Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Das Schwule Museum in Bewegung

07.01.2019
Vera Hoffmann mit Mahide bei der L-TV Matinee im SMU, 12 Monde Filmlounge, Foto: Scwules Museum

Ein Gespräch mit Vera Hofmann, Künstlerin, Mitglied des Vorstands des Schwulen Museums und Co-Kuratorin des Jahres der Frau_en 2018 über die Struktur des Schwulen Museums, das zurückliegende Jahr und das Programm 2019.

Das Schwule Museum hat keine*n Direktor*in oder Geschäftsführer*in, sondern einen achtköpfigen Vorstand, der den Verein gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Was sind deine Aufgaben als Vorstandsmitglied? Und seit wann bist du dabei?

Ich wurde im September 2016 in den Vorstand gewählt. Er ist zuständig für die strategische Ausrichtung des Hauses, trifft aber auch ganz viele praktische und operative Entscheidungen. Das fängt bei der Planung des Programms und der Infrastruktur für die nächsten Jahre an und hört manchmal bei einer kaputten Kaffeemaschine auf. Wir sind Personalverantwortliche für das insgesamt ca. 80-köpfige Team, wir kümmern uns um die Beschaffung von Drittmitteln, sind Projektleiter*innen, Kurator*innen, Veranstalter*innen, überblicken den organisatorischen Ablauf im Haus, wir werden als Sprecher*innen zu Veranstaltungen eingeladen, verfassen Stellungnahmen und bedienen auch die Pressekanäle des Schwulen Museums. In 2017 habe ich auch unsere sogenannte Ausstellungsgruppe geleitet, die verantwortlich ist für die Planung der insgesamt vier Ausstellungsflächen. Zu ihr hat jede*r Zugang. Meist sind es interessierte Menschen aus dem Haus: Kurator*innen, Volontär*innen, die Archivleitung und eine Person aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich würde diesen Kreis 2019 gerne erweitern.

Hinzu kommt, dass ihr gegenüber der Politik die Interessen des Museums und damit im weitesten Sinne auch der Community vertretet. Ihr seid auch Repräsentanten…

Genau. Das Schwule Museum ist das erste und bisher größte Museum und Archiv weltweit für – früher schwule –, jetzt für LGBT*IQ+ -Kultur und Geschichte. Sich einzugliedern in den „offiziellen“ Kultur- und Repräsentationsbetrieb mit allem was dazugehört, reibt sich mit dem widerständigen Grundgedanken des Museums, der auf jeden Fall erhalten bleiben muss.

Wie ist das Haus finanziert?

Wir haben seit 2010 eine Finanzierung von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa, dazu kommen die Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge und auch Spenden, die die laufenden Kosten wie Miete und Nebenkosten decken und woraus wir rund zehn Teilzeitstellen im Office und im Archivbereich bezahlen können. Wir haben einen Pool aus ca. 60 ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die Archiv- und Bibliotheksaufgaben übernehmen sowie den gesamten Bereich Café, Kasse und Aufsicht abdecken. Der Vorstand arbeitet ebenfalls ehrenamtlich. Ohne dieses ehrenamtliche Engagement so vieler Menschen wäre der Betrieb nicht aufrecht zu erhalten.

Finanziert ihr das Programm zusätzlich über Projektförderungen oder versucht ihr euch möglichst unabhängig von den öffentlichen Förderstrukturen zu bewegen?

Klar ist es immer die Frage, ob und inwieweit man sich mit einem aktivistischen Projekt abhängig machen will von externen Geldgeber*innen. Aber um es ganz deutlich zu sagen: Ohne öffentliche Förderungen würde es dieses Haus in seiner jetzigen Form, mit seinem umfassenden Archiv und Ausstellungsflächen von 700 qm, so nicht geben. Mit der genannten Grundfinanzierung können wir die Ausstellungsflächen minimal bespielen, mit viel Improvisation und der ehrenamtlichen Arbeit der Kurator*innen und vieler Beteiligten. Oft bringen aber externe Kurator*innen Gelder mit oder wir helfen bei der Beantragung. Zum vierten Mal infolge erhalten wir gerade über die Programme der Senatsverwaltung für Kultur und Europa Förderungen für unsere eigenen Ausstellungsprojekte, das ist großartig! Zum zweiten Mal haben wir mehrere Ausstellungen thematisch in einem Antrag zusammengefasst, um konzertierter rangehen zu können. Es ist natürlich immer ein Hoffen und Bangen – widrige Umstände für eine langfristige Planung. Gerade unsere aktuellen Projekte zeigen, dass wir eigentlich erheblich mehr finanzielle und personelle Ressourcen bräuchten. Eine große Aufgabe für die nächsten Jahre.

Vera Hofmann bei der Eröffnungsrede des Jahres der Frauen und der 12 Monde Filmlounge, Foto: André Wunstorf

Was hast du bewegt, seitdem du im Vorstand bist?

Ich habe einige Jahre im betriebswirtschaftlichen Bereich, in Projektmanagement und Beratung gearbeitet und bin seit zehn Jahren künstlerisch tätig, arbeite mit Kunstorten und Museen und kollaboriere mit Künstler*innen und Kreativen. Aus diesen Blickwinkeln habe ich verschiedene Veränderungen angeschoben, die mir wichtig erschienen, um das Haus – wie gewünscht und dafür bin ich angetreten – für neue Zielgruppen zu öffnen, Strukturen zu diversifizieren, Abläufe zu verbessern und den Anschluss an eine zeitgenössische Museumspraxis und an aktuelle politische und ästhetische Diskurse voranzutreiben. Das Museum wurde von der breiten Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, die Community hat es als mehr oder weniger exklusiv „schwul“ einsortiert und vielen jüngeren Queeres war es schlichtweg zu „old school“. Das hat sich mittlerweile ziemlich verändert. Ich habe auf verschiedenen Ebenen dazu beigetragen – zum Beispiel bei der Umstellung des visuellen Erscheinungsbildes, der Corporate Identity, wo sich genau diese Fragestellungen abbilden: Wie können wir Zielgruppen erreichen, die sich bisher nicht eingeladen gefühlt haben und wie wollen wir uns für die Zukunft positionieren? Wie machen wir Generationswechsel und Öffnungsprozess sichtbar? Es geht mir um eine institutionskritische, queere Praxis, in der wir uns stets selbst hinterfragen und verbessern. Ich sehe meine Aufgabe darin, unterrepräsentierte Stimmen einzuladen und die Strukturen dafür im Hintergrund zu schaffen, dass sich dies auch nachhaltig etablieren kann. Viele Gespräche zu führen, am Puls der verschiedenen Szenen zu sein, Bedürfnisse hören, Infrastruktur bereitstellen und mutige, manchmal auch zunächst unbequeme Entscheidungen treffen.

In der Ausstellungsgruppe habe ich auf ein Themenjahr hingewirkt und mit meiner Kollegin Birgit Bosold, die schon 12 Jahre im Vorstand des Schwulen Museums ist, das Jahr der Frau_en konzipiert, darin drei eigene ganzjährige Formate kuratiert und das Projektmanagement gemacht. Wir verschieben die thematischen Schwerpunkte und damit auch die Ressourcen deutlich hin zu mehr Diversität, so dass weibliche*, lesbische, nichtbinäre und trans* Positionen stärker berücksichtigt werden. Wir haben ein sehr umfangreiches Programm auf den Weg gebracht: neun Wechselausstellungen, ganzjährig die Filmlounge 12 Monde, die Vortragsreihe our own feminismS, das Barkonzept SPIRITS und über 100 begleitende Einzelveranstaltungen.

Dieser thematische Schwerpunkt war ein Meilenstein für das Museum und ich würde sagen, auch darüber hinaus, denn welches Museum hat sich bisher ein Jahr lang weiblichen* und feministischen Themen gewidmet? Wir verzeichnen dieses Jahr einen Besucher*innen-Rekord und haben enormen Zuspruch und tolles Feedback bekommen, gerade auch von den vielen Menschen, die zuvor noch nie dagewesen waren. Es kamen so viele unterschiedliche Leute, verschiedene Generationen, mit heterogenen Hintergründen und „Identitäten“, das war sehr bereichernd! Teilweise sind wir allerdings ganz schön geprüft worden.

Da würde ich gerne noch mal nachhaken: Was sind die schwelenden Konflikte, die auch in der Pressemitteilung zur Wahl des neuen Vorstands im September 2018 erwähnt wurden?

Gerade das Jahr der Frau_en und unsere Positionierung für eine diversere Programmpolitik ist nicht von allen in Haus und Community begrüßt worden, manche möchten ihren schwulen Heimathafen behalten, anderen war es nicht „lesbisch“ genug oder wiederum anderen haben schlichtweg unsere kuratorischen Setzungen gestört. Die Community ist sehr involviert in das Museum. Wir können nachvollziehen, dass die Öffnung von schwul zu LSBT*IQ+ – die übrigens schon seit 2008 offiziell auf der Agenda des Schwulen Museums steht – für einige Menschen jetzt zu schnell geht. Überrascht hat uns, dass allerorts und auch bei uns überholte Debatten des letzten Jahrhunderts wieder hoch kochen, zum Beispiel die immer noch ungelösten Konflikte zwischen Lesben und Schwulen oder die Kontroversen zwischen Feminist*innen verschiedener Generationen. Zudem erleben wir gerade auch eine Verhärtung der Fronten in der Community im Streit um die Deutungshoheit über queere Theorie und Praxis. Für manche dieser alten und neuen Kontroversen fühlen wir uns als Museum zuständig, wogegen wir uns verwehren, ist als Zielscheibe für Ressentiments jeglicher Art, für sexistische und rassistische Anfeindungen herhalten zu müssen. Die Aggressivität und Ignoranz, die uns durch das Jahr begleitet hat, hat uns ehrlich gesagt entsetzt, ist aber leider auch nur ein Spiegelbild dessen, was sich gerade gesamtgesellschaftlich abspielt.

Stichwort Care-Arbeit…

Oh ja, ein ganz wichtiges und sensibles Thema. Ich habe mich in diesem Jahr oft gefragt, wer eigentlich für wen Sorge tragen sollte, gerade in einem feministischen, politisch so relevanten Projekt. Ich denke, das Thema Care wird eins der gesamtgesellschaftlich wichtigsten der nächsten Jahre. Es gibt so wertvolle Ansätze dazu im Feminismus und in der queeren Community. Ich setze mich in meiner künstlerischen Arbeit auch viel damit auseinander, es liegt mir sehr am Herzen. Wir haben zumindest einen Aufschlag gemacht mit zwei öffentlichen Care-Symposien in diesem Jahr, müssen aber auch intern das Thema in der nächsten Zeit noch viel intensiver angehen. Care in Politik, Unternehmen, Institutionen und kulturellen und sozialen, meist prekär finanzierten Projekten nachhaltig zu implementieren, ist echt next level, weil sich ganz grundlegende Dinge ändern müssten.

Wenn es seit 1985 hier in diesem Haus Projekteerfahrungen gibt: Warum gelingt es nicht besser, das vorhandene Wissen zu teilen und die bereits gemachten Erfahrungen weiterzugeben?

Wissenstransfer hat ja auch was mit Zeit zu tun. Nachwuchsförderung. Fluktuation auffangen. Prioritäten setzen und Ressourcen bereitstellen. An manchen Stellen gelingt uns dies gut, an anderen Stellen sind wir am Nachbessern. Es werden aber gerade auch viele Dinge zum ersten Mal gemacht, Stichwort Diversität, und der kuratorische Stil hat sich stark verändert, die Anforderungen sind ganz andere. Auch die Veranstaltungssparte ist relativ neu.

Ist mehr Kommunikation die Lösung?

Eigentlich ja. Geht allerdings nicht immer und mit allen.

Die Frage ist, wie man sich die Solidarität erhalten kann…

Hm…Es hat sich in der Community dieses Jahr und ja auch in vielen Debatten weltweit gezeigt, wer bereit ist, sich mit wem zu solidarisieren und die eigenen Privilegien zu hinterfragen. So oft werden gerade die Institutionen und Menschen, die sich raus wagen und etwas verändern wollen, am stärksten angegriffen. Kein einfaches Thema.

Wie kann man es besser machen?

Ausschlussfrei wird es wahrscheinlich niemals gehen. Immer wieder Einladungen zum Dialog aussprechen, kreative Formate finden, das eigene Handeln transparent machen. Sein Gewissen befragen, gewaltfreie Kommunikation üben. Sogwirkung erzeugen statt Druck ausüben. Bündnisse schaffen. Sich klar positionieren gegen Diskriminierung, Sozialabbau und gegen Rechts. Weiterbildung. Neue Finanzierungsmodelle. Neue Arbeitsmodelle. Neue Care-Modelle. Nachhaltigkeit in den Vordergrund rücken. Ach, so vieles. Als Schwules Museum sich fragen, was es will, kann, soll und wer welche Interessen daran hat. Das verschiebt sich ja gerade.

Eine Frage habe ich noch zum Jahr der Frau_en – es hieß, ihr wolltet nicht nur eine thematische Setzung machen, sondern auch in der Form feministisch werden. Wie habt ihr das umgesetzt?

Viele Ausstellungen wurden von und mit unterschiedlichen feministischen Gruppen kuratiert, es war uns wichtig, die Akteur*innen ihre Narrative selbst wählen und erzählen zu lassen. Die zentralen Fragen für mich waren: Welche Formen können wir finden, die Mehrstimmigkeit und Intergenerationalität zulassen und sogar Widersprüche und Gegensätze aushalten? Die rollierende Planung, also nicht schon alles zu Beginn fertig zu haben und es nur noch abzuspulen, war dabei essentiell. So konnten wir flexibel und auch selbstreflexiv agieren und reagieren. Diese Arbeitsweise bedeutet natürlich mehr Aufwand und ist nicht risikofrei, ist aber denke ich für ein solches Jahresprogramm, das ein gemeinsames Lernfeld öffnen will, unabdingbar.

Einige Beispiele aus den von mir kuratierten Projekten: Die Veranstaltungsreihe ist mit einer Art free school-Aufruf gestartet, um vorab die Bedarfe an feministischer Wissensbildung zu ermitteln, das Programm wurde dann in der Gruppe ausgearbeitet. Ich hatte die Idee, das Museumscafé im Jahr der Frau_en zu nutzen, um auf das weltweite Sterben der Orte und Bars für Lesben aufmerksam zu machen. Ein in Berlin ansässiges, internationales Künstler*innenkollektiv, das akademisches Wissen und praktische Erfahrung mit queeren und lesbischen Bars hat, hat den Raum zur Dyke Bar: SPIRITS umgestaltet. Die 12 Monde Filmlounge fungierte als ständige Begleiterin durch das Jahr. Die Filme und Videos liefen täglich im Loop in der speziell gebauten Sitzlandschaft auf einer Projektionsfläche und zwei Monitoren. Eingeladene Gastkurator*innen aus verschiedenen Szenen und ich haben jeden Monat unter einem anderen Schwerpunkt queere und feministische Arbeiten kuratiert. Wichtig war mir, dass sie die laufenden Ausstellungen und Themen kommentieren und um intersektionale Aspekte erweitern.

Bessere Care-Formate und andere, auch mal spaßige Aktionen und Streiks wie Lächeln fasten, sind aufgrund der Tumulte leider hinten über gefallen. Da gab es noch ein paar radikale Ideen.

Worauf wird dieses Jahr der Fokus liegen?

Wir gedenken zweier Jubiläen: 100 Jahre Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und 50 Jahre Stonewall Riots. Das Jahr nennen wir Trans*cending Hirschfeld: 100 Jahre Institut für Sexualwissenschaft, weil wir die weniger beachteten Aspekte seines Wirkens in den Fokus rücken und uns dabei vor allem Hirschfelds wissenschaftlicher und aktivistischer Pionierarbeit zu trans* Thematiken widmen. Wir kooperieren dieses Jahr unter anderem mit dem Lili Elbe Archiv, den Kunst-Werke Berlin (KW) und dem Goethe-Institut New York. Es wird wieder eine Mischung aus Kultur, Geschichte, Aktivismus und Kunst. Unsere eigenen Bestände bringen wir explizit in zwei neue Ausstellungen ein. Das Jahr startet am 18. Januar mit der Ausstellung Unboxed: Transgender im Schwulen Museum.

Was wünschst du dir von diesem Jahr?

Ich freue mich auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema Trans* von Innen. Wie kann sich das Schwule Museum dazu verhalten und was spielen die Communities zurück? Wir wollen nicht nur eine Emanzipations- oder Empowermentgeschichte erzählen, sondern auch Leerstellen und Missverständnisse beleuchten. Es gilt noch mal ganz genau hinzugucken, wer welche Deutungshoheit erlangt hat, was wem zugeschrieben wurde, was davon geblieben ist und wie wir heute respektvoll darüber und miteinander sprechen können.

Gleichzeitig wird es hoffentlich ein Jahr der Konsolidierung. Was hat das Jahr der Frau_en gebracht? Es ging ja eigentlich darum, andere Perspektiven zu zeigen von Frauen*, Lesben und Trans*. Es ist schade, dass dies einige aus dem Stammpublikum überhaupt nicht interessiert hat. Werden sie dieses Jahr wiederkommen? Und werden die Personen, die im Jahr der Frau_en zum ersten Mal da waren, wiederkommen und neue hinzukommen? – Eigentlich wünschte ich, es ginge weniger vorrangig um den Spiegel des Eigenen, sondern um eine Erweiterung des Horizonts für alle. Ich wünsche mir, dass jetzt bei uns wieder etwas Ruhe, Frieden und Kontinuität einkehren kann. Und dass wir gut füreinander sorgen. Ich habe das Gefühl, der neue Vorstand ist sich darin einig. Wir werden aber unruhig bleiben.

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