Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Provenienzforschung im Museum für Naturkunde Berlin

20.04.2018
Installation von Mark Dion im Rahmen von Kunst/Natur, Foto: Justin Time

Ein Interview mit der Kulturwissenschaftlerin Mareike Vennen, die zur Provenienz der Dinosaurierfossilien forscht und sich mit der Frage beschäftigt, wie man diese sichtbar machen kann.

Der Brachiosaurus brancai ist der Publikumsliebling des Berliner Naturkundemuseums. Das Skelett wurde ab 1909 in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, unter Führung von Paläontologen des Museums für Naturkunde Berlin ausgegraben und 1937 dort im Lichthof aufgestellt. Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Forschungsprojekt untersucht seit 2015 die Umstände, unter denen das Skelett in das Berliner Museum kam. Vier Wissenschaftler*innen erforschen die Geschichte von Brachiosaurus brancai als politische, wissenschaftliche und populäre Ikone. Parallel dazu gibt es das Modellprojekt Kunst/Natur, das sich den Wechselwirkungen von zeitgenössischer Kunst, Museumspraxis und Naturforschung widmet. Seit 2015 wurden 15 Künstler*innen aus den Sparten bildende Kunst, Klangkunst und Literatur eingeladen, sich mit dem Haus, seinen Sammlungen und seiner Geschichte zu beschäftigen und Arbeiten für den Ort zu entwickeln. Im Rahmen der vierten und letzten Runde der künstlerischen Interventionen des Projektes Kunst/Natur hat der Künstler Mark Dion eine Feldforschungsstation unter dem berühmten Skelett des Brachiosaurus platziert. Ein Zelt und allerhand Forscherutensilien breiten sich auf dem Boden aus. Auch wenn es sich nicht um Originale der damaligen Tendaguru-Expedition handelt, wird durch die Installation die Arbeit der Forscher*innen des Naturkundemuseums im Feld anschaulich gemacht und auf die Umstände hingewiesen, unter denen die Ausstellungsobjekte in dieses Haus gelangen. Durch die Kombination von historischen und heutigen Materialien und Instrumenten zeigt Dion, wie sich diese Umstände im Laufe der Zeit verändert haben. Doch nicht nur die Umstände für die Forscher*innen haben sich verändert – es ändert sich vor allem die Einstellung zu den Fundstücken, die damals aus den Kolonien nach Berlin gelangt sind.

Mareike Vennen ist Teil des wissenschaftlichen Teams, das sich neben der Erforschung der Umstände des Erwerbs der Dinosaurierfossilien mit der Frage beschäftigt, wie man diese Provenienz sichtbar machen kann. Im Rahmen des Projekts ist sie als Teil eines dreiköpfigen Forscher*innenteams letztes Jahr nach Tansania gereist.

Mareike Vennen © Justin Time

Anna-Lena Wenzel: Was hast du dort gemacht?

Mareike Vennen: Wir haben in Archiven zur Tendaguru-Expedition recherchiert und mit Museumsleuten, mit Mitarbeiter*innen aus kulturellen Einrichtungen und Wissenschaftler*innen von der Universität gesprochen, um über das Thema zu diskutieren und um Kooperationen aufzubauen. Es ist ein komplexes Unterfangen – das beginnt bereits bei der Frage, als was die Fossilien jeweils angesehen werden: Handelt es sich um Kulturgut oder vielmehr um natürliche Ressourcen? Hatten sie eine rituelle Bedeutung?

ALW: Was habt ihr herausgefunden?
MV: Wir sind auf viel Offenheit und Gesprächsbereitschaft gestoßen, wobei das Thema freilich im akademischen, musealen und öffentlichen Bereich unterschiedlich präsent ist und unterschiedlich diskutiert wird. Unsere Forschung hier stützt sich ja in erster Linie auf Archivarbeit, dagegen bieten die Reisen nach Tansania die Chance, vor Ort mit Menschen in Kontakt zu treten, mehr über ihre Positionen zu erfahren und Kooperationen anzustoßen.

ALW: Könnt ihr im Museum für Naturkunde Berlin an Forschungen anknüpfen?

MV: Ja, es gibt hier im Haus die Historischen Bild- und Schriftgutsammlungen, die Dokumente wie Korrespondenzen, Verwaltungsunterlagen, Objektlisten, Expeditionsberichte archiviert und bearbeitet. Dort beschäftigt man sich schon seit Jahrzehnten mit der Geschichte des Hauses und Provenienzfragen. Zudem gibt es einzelne Wissenschaftler*innen, die sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen – was auch daran liegt, dass für die wissenschaftliche Forschung natürlich essentiell ist, zu wissen, wo die Objekte herkommen. Was sich nur langsam ändert, ist die Einstellung zu diesem Thema. Aber durch das Forschungsprojekt über die Dinosaurier sind neue Diskussionen auch im Haus angestoßen, das ist gut.

ALW: Wie geht es weiter?

MV: Wir bereiten zur Zeit unsere Abschlusspublikation vor, die zum Ende des Jahres erscheinen soll. Zudem veranstalten wir im September 2018 eine Konferenz zum Thema Politics of Natural History, or: How to Decolonize the Natural History Museum. Wir sind sehr gespannt auf die Einreichungen – auch weil die Verbindung von Provenienz und Naturkundemuseen bis jetzt noch wenig öffentlich diskutiert worden ist. Hier ist zum Teil noch Grundlagenforschung notwendig. Im Juli werden wir wahrscheinlich ein weiteres Mal nach Tansania reisen, um dort gemeinsam mit tansanischen Kollegen in der Nähe der Fundstellen von Brachiosaurus brancai mehr darüber herauszufinden, wie die Expedition vor Ort erinnert wurde und wird. Wir wissen nicht, ob sich Erzählungen über die Fossilienfunde erhalten haben. Es geht darum, mit den Menschen vor Ort zu sprechen – es wäre toll, wenn man einige der damals Beteiligten aus der Anonymität herausholen und ihnen eine Stimme verleihen könnte.

Doch das drittmittelfinanzierte Projekt läuft im Herbst aus. Dabei wäre es wichtig, dass die Provenienzforschung langfristig im Haus verankert werden würde – besonders um eine Kontinuität in der Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler*innen und Institutionen in Tansania zu gewährleisten.

Das Interesse an der Herkunft von Objekten im Naturkundemuseum wächst spürbar – nicht zuletzt im Zuge der kontroversen Debatten um das Humboldt Forum. Es liegt uns viel daran, in der Ausstellung im Sauriersaal noch stärker auf die Umstände der damaligen Ausgrabung und die Geschichte der Objekte aufmerksam zu machen. Durch das Kunst Natur-Projekt gab es ja schon einzelne künstlerische Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel durch Fernando Bryce und Mark Dion. Jetzt wäre ein wünschenswerter nächster Schritt, die Geschichte der Objekte fest in die Ausstellung zu integrieren.

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