Ferial Nadja Karrasch

Immer wieder Neues zu lernen, die Welt für einen Augenblick mit den Augen einer fremden Person sehen, sich auf die unterschiedlichsten Perspektiven einlassen – das sind nur einige Aspekte, die Ferial Nadja Karrasch an ihrer Tätigkeit als Kunstjournalistin so schätzt. Sie lebt in Berlin und schreibt für verschiedene digitale und analoge Formate über Kunst und Kultur. Studiert hat sie Kunstwissenschaft, Philosophie und Ausstellungspraxis an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, an der Universiteit van Amsterdam sowie an der Universität der Künste Berlin.

Eine (Bilder-)Reise in die turbulente Vergangenheit der Akademie der Künste am Pariser Platz

29.09.2020
Ort ausschweifender Faschingsfeiern: der  Bilderkeller der Akademie der Künste,
Foto: Andreas Franz Xaver Süß
Ort ausschweifender Faschingsfeiern: der Bilderkeller der Akademie der Künste, Foto: Andreas Franz Xaver Süß

Dort unten, im ehemaligen Kohlenkeller des Akademie-Gebäudes am Pariser Platz, steht man inmitten einer bunten Bilderwelt: An den Wänden fliegen nackte Frauen vorüber, schwarz gekleidete Herren verrenken sich die Gliedmaße, langgezogene Strichmännchen reihen sich zu einer lustigen Parade, nehmen eine Dusche oder wärmen sich an einem Kanonenofen, ein knubbeliger Hund schaut dümmlich dreinblickend zu, ein Hirsch röhrt inbrünstig und ein paar Wilddiebe haben sich um einen Schweinskopf zum Gastmahl versammelt.

Man kann sich das rauschende Fest, für das die Bilder als Dekoration entstanden sind, gut vorstellen: Es ist 1958, die Nacht auf den Rosenmontag und im Kellergewölbe der Deutschen Akademie der Künste (ab 1974 Akademie der Künste der DDR)  findet ein nicht ganz offizielles Faschingsfest statt.

Neben den jungen Meisterschülerinnen und Meisterschülern sind auch ältere Akademiemitglieder gekommen: die Schriftstellerin Anna Seghers, die Schauspielerin und Intendantin Helene Weigel, die Tänzerin und Choreografin Gret Palucca, der Bildhauer Fritz Cremer, der Schriftsteller Arnold Zweig und viele andere.

Die Figuren und Formen sowie die eingeritzten Nachrichten („Stötzer ist eine Sau“), die die Wände, Pfeiler und teilweise auch die Decke besiedeln, stammen von den Meisterschülern Manfred Böttcher, Harald Metzkes, Ernst Schroeder, Werner Stötzer und Horst Zickelbein. Bereits 1957 hatte es im Akademie-Keller ein bebildertes Faschingsspektakel gegeben, deren Dekorationen wurden im darauffolgenden Jahr kurzerhand übermalt. Das Fest von 1958 stellten die Gastgeber unter das Motto „Ballade des Wilddiebes“: In Böttchers „Der Wilderer im Wald“ nähert sich der Wilderer, ganz in Schwarz gehalten, einem ebenfalls schwarzen Hirsch, während die Krähen in den kahlen Wipfeln der blauen und braunroten Bäume verharren. Und Metzkes gruppierte in „Gastmahl der Wilddiebe“ schwarz gekleidete Herren sowie eine unbekleidete Dame um einen gedeckten Tisch, in dessen Mitte ein Schweinskopf auf den Verzehr wartet.

War lange in Vergessenheit geraten und ist jetzt weider zugänglich: der Bilderkeller der Akademie der Künste Foto: Andreas Franz Xaver Süß

Die kleinen schwarzen Figuren vor weißem Hintergrund (Böttchers „Mann am Kanonenofen“) und der im selben Raum, an der gegenüberliegenden Wand aufgetragene Gegenpart „Weiße Figurinen auf schwarzem Grund“ erinnern an die späteren Arbeiten des Malers Ralf Winkler, besser bekannt als A.R. Penck, den Böttcher 1960 kennenlernte.

Die verbogenen Leiber der Wilddiebe und der Nackten, die emsig ihren Tätigkeiten nachgehenden Strichmännchen, der treu-doof dreinschauende Hund (Ernst Schroeder, „Interieur des Wilddiebes“) – viel haben diese Bilder mit dem verordneten Sozialistischen Realismus nicht gemein. Verfolgte dieser das Ziel einer volksverbundenen, wahrheitsgetreuen Darstellung der vermeintlich revolutionären Wirklichkeit, fanden die Faschingsmaler ihre Inspiration vielmehr in Höhlenmalereien sowie bei Picasso und dem expressionistischen Maler und Grafiker Bernard Buffet.

Aus diesem Grund entflammte in den 1950er und 1960er Jahren eine kulturpolitische Debatte um die Arbeiten, die in den Ateliers der Faschingsmaler entstanden. Man belegte die jungen Künstler mit Restriktionen, die sich nicht nur gegen sie selbst, sondern vor allem auch gegen die Akademie als Ganzes richteten.

In einer Kritik von 1958 heißt es über ihre Arbeiten: „die vertoteten Landschaften von Schroeder, das verkümmerte Buffetfräulein von Böttcher und die chinesischen Traumata von Metzkes verdeutlichen die Anklänge (…) an den Existenzialismus, zu dessen Pessimismus in Fragen des Daseins man sich scheinbar hingezogen fühlt. Die gleichsam aus der Konserve geschaffenen Werke, das Depressive ihrer menschlichen Entleerung, verdeutlicht das Abseitige ihrer künstlerischen Position, in die sie während ihres Aufenthaltes an der Akademie geraten sind.“

Infolge des Drucks von außen erstellten Böttcher, Metzkes, Schroeder und Zickelbein eine Reihe dunkler Bilder, wie sie teilweise auch im Bilderkeller zu sehen sind – die „schwarze Periode“ der sogenannten Berliner Schule.

Entstanden in einer Zeit, in der die Akademie um ihren Umgang mit den kulturpolitischen Maximen rang und mal als „Schutz und Hort“, mal „dienstbare Staatsinstitution“ auftrat, vermitteln die Faschingsbilder eine Idee von der inspirierenden, kreativen Atmosphäre, die hier trotz oder vielleicht wegen der schwierigen Umstände vorherrschte. Erhalten haben sich die Bilder über die Jahrzehnte dank des konservierenden Kohlenstaubs, der sie bis in die späten 1980er Jahre gewissermaßen versteckt hielt.

An Ostern 1989 nutzt der Heizer Achim Lang die Abwesenheit der Grenztruppen – von 1961 bis 1989 liegt das Gebäude der Akademie im Grenzgebiet zwischen Ost- und Westberlin; während die hinteren Säle Ateliers beherbergen, befindet sich im vorderen Bereich seit 1961 eine „Grenzverletzerzelle“ – und öffnet den Keller für Angela und Mark Lammert. Erstmals werden die Bilder freigelegt und fotografiert. Es wird jedoch noch weitere 30 Jahre dauern, eh der Bilderkeller 2019 für die Öffentlichkeit zugänglich wird.

In der Zwischenzeit schlossen sich die Ost- und Westberliner Kunstakademien zusammen, am Pariser Platz wird der südliche Grundstücksteil verkauft, um den Neubau der Akademie zu finanzieren, der 2005 eingeweiht wird. Außerdem wurden die Faschingsbilder professionell gereinigt und konserviert; wo nötig, wurden später überstrichene Wände (Metzkes „Röhrender Hirsch“) wieder freigelegt. Durch den Abriss der hinteren Ausstellungssäle werden auch einige Teile des Kellers in Mitleidenschaft gezogen – in letzter Minute können die betroffenen Bilder abgetragen und an anderer Stelle wieder angebracht werden. Nicht alle Bilder befinden sich seither noch im Bilderkeller: Metzkes „Gastmahl der Wilddiebe“ wurde in der südlichen Eingangspassage an der Behrenstraße installiert, im Restaurant gegenüber hängen seine Bilder „Hirsch“ und „Turbulenzen“, Zickelbeins „Satyr“ und Böttchers „Tanzende Frauen und ein Mann“ befinden sich im Haus der Geschichte in Bonn.

Der Bilderkeller kann im Rahmen einer Führung besucht werden – wobei nicht nur die fantastischen Faschingsmalereien einen Eindruck von der turbulenten Zeit vermitteln, sondern auch die originalen Tondokumente der damaligen, hitzigen Auseinandersetzung um die jungen Künstler. In neueren Interviewfilmen berichten u.a. Harald Metzkes und Werner Stötzer aus ihren Erinnerungen.

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