Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Der Künstler als Galerist  

09.05.2023
Ausstellungsansicht "Garden Problems" Joe Highton & Ernie Wang, Foto: Åplus Berlin

Galerien sind Mittler, Verkäufer und Unterstützer. Sie sind die Verbindung zwischen Künstler*innen und Kunstmarkt, stellen durch ihre Ausstellungsräume Sichtbarkeit her und knüpfen Kontakte zu Kurator*innen und Institutionen. In der zweiten Folge stellen wir die Galerie Åplus vor.

In der vielbefahrenen Stromstraße 38 in Berlin-Moabit, hinter undurchsichtigen Fenstern versteckt, befindet sich seit 2016 die Åplus Galerie. Wie kommt man denn auf diesen abgelegenen Galeriestandort ist die erste Frage, die mir in den Sinn kommt. Und Hagen Schümann, der Galerist, scheint über sie nicht überrascht zu sein. Er erzählt, dass er die ehemalige Fahrschule eigentlich als Atelier nutzen wollte, aber dann hätte es sich anders entwickelt und die zwei Räume wurden erst zu einem Ausstellungsort, dann zu einer Galerie. 

Die Unscheinbarkeit ist Konzept: Schümann ist keiner, der das Rampenlicht sucht, sondern lieber hinter den Kulissen agiert und netzwerkt. So hat er es geschafft, dass über die Hälfte der Klicks seiner Webseite international getätigt werden – mit hohen Anteilen aus den USA und Asien. Offenbar vermag Schümann das fehlende Laufpublikum durch eine gezielte Einladungspolitik bzw. Netzwerkarbeit zu kompensieren. 

Schümann serviert Espresso in Tassen, die von einem Künstler gestaltet wurden und mit einem Gebiss als Henkel aus der Reihe fallen. Er stellt sie neben einem bunten Keramikobjekt von Ernie Wang ab, der zurzeit in der Galerie ausstellt. Kunst darf hier durchaus einen Gebrauchswert haben, wird mir damit suggeriert, was ich sofort sympathisch finde.  

Schümann, der in Brandenburg an der Havel aufgewachsen ist, hat an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Kunst studiert, bevor er nach Berlin zog. Aus dieser Zeit kennt er einige der von ihm ausgestellten Künstler*innen wie Lulu MacDonald, Jessica Leinen oder Simon Modersohn, doch hat sich sein Portfolio seitdem stetig erweitert, internationalisiert und immer wieder verjüngt. Aktuell hat er sieben Künstler*innen fest im Programm und zahlreiche Gastkünstler*innen, die auf der Webseite ebenfalls vorgestellt werden. Dazu gehören die beiden Künstler, die bis zum 8. April 2023 zu sehen waren: Joe Highton & Ernie Wang. Hatte Schümann zunächst ein Auge auf Wang geworfen, brachte dieser seinen Studienfreund von der Londoner Slade School of Fine Art mit ins Spiel – und Schümann ließ sich überzeugen. Die Künstler teilen dabei nicht nur die gemeinsame Vergangenheit und das Alter (beide sind Jahrgang 1993), sondern auch eine skulpturale und installative Arbeitsweise. Wang stellt mehrere Keramiken aus, die sehr unterschiedliche Formen haben, darunter eine Stahlstange, an der mit Ketten befestigte Keramikwaffen und eine Art Blumentopfherunterhängen, ein lichtes Tor, in das ebenfalls bunte Keramikobjekte eingeflochten sind, sowie zwei kleinere Skulpturen. Dabei schwankt der Eindruck stets zwischen niedlich und latent unheimlich bzw. erotisch aufgeladen, weil häufig Löcher und phallische Formen vorkommen. Highton wiederum entwickelt Objekte, die stark an Satellitenschüsseln erinnern. Sie sind aus diversen Materialien zusammengesetzt und auf Ästen befestigt, was einen eigentümlichen Kontrast zwischen Natur und Hochtechnologie bildet und einen ähnlich ambivalenten Eindruck hinterlässt wie Wangs Objekte.

Ausstellungsansicht
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Ausstellungsansicht “Garden Problems” Joe Highton & Ernie Wang, Foto: Åplus Berlin
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Links: Joe Highton, Grandparents, 2023, Foto: Åplus Berlin
Rechts: Joe Highton, Little ghost, 2023, Foto: Åplus Berlin
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Links: Ernie Wang, Cauldron #4, 2022, Foto: Åplus Berlin
Rechts: Untitled (Cacti and Shark fin), 2020, Foto: Åplus Berlin
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Links: Ernie Wang, Cauldron #3, 2022, Foto: Åplus Berlin Rechts: Ernie Wang Cauldron #2, 2022, Åplus Berlin

Schümann sagt, er sei ein Rahmenbauer – einer, der gute Bedingungen schafft für die Entwicklung der Künstler*innen und Verkäufe. Gleichzeitig wird schnell deutlich, dass er ein guter Übersetzer und Vermittler ist. Dabei komme ihm zugute, dass er selber Künstler gewesen sei, sagt er. Er könne sich gut in das Denken und die Logik der Künstler*innen hineinversetzen und habe dadurch einen anderen Draht zu ihnen, als zum Beispiel ein*e Kunsthistoriker*in. 

Wie kommt der Galerist zu seinen Künstler*innen?, frage ich ihn. Er schaue sich viel um und sei offen für Tipps. An den Kunsthochschulen kenne er Professor*innen, die ihm Tipps geben würden. Oft habe er die Künstler*innen längere Zeit im Auge, beobachte ihre Aktivitäten und probiere dann am liebsten in Form einer Ausstellung aus, ob man zusammenpasse. Um sich für ein*e Künstler*in zu entscheiden, müsse vieles stimmen: die Position müsse eigenständig sein und ins Portfolio der Galerie passen, sie müsse Potential haben bzw. eine Vision davon erkennbar sein, in welche Richtung sich die Arbeit entwickeln werde. Und dann müsse er, Schümann, auch noch das Gefühl haben, dass er der Richtige sei, der den Künstler*innen jeweils dabei helfen könne, ihre Vorhaben umzusetzen. Es wird deutlich, dass sein Interesse Künstler*innen gilt, die etwas wagen, zum Beispiel, indem sie bewusst auf eine naive Malweise zurückgreifen wie Andi Fischer oder wie Philip Newcombe, der performativ und interventionistisch arbeitet und damit eine Arbeitsweise gewählt hat, mit der er klassischerweise aus dem Kunstmarkt herausfällt. 

Dass Künstler*in und Galerist gut miteinander klarkommen, sei dabei elementar für seine Arbeit, die er als Zusammenarbeit verstehe. Einmal im Monat würde er mindestens mit jedem und jeder seiner Künstler*innen telefonieren; diese ungewöhnlich enge Beziehung sei ihm wichtig. Wenn Schümann über seine Arbeit spricht, klingt es unprätentiös, und doch wird klar, dass er mit vollem Einsatz dabei ist und nicht selten 70 Stunden pro Woche arbeitet. Diesen vollen Einsatz und die Ausdauer (die Sturheit, sagt Schümann) erwarte er auch von seinen Künstler*innen. 

Schümann zündet sich noch eine Zigarette an. Die Tür zum Hinterhof steht die ganze Zeit offen; er erzählt, dass er fast alle Bewohner*innen des Hauses und Hinterhauses kennen würde und diese nachbarschaftliche Atmosphäre schätzte – auch weil es sie in seinem Wohnhaus im Prenzlauer Berg so nicht geben würde. 

Auf die Frage, ob er Kontakt zu anderen Kunstorten in der Nachbarschaft habe, berichtet Schümann, dass er mit dem Projektraum Spoiler in der Quitzowstraße im Austausch sei und bereits mit der Galerie Office Impart in der Waldenserstraße zusammengearbeitet habe. Wir unterhalten uns über andere Galerien und Galeriemodelle, die Schümann genau im Auge hat. Sympathisch seien ihm Galeristen wie Daniel Buchholz, der sei zwar groß, aber anders als Sprüth und Magers würde Buchholz nicht nur Werte akkumulieren und Nachlässe verwalten. Sein eigenes Ding machen sei ihm wichtig; in Investments zu denken, aber sich nicht als Investor zu identifizieren. Dazu passt, wie die Galerie zu ihrem Namen gekommen ist: mit dem Sonderzeichen und dem Å würde er in Auflistungen immer ganz vorne stehen, der Name sei also eine rein strategische Entscheidung gewesen und habe nichts mit einer Vorliebe für Skandinavien zu tun.  

Wir kommen auf Sammler*innen zu sprechen, und Schümann erzählt, dass die Stahlstange von Wang an einen Sammler nach Brüssel verkauft sei und einige weitere Arbeiten an Sammler*innen in Deutschland gehen würden. Dann erzählt Schümann von einem weiteren Sammler, der es ihm angetan habe: ein über 70 Jahre alter Isländer, der lange hier in der Nachbarschaft gewohnt habe, Ausstellungen mit Richard Long und Dieter Roth organisiert habe und gern auf einen Plausch vorbeigekommen sei.

Befragt nach seinen Plänen, erzählt er, dass drei Schritte anstehen würden: eine Neugründung als GmbH, eine Vergrößerung der Galerieräume (heißt: ein neuer Standort) und eine Erweiterung des Personals, denn viele der Aufgaben, die er machen würde, könne er gut abgeben (Webseitenpflege, Aufsicht etc.). Bis dahin erledige er weiterhin alles in Eigenregie …

Hagen Schümann, Foto: Åplus Berlin

Galerie Åplus

Stromstraße 38
10551 Berlin
www.åplus.de
Öffnungszeiten:
Mittwoch – Samstags, 12 bis 18 Uhr

Aktuelle Ausstellung:
Felix Kultau – „Mad Honey Mountain“ 28. April – 27. Mai 2023

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