Joana Stamer

Drei Fragen an Juliane Bischoff – die neue künstlerische Leiterin der Klosterruine Berlin

14.06.2023
Klosterruine Berlin, Foto: Marlene Burz

Die Kuratorin Juliane Bischoff leitet das Programm 2023 in der Klosterruine Berlin. Ihr Programm aus Ausstellungen, Performances, Talks und Stadtspaziergängen beschäftigt sich mit den verschiedenen Aspekten des öffentlichen Raums - auf historischer, sozialer, gebauter wie diskursiver Ebene.

Joana Stamer (JS): Was siehst du persönlich als künstlerische Leiterin als eine Herausforderung an einem so geschichtsträchtigen Ausstellungsort wie der Klosterruine Berlin?

Juliane Bischoff (JB): Herausfordernd ist natürlich die Beschaffenheit des Ortes, sowohl auf praktischer als auch ideeller Ebene. Alles, was in der Ruine präsentiert wird, findet unter freiem Himmel statt und ist dem Wetter und den Bedingungen des Ortes ausgesetzt. Es ist kein geschützter Raum, kein geschlossenes Haus wie ein Museum oder eine Institution – den Kontexten, in denen ich bisher gearbeitet habe -, sondern unmittelbar von seiner direkten Umgebung beeinflusst. Die praktischen Voraussetzungen für die Präsentation von Kunstwerken und Veranstaltungen verändern sich dadurch ständig, müssen immer wieder neu bedacht werden, und schützende Bedingungen aktiv geschaffen werden. Auch die Materialität der Ruine ist porös und bedingt einen sorgsamen Umgang mit der baulichen Substanz und den erhaltenen Artefakten. Die etymologische Bedeutung des Begriffs Kuratieren, lateinisch „curare”, „sorgen für, sich kümmern um“, erscheint hier ganz unmittelbar auf unterschiedlichen Ebenen.

Als historisches Bauwerk bildet auch die Geschichte des Ortes und seine Bedeutung innerhalb der heutigen Stadt einen wichtigen Kontext. Zwischen dem, was da ist, und dem, was neu hinzukommt, entstehen vielfältige Dialoge, die die Rezeption der präsentierten Kunstwerke beeinflussen und Momente der Vermittlung erfordern.
Die Klosterruine liegt im Stadtzentrum, unweit des Alexanderplatzes, und doch ist sie etwas abseits, in einer weniger frequentierten Gegend, umgeben von einer großen Straße und städtischen Einrichtungen, jedoch wenig Wohnraum. Bis vor wenigen Jahren war die Klosterruine ein oft übersehener und trotz seiner langen Geschichte wenig bekannter Ort. Gegenwärtig grenzt zudem eine große Baustelle unmittelbar an die Ruine an, die die Umgestaltung des sogenannten Molkenmarkts markiert. Die neu entstehenden Bebauungen werden die Wahrnehmung und Zugänglichkeit zum Ort wesentlich verändern. Die Klosterruine wird dann sowohl räumlich, also auch in ihrer Einbettung in das städtische Gefüge und der ihr zugedachten Funktionen neu verortet.
Zugleich machen diese Situationen natürlich aber auch den Reiz des Ortes aus. Es ist ein offener, durchlässiger Ort, der sich wandelt, der zum Aufenthalt einlädt, der Kunst frei zugänglich macht und Kontaktzone für ein vielfältiges Publikum ist. Die Klosterruine bietet einen Rückzugsort, in gewisser Weise einen Gegenort gegenüber der Großstadt und den damit einhergehenden funktionellen Räumen. Die in diesem Jahr eingeladenen Künstler:innen beschäftigen sich auf sehr unterschiedliche Weise genau mit diesen Relationen: den zugedachten Funktionen von Orten innerhalb der Stadt, der Bedeutung von Zwischenräumen, unbebauten Orten und der Freiheit von Verwertungszwängen für die Beschaffenheit der Stadt; aber auch Fragen danach, wer Zugang zu öffentlichen Räumen und Diskursen hat und wer ausgeschlossen wird. 

Juliane Bischoff, Foto: Diana Pfammatter

JS: Und was inspiriert dich an diesem Ort?

JB: Inspirierend an der Klosterruine finde ich unter anderem, dass sie ein multidimensionaler Ort ist und dadurch auch ein Publikum mit unterschiedlichen Interessen anspricht. Als kommunale Galerie ist sie eine Schnittstelle zur Stadt und ihren diversen Publika. Die Ruine ist ein materielles Zeugnis der Geschichte und mit der Gründung Berlins verbunden. Durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ist die sie zudem ein Mahnmal geworden, das an die Gewaltgeschichte des Nationalsozialismus erinnert. Darüber hinaus ist die Klosterruine aber auch in die gegenwärtige Stadtlandschaft eingebettet und wird aus sehr unterschiedlichen Gründen aufgesucht – um Ausstellungen und Veranstaltungen zu besuchen, um Spuren der Stadtgeschichte zu besichtigen oder um im Sommer an einem Ort zu verweilen, der Ruhe innerhalb der Stadt bietet und nicht an Konsum gebunden ist. Sie ist gewissermaßen ein heterotypischer Ort, der nach eigenen Regeln funktioniert, ein Ort außerhalb aller Orte.

Auch die über 700jährige Geschichte der Klosterruine ist natürlich eine große Inspiration. Sie ist nicht durch eine einheitliche Entwicklung gekennzeichnet, sondern im Laufe der Zeit prägten sehr viele unterschiedliche Nutzungen und Zwecke den Ort. Erbaut wurde sie als Klosterkirche des Franziskaner Bettelmönche, die sich als eine der ersten Gruppen in der Region ansiedelten. Nach der Reformation erhielt der letzte Mönch lebenslanges Bleiberecht, danach beherbergte das Kloster die erste Druckerei Berlins, in der u.a. Schriftstücke in verschiedenen Sprachen gedruckt wurden. Der Baseler Universalgelehrte und späterer kurfürstlicher Leibarzt Leonard Thurneysser richtete diese zeitgleich mit einem botanischen Garten und metallurgischen Laboren ein. Später zog das erste Gymnasium in die Räume ein. Dazwischen gibt es sehr viele individuelle Geschichten, die oftmals auch gesellschaftliche Spannungen und Machtdynamiken abzeichnen. 1945 wurde die Kirche bei Bombenangriffen zerstört und blieb zunächst für viele Jahre ein unbeachteter Ort. Ab den frühen 1980er Jahren stellten dann Ostberliner Bildhauer*innen erstmals Kunstwerke in der Klosterruine aus und die Nutzung zur Präsentation für zeitgenössische Kunst setzt sich bis heute fort.

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“Just to let you know” Miriam Stoney mit Robert Schwarz in der Klosterruine Berlin, 2023, Foto: PNiedermayer
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“Just to let you know” Miriam Stoney mit Robert Schwarz in der Klosterruine Berlin, 2023, Foto: PNiedermayer
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“Just to let you know” Miriam Stoney mit Robert Schwarz in der Klosterruine Berlin, 2023, Foto: PNiedermayer
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“Just to let you know” Miriam Stoney mit Robert Schwarz in der Klosterruine Berlin, 2023, Foto: PNiedermayer
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“Just to let you know” Miriam Stoney mit Robert Schwarz in der Klosterruine Berlin, 2023, Foto: PNiedermayer

JS: Welche Impulse aus der Vergangenheit könnten als Zukunftsvisionen fruchtbar gemacht werden?

Das ist eine große Frage, die auf sehr unterschiedliche Weise beantwortet werden kann. Die Impulse aus der Vergangenheit können individuelle und kollektive Erfahrungen, historisches Wissen, aber auch die Leerstellen und Abwesenheiten betreffen. Grundsätzlich baut unsere Gegenwart auf den Fundamenten der Vergangenheit auf. Die Erinnerung an die vielschichtigen Geschichten ist aber immer eng an die Gegenwart geknüpft. Insofern sagt der Umgang mit der Vergangenheit immer etwas über die aktuelle Gesellschaft aus und trägt Vorstellungen von Zukunft mit sich. Dies spiegelt sich im gebauten Raum, in wirtschaftlichen Verhältnissen oder politischen Agenden, aber auch in Denkmustern und Vorstellungen, die trotz historischer Brüche fortleben. Im Sinne von “implicated subjects”, um einen Begriff des Literaturwissenschaftlers Michael Rothberg zu verwenden, ist jede*r Einzelne bewusst oder unbewusst in historisch gewachsene Gefüge eingebettet und steht dadurch in einer spezifischen Relation zur Geschichte. Auch ohne auf direkte Weise zu beizutragen, ohne sie eingerichtet zu haben oder sie zu kontrollieren, können wir dennoch zu Herrschaftsstrukturen beitragen, in ihnen leben oder von ihnen profitieren. Insofern prägt das Wissen über die Vergangenheit die gesellschaftliche Urteilskraft.

Der Blick in die Geschichte kann dazu beitragen, um über Solidarität zwischen Akteur*innen nachzudenken, die heute auf unterschiedliche Weise von dominanten Systemen diskriminiert werden; und nach Alternativen zur Gegenwart zu suchen, die den kollektiven Begehren gerecht werden könnten. Oder, wie Bini Adamczak formulierte, “Die Revolution lässt sich nicht ohne Kenntnis der Welt erschließen, aus deren Zusammenbruch sie hervorgehst und aus deren Trümmern sie eine neue zu erschaffen hat”. In gesellschaftlichen Zwischenräumen kann das Potenzial für solidarische Verhältnisse entstehen. Der Entwurf von Zukunftsvisionen kann nur kollektiv erfolgen.

Juliane Bischoff ist Kuratorin und arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und sozialer Theorie. Sie studierte Soziologie in Wien, Dresden und Helsinki mit einem Schwerpunkt auf Visuelle Soziologie und Kunstsoziologie. Sie ist Kuratorin am NS-Dokumentationszentrum München und co-kuratierte gemeinsam mit Nicolaus Schafhausen und Mirjam Zadoff 2019/20 die vielbeachtete „Tell me about yesterday tomorrow“. Zuvor war sie als Assistenzkuratorin in der Kunsthalle Wien tätig und arbeitete in Institutionen wie der Kunsthalle Basel und dem Goethe-Institut New York.

Kommende Ausstellung:
“Out of Season”
Shirin Sabahi

25. Jun – 06. Aug 2023
Eröffnung 24. Juni 18 Uhr
Freier Eintritt

Klosterruine Berlin
Klosterstr. 73a
10179 Berlin

Öffnungszeiten
Mai bis September
Mo – So, 10 – 18 Uhr

www.klosterruine.berlin 

 

 

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