Quo Vadis haben davon berichtet, auf baldige Rückkehr zu hoffen, so Ellsäßer und weiter: „Wir beobachten aufmerksam die Entwicklungen in Syrien, sind mit den zuständigen Kolleg*innen in der Region und Partner*innen in Kontakt. Noch ist es zu früh, konkrete Pläne umzusetzen – die Überlegungen stellen wir natürlich bereits an. Voraussetzung ist, dass die außenpolitischen Rahmenbedingungen dies zulassen und unsere Kolleg*innen vor Ort sicher arbeiten können.“
Ein Stück Heimat im Exil
Bis es so weit ist, bietet das Goethe-Institut im Exil zumindest ein Stückchen Heimat. Ibrahim Hotak weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig ein solcher Ort ist: „Die Bedeutung des Projektes für die Künstler*innen und Kulturschaffenden im Exil liegt auf der Hand. Wer den Schmerz des Heimatverlusts, das Vermissen der Kultur und des Zuhauses kennt, weiß, dass so ein Ort immer wieder ein Stück Heimat, Trost, Freude und Hoffnung bedeuten kann.“

Vermutlich lässt es sich als Mensch ohne Fluchterfahrung nicht ermessen, wie wichtig die Arbeit eines Projekts wie Goethe-Institut im Exil ist, für die geflüchteten Künstler*innen und Kulturschaffenden, aber auch für alle anderen geflüchteten Menschen. „Bei der Veranstaltung Syrien: Quo Vadis haben uns viele Syrer*innen erzählt, wie gerne sie in Damaskus die Veranstaltungen des Goethe-Instituts besucht haben und wie schön es für sie war, im Goethe-Institut im Exil wieder Veranstaltungen zu Syrien zu besuchen. Und auch bei Veranstaltungen zu anderen Länder-Schwerpunkten ist die Dankbarkeit darüber, dass es diesen Raum gibt, stark zu spüren.“
Eine Neuausrichtung im dritten Jahr
Das Programm von Goethe-Institut im Exil basiert derzeit auf fünf Länderschwerpunkten: Ukraine, Afghanistan, Iran, Belarus und Sudan, denen seit Projektgründung jeweils ein eigener Programmblock gewidmet wurde. Das Auftaktwochenende 2022 stand im Zeichen der ukrainischen Kultur, Anfang 2023 gaben zahlreiche Veranstaltungen einen Einblick in die Kulturszene des Irans. Im Anschluss fand im März 2024 das Belarus Festival mit 50 belarussischen Künstler*innen statt. Und im Sommer 2023 wurden auf dem Afghanistan-Festival Elemente der traditionellen und zeitgenössischen afghanischen Kultur präsentiert sowie aktuelle Diskurse der Diaspora thematisiert. Am 14. April 2024, ein Jahr nach Beginn der Kämpfe im Sudan, lud das Goethe-Institut im Exil zu einer diskursiven Veranstaltung mit dem Titel Art in Times of War and Displacement. On the Current Situation in Sudan.
Der Blick richtet sich darüber hinaus aber auch ganz allgemein auf Kunst und Kultur im Exil: Die Reihe „Literaturen im Exil“ gibt einen Einblick in das Arbeiten und die Realitäten von Autor*innen, die ihre Heimatländer verlassen mussten; das Netzwerktreffen „Monthly Meet-Up“, das in Kooperation mit touring artists ausgerichtet wird, richtet sich an transnationale Künstler*innen, die neu in Berlin sind und sich hier etablieren möchten.

Im dritten Jahr des Projekts ist eine Neuausrichtung geplant. Projektleiterin Carmen Herold sagt dazu:
„Nachdem in den letzten Jahren Länderschwerpunkte programmbestimmend waren, werden wir das Projekt künftig stärker entlang transnationaler Themen entwickeln. Ein Beispiel hierfür ist das dreitägige Musikfestival Mapping Sounds in Exile, das wir im Oktober 2024 erstmals gemeinsam mit der Berlin School of Sound im ACUD Club veranstaltet haben und das am 2.,3. und 5. Juli 2025 zum zweiten Mal stattfinden wird. Die eingeladenen Pop-Musiker*innen kommen aus ganz unterschiedlichen Teilen dieser Welt, doch sie eint Fragen des Widerstands, der Wanderschaft, des (Nicht-)Ankommens und der Erinnerung. Ihr klangliches Repertoire ergänzen sie durch die Erfahrung neuer Kontexte. Mapping Sounds in Exile zeichnet also nicht nur eine Landkarte politischer Krisenorte, sondern vor allem einen Atlas diverser Musiktraditionen, die sich über Grenzen hinaus behaupten und erweitern. Das Festival folgt dem Ziel, die unterschiedlichen Stile und Einflüsse von Pop-Musiker*innen zu zeigen, die Brüche und Neubeginne erleben mussten. Es lädt zugleich dazu ein, verbindende Elemente von Exil-Erfahrungen erlebbar zu machen und fördert die transnationale Verständigung und Vernetzung.“
Ein besonderes Projekt an einem besonderen Ort
Wer die Angebote nicht persönlich wahrnehmen kann, hat die Möglichkeit, sich durch die archivierten Inhalte auf der Website zu klicken. Hier finden sich Buchtipps, Interviews sowie zahlreiche Panel-Aufzeichnungen mit unterschiedlichen Themen (z.B. „Spielräume der Kulturpolitik“, oder „Rettung von Kunst und Kulturgütern“). So kann die Online-Präsenz des Projekts durchaus auch als wertvolles Recherche-Tool verstanden werden kann.
Hauptort des Goethe-Institut im Exil ist das Kunsthaus ACUD, das seinerseits ebenfalls eine bewegte Geschichte hat: Der Vorläufer des heutigen ACUD (der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben seiner vier Gründungsmitglieder zusammen) war eine Privat-Galerie, die zum Jahreswechsel 1989/90 in verschiedenen leerstehenden Wohnungen in einem Haus in der Rykestraße in Prenzlauer Berg eröffnet wurde. 1991 konnte die Künstler*innen-Gruppe ein unbewohntes, marodes Haus in der Veteranenstraße beziehen. Es folgten eine Sanierung, eine Insolvenz und eine drohende Zwangsversteigerung, die jedoch 2014 durch die Initiative ACUD MACHT NEU abgewendet werden konnte. Heute ist das ACUD „eines der wenigen noch existierenden freien Kunsthäuser, die nach der Wende in Ost-Berlin gegründet wurden“, wie auf der Homepage zu lesen ist.

Aber nicht nur in der Veteranenstraße, auch an anderen Orten Berlins, Deutschlands und der Welt finden Veranstaltungen statt. In Berlin war von Februar bis Mai 2024 die vom Goethe-Institut im Exil geförderte Ausstellung „manchmal halte ich mich an der luft fest“ in der kommunalen Galerie im Körnerpark zu sehen. Junge belarusische Künstler*innen im Exil blickten hier auf die zivilgesellschaftlichen Proteste, die 2020 in Belarus stattgefunden haben und sich gegen die gefälschten Wahlen und die repressive Politik des Machthabers Lukaschenko wandten.
Im Sommer 2024 präsentierte die Ausstellung „Women Life Freedom“ in der Saarländischen Galerie – Europäisches Kunstforum Arbeiten von sechs iranischen Künstlerinnen und Ende 2023 fand im Sinema Transtopia die Podiumsdiskussion Where to go from here – Afghanische Kunst und Medien im Exil statt.
Ausblick
Als Satellitenprojekt des Goethe-Instituts erhält das Goethe-Institut im Exil keine langfristige Förderungszusage. Für 2025 ist die Förderung gesichert, wie es danach weitergeht wird sich noch entscheiden.
Dass ein Ort wie das Goethe-Institut im Exil wichtig ist, steht außer Frage. Man kann seine Arbeit unterstützen, indem man seine (oft kostenlosen) Veranstaltungen besucht. Zum Beispiel das von Ayat Najafi inszenierte Theaterstück Frauen der Revolutionsstraße, das vom 27.2. bis zum 8.3. gezeigt werden wird und Einblicke in die Geschichte des Widerstands der Frauen gegen die Islamische Republik Iran gibt. Oder die Veranstaltung Resonant Listening, bei der es eine Listening Session mit Ali Hasan, Julnar Georges und Wassim Mukdad sowie ein Konzert der Arabic Female Voices geben wird. Resonant Listening findet am 25.2. im ACUD Club statt.
Mehr Infos zu Goethe-Institut im Exil gibt es hier