Kollektiv und konvivial
„If you want to go fast, go alone,
If you want to go far, go together”
Mit diesen wenigen Worten skizziert Bonaventure Soh Bejeng Ndikung in seiner Rede am Eröffnungswochenende auf präzise Weise die Richtung, in die das Haus der Kulturen der Welt (HKW) unter seiner Leitung aufbrechen wird: Es geht nur in Gemeinschaft und gemeinsamer Aushandlung – das betrifft sowohl die Arbeit des HKW-Teams, als auch die Vorstellung des Hauses als ein Ort der Begegnung und des Austausches. Gastfreundschaft, Konvivialität und Offenheit werden hier groß geschrieben. Wer einmal bei Savvy Contemporary war, den Ort, den Ndikung bis vor kurzem geleitet hat, weiß, dass er eine solche Atmosphäre herzustellen vermag. Am Eröffnungswochenende unter dem Titel „Eine Choreografie der Konvivialität“ vom 2. bis zum 4. Juni jedenfalls war das Haus voll und der Anteil von BPoCs so hoch wie in keiner anderen vergleichbaren Berliner Institution. Nach einer halbjährigen Umbauphase wurde nicht nur das Haus, sondern auch die erste Ausstellung eröffnet und ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm realisiert, das den Auftakt für das Programm der nächsten Jahre bildet.
O Quilombismo und zahlreiche Umgestaltungen
Permanente künstlerische Eingriffe und Umgestaltungen im Haus und seinem Umraum haben dazu geführt, dass sich die Atmosphäre des Hauses verändert hat. Fahnen mit bunten, sich wiederholenden Motiven von Adama Delphine Fawundu wehen in der Auffahrt und eine eindrucksvolle Wandmalerei von Tanka Fonta, die sich wie ein umlaufender Fries entlang des Eingangsfoyers zieht, bringt eine spielerische wie komplexe Bildsprache hinein. Mit diesen Ergänzungen gelingt es, die „moderne Symmetrie der Fassade in einen sinnlichen, Geschichten erzählenden Pfad“ zu verwandeln, wie es im Handbuch zur Ausstellung heißt. Dieser Eindruck setzt sich in der Ausstellung „O Quilombismo“ fort, die sich über das ganze Haus erstreckt. Farbige Wände, eine Bodenmalerei und zahlreiche Kunstwerke erzeugen eine sinnliche Gesamtatmosphäre und Materialvielfalt, wie man sie u.a. von der letzten documenta kennt. Auf diese Weise bekommen die Besucher*innen einen unmittelbaren Einstieg in das komplexe Konzept des „O Quilombismo“, das im kostenlosen Handbuch näher erläutert wird. Es handelt sich um Orte, an denen geflüchtete brasilianische Sklaven zusammen kamen und Gemeinschaften gegründet haben. Sie sind für unserer heutiges „Weltsein“ interessant, weil im Quilombismo „verschiedenste Ebenen eines gemeinschaftlichen Lebens zum Ausdruck [kommen], dessen dialektische Wechselwirkungen die vollständige Entfaltung und Verwirklichung der schöpferischen Fähigkeiten eines jeden Menschen ermöglichen“, so Abdias Nascimento, der von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung zitiert wird. In den Worten Cosmin Cistunaş und Paz Guevaras wird quilombistisches Denken „als ein Prozess der Emanzipation und Aufhebung von Beschränkungen auch des Geschlechts oder anderer Formen der Körpernormativität verstanden.“ Bezogen auf die konkreten Arbeiten bedeutet es, dass viele der eingeladenen Künstler*innen eine ebenso spirituelle wie politische Dimension mitbringen. Ein Beispiel ist die Arbeit „Table of Goods“ der in Berlin lebenden Künstlerin Grada Kilomba. Sie besteht aus einem Haufen Erde, in den rundherum Kerzen gesteckt sind. Auf dem pyramidenförmigen Hügel wiederum befinden sich kleine Aufschüttungen mit Zucker, Kaffee und Kakao – Waren also, die aus den ehemaligen Kolonien stammen. Die Geschichte der Sklaverei wird hier ebenso angedeutet, wie unsere heutige Verwicklung in die während der Zeit des Kolonialismus etablierten Wirtschaftsweisen und -routen. Die runde Form und die Kerzen verweisen auf Rituale als potentielle Momente der Heilung.
Ausblick auf kommendes Programm
Der Blick auf globale Verwicklungen, auf begangenes Unrecht und widerständige sowie konviviale Praxen, die sich in dieser Ausstellung zeigen, zeichnet auch das kommende Programm aus, bei dem explizit eine intersektionale Perspektive eingenommen wird und sowohl gender als auch race, Post-Kolonialismus und Post-Sozialismus in den Blick genommen wird. Dabei sind es auch die kleinen Gesten, die den Unterschied machen: Kinderbetreuungsangebote zum Beispiel, die Umbenennung der Räumlichkeiten nach marginalisierten Persönlichkeiten oder die Nennung der Mitarbeiter*innen des Hauses in alphabetischer Reihenfolge ihrer Vornamen statt nach Position.
Die Herausforderung wird sein, sowohl lokale Communities anzusprechen und einzubeziehen als auch ein breites Publikum zu erreichen, sowohl Gemeinschaft zu stiften (und zu feiern), als auch in die bestehende Museumspraxis und den Diskurs zu intervenieren und beide zu verändern, also gastfreundlich und aktivistisch zugleich zu sein.
Divers im weitreichenden Sinne
Dass Diversität dabei nicht nur vor sich hergetragene Absicht, sondern Programm ist, wird durch das internationale Team deutlich, das Ndikung ins Haus geholt hat: „Diversität ist für das HKW nicht nur ein Schlagwort. Sie ist das Rückgrat unserer Praxis, bezeugt von unserem Team, unserem Programm und unserem Publikum“, drückt der neue Leiter es aus. Das Team bringt migrantisch verortete Wissensformen in das Programm ein und macht ebenjene zum Ausgangspunkt des HKW-Programms. Es geht um ein plurales Weltverständnis, das die „Vielheit von Kulturen, Wissensordnungen, Soziopolitiken, Spiritualitäten und Seinsweisen in den Mittelpunkt stellt“, wie es in der Programmankündigung heißt. Das bedeutet konkret, dass sich die ausstellenden Künstler*innen, die Beitragenden zum Veranstaltungsprogramm und die zitierten Referenzen internationalisieren und vervielfältigen. „Welt“ wird in Zukunft umfassender gedacht und der globale Süden stärker in den Fokus gerückt. Er ist dabei weder Entwicklungshilfeempfänger noch exotisches Anderes, sondern präsentiert sich hier stolz, denn er ist als Träger (indigenen) Wissens um widerständige Praxen und dringend benötigte Nachhaltigkeit. Da ist es umso stimmiger, dass nach Claudia Roth und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpe, eine Rede hält und sowohl auf das Leid hinweist, das diese Völker erfahren haben, als auch das Wissen stark macht, über das sie verfügen. Die anschließende Performance mit dem Titel „NOT waiting“ von nora chipaumire und Germaine Acogny beginnt mit einer Prozession vor dem Haus. Im Auditorium angekommen, nehmen die zwei Performerinnen hocherhobenen Hauptes Platz, während Musikerinnen aus dem Senegal beginnen, mit Trommeln und ihren Stimmen das Publikum aufzuwecken. Es folgt ein Tanz, der inspiriert ist von der zentralen Rolle, die Frauen in der traditionellen Ndeup-Heilungszeremonie einnehmen.
„Wir kommen in Frieden“, hat Ndikung bei seiner Rede gesagt. Dass er diese Worte wählt, deutet die Widerstände an, mit denen er zu tun hatte und hat. Die Gemeinschaft, die am Eröffnungsfestival zusammenkam, dürfte ihm und seinem Team die Bestätigung gegeben haben, dass sie nicht alleine auf dem Weg in die neue Ära sind.
O Quilombismo: Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien
2.6. bis 17.9.2023
Öffnungszeiten Mi-Mo, 12 bis 19 Uhr