Ferial Nadja Karrasch

Immer wieder Neues zu lernen, die Welt für einen Augenblick mit den Augen einer fremden Person sehen, sich auf die unterschiedlichsten Perspektiven einlassen – das sind nur einige Aspekte, die Ferial Nadja Karrasch an ihrer Tätigkeit als Kunstjournalistin so schätzt. Sie lebt in Berlin und schreibt für verschiedene digitale und analoge Formate über Kunst und Kultur. Studiert hat sie Kunstwissenschaft, Philosophie und Ausstellungspraxis an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, an der Universiteit van Amsterdam sowie an der Universität der Künste Berlin.

Platte. Ein Modehaus für Kooperation und Forschung

15.06.2021
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Ausstellung in der "Platte", Fotos: Malwin Hürkey
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Eröffnung Modehaus PLATTE
Eröffnung des Modehaus PLATTE in der Memhardstraße, Foto: Malwin Hürkey

Zur Eröffnung der PLATTE in der Memhardstraße 8

Die Schaufenster ließen in eine bunte Welt blicken: Zur Eröffnung des interdisziplinären Modehauses PLATTE am 30.4.2021 kreierte die Performancekünstlerin Ma Li eine raumgreifende Installation aus gespendeten Produktionsabfällen der Berliner Modelabels Máthé, Tata Christiane und Starstyling. Aus unterschiedlichsten Materialien visualisierte Li die Welt der „May Queen“, der Frühlingsgöttin, die für Reinheit, Stärke, Wachstum sowie für die Lebensenergie der Erde steht. 

Besucher*innen konnten (selbstverständlich coronakonform innerhalb eines vorab gebuchten Zeitfensters sowie mit negativem Test und Mundschutz) durch das fantastische Arrangement aus floralen Elementen, geschmückten Schaufensterpuppen und Lichtern wandeln und dabei den Raum des neuen Modehauses unweit des Alexanderplatzes erkunden. 

Der Name „Platte“ bezieht sich auf den Gebäudetyp, in dem sich das Modeaus in der Memhardstraße befindet. Foto: Malwin Hürkey

Bunt bleibt es auch nachdem die „May Queen“ nun Anfang Mai aus der Memhardstraße 8 ausgezogen ist: Das Modehaus PLATTE soll ein Ort für Kooperationen und Begegnungen werden. Hier können Akteur*innen der Modebranche zusammenkommen, ihre eigenen Projekte realisieren und im Sinne und Zeichen der Nachhaltigkeit neue Ideen und Ansätze entwickeln.
Das Projekt ist eine gemeinsame Initiative der Bezirke Mitte und Pankow und hat das Ziel, den Modestandort Berlin attraktiver zu gestalten, die hier tätigen Modeschaffenden zu unterstützen und den nachhaltigen Wandel in der Branche voranzutreiben. Vorausgegangen war die gemeinsam mit dem Modenetzwerk NEMONA durchgeführte „Bedarfsanalyse der Modewirtschaft“, die die dringendsten Handlungsfelder verdeutlichte: Der hiesigen Modebranche fehlt es an Möglichkeiten der strukturellen Zusammenführung der einzelnen Akteur*innen sowie an Sichtbarkeit und Verkaufsmöglichkeiten vor allem für die jungen und unabhängigen Designer*innen. 

Das nun eröffnete Modehaus PLATTE ist konzipiert als bezirksübergreifende Anlaufstelle für Modeschaffende – mit einem sehr umfassenden und vielseitigen Angebot: Die rund 600qm in der Memhardstraße 8, die das Bezirksamt auf unbestimmte Zeit von der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH gemietet hat, beherbergen eine großzügige, von der Straße einsehbare Verkaufs- und Präsentationsfläche sowie ein Fotostudio im Keller. Es wird Computerarbeitsplätze mit branchenspezifischer Software und Gemeinschaftswerkstätten geben, in denen professionelle Maschinen stunden- oder tageweise gemietet werden können. In einer „Textilbibliothek“ lassen sich ab September nachhaltige Stoffe und nachhaltig arbeitende Lieferanten recherchieren.  

Ab 2022 stehen außerdem günstige Arbeitsplätze und Ateliers zur Verfügung – eine Maßnahme, um den unabhängigen Berliner Labels, die ohnehin zumeist bereits nachhaltig arbeiten, Raum zu bieten. Schon jetzt können sich Designer*innen mit Konzepten für Pop up-Stores, Events und Ausstellungen bewerben. 

Ein Expert*innenpool aus den unterschiedlichen Bereichen soll den Kreativen bei Fragen zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung aber auch zu Marketing, Betriebsführung und Rechtsberatung zur Seite stehen. Angesprochen sind hierbei sowohl etablierte Unternehmen, die sich nachhaltiger aufstellen möchten als auch aufstrebende Designer*innen und junge Talente der Berliner Hoch- und Modeschulen. 

Darüber hinaus sind ebenso branchenfremde Menschen dazu eingeladen, an den geplanten Workshops zu Themen wie Upcycling und Reparaturen teilzunehmen.  

Um nachhaltiges Design und faire Produktionsbedingungen aktiv voranzutreiben ist die PLATTE als Ort gedacht, an dem in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Weißensee und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (und in Zukunft weiteren Institutionen) Forschungsfragen und neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Es geht darum, Strukturen neu zu denken, Produktionsweisen, Verkaufskonzepte und Vertriebswege umzugestalten und auch das Konsumverhalten in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren.

Finanziert wird das ambitionierte Projekt durch einen Mix aus Bezirksmitteln und eigenen Einnahmen, aber auch Beteiligungen aus privaten Unternehmen sind anvisiert.

Der Standort der PLATTE in der Memhardstraße 8 ist dabei in vielerlei Hinsicht günstig und interessant: In unmittelbarer Nähe sind enorm viele Modegeschäfte. Das Viertel hat sich in den letzten Jahren noch einmal stark gewandelt, nachdem die stark gestiegenen Mieten dazu führten, dass sich an den Hauptstraßen fast nur noch internationale Modeketten halten können. In die andere Richtung ist es nicht weit zu dem kooperativen und gemeinwohlorientierten Modellprojekt „Haus der Statistik“. Zwischen diesen beiden Polen hat die PLATTE das Potenzial zu einem Ort zu werden, der nicht nur für die Berliner Modewelt bedeutend sein kann, sondern auch für die gesamte Stadt: Als ein Gegenentwurf zu dem allerorts seine Spuren hinterlassenden „Ausverkauf“ Berlins, der im Kultur-Mitte Magazin zuletzt im Kontext der Ausstellung „Stadt und Knete. Positionen der 1990er Jahre“ thematisiert wurde.

Vor der Memhardstraße 8 stehend, blickt man in den vielfältigen, sich im Entstehen befindenden Kosmos der PLATTE; von drinnen schaut man auf das hoffentlich bunt bleibende Berlin. 

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