Eine Annäherung an das Humboldtforum auf drei (Um-)wegen
Digitale Angebote
Um auf die anhaltenden Schließungen zu reagieren, bietet das Humboldt-Forum auf seiner Webseite einige digitale Angebote an, mit denen man sich einen ersten Eindruck verschaffen kann. Unter anderem gibt es dort eine Dokumentation der Eröffnungsveranstaltung, eine virtuelle 360° Tour mit Aufnahmen aus dem Gebäude inklusive Informationen zur Architektur, eine charmant-schnoddrige Video-Tour mit Stand-up Comedian Stefan Danziger[1] hinter die Kulissen und zu den weniger repräsentativen Ecken des Museums sowie einen bemerkenswerten, sehr persönlichen und sehr kritischen Kurzfilm-Essay von Priya Basil mit dem sprechenden Titel Eingeschlossen / Ausgeschlossen. Priya Basil ist eine in Berlin und London lebende Schriftstellerin und Aktivistin und geht in ihrem Film der Frage nach, „was ein solches Gebäude, ein solches Projekt für das Verständnis der Vergangenheit und die Zugehörigkeit in der Gegenwart bedeutet. Das vielfach umstrittene, umkämpfte, gefeierte Monument existiert nun – aber was genau monumentalisiert es?“[2]
Basil reflektiert vornehmlich über die Gestalt und Wirkung des Gebäudes und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund: „Das Schloss steht da wie ein Bodybuilder auf der großen Bühne. […] Es ist ein sehr ehrliches Gebäude. Ein perfektes Beispiel für eine bestimmte Art von Dominanz: weiß, zumeist männlich, die sich nach wie vor überaus erfolgreich produziert. Das Schloss drückt diese Dominanz auf jene absolut selbstbewusste Art aus, die einen natürlichen Anspruch auf Herrschaft behauptet. Das Gebäude ist eine monumentale Hommage an die Kolonialität.“
Wie vielen anderen kann sie die historische Bedeutung, die von den Rekonstruktionsbefürworter*innen ins Feld geführt wird, nicht unabhängig von dem zeitlichen Kontext lesen, in dem es errichtet wurde. Zudem problematisiert sie deutlich die kolonialen Zusammenhänge, die durch die Exponate in den Museen re-aktualisiert werden und immer noch zu wenig thematisiert werden. „Anders als die Initiator*innen des Projekts Wiederaufbau behaupten, heilt dieses Bauwerk keineswegs eine Wunde in der Mitte der Stadt, sondern stellt die Größe einer Verletzung heraus.“ An anderer Stelle heißt es: „Gesten allein können ein Monument nicht in ein Mahnmal verwandeln.“ Wie lässt sich der Hang zur dominanten Erzählung, der im Bau und dem Verein existiert, verschieben? Anders gefragt: Wie kann man verlernen? „Narrative entstehen aus Prozessen: Jeder Schritt ist Teil der Geschichte. Prozesse sind immer unvollkommen, doch wenn sie lesbar sind, kann man sie verbessern.“ Am Ende ihres Essays stellt Basil die Frage, was es für Möglichkeiten gäbe, auf das Humboldtforum zu reagieren und nennt a) Boykott b) innere Migration und c) Fragen stellen, immer weiterfragen, auch wenn es weh tut. Genau das tut sie mit ihrem Essay und man kann nur hoffen, dass ihre Fragen weiter zirkulieren und weh tun. Dass es von Seiten des Humboldt-Forums eine Offenheit für solcherart Ansätze gibt, zeigt die Einladung an Basil. Inwieweit es sich dabei um eine Instrumentalisierung kritischer Positionen handelt, die deutliche Zeichen nach außen senden sollen, um zu zeigen, dass die Kritik gehört wird, ohne dass es tatsächlich zu weitreichenden Verschiebungen der Narrative und Restitutionen kommt, bleibt abzuwarten und muss auch deswegen differenziert beantwortet werden, weil sich innerhalb des Humboldt-Forums verschiedene Institutionen befinden, die zwar unter einem Dach agieren, aber unterschiedliche Haltungen pflegen – und nicht pauschal als Rekonstruktionsbefürworter gelten können.[3]
Kunst am Bau
Wie bei jedem öffentlichen Neubau gibt es auch im Humboldt-Forum einige Kunstwerke, die extra für das Museum entstanden und bei einem ortsspezifischen Wettbewerb ausgewählt worden sind. Insgesamt wurden zwischen 2017 und 2020 sieben Wettbewerbe durchgeführt, die vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung organsiert wurden. Anders als einige der Ausstellungen, sind diese zum größten Teil fertig, weswegen ich frage, ob ich eine Führung bekomme, die sich speziell der Kunst am Bau widmet. Herr Hegner, der seit 2016 im Vorstand des technischen Betriebs der Stiftung arbeitet, nimmt sich Zeit und führt mich zu den Kunstwerken, die im ganzen Haus verteilt sind. Offiziell heißt es über die Kunst am Bau, dass die Künstler*innen aufgefordert waren, „sich in ihren Beiträgen mit der Geschichte des Ortes, seiner zukünftigen Nutzung als Ausstellungshaus und Veranstaltungszentrum, als Ort der Bildung und der Wissenschaften im Kontext der Humboldt‘schen Ideen oder mit der äußeren Erscheinung des Bauwerks auseinanderzusetzen.“ Das ist so offen formuliert, dass fast alles möglich scheint und ich bin gespannt, welche die Künstler*innen auf die komplexe Geschichte und die kontroversen Diskussionen reagiert haben. Auf dem Weg zum ersten Kunst-am-Bau-Werk beginnt Hegner jedoch in seiner Begeisterung für die Rekonstruktion des Barockschlosses damit, mir Hintergrundinformationen zu einzelnen Elementen, wie etwa den Kapitellen am Portal im Foyer, die auf dem Gelände der Klosterruine, die jetzt eine kommunale Galerie des Bezirks Mitte ist, zwischengelagert wurden, zu geben.
Vom Foyer gelangen wir in einen Raum, an dessen oberen Wänden einzelne Buchstaben hängen, die aneinandergereiht die Vornamen aller Architekten des Ortes ergeben. Sie passen sich farblich hervorragend in den Raum ein und erinnern an Spendertafeln, wie man sie aus großen Museen oder Theatern kennt. Herr Hegner erzählt, dass der Architekt Frank Stella sich dieses Fries gewünscht habe, das mit seinem Vornamen endet. Vor dessen Namen jedoch, sagt Hegner mit spitzbübischer Freude in der Stimme, stehe der Name Heinz für den Chefarchitekten des Palastes der Republik, Heinz Graffunder. Hegner fährt fort und erzählt, dass der Beton aus dem die Buchstaben gegossen wurden, aus Altbeton ist, der aus einer Wanne, die sich an der Stirnseite des Palastes der Republik befand, extra für dieses Kunstwerk entnommen wurde. Damit verbindet das Künstlerduo Dellbrügge & de Mol einen nachhaltigen mit einem ortspezifischen Ansatz. Weniger begeistert äußert sich Pinya Basil in ihrem Videoessay über diese Arbeit, mit der die einseitige Erzählung der heroischen Erbauer fortgeschrieben, statt um unsichtbare Helfer*innen erweitert wird. [4]
Wir gehen zum zentralen Treppenhaus, in dem eine schwarze Säule steht. Es ist die Statue of Limitations von Kang Sunkoo.Die Säule ist aus Bronze und soll einen Fahnenmast darstellen. Sie reicht zwischen den Rolltreppen bis unter die Decke. Von oben ragt ein Teil der Fahne herab und bildet eine schöne geschwungene Form. Was man nicht sieht, sondern wissen muss: dies ist nur ein Teil der Skulptur. Der zweite Teil ragt jedoch nicht aus dem oberen Geschoss heraus, wie man vermuten könnte, sondern soll auf dem Nachtigalplatz im „Afrikanischen Viertel“ im Wedding aufgestellt werden und damit mitten hinein in die Diskussionen um die Straßenumbenennungen aufgrund der kolonialistischen Vergangenheit der Namensgeber. Was man ebenfalls nicht sieht ist, dass die Fahne auf Halbmast hängt, was ein offizielles Zeichen von Trauer ist. Man könnte die Installation also als Respekt- und Trauerbekundung vor den Folgen der Kolonialisierung deuten – wenn man denn imstande ist, sie als solche zu lesen.
Als nächstes schauen wir uns zwei Wandarbeiten an, die sich jeweils über zwei Stockwerke erstrecken, sich jedoch in Treppenhäusern befinden, so dass sich der raumgestaltende Eindruck nur schwer erfassen lässt (diese Kunstwerke waren vom Architekten Stelle offenbar nicht gewünscht, sie wirken ein wenig abgeschoben). Dabei ist besonders die Arbeit des Berliner Künstlers Tim Trantenrothbeeindruckend, weil sie mit strahlenden Farben die ganze Wand einnimmt und aus ihr herauszukommen scheint. Sie zeigt die Fassadenstruktur eines Gebäudekubus, bei dem es sich um eine Reminiszenz an den Palast der Republik und dessen bronzierte Scheiben handelt.
Beim weiteren Durchqueren der sich im Aufbau befindenden Ausstellungsräume kommen wir immer wieder an weiteren Objekten und Kunstwerken vorbei, auf die mich Herr Hegner aufmerksam macht. So sind überall im Gebäude Spuren der Geschichte verteilt, zu denen Kurfürsten aus Marmor ebenso gehören wie Eisbecher und ein Gemälde von Wolfgang Mattheuer aus dem Palast der Republik. Es gibt zudem in den Sammlungen und einzelnen Museumsabteilungen weitere Arbeiten von zeitgenössischen Künstler*innen wie das Teehaus von Ai Wei Wei im großen chinesischen Thronsaal oder eine wandfüllende Terrakotta Arbeit von Mariana Castillo Deball im ethnologischen Museum. Die Kunst-am-Bau hat es bei dieser Fülle schwer, hervorzustechen.
Weshalb ist sie also ausnahmslos für den inneren Teil der Gebäude entwickelt wurde, statt für die Fassaden, wo sie ihrem Namen entsprechend, von Außen sichtbar gewesen und ein deutlicheres Kommentar hätte abgeben können? Das wäre auch deshalb passend, weil das Haus im Laufe seiner Geschichte so oft seine Form geändert hat (siehe die Vielzahl der Baumeister, die an ihm mitgewirkt haben), dass es spannend gewesen wäre, diese bauliche Vielschichtigkeit darzustellen. Dies geschieht automatisch an den Stellen, an denen die Original-Bauteile verwendet wurden und die aufgrund ihrer anderen Farbigkeit meist gut erkennbar sind, doch es hätte mehr solcher Stellen bedurft, um die massive Wirkung des Gebäudes, die durch den Baustil von Franco Stella noch verstärkt wird, zu brechen. Mit Kunst-am-Bau hätte man die Rekonstruktion des Schlosses um Brüche und diverse Perspektiven erweitern können, statt dies auf die Ausstellungen im Inneren zu vertagen. Ich frage Herrn Hegner, warum es keine Arbeiten am Bau gibt, und er erklärt, dass es bei der Errichtung des Humboldt-Forums um die Rekonstruktion der „großen baukulturellen Leistung Schlüters“ ging, was Eingriffe oder kommentierende Kunstwerke ausgeschlossen hätte.
Stadträume
Auf der Webseite des Humboldt-Forums wird damit geworben, dass „neue Stadträume“ entstanden seien. Damit sind mehrere Aspekte gemeint: der öffentliche Raum um das wiederaufgebaute Schloss herum, die (in naher Zukunft) öffentlich begehbaren Innenhöfe des Schlosses sowie das historische Ensemble inklusive Sichtachsen zum Alten Museum und zum Lustgarten, das nun wiederhergestellt sind. Soviel zur Theorie. Aber wie fühlt es sich vor Ort an? Ist tatsächlich neuer Stadtraum entstanden?
Zunächst fällt auf, dass bis auf die überschaubaren Grünanlagen alles gepflastert und nur spärlich mit Sitzgelegenheiten ausgestattet ist. Der potentiell schönste neu entstandene Stadtraum befindet sich auf der Seite zur Spree und klingt vielversprechend Spreeterrasse bzw. Spreebalkon. Doch setzt sich mit den zwei Rampen und einer langgezogenen, minimalistischen Bank aus Beton die neo-brutalistische Sprache der Fassade fort und schafft einen architektursprachlich dominierten Ort, dem das Einladende und die Aufenthaltsquaität von Terrassen fehlen.
Geworben wird auch mit den sogenannten Passagen und dem Schlüterhof, durch die man das Schloss durchqueren kann (wenn diese aufgrund von Corona nicht noch geschlossen wären). So werden Zugänge ins Humboldt-Forum auch für diejenigen Besucher*innen geschaffen, die einfach nur mal schauen oder das Gebäude als Durchgang nutzen wollen. Hier wird eine Gastronomie zum Verweilen einladen – allerdinge im Schatten und mit begrenztem Blick.
Ein weiterer Stadtraum ist auf der Seite zum Lustgarten hin entstanden. Es gibt einen kleinen, sorgsam angelegten Garten mit geschwungenen Bänken, Hecken und Birken (der dafür, dass es noch so jung ist, schon erstaunlich organisch aussieht), doch es ist absehbar, dass er nicht wie die Wiese des Lustgartens im Sommer von Musiker*innen und Jugendgruppen bevölkert sein wird, sondern eher der Repräsentation dient. Auch der geräumige Platz auf der gegenüberliegenden Seite zur Breiten Straße hat wenige Aufenthaltsqualitäten. Statt von einem Springbrunnen wie vor dem Centre Pompidou oder verschiedenen Kunstwerken wie vor dem Hamburger Bahnhof belebt zu werden, liegt das Potential des Platzes brach und entfaltet sich nicht zu einem Stadtraum. Es entsteht mithin der Eindruck, dass sich die neuen Stadträume allzusehr der Architektur unterordnen, statt eigenständig zu wirken, was folgerichtig und dennoch bedauerlich ist.
Insgesamt ergibt sich ein ambivalentes Bild: die Rekonstruktion des historischen Schlosses ist nicht in jeden Augen eine Bereicherung, zugleich sind die Bemühungen um Diversität und eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit sichtbar, aber wirken zaghaft. Ob es so gelungen ist, das Humboldt-Forum zu einem Ort zu machen, „der alle Bürger/-innen angeht und an dem alle Bürger/-innen sein können“, wie Thomas Flierl 2000 forderte[5], wird sich erst zeigen, wenn das Haus geöffnet ist.
[1] Die Wahl von Stefan Danziger dürfte dabei nicht nur auf Unterhaltungswert zurückgehen, sondern auch mit seiner Ost-Sozialisation zusammenhängen. Neben dem Vorwurf einer unaufgearbeiteten Kolonialgeschichte, steht und stand das Humboldt-Forum auch deshalb so lange in der Kritik, weil es an Stelle des Palastes der Republik errichtet wurde und damit zu einem Synonym für die Auslöschung der materiellen und immateriellen Spuren der DDR steht.
[2] https://www.humboldtforum.org/de/programm/angebot/digital/eingeschlossen-ausgeschlossen-19198/https://www.humboldtforum.org/de/programm/angebot/digital/eingeschlossen-ausgeschlossen-19198/, Stand: 31.3.2021
[3] Wieviel Spielraum es noch gibt, in Richtung einer kritisches Bewußtseins und Umgangs mit dem kolonialen Erbe zeigt die Ausstellung RESIST! Die Kunst des Widerstands im Rautenstrauch-Joest-Museum, http://rjm-resist.de/, Stand: 31.3.2021
[4] „Warum blies man in diesem Macho-‐Gebäude noch mehr Männernamen groß auf und ließ sie hier prangen? Oder ging es genau darum? Wurden hier die vielen Generationen männlicher Dominanz anklagend hervorgehoben? Falls ja, so kam es mir wie ein Ausbesserungsversuch vor, der lediglich eine hässliche Trope reproduziert. Ich wünschte mir ein rohes, rotes Graffito: Wo waren die Frauen? Ich wünschte mir Wände voller penibel gravierter Namen aller Menschen, die ausgebeutet oder umgebracht wurden, um Schlösser wie dieses zu ermöglichen.“ (Quelle siehe Fußnote 2.)
[5]Thomas Flierl: Jenseits von Palast und Schloss. Plädoyer für ein Bürgerforum auf der Spreeinsel, in: ders.: Berlin: Perspektiven durch Kultur, hrsg.v. Ute Tischler und Harald Müller, Berlin 2007, S. 276-278, hier: S. 277.