Bezirkliche Kultureinrichtungen sollten zukünftig auch rechtlich über eine Commons Public Partnership organisiert und verwaltet werden können. „Juristisch kann es sich dabei um ein komplexes Unterfangen handeln, das die Bereiche Versicherungsschutz, Baurecht, Verwaltungsrecht, Aufwendungsrecht, aber auch arbeitsrechtliche Voraussetzungen umfasst,“ so Sarah Waterfeld, Sprecherin des Kollektivs. Im Gespräch erklärt sie: „Als ‘Commons‘ werden gemeinhin Ressourcen oder Produkte verstanden, die gemeinschaftlich hergestellt, gepflegt und genutzt werden. Eine Commons Public Partnership garantiert und definiert sowohl die Anerkennung der Selbstverwaltungsrechte der beteiligten ‚Commoners*‘, also derjenigen, die einen Kulturort betreiben, als auch die Pflichten und Rechte des zuständigen Kulturamtes.“ Kunst würde dabei als ein „Anliegen aller” verstanden, das keinen kommerziellen Verwertungsinteressen unterliegt, sondern alle etwas angeht und von allen gestaltet werden kann. Dazu bräuchte es eine entsprechende Rechtsform, die das solidarische Aushandeln von Organisationsstruktur, Finanzen, Spielplan oder künstlerischem Programm absichert.
An der Arbeit von Staub zu Glitzer und den juristischen Partner*innen zeigen sich auch die Fachbereiche Kultur anderer Berliner Bezirke interessiert. Doch die von der Kulturstiftung des Bundes eingesetzte Jury hat dem ambitionierten gemeinwohlorientierten Vorhaben keine Förderempfehlung gegeben. Wie es nun weitergeht, haben die zwei Mitglieder des Kollektivs, Sarah Waterfeld und Falk Lörcher, dem Kultur Mitte Magazin in einem Interview erzählt.
Commoning im “Theater der Commons” – Zurück zur Freiheit der Kunst
Seit der Besetzung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz mit ihrer transmedialen Inszenierung „B6112” vom 22. bis 28. September 2017 erregt das queer-feministische Künstler*innenkollektiv mit seinen Aktionen und Forderungen Aufsehen in der Berliner Kulturwelt. Das traditionsreiche Theaterhaus soll, ginge es nach Staub zu Glitzer, radikaldemokratisiert und für alle geöffnet werden.
Benannt ist die bis heute andauernde performative Intervention nach der thermonuklearen Atombombe B61-12. Konzeptionell bezieht sich das Kollektiv, wenn auch mit kritischer Distanznahme, auf das Transmedia Manifest. [1] Zahlreiche internationale Prominente aus Kunst und Kultur wie Donna Haraway, Gayatri Spivak, René Pollesch oder Elfriede Jelinek haben ihre Aktionen und Interventionen bereits unterstützt.
Was passiert, wenn Kunst nicht länger als Produkt eines einzelnen Genies gedacht wird, sondern als Ergebnis kollektiver Arbeit? Die Antwort darauf findet sich in ihrem Ansatz mit Sprengkraft, der Idee des „Commoning” als transformative künstlerische Praxis: Kulturräume und -güter sollen dabei allen zugänglich gemacht werden und die gesamte Stadtgesellschaft, vor allem aber marginalisierte Stimmen, in einem selbstverwalteten „Theater der Commons” zu Worte und zum Zuge kommen. Menschen aller Hintergründe versammeln und verständigen sich an einem Ort zu einem gemeinsamen Zweck. [2] Staub zu Glitzer vertritt somit einen erweiterten Kunstbegriff, dem künstlerischen Schaffen als „Commoning Art“ wird transformatives Potential zugesprochen. Aktuell arbeitet das Kollektiv am Aufbau eines bundesweiten Interessenverbands, der Union für Cultural Commons (UCC), mit dem sich Kulturschaffende, Bürger*innen-Initiativen, Institutionen und Verwaltungen im Zeichen der „Commoning Art” für die Etablierung von Cultural Commons stark machen.
Der Wert der Kunst
„Die Kulturinstitutionen unserer Zeit haben ein Legitimationsproblem,“ sagt Waterfeld. „Der Altersdurchschnitt des Publikums steigt kontinuierlich, denn jüngere Menschen fokussieren sich zunehmend auf die Sphäre des Digitalen. Perspektivisch wird es auf die Schließung von Kulturorten hinauslaufen, wenn nicht umgesteuert wird. Obwohl künstlerische Programme oft liebevoll und aufwändig kuratiert und ausgearbeitet werden, fühlt sich die Mehrheit der Gesellschaft weder gemeint noch angesprochen. Das hat eine Vielzahl an Gründen, denen wir mit unserem Commons-Ansatz begegnen“, lautet Waterfelds Diagnose der aktuellen Lage. „Commoning Art“ hingegen findet neue Antworten auf die Fragen, wer zum Sprechen berechtigt ist, was gezeigt wird oder wer überhaupt Zugang zu Kunst und Kultur hat. Renommierte Schauspielstätten, insbesondere in Berlin, „werden von vielen als exklusive bürgerliche Hochkulturtempel wahrgenommen. Initiativen wie #BerlinistKultur, die sich gegen die Sparpolitik des Berliner Senats engagieren, argumentieren nicht etwa gemeinwohlorientiert gegen das Spardiktat, sondern führen den Mehrwert der Kulturszene für die Tourismusbranche an. Das ist vielsagend“, meint Waterfeld. „Wir müssen uns als Gesellschaft nochmal grundsätzlich darüber Gedanken machen, ob Kunst in erster Linie ein Wirtschafts- und Standortfaktor sein soll. Oder ob ihr Wert nicht doch woanders zu verorten ist. Kreativität und Solidarität sind die Grundfeste einer demokratischen Gesellschaft.“
Kunstsoziologisch betrachtet, buchstabiert der Kunst- und Ausstellungsbetrieb dieses wohl kaum akute Problem nicht anders: Hier atmet immer mehr der Geist des „l’art pour l’art” – Kunst wird um ihrer selbst willen produziert, ausgestellt und angesehen – und das, ob nun leise oder laut gesagt, von den gleichen Akteur*innen. Auch das allmähliche Aussterben der für Berlin so charakteristischen und progressiven Projekträume als Keimzellen gemeinsamen, kreativen Austauschs und künstlerischer Innovation im Zuge der Gentrifizierung ist ein eklatantes Problem.
Tradierte, hierarchische Arbeitsstrukturen sollen, ginge es nach Staub zu Glitzer, „in Cultural Commons abgelöst werden durch solidarische Aushandlungsprozesse, denn aktuell hat der Konkurrenzdruck in der Kunstproduktion insbesondere Isolation und Entsolidarisierung zur Folge.“
Ihre Vision des „Commoning”, bei dem Leitungsmodelle wie Intendanzen überwunden werden, bricht mit den autoritären Verhältnissen in der Kulturmenagerie. Am Ende steht ein multifunktionales, urbanes „Art Lab”, das für die Produktion von Kunst und Kultur gedacht ist und dabei basisdemokratisch und selbstorganisiert bespielt und verwaltet werden soll. Arbeitsgruppen und Produktionskollektive würden Entscheidungsprozesse egalitär und transparent wie solidarisch gestalten. Lörcher und Waterfeld sind sich einig: „Unsere Arbeit stellt den aktuellen Strukturkonservatismus im Kunst- und Kulturbetrieb ganz klar in Frage.”
Elfenbeintürme stürmen mit radikaler Zuversicht
Auf die Frage hin, ob sie sich eher als Elfenbeinturm-Revoluzzer oder idealistische Weltverbesserer verständen, scherzt Waterfeld: „Uns wird doch immer vorgeworfen, wir seien der Elfenbeinturm. Das hat damit zu tun, dass wir mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten und unsere Arbeit häufig im universitären und intellektuellen Milieu rezipiert wird. Dabei wird oft übersehen, dass wir von Beginn an mit Arbeitskämpfer*innen, Stadtinitiativen oder selbstorganisierten Obdach- und Wohnungslosen zusammenarbeiten. So ist das eben. Den einen sind wir zu bürgerlich, andere hingegen infantilisieren oder kriminalisieren uns.”
Ihrem Selbstverständnis nach begreifen Staub zu Glitzer ihre künstlerische Arbeit als engagiert und emanzipatorisch. Es gehe ihnen um die Arbeit und die Erfahrung all der Betroffenen im Kulturbetrieb, aber auch um all diejenigen, die bislang aus ihm ausgeschlossen sind, sagt Waterfeld: „Um Menschen, die weder Zugang zu künstlerischen Fördergeldern haben noch zu exklusiven Kunsthochschulen oder dergleichen aber trotzdem ein Anrecht auf kreative Entfaltung und Sichtbarkeit haben sollten.“ Lörcher fügt hinzu: „Die Organisations- und Aushandlungsstrukturen in einem Theater der Commons oder einem Cultural Commons müssen flexibel und wandelbar bleiben. Auch ein Awarenesskonzept muss strukturell integriert werden. Prozesse werden regelmäßig evaluiert und angepasst. Indiskutabel ist für uns aber das klare Bekenntnis gegen Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Sexismus und andere Degradierungs- und Diskriminierungsformen. Das ist indiskutabel und nicht verhandelbar.” Die KSB wollte mit ihrem Programm innovative Projekte fördern, die „interkommunale Kooperationen oder experimentelle Nutzungskonzepte für Kulturorte” vorschlagen, weil, so heißt es im Ausschreibungstext, „Kulturinstitutionen in zehn Jahren nur dann eine breite gesellschaftliche Unterstützung genießen werden, wenn sie noch stärker als Gemeingut wahrgenommen werden.” [3]
Mutig und vorwärtsgewandt handeln
Angesichts der desaströsen Kürzungspolitik hierzulande und der absehbaren Einsparungen für die Kulturhaushalte 26/27 und 27/28, braucht es neue und hybride Formen der Governance und Kulturverwaltung. Ohne Zweifel gibt Staub zu Glitzer eine Antwort auf das wachsende Unbehagen und die Ohnmachtsgefühle aufgrund schwindender Handlungsfähigkeit vieler Akteur*innen im Kulturbetrieb [4].
„Aber das Interesse der Kulturverwaltung ist auch eine Anerkennung unserer langjährigen Arbeit. Wir werden sicher einen anderen Weg finden zusammenzukommen. Ideen haben wir viele.“ Die „Commonisierung” von Kulturinstitutionen hierzulande liege bisher in weiter Ferne, umso früher sollte man sich den von internationalen Wissenschaftler*innen befürworteten Commoning-Modellen zuwenden. „Besser gestern, als Übermorgen hätten wir damit anfangen sollen,” stellt Waterfeld fest. Umso abwegiger erschien ihnen darum auch, dass die Jury des Programms mit Intendant*innen und Dramaturg*innen besetzt wurde, denen Commoning alles andere als am Herzen läge: „Ein commonsbasierter Kulturbetrieb bedeutete für die Entscheidungsträger*innen von heute einen massiven Macht- und Privilegienverlust.“
Staub zu Glitzer ist trotz alledem guter Dinge: „In der Soziologie geht man im Schnitt von 20 Jahren aus, bis Veränderungen eintreten, für die sich beharrlich eingesetzt wird. Wir haben jetzt 8 Jahre rum. Also haben wir noch etwas Zeit.”
Quellen:
[1] https://transmedia-manifest.com
[2] Organizing Cultural Commons Staub zu Glitzer, Vera Hoffmann, S. 16.
[3] https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/transformation_und_zukunft/detail/uebermorgen_neue_modelle_fuer_kulturinstitutionen.html
[4] Fabian Burstein: Eroberung des Elfenbeinturms Streitschrift für eine bessere Kultur, Edition Atelier: Wien, 2022.
Die Ideen von Staub zu Glitzer finden sich auch in der Publikation „Organizing Cultural Commons“.