Vom Potsdamer Platz kommend, öffnet sich beim Kulturforum der Raum und ein Eindruck von Weite stellt sich ein. Durch die mehrspurige Potsdamer Straße voneinander getrennt, befinden sich hier auf der einen Seite die Staatsbibliothek und auf der anderen Seite Philharmonie und Neue Nationalgalerie. Nach hinten versetzt, stehen die Matthäuskirche und ein Museumskomplex mit Gemäldegalerie, Kunstbibliothek und Kunstgewerbemuseum. Es handelt sich um imposante öffentliche Kulturgebäude, doch jedes Mal wenn ich vor Ort bin, bin ich irritiert über die Menschenleere, die ich hier beobachte. Sie hat einerseits mit der Weitläufigkeit des Areals zu tun, aber auch damit, dass das Kulturforum nach dem Zweiten Weltkrieg geplant wurde, zu einer Zeit also, als es in Berlin viel freien Platz gab. Betritt man die Gebäude, setzt sich dieser Eindruck eines großzügigen Umgangs mit Raum fort.
Noch etwas stammt aus einer anderen Zeit: die autogerechte Konzeption des Eingangsbereiches zur Gemäldegalerie durch den Bau eines Parkhauses, das sich unter dem zentralen Platz befindet. Von hier aus kann man direkt die Museen betreten, doch ist es zugleich der Grund dafür, dass der Zugang zu den Museen für die Fußgänger*innen über einen zugepflasterte Platz erfolgt, der leicht ansteigt und in meinen Augen einer Steinwüste gleicht. Obwohl als Piazza konzipiert, spricht die umgangssprachliche Bezeichnung als „Rampe“ Bände darüber, wie dieser öffentliche Platz wahrgenommen und genutzt wird.
Das führt dazu, dass ich mich über die reichhaltigen öffentlichen Angebote und den großzügigen Umgang mit Raum in einer immer dichter werdenden Stadt freue, doch gleichzeitig irritiert bin über die Unverbundenheit der Gebäude und des Gefühls der Abgeschiedenheit von der Stadt, das ich hier habe.
Auf dem weiten Platz in der Mitte stehend, erinnere ich mich daran, wie eine Freundin hier jedes Jahr Geburtstag feierte, bei Chez Ahmet, dem improvisierten Kiosk direkt an der Potsdamer Straße. Es fühlte sich ein bisschen an, wie in den 2000er Jahren, als es noch leere Flächen innerhalb der Stadt gab, und das Abhängen auf diesen mit dem Gefühl verbunden war, sich Räume wie diesen aneignen zu können – Räume, die sich mitten im Zentrum befinden, und Räume, die durch ihren hochkulturellen Status mit Ein- und Ausschlussmechanismen verbunden sind, die eben jene Aneignung erschweren. Doch die Zeiten des unbestimmten Platzes sind vorbei. Der Kiosk ist geschlossen, die Skulpturen auf dem Platz sind entfernt, der Platz selber umzäunt, der Spatenstich für das Museum des 20. Jahrhunderts ist erfolgt.
„Hier prallen gegensätzliche Stadtvorstellungen aufeinander“
Der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann hat über das Kulturforum ein Buch geschrieben, in dem er diverse Karten, Pläne und Entwürfe von 1867 bis 2019 versammelt und die Geschichte der städtebaulichen und architektonischen Visionen für dieses Areal auffächert. Deutlich wird, dass es sich hierbei um ein Areal handelt, auf dem „unterschiedlichste, ja sogar gegensätzliche Stadtvorstellungen aufeinander prallen.“[1]
Er spannt den Bogen von der großbürgerlichen Lebenswelt des Tiergartenviertels, die durch Enteignungen und Verfolgungen der Bewohner*innen sowie durch Albert Speers Pläne für Germania und die anschließenden Kriegsschäden ausgelöscht wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg, heißt es weiter im Text weiter „kämpften die Akteure des Senats und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine Zeitlang auch die IBA, die Verkehrs- und Grünplaner sowie die verschiedenen Schulen städtebaulicher und architektonischer Positionen in Verbänden und Akademien etc. um die geistige und faktische Planungshoheit“.
Neben den unterschiedlichen Akteur*innen, Eigentumsverhältnissen und Zuständigkeiten kommt die Historie der geteilten und wiedervereinigten Stadt hinzu. Die städtebaulichen und architektonischen Positionen, die Stimmann hier anspricht, reichen demnach von der Megalomanie Speers über die Pläne einer Stadtautobahn durch die zentrale Mitte bis zum Konzept einer Stadtlandschaft mit Objekten bzw. mit bedeutenden Kulturbauten wie der Staatsbibliothek und der Philharmonie wie sie Hans Scharoun 1958 für das Areal entwickelt hat. Was kann man sich darunter vorstellen? Eine offene Stadtlandschaft bzw. eine Planung, die „Unüberschaubares und Maßstabloses in übersehbare und maßvolle Teile aufzugliedern und diese mit ihren Mitteln so einander zuzuordnen, wie Wald, Wiese, Berg und See die Landschaft bilden“.[2] Was organisch klingt, ist für andere eine Schreckensvorstellung, da die großmaßstäbliche Planung, wie sie Hans Scharoun oder auch Le Corbusier forcierten, dazu führe, dass es die organisch gewachsene Stadt mit Straßen, Plätzen und geschlossenen Quartieren nicht mehr gebe, so Wolf Jobst Siedler 1984.
Auch Stimmann als Vertreter der sogenannten „kritischen Rekonstruktion“ traut der Stadtlandschaft nicht. Er teilt Michael Steinhauers Beobachtung einer urbanistischen Brache am Kulturforum und stellt in der ersten Auflage des Buches, die 2012 erschien, Studien von sechs Architekten/ Städteplaner vor, in denen das Areal eine Verdichtung erfährt. Zudem schlägt er vor, die Geschichte des Viertels stärker einzubeziehen, um „dem heutigen ‚geschichtslosen‘ Ort der einstmaligen kulturellen Bedeutung entsprechend, wieder zu einer eigenen bedeutenden Geschichte [zu] verhelfen.“[2]
Wer das Geld hat, hat das Sagen: Wie der Bund das Land Berlin zum unbeteiligten Zuschauer werden ließ
Vor allem aber kritisiert Stimmann die Rolle des Berliner Senats „als unbeteiligter Zuschauer“ bei den Planungen des Museum des 20. Jahrhunderts. Um diese Einschätzung nachvollziehen zu können, muss man wohl etwas ausholen und berücksichtigen, dass Stimmann selber, als promovierter Stadt- und Regionalplaner, zwei Mal Berliner Senatsbaudirektor war (1991-1996 und 1999-2006) und in dieser Position städtebauliche Entwicklungen mitgestaltete.
Er berichtet vom wiederholten Erarbeiten von Plänen für die Umgestaltung des Kulturforums und deren Scheitern. So wurde 2005 ein Masterplan durch das Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet und ein Jahr später wieder eingestellt. 2011 erfolgte ein erneuter Beschluss zur Wiederaufnahme und Überarbeitung des Masterplans durch das Abgeordnetenhaus. Parallel dazu wurde durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Erweiterung der Neuen Nationalgalerie beschlossen, wobei drei unterschiedliche Standorte geprüft werden sollten. Da der zentrale Platz bei den Planungen des Senats als Grünfläche ausgewiesen wurde, dürfte es viele überrascht (und düpiert haben), dass Kulturstaatsministerin Monika Grütters 2014 beschloss, den Neubau des Museums an der Potsdamer Straße zu errichten, „da an diesem Standort die Lücke zwischen den Solitären gefüllt werden könne“. Man hört Stimmanns Empörung durch, wenn er schreibt, dass sie dies „ohne förmliche Abstimmung mit dem Land als Plangeber und Grundstückseigentümer – und ohne Rücksicht auf die notwendigen konzeptionellen Konsequenzen eines solchen Standortes für das gesamte Kulturforum“ tat. Doch da sie ihre Entscheidung an die Bereitstellung von 200 Millionen Euro für den Neubau des Museums aus Bundeshaushaltsmitteln koppelte, konnte sie sowohl den Präsidenten der Stiftung als auch den Senat von ihren Plänen überzeugen. Ein Jahr später erfolgt die Auslobung eines Wettbewerbs für den Museumsbau, den der Entwurf des Architekturbüros Herzog und de Meuron gewinnt. Nach heftiger Kritik unter anderem von der Stiftung Zukunft Berlin, die fordert, dass der öffentliche Raum stärker mitgedacht werden muss, wird der Wettbewerbsentwurf unter Einbezug der städtebaulichen Situation überarbeitet. Unter anderem wird eine Ost-West-Achse eingefügt, die von der Straße aus durch den Neubau auf das Kulturforum verläuft.[3] An der Tatsache, dass durch das Gebäude, der Blick und der Zugang zum Ensemble aus Kirche, Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett, Bibliothek und Kunstgewerbemuseum verdeckt und erschwert wird, wird diese Maßnahme jedoch sicherlich nichts ändern. Der Eindruck einer Abgetrenntheit des Kulturforums wird noch verstärkt werden.
Kunst im öffentlichen Raum weicht Museumsneubau
Ein Aspekt, der bei Hans Stimmann nur nebensächlich beleuchtet wird, ist die bisherige Gestaltung des zentralen Platzes, auf dem der Museumsneubau entsteht. Zwar weist er auf die Gestaltung des Platzes durch das Büro für Landschaftsarchitektur Valentien und Valentien hin, die 1998 erstmals für ihr Vorhaben ausgewählt wurden, eine Verbindung zwischen „organischer“ Philharmonie und „klassischer“ Neuer Nationalgalerie herzustellen und 2013 ein weiteres Mal beauftragt werden, die öffentlichen Freiräume zu gestalten (wobei die Umgestaltung des Platzes durch die Neubaupläne ausgesetzt wird), doch vernachlässigt er die Tatsache, dass hier im Rahmen zweier internationaler Bildhauersymposien (1988 und 2003) zahlreiche Skulpturen im öffentlichen Raum aufgestellt wurden, die nun dem Neubau weichen müssen.
Die Idee, Bildhauer*innen aus verschiedenen Ländern einzuladen, um gemeinsam an einem Ort zu arbeiten, entstand Ende der 1950er Jahre auf Initiative des österreichischen Bildhauers Karl Prantl. 1961 fand das erste Bildhauersymposium aus Anlass des Mauerbaus in Berlin statt, aus Anlass des Symposiums, das 1988 auf dem Platz stattfindet, spricht der damalige Senator für kulturelle Angelegenheiten, Volker Hassemer, von einem der vielbeachteten Ereignisse des Sommers im Kulturstadtjahr. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Tiergarten Wolfgang Naujokat betont die öffentlich Zugänglichkeit der „Werkstatt unter freiem Himmel“ und die Tatsache, dass Bildhauer*innen aus Ost und West zusammen arbeiten.[4] 2003 wird aus Anlass des 4. Berliner Bildhauerinnen und Bildhauersymposiums erneut auf dem Platz gearbeitet. Prominenter Schirmherr ist Wolfgang Thierse, damals Präsident des Deutschen Bundestages. Bei der Eröffnung der Veranstaltung, die auf mehrere Orte wie die Klosterruine und das Schloss Hohenschönhausen verteilt ist, sprechen u.a. der Botschafter der Republik Österreich, die stellvertretende Direktorin der Berlinischen Galerie und die Bezirksstadträtin von Berlin-Mitte. Erneut bleiben einige Skulpturen auf dem Platz stehen.[5]
Mit dem Beschluss, auf dem Areal das Museum des 20. Jahrhunderts zu errichten, fällt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Bezirksamt Mitte von Berlin die Aufgabe zu, die Urheber*innen der Kunstwerke ausfindig zu machen und sie an diese zurückzugeben. Einige werden in den Bucher Forst und das öffentlich zugängliche Freigelände des Skulpturenparkes „Steine ohne Grenzen“ im Norden Berlins versetzt. Weitere Werke befinden sich auf dem Gelände des Lehniner Institutes für Kunst und Kultur e.V. am Klostersee in Lehnin, in Potsdam im Heilig-Geist Park am Ufer der Havel und in dem Ort Linde im Löwenberger Land. Auf der Internetseite der Stiftung Preußischer Kulturbesitz informiert eine Pressemitteilung im Juli 2020 darüber, dass mit dem „Solarobelisk“ das letzte Objekt auf dem Platz für den Neubau entfernt und ins Zentraldepot der Staatlichen Museen in Friedrichshagen überführt wurde.[6]
Ob die Kunstwerke, die sich noch auf dem Matthäus-Kirchplatz befinden, auch bald verschwunden sein werden, wenn der Neubau entsteht und ein weiterer Masterplan für die öffentlichen Freiflächen entwickelt werden wird? Momentan befinden sich hier die Skulptur „Altar“ von Volkmar Haase (seit 1987) und die kinetische Stahlskulptur „Zeitnadel“ von Hella Santarossa, die im Jahr 2000 aufgestellt wurde. 2019 wurde das temporäre Künstler*innenprojekt „Das dritte Land. Wachsende Träume. Blühende Utopien“ auf Initiative der Kuratorin Keumhwa Kim zusammen mit der Stiftung St. Matthäus realisiert. Es ist ein Künstler*innengarten, der Pflanzen aus Süd- und Nordkorea enthält, die hier, nicht weit entfernt vom ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer, zusammenwachsen und dabei ein „drittes Land“ bilden, heißt es auf dem Infoschild vor Ort. Auf der Internetseite heißt es weiter: „Han Seok Hyun und Kim Seung Hwoe haben den Künstlergarten im einst geteilten Berlin als ihre Utopie eines „paradiesischen Koreas“ entworfen. Er steht als Symbol für das Zusammenwachsen eines getrennten Koreas.“[7]
Apropos Zusammenwachsen: Ob der Museumsneubau die von Stimmann erhoffte „Urbanisierung“ des Areals bringen wird, darf bezweifelt werden, wirkt doch der Bau wie ein Riegel, der die dahinter liegenden Gebäude verdecken wird. Es scheint als wenn das Kulturforum weiterhin zwischen großen symbolischen politischen und architektonischen Gesten und mangelnder Aufenthalts- und Raumqualität oszillieren wird. Es provoziert damit sowohl Fragen nach den historischen Dispositiven der Planungen und ihren Veränderungen seit dem Zweiten Weltkrieg (Stichworte: Autogerechte vs. Autofreie Stadt, Moderne vs. Postmoderne, historische Rekonstruktion vs. Bedarfsbezogene Planung) sowie ganz konkrete Fragen nach der Aufenthaltsqualität in öffentlichen Räumen und Gebäuden. Welche Funktion hat der öffentliche Raum an diesem Ort? Wer kann sich unter welchen Konditionen wo aufhalten? Wer wird angesprochen und wer ausgeschlossen? Fragen, die in einem städtischen Ensemble, das sich Kulturforum nennt, diskutiert und beantwortet werden sollten.
[1] Hans Stimmann: Zukunft des Kulturforums. Vom Tiergartenviertel zum Museum des 20. Jahrhunderts. Dom Publishers, Berlin 20202, S. 83
[2] Scharoun (1947) zit.n. ebd., S. 99
[2] Ebd., S. 70
[3] In den blumigen Worten der Architekten Herzog und de Meuron versteht sich das Museum als „Ort, wo sich unterschiedliche Wege kreuzen, wo unterschiedlichen Mentalitäten und Welten eine Begegnung ermöglicht wird.“ Zit.n. ebd., S. 172
[4] Michael Schultz: Internationales Bildhauersymposium E 88, Edition Camorra, Frieling & Partner, Berlin, o.J., S. 3.
[5] Auf einer Google-Map-Karte von 2018 sind die Skulpturen noch deutlich erkennbar.
[7] https://www.stiftung-stmatthaeus.de/programm/veranstaltung/das-dritte-land-wachsende-traeume-bluehende-utopien/, Stand: 2.11.2020