Während in stereotypen Darstellungen Archäolog*innen auf Ausgrabungsstätten im Staub und bei sengender Hitze spektakuläre Entdeckungen machen und Mumien und Skelette freilegen, ist ihre Arbeit in Wirklichkeit recht kleinteilig, erfordert viel Geduld und technisches Know-How – und man stößt meist bei Rohrarbeiten und an Baustellen auf sie und nicht bei gezielten Exkursionen in ferne Länder. Im PETRI Berlin wird aber nicht nur der Arbeitsalltag der Achäolog*innen anschaulich, sondern man kann auch einen Blick auf die Anfänge Berlins werfen. Denn das neue Gebäude steht an der historischen Keimzelle des mittelalterlichen Cölln. Hier, wo sich eine Kirche, ein Rathaus und ein Markt befanden, wird die Doppelstadt Cölln-Berlin im Jahr 1237 erstmals durch den an der Petrikirche tätigen Pfarrer Symeon urkundlich erwähnt, was als Geburtsstunde Berlins gilt. Aus diesem Grund spricht Matthias Wemhoff, Landesarchäologe und Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, vom Standort auch als „Genom der Stadt“.
Als bei Ausgrabungen durch die Archäologin Claudia Melisch 2007 bis 2009 Fundamente der Kirchen, des angrenzenden Friedhofs und einer Lateinschule gefunden werden, wird der ursprüngliche Bebauungsplan, der sich an den historischen Abmessungen des Stadtplatzes vor dem zweiten Weltkrieg orientierte, überarbeitet. Die westliche Begrenzung wird um einige Meter verschoben, um die älteren Grundmauern zu erhalten. 2012 wird ein Wettbewerb für ein archäologisches Zentrum ausgeschrieben, denn die ergrabenen Überreste sollten nicht nur dokumentiert, sondern auch dauerhaft sichtbar und begehbar werden. 2019 beginnen die Bauarbeiten unter der Obhut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die bis 2021 andauern; 2024 wird das Gebäude einer Kooperation des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin und dem Landesdenkmalamt Berlin übergeben.
Am 23. Juni 2025 eröffnet die „Schule der Archäologie“, wie Matthias Wemhoff, das neue Haus bei der Pressekonferenz bezeichnet. Er sieht in dem neuen Gebäude weniger ein Museum, als eine Mischung aus Arbeitsort und Forum für Forschung, Vernetzung und Vermittlung. Denn in das neue Haus ziehen Werkstätten und das Magazin des Museums für Vor- und Frühgeschichte ein, zudem gibt es einen Veranstaltungs- und Ausstellungsbereich, der vom Landesdenkmalamt mitgenutzt wird. In Zukunft kann man hier also die Geschichte des Ortes kennenlernen, archäologische Fundstücke bestaunen, einen Einblick in das Arbeitsfeld von Archäolog*innen und Restaurator*innen bekommen und über aktuelle Grabungen informiert werden. Für Anne Sklebitz, Leiterin des PETRI Berlin, ist das Haus demnach auch ein „Fenster in den wissenschaftlichen Alltag, in dem Archäologie als interdisziplinäres Fach erfahrbar wird“. Wurden Funde vorher, wenn sie z. B. bei aktuellen Grabungen wie am Molkenmarkt entdeckt werden, ins Museum für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum auf der Museumsinsel gebracht, kommen sie nun ins PETRI. Dort kann man ihren Werdegang – ihre Untersuchung, Reinigung und Restaurierung sowie Inventarisierung – in den transparenten Arbeitsräumen verfolgen.
Insgesamt wurden auf sieben Etagen zwanzig Arbeitsplätze und ca. 1.200 m² Ausstellungsfläche eingerichtet (im Vergleich: das Futurium verfügt über 3.200 m², das Humboldt Forum über 16.000 m².) Die Kosten für den unspektakulär wirkenden, in beigen Farben gehaltenen Bau beliefen sich auf knapp 32.500.000 €, wobei die Finanzierung des Gebäudes aus der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) erfolgte – ein Förderprojekt von Bund und Ländern.
Was die Besucher*innen genau erwartet, wird bei einem Rundgang durch das PETRI erläutert:
Untergeschoss: Archäologisches Fenster
Inmitten der Grundmauern der früheren Lateinschule, die hier bis 1730 stand und als Lernort nicht nur für das Lateinische galt, werden Informationen zur Geschichte des Petriplatzes vermittelt, dem die Petrikirchen seinen Namen gaben: Mithilfe von Texten, Modellen und einem Film erfahren die Besucher*innen, dass die erste Kirche aus Holz in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts errichtet wurde. Unter anderem, weil sie zweimal abbrannte, wurde sie mehrmals ersetzt, sodass hier wahrscheinlich fünf verschiedene Kirchenbauten standen. Der letzte Bau, im Krieg beschädigt, wurde 1964 gesprengt (14 Jahre nach der Sprengung des Schlosses) und der Ort als Parkplatz für die angrenzende Wohnbebauung genutzt.
Neben der Kirche lag von Anbeginn an ein Friedhof. Bei den Ausgrabungen am Petriplatz wurden neben den Mauern der Lateinschule und den Fundamenten der Petrikirchen 3787 Gräber geborgen und analysiert. 2024 kehrten 475 der Gebeine im Rahmen einer feierlichen Zeremonie an ihren ursprünglichen Begräbnisplatz zurück und ruhen seitdem im Ossarium (Beinhaus) im Untergeschoss des PETRI Berlin. In einem Totenbuch sind verschiedene Informationen zu den Personen versammelt, die hier begraben wurden. Es ist eine merkwürdige Inszenierung: wirkt sie einerseits anonym, erfährt man anderseits präzise wissenschaftliche Informationen über die Personen. Es ist ein Ort des Gedenkens, dem aufgrund seiner nüchternen Einrichtung jedoch die Emotionalität abgeht und der als Grabstätte abstrakt bleibt. Wer waren die Menschen, die hier damals gelebt haben? Wie waren sie gekleidet? Was haben sie gearbeitet?
Erdgeschoss: Ausstellung
Angewandter geht es in der Ausstellung im Erdgeschoss zu. In einer interaktiven Präsentation werden „Geheimnisse einer Großstadt“ gelüftet und der Bogen von der Historie ins heute geschlagen. Unter anderem lassen sich auf einer Karte Berliner Ausgrabungsorte überblicken und man erhält eine Antwort auf zahlreiche Fragen, etwa „Wie viele Grabungen finden in Berlin statt?“ (durchschnittlich werden im Jahr ungefähr 14 Grabungen durchgeführt).
1. Stock: Fundbearbeitung
In den nächsten Stockwerken steht die Arbeit der Archäolog*innen im Fokus und die Besucher*innen bekommen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Wenn bei Ausgrabungen Gegenstände geborgen werden – von stecknadelgroßen Metallresten, Scherben bis zu verrosteten Rohren – lautet nach der Fundaufnahme und Dokumentation die entscheidende Frage: Was wollen wir davon aufbewahren? Mit anderen Worten: Was ist so relevant, dass es bearbeitet und aufbewahrt wird? Wenn diese Frage beantwortet ist, geht es im nächsten Schritt darum, zu entscheiden, wie man mit dem Objekten umgeht, um sie zu bewahren.
2. Stock: Restaurierung und Konservierung
In der Restaurierungswerkstatt werden die Dinge erhalten. Archäologische Funde sind komplex und es gehört zur Expertise der Archäolog*innen zu wissen, wie das organische Material reagiert – ob es an der Luft oder im Wasser korrodiert –, wie man es reinigt und konserviert. Beim Blick in die offenen Werkstätten und die Arbeitsplätze der Mitarbeitenden, die einem Techniklabor gleichen (neben Gerätschaften zur Holztrocknung gibt es auch einen Röntgenraum), wird jedenfalls schnell klar, dass sich deren Arbeit viel um Materialkunde dreht. Im Ausstellungsraum gibt es neben Präsentationen der Mitarbeiter*innen und ihrer Aufgaben an digitalen Infotischen auch Mitmach-Stationen, an denen die Besucher*innen einige Arbeitsschritte selbst ausprobieren können.
3. + 4. Stock: Magazin und Schaumagazin
Das PETRI möchte die archäologische Vielfalt der Stadt nicht nur bewahren, sondern auch präsentieren. Dafür gibt es das Schaumagazin, das sich an der südlichen Fensterfront über mehrere Stockwerke hinzieht. Hier werden archäologische Funde aus der Studiensammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte von der Frühzeit bis heute ausgestellt. Dazu gehören:
– zwei Mammutstoßzähne (Elfenbein, Berlin, 50.000–20.000 v. Chr.). Sie sind Teil der eiszeitlichen Sammlungsfunde. Im Text heißt es über sie: „Derartige Funde sind Beweis dafür, dass auch im Gebiet der heutigen Großstadt einst Mammuts, Wollnashörner, Bären und Löwen durch die Gegend streiften.“
– mehrere Geweihstangen (Geweih, Burgwall, Berlin-Spandau, 12. Jhd.). Diese Geweihe zeugen von der Jagdbeute im mittelalterlichen Berlin. Dass sie fast vollständig sind, ist für archäologische Funde eher ungewöhnlich. Geweih diente unter anderem als Material für Kämme und Griffe.
– eine Statue des heiligen Stephanus (Sandstein, Breite Straße, Berlin-Mitte, 15. Jhd.). Diese Statue wurde im Keller des Ermelerhauses gefunden, einer Sammelstelle für herrenlose Kunst nach dem ersten Weltkrieg, wie es im Text heißt.
– ein Dutzend Tabakpfeifenfragmente aus Ton (Keramik, Berlin-Mitte, 18. Jhd.). Tabakpfeifen sind ein recht häufiger Fund in innerstädtischen Ausgrabungen und gelten als Beleg für den sich ausbreitenden Tabakkonsum im 18. Jahrhundert.
– drei Hundegrabsteine von Bella, Hexe und Luna (Stein, Monbijoupark, Berlin-Mitte, 1901, 1906, 1912). Bei den Hunden handelt es sich um Dackel von Kaiser Wilhelm II., sie wurden im Monbijoupark beerdigt, in der Nähe des Hohenzollernmuseums, das früher preußischen Königinnen als Sommerresidenz diente.
– Betonfertigteile Luftschutzgraben (Beton, Tempelhofer Feld, Berlin-Tempelhof-Schöneberg, 1939–1945). Diese Fertigteile dienten als Splitterschutzgraben für auf dem Flughafengelände eingesetzte Zwangsarbeiter.
5. Stock: Veranstaltungsraum und Balkon
Oben angekommen lädt der Balkon mit Sonnenstühlen und Fernrohren dazu ein, die unmittelbare Nachbarschaft zu erkunden. Zu sehen sind die in den 1970er Jahren in der DDR errichteten Wohnkomplexe an der Leipziger Straße und auf der Fischerinsel, direkt gegenüber die Baustelle des House of One, in dem ein geistliches Zentrum entsteht, und das Capri Hotel, in dem sich ebenfalls ein archäologisches Fenster befindet mit freigelegten Kellermauern, Steinfußböden und einem Brunnen. Zusammen mit den mittelalterlichen Gebäuderesten, die im Schlosskeller des Humboldt Forums zu sehen sind, kann man nun an mehreren Orten die Anfänge Berlins bestaunen.
Dabei drängt sich einmal mehr die Frage auf, welche Geschichte noch sichtbar ist – und welche so relevant und identitätsstiftend ist, dass sie wieder sichtbar gemacht und erzählt werden soll. Eine an der Wand befestigte Tafel regt mit der Frage „Welche Geschichte ist (mir) wichtig?“ zu ebendiesem Gedankenspiel an. Beim Blick auf die Fischerinsel fällt mir ein, dass direkt gegenüber das Ahornblatt von Ulrich Müther stand, eine Großgaststätte und ein architektonisches Juwel der DDR, von dem im PETRI Berlin keine Spuren ausgestellt sind.
Als ich den Flyer des PETRI in die Hand nehme, um ein bisschen nachzulesen, springt mir eine weitere Frage ins Auge, mit der zurzeit in der gesamten Stadt für das PETRI Berlin geworben wird: Wann hat Berlin eigentlich Geburtstag? Darauf habe ich nun eine Antwort bekommen: 1237 gilt zwar als das Geburtsjahr des heutigen Berlin, weil aus diesem Jahr die erste Erwähnung der Schwesterstadt Cölln stammt, doch die gefundenen Gebeine geben Hinweise darauf, dass Berlin mindestens 60 Jahre älter ist.
PETRI Berlin.
Gertraudenstr. 8 10178 Berlin
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr.
https://www.petri.berlin/