Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Parkporträt: Der Kleine Tiergarten

16.03.2021
20210222_140940
Der Senkgarten im Kleinen Tiergarten ist eine kleine grüne Oase, Foto: Anna-Lena Wenzel
20210222_141023
Feuerschüsseln und Sitzgelegenheiten sind nur einige der vielen Nutzer*innenangebote im Kleinen Tiergarten, Foto: Anna-Lena Wenzel
Kleiner Tiergarten
Der gelbe Container ist ein beliebter Treffpunkt
20210222_145135
Gabenzaun der Heilandskirche ,Foto: Anna-Lena Wenzel
Otto-Spielplatz im Kleinen Tiergarten
Spielplatz und sozialer Anlaufpunkt: der Otto-Spielplatz im Kleinen Tiergarten

Kleiner Tiergarten klingt wie eine Miniversion des Großen Tiergartens, doch der schmale Parkstreifen ist viel mehr als das: Unmittelbar eingebunden in die urbane Infrastruktur von Moabit ist er ein hoch frequentierter Treffpunkt für verschiedene Nutzer*innen inklusive sozialer Einrichtungen.

Man könnte den Kleinen Tiergarten in Moabit auch als Anti-Park bezeichnen, obwohl er ein Gartendenkmal ist: Statt um eine Parklandschaft handelt es sich um einen langgezogenen Grünstreifen, der durch zwei Straßen unterbrochen wird und eine U-Bahnstation beherbergt. Im Norden und Süden wird er durch vielbefahrene Straßen inklusive Busverkehr begrenzt, die so etwas wie die Lebensadern Moabits darstellen, denn hier befinden sich neben zahlreichen Läden und Restaurants auch das Rathaus des Bezirks Mitte und das Landesamt für Gesundheit und Soziales, die von Karl Friedrich Schinkel erbaute Johanniskirche sowie das vor einigen Jahren eröffnete Schultheiß Quartier. Mit anderen Worten: Der Kleine Tiergarten ist kein Rückzugsort und keine naturnahe Parkanlage mit sorgfältig inszenierten Blickachsen. Er ist vielmehr ein rege genutzter Ort für die heterogene Bevölkerung Moabits und verschiedene Nutzer*innen von klein bis groß, jung bis alt.

Ich betrete den Park an seinem östlichen Ende: Hier befinden sich ein großer Spielplatz und der Biergarten Moabiter Freiheit, der wie alle Restaurants und Cafés zurzeit geschlossen ist. Es ist Mittagszeit und der Spielplatz ist gut besucht. Mir fällt auf, dass es viele Sitzgelegenheiten gibt und die meisten belegt sind. Alte und junge Menschen sitzen auf den Bänken und genießen die Sonne, Paare und Mütter mit Kindern haben an den Tischen Platz genommen und sind am Picknicken. Eine Gruppe von jungen Frauen hat Shishas mitgebracht und raucht. Andere spielen Tischtennis, ein Junge hüpft das auf den Boden gemalte Hase- und Igel-Rennen nach. Über den Park verteilt liegen großformatige Steine auf dem Boden, die sogenannten Sitzkiesel, zudem gibt es mehrere Feuerschalen, die offenbar regelmäßig benutzt werden und an vielen Bäumen hängen Vogelhäuschen. Man merkt am gepflegten Zustand der Grün- und Spielflächen, dass die Anlage vor nicht allzu langer Zeit modernisiert wurde.

Erstaunlich ist die Vielseitigkeit dieser Anlage, die durch die unterschiedlich gestalteten Abschnitte entsteht: Neben Grün- und Spielflächen gibt es zum Beispiel einen Senkgarten, zu dem einige Stufen hinunterführen und in dem man sich wie in einer grünen Oase fühlt. Es gibt ein Wasserspiel, an dessen Urheber, Professor Hans Nimmann, ein Schild an einer Bank erinnert. Ein Stück weiter, direkt an der Straße, steht ein großer Findling und fordert „Rettet den Wald“ und „Rettet die Bäume“ – es handelt sich um ein im Jahr 2002 aufgestelltes Denkmal, das dem Deutschen Bundestag gewidmet ist und offenbar als Mahnung gedacht ist.[1]

Am Ende des Abschnitts befindet sich das Restaurant Alverdes, das mit seinem Namen dem Gartenarchitekten Wilhelm Alverdes gedenkt, der die Anlage ab 1960 neu gestaltete. Der Park, dessen erste namentliche Erwähnung auf das Jahr 1655 zurückgeht, erfuhr viele Umgestaltungen und wurde im Krieg stark zerstört. Die jüngste Umgestaltung des Parks geht auf das Büro Latz & Partner aus Bayern zurück, die einen europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb gewannen. Nach einem eineinhalbjährigen Planungs- und Beteiligungsprozess begannen im September 2011 die Bauarbeiten, die dem Kleinen Tiergarten und dem Ottopark in mehreren Abschnitten seine heutige Form gaben.

Überquert man die Straße, kommt man in einen Park-Abschnitt, in dem sich die Atmosphäre verändert. Hier sitzen viele Männer mit Bierflaschen auf den Bänken. In einer Ecke befindet sich ein gelber Container, der an einer Seite offen ist und nach hinten raus eine Öffnung – ein „Fenster“ – besitzt. Ein paar Meter weiter befindet sich ein Urinal, ebenfalls in gelb. Der Container ist beschmiert, jemand hat ein Regal davor abgestellt, doch der Beliebtheit des Ortes als offene Kneipe tut das keinen Abbruch: Fast immer sitzen hier Menschen zusammen.

Als der Park neu gestaltet wurde, war es das Anliegen des Bezirks allen Nutzer*innengruppen gerecht zu werden, wozu auch Drogenkonsumierende gehören. Ein Balanceakt, wenn man zugleich das Sicherheitsbedürfnis anderer Nutzer*innen befriedigen möchte. Doch das Konzept scheint aufgegangen zu sein. In einer Pressemitteilung des Bezirksamts Mitte aus dem Januar 2015 heißt es, dass es mit der Umgestaltung gelungen sei, einen ‚Park für alle‘ zu gestalten, in dem dunkle Bereiche beseitigt und neue Nutzungen in den Park gebracht wurden.[2]

Die Konsequenz ist, dass es neben dem offenen Container im Park auch mehrere Abfalleimer gibt, die der Spritzenentsorgung im öffentlichen Raum dienen. Zudem wurden Eingriffe in den Grünholzbestand vorgenommen, um hellere Ecken zu schaffen. Auch hier galt es abzuwägen zwischen Grünerhalt und dem Wunsch, die Grünflächen so zu gestalten, dass keine dunklen Ecken entstehen.

Der zweite Parkabschnitt endet mit der Heilandskirche, auf deren Vorplatz mittwochs ein Ökomarkt stattfindet. Als ich vorbeikomme, sitzen mehrere Männer vor der Kirche und trinken Tee, auf der anderen Seite hat ein älterer Mann eine Bierflasche in der Hand und beschallt den Platz mit elektronischer Musik. Im Infokasten gibt es sowohl Informationen zu den Sprechstunden bei dem Pfarrteam, zu Live-Streamingangeboten inklusive Podcasts, als auch Hinweise für psychosoziale Beratungsangebote und den Kältenotruf. Geht man um die Ecke, befindet sich an der Umzäunung ein Gabenzaun, an dem eine frisch gewaschene Decke in einer Plastiktüte auf Abholer*innen wartet.

Hinter der Thusnelda-Allee beginnt der dritte Parkabschnitt mit einer großzügigen ovalen Rasenfläche. An ihrem Rand befindet sich eine Stufe, auf der Paare und kleine Gruppen Platz genommen haben, um ihr mitgebrachtes Mittagessen zu verspeisen. An der Seite hat ein Mann eine Zungentrommel und einen Stuhl mitgebracht und spielt mit Hingabe sein Instrument. Hier ist das Publikum wieder gemischter und die Atmosphäre lebendiger, aber auch hier stellt sich weniger ein Parkgefühl ein, weil es sich eher um eine Abfolge verschiedener Areale handelt, die jeweils für sich funktionieren. Das hat auch historische Gründe, denn dieser Abschnitt war ursprünglich eine eigene Gartenanlage: Hier befand sich der Ottopark, der 1879 durch Gartenbaudirektor Hermann Mächtig auf dem Gelände einer Baumschule errichtet wurde. Heute gliedert er sich in mehrere Spielplatzanlagen auf. Die größte Anlage gehört zum Otto-Spielplatz, ein vom Moabiter Ratschlag pädagogisch betreuter Spielplatz mit Angeboten für Kinder und Jugendliche nach dem Motto: „Entdecke deine Möglichkeiten“. Dieser Teil ist eingezäunt, sein Eingang befindet sich im westlichsten Abschnitt des Parks, der ebenfalls über Spielmöglichkeiten für kleine und größere Kinder, viele Sitzmöglichkeiten und einen Pavillon – der Gemüsesalat und Pommes anbietet – verfügt. Kinder laufen umher, Jugendliche werfen Bälle in den Basketballkorb – auch hier zeigt sich der Park als Treffpunkt der Anwohner*innen.

Ich gehe in Gedanken zum östlichen Ende des Parks zurück und lege die unterschiedlichen Eindrücke übereinander – die unterschiedlichen Atmosphären, Abschnitte und vielfältigen (sozialen) Angebote und denke, was für eine gelungene urbane Verdichtung!

[1] https://bildhauerei-in-berlin.de/bildwerk/rette-die-baeume-rette-den-wald/

[2] https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/pressemitteilungen/2015/pressemitteilung.250659.php

Teilen