Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Blick nach vorn und zurück – das Haus am Lützowplatz baut und beleuchtet seine Geschichte

06.03.2024
Ausstellungsansicht mit einem Modell des Neubaus, Foto: Ines Borchart

Eine kleine Ausstellung in der Studiogalerie schlägt anlässlich des Neubaus einen großen Bogen: vom erzwungenen Verkauf des Hauses des jüdischen Eigentümers an den Verein Bildender Künstler in den 1930ern über die Pläne der Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA) 1987 für das Gelände bis zum gegenwärtigen Bauprojekt.

Die Ausstellung „Architecture & Morality. Das HaL baut“ beleuchtet die Anfänge des Standortes am Lützowplatz als Kunsthaus und läutet zugleich das Ende der Studiogalerie ein. Die früher als Hausmeisterwohnung genutzten Räumlichkeiten im Souterrain des Seitenflügels, in der seit 1978 Ausstellungen stattfanden, werden zukünftig im Neubau untergebracht, mit dessen Errichtung auf dem hinteren Teil des Geländes in Kürze begonnen wird. Die Ausstellungsdauer ist daher offengelassen – so lange bis die neuen Räume eingeweiht werden, sagt die Kuratorin Asja Wolf im Gespräch. Sie hat die verwinkelten Räumlichkeiten genutzt, um eine relativ klassische Informationsausstellung zu inszenieren, in der die Geschichte des Hauses seit 1938 präsentiert wird. Mit Hilfe von historischen Dokumenten, Filmausschnitten, Kunstwerken, einer Bibliothek und Architekturmodellen wird ein Bogen von den Anfängen bis in die Zukunft geschlagen.

Die Anfänge

1938 wurde die als Wohnhaus genutzte Immobilie nach zunehmenden Repressalien vom jüdischen Eigentümer Egon Sally Fürstenberg an den Verein Berliner Künstler (VBK) verkauft und in den folgenden Jahren vom Graphischen Kabinett als Ausstellungsfläche genutzt. Neben dem Kaufvertrag von 1938 sind eine Einladung des Graphischen Kabinetts von 1940 und eine Ausgabe von Die Weltkunst aus demselben Jahr ausgestellt, in dem die Graphikausstellung besprochen wird.

Im Jahr 1943 wurde das Haus durch Bombenangriffe auf die Berliner Innenstadt stark beschädigt und brannte aus, wie es im Wandtext heißt. In einem Stadtplan in einer der Vitrinen und in den kurzen Filmausschnitten aus den 1960er Jahren wird ersichtlich, wie umfangreich die Zerstörungen waren. Große Teile des Lützowviertels lagen brach. Die Reste des Vorderhauses Nummer 9 wurden jedoch so weit wiederhergestellt, dass im Februar 1950 das „Kulturzentrum am Lützowplatz“ eröffnet werden konnte, konzipiert als Ausstellungs-, Veranstaltungs-, Bildungs- und Freizeitzentrum. Erneut werden die Räumlichkeiten im Hochparterre vom Graphischen Kabinett des VBK genutzt, während in der zweiten Etage das Kunstamt Tiergarten eine Bezirksgalerie betreibt und in den folgenden Jahren unter anderem Ausstellungen mit Werken von Vincent van Gogh (1953), Oskar Kokoschka (1956), Marc Chagall (1957) oder Paula Modersohn-Becker (1960) zeigt.

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Bebauungsplan II-122. Der Senator für Bau- und Wohnungswesen, Bezirksamt Tiergarten von Berlin, aufgestellt: Berlin, den 22. Mai 1986
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3D-Animation, Entwurf: Dipl. Ing. Edgar Döwe, Architekt; Visualisierung: AR Building GmbH

Restitution (Morality)

Der Titel der Ausstellung „Architecture & Morality“ gibt die zwei Richtungen vor, in die diese strebt und bezieht sich auf ein Album der New-Wave-Band Orchestral Manoeuvres in the Dark von 1981. Er deutet an, dass die Frage der Architektur nicht losgelöst von den Besitzverhältnissen betrachtet werden kann. In einem der Wandtexte heißt es zur Frage der Restitution, dass „in den Wiedergutmachungsverfahren der Nachkriegszeit der erzwungene und unrechtmäßige Verkauf des Hauses an den VBK gerichtlich festgestellt [wurde]. 1959 klärte ein Vergleich die Eigentumsverhältnisse und entschädigte die Familie Fürstenberg, [doch] die für den Bezirk Tiergarten zuständige britische Militärverwaltung verlangte den Verkauf an einen neutralen Eigentümer.“[1]

Wahrscheinlich ist dies der Grund, weshalb 1960 der „Fördererkreis Kulturzentrum e.V.“ auf Initiative vom damaligen Berliner Bürgermeister Willy Brandt mit SPD-Politiker*innen, Gewerkschaftler*innen und Kunstschaffenden ins Leben gerufen wurde, der das Haus mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie Berlin vom VBK erwarb (woraufhin dieser 1964 in seinen neuen Standort am Schöneberger Ufer 57 umzog).

In den folgenden Jahren wurde das Gebäude umgebaut und im November 1963 unter dem Namen Haus am Lützowplatz (HaL) neu eröffnet. Bis 1995 blieb auch das Kunstamt Tiergarten Mieter im zweiten Stock des Gebäudes und entwickelte Ausstellungen in Kooperation mit dem HaL.

Die Kuratorin Asja Wolf hat sich entschieden, den hinteren Teil der Ausstellung, der sich den Anfängen des Hauses widmet, mit einer mehrteiligen Arbeit der israelischen Künstlerin Ariane Littmann zu ergänzen, die diese 2023 aus Anlass der Ausstellung „Who by Fire: On Israel“ speziell für den Ort entwickelt hat. Sie besteht aus einer Karte Berlins, die bis zur Unkenntlichkeit mit Mullbinden beklebt ist. In der Mitte markiert eine rote Fahne den Standort des HaL. Ein Koffer mit aufgerollten Mullbinden und eine Schüssel mit roter Farbe ergänzen die Installation, was im Zusammenhang mit dem historischen Kontext etwas plakativ wirkt.

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Installation der israelischen Künstlerin Ariane Littmann, Foto: Ines Borchart
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3D-Animation, Entwurf: Dipl. Ing. Edgar Döwe, Architekt; Visualisierung: AR Building GmbH | mit virtuellen Skulpturen von: Nadine Baldow, Occupied Objects, 2015-2021, Alltagsgegenstände, Polyurethan, Acryl, Maße variabel

IBA-87 (Architektur)

Noch in den 1970er Jahren ist die Gegend um den Lützowplatz „verödet“, wie es in einer Presseerklärung aus dem Jahr 1978 des Bürgermeisters des damaligen Bezirks Tiergarten heißt, die in einer Vitrine ausliegt. Kein Wunder, dass „eines der Planungs- und Demonstrationsgebiete der IBA das südliche Tiergartenviertel [war]“. Hier entstand u.a. der sogenannte ‚Wohnpark Lützowplatz‘. Innerhalb des als ‚Block 234‘ ausgewiesenen Areals sollte der urbane Wohntyp der Mehrfamilienvilla wiederbelebt werden und an die ehemals großbürgerlich geprägte Wohnkultur des Quartiers anknüpfen. Als Verbindung zwischen einer Blockrandbebauung entlang der Lützowstraße und dem erhaltenen offenen Bestand nördlich der Kurfürstenstraße wurden insgesamt zehn Punkthochhäuser auf quadratischen Grundrissen vorgedacht. Neun dieser Gebäude sind im Rahmen der IBA realisiert worden.“[2] Auf mehreren Karten, die an den Wänden angebracht sind, kann man die historischen Pläne studieren und nachvollziehen, wie diese komplementiert werden sollen. Denn der Bau des zehnten Punkthauses auf dem Flurstück hinter dem Haus am Lützowplatz wird nun – in abgewandelter Form – nachgeholt. Damit beauftragt ist der Berliner Architekt Edgar Döwe, der die Kubatur der Punkthäuser aufgreift und in eine zeitgenössische Formensprache übersetzt, wie es weiter im Ausstellungstext heißt. Postmoderne trifft dabei auf historische Referenzen, das Ergebnis wirkt wie ein etwas unentschlossenes Dazwischen. Das ausgestellte Modell sieht neben Ausstellungsflächen im Untergeschoss, fünf Wohngeschossen und einem Dachgarten auch einen Skulpturenpark im Außenbereich vor. In einer kurzen Visualisierung kann man erfahren, wie das zukünftig aussehen soll und entdeckt unter anderem die Hofskulptur #3 von Janine Eggert und Philipp Ricklefs, die diese 2018 für das HaL entworfen hatten.

Heute

Auf die Frage, wie der Stand der Dinge sei, antwortet Kuratorin Asja Wolf, dass sie sich momentan im Status der zweiten Einreichung befänden und sich alles länger hinziehen werde, als geplant – unter anderem weil eine Fernwärmeleitung auf dem Gelände verläuft, die zunächst verlegt werden muss. Träger sei der Verein Haus am Lützowplatz, der neben Ausstellungsflächen WG-Wohnungen für Künstler*innen vorgesehen hat. Der Neubau wird unter anderem durch die Mieteinnahmen des Vorderhauses finanziert, in dem neben der Kulturstiftung der Länder und des Bundes, der Verband deutscher Amateurbühnen und die Filmproduktionsfirma Medea sitzen. Man darf gespannt sein, wie lange sich der Bau hinziehen – und die Ausstellung noch zu sehen sein wird.

[1] Ausstellungstext, https://www.hal-berlin.de/ausstellung/das-hal-baut/
[2] Ebd.


Infos:

Architecture & Morality. Das HaL baut

Haus am Lützowplatz / Studiogalerie

Lützowplatz 9, 10785 Berlin

Ab 10. Februar 2024

Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Eintritt frei

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