Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Eine wankende Utopie an der Spree

02.04.2019
Seit Jahren beliebt: das Gelände an der Spree, hier 2014. Foto: MeTaMiND EvoLuTioN MeTaVoLuTioN, CC BY-SA 2.0
Seit Jahren beliebt: das Gelände an der Spree, hier 2014. Foto: MeTaMiND EvoLuTioN MeTaVoLuTioN, CC BY-SA 2.0

Der Holzmarkt ist ein bunt-alternatives Quartier mit Blick auf die Spree. Er ist weit über die Grenzen der Stadt bekannt. Doch ein Teil des Projekts wurde noch nicht realisiert – und es ist noch längst nicht klar, ob es jemals dazu kommen wird.

Der Holzmarkt ist einer der wenigen Orte in Berlin, der auch beim trostlos grauen Nieselregen noch einladend und fröhlich aussieht. Das mag daran liegen, dass man sich als Besucher*in an schöne Sommerstunden auf Festivals erinnert fühlt. Denn ebenso sieht es dort aus: die Fassaden sind zusammengezimmert aus Latten, Fensterrahmen, Brettern. Alles – der Name verrät es – besteht aus Holz, alles ist bunt bepinselt und geschmückt mit bunten Lichtern, Blumenkästen, Flaggen, Girlanden. Wuselig erscheint alles, aber auf die Art, auf die auch Kreativität wuselig ist. Und alles macht den Anschein, improvisiert zu sein – dabei ist es das ganz und gar nicht.

Denn hinter dem Holzmarkt steckt ein städteplanerisches Konzept. Erstellt wurde es von der Holzmarkt-Genossenschaft, die wiederum zum Teil aus Gründer*innen der Bar25 besteht, dem berühmten Techno-Club, der an ebenjenem Spreeufer stand und 2010 nach einer fünftägigen Sause geschlossen wurde. Der frühere Theaterschauspieler Juval Dieziger gehört dazu, ebenso wie Mario Hustent. Das Konzept besagt: Natur, Wirtschaft und Kultur sollen zusammengedacht werden. Es sollen Räume geschaffen werden, in denen man kreativ sein, leben und arbeiten kann.

„Der Holzmarkt will Menschen aus Berlin und der Welt anziehen, erfreuen, inspirieren und zusammenbringen. Hier finden sie Ruhe und Spaß, Arbeit und Unterhaltung, können mitgestalten und genießen.“ So steht es in der Holzmarkt-Broschüre. Darin finden sich noch einige weitere Schlagworte: Integration und Inklusion, Renaturierung und Nachhaltigkeit, bezahlbare Mieten und neu geschaffene Arbeitsplätze. Der Mehrwert für die Stadt stehe im Mittelpunkt, nicht der finanzielle Gewinn, heißt es. Er ist eine am Spreeufer gelegene Utopie: ein Quartier, das sich widersetzen will gegen die Immobilienspekulation und den Kapitalismus der Stadt.

Und erst schien das auch zu funktionieren. Im Oktober 2012 bekommt die Holzmarkt-Genossenschaft den Zuschlag für das Grundstück. Die Schweizer Initiative Abendrot ist der Käufer, die Genossenschaft ist der Erbpächter. Das 18.000 Quadratmeter große Gelände wird in vier Abschnitte geteilt, die rechtlich voneinander getrennt sind: Eckwerk, Viadukt, Holzmarkt und Hotel. Ein Dorf wird darauf gebaut, am 1. Mai 2017 feiert es Eröffnung. Doch im selben Jahr steht das Projekt vor dem Aus.

Nach der Wahl gab’s Probleme

Denn das Eckwerk macht Probleme. Es soll ein Hochhaus werden, das Studierenden Platz zum Wohnen und Start-Ups Platz zum Arbeiten gibt. „Das Eckwerk wird Inspirationsquelle über die Grenzen Berlins hinaus“, heißt es in der Broschüre. Und an anderer Stelle: „Im Eckwerk und auf dem Holzmarkt treffen Studenten, Gründer, Firmenchefs, Forscher, Programmierer und Künstler aufeinander; sei es in der Kantine, beim Konzert oder im Club. Der ideale Nährboden, um Ideen auszutauschen, Pläne zu schmieden und diese auch gleich mit neu gegründeten Firmen umzusetzen.“

Der grüne Baustadtrat Hans Panhoff versprach im März 2016 den entsprechenden Bebauungsplan nach der Wahl abzusegnen. Doch die Grünen nominierten nicht Panhoff, sondern Florian Schmidt als Kandidaten für den Stadtrat. Und Schmidt, bekannter Stadtaktivist und ehemaliger Atelierbeauftragter Berlins, ist der Plan für das Eckwerk zu kommerziell, zu wenig sozial. Zudem gibt es Bedenken, Wohnungen auf dem Gelände zu bauen, weil durch den Techno-Club Kater Blau möglicherweise der Lärmschutz nicht gewährleistet werden kann.

Doch damit nicht genug. Im Zuge der Uneinigkeit mit der Stadt entwickelte sich auch ein Streit mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, die den Bau finanziell unterstützen wollte. Die Holzmarkt-Genossenschaft kündigt den Beteiligungsvertrag mit der Gewobag auf, die wiederum rächt sich mit Klagen. Und auch die Stiftung Abendrot zeigt sich wenig begeistert davon, dass auf dem Grundstück nichts passiert und kündigt der Genossenschaft den Pachtvertrag für den Teil des Geländes, auf dem das Eckwerk gebaut werden sollte. Das war im Herbst 2017.

Festivalfeeling gibt’s trotzdem

März 2019, ein Podium im Säälchen, einem Veranstaltungsraum auf dem Holzmarkt. Auf der Bühne sitzen die Architektin Prof. Barbara Hoidn, der Rechtsanwalt und Grünen-Politiker Wolfang Wieland sowie Hamburger Clubbetreiber John Schierhorn. Sie sind der 90-Tage-Rat. Der Holzmarkt hat sie Ende November 2018 damit beauftragt, eine Lösung für die verfahrene Situation zu entwickeln. Die Zeit ist um und bei dieser Pressekonferenz will der Rat die Ergebnisse präsentieren. Hunderte Akten, so heißt es zu Beginn, habe er studiert, um sich einen Überblick zu machen.

Wolfgang Wieland betont, sie seien eine unabhängige Gruppe, die dazu da sei, „Bewegung in die Sache“ zu bringen. Eine Aussage, die vermutlich auf die Vorbehalte Schmidts gegen den Rat zurückgeht. Der hatte nach dessen Bekanntmachung erklärt: „Es ist für mich kein geeignetes Vorgehen, wenn man erst Klage erhebt und dann einen ‘neutralen’ Rat einsetzen will, der jedoch einseitig festgesetzt wird. Hier erkenne ich bedauerlicherweise erneut die mittlerweile bekannte Linie der Holzmarkt eG, die offenbar glaubt, über politischen Druck ihre Interessen durchsetzen zu können. Dies ist jedoch nicht möglich.“

So verfahren, wie die Situation zu sein scheint, so gebannt ist die Stimmung im Säälchen. Bei der Aussage Wielands, das Eckwerk werde gebaut, bricht schneller und lauter Jubel aus, das Publikum klatscht und trampelt. Doch im weiteren Verlauf der Pressekonferenz zeigt sich, dass eigentlich noch nichts geklärt ist. Noch immer gab es keinen lösungsorientierten Austausch mit Florian Schmidt. Und auch das Ziel, nach 90 Tagen eine Lösung gefunden zu haben, wurde nicht erreicht. Der Rat wird sich weitere 60 Tage darum bemühen – mindestens.

Immerhin: Die Stiftung Abendrot will das Grundstück nicht teuer verkaufen, sondern den*die Pächter*in so auswählen, dass er*sie zum Projekt Holzmarkt passt. Sie will ihn verpflichten, ins Gespräch mit dem Holzmarkt zu kommen und das Gebäude aus Holz zu bauen. Außerdem hat sie zugesagt, den Holzmarkt langfristig abzusichern. Bei der Pressekonferenz versichert der 90-Tage-Rat außerdem, weiter den Dialog mit den Behörden zu suchen. Und auch in der Erklärung Florian Schmidts heißt es: „Es ist ein wichtiges Ziel des Bezirksamtes, das Projekt Holzmarkt durch Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück nicht zu gefährden.“ Nur wie lange es noch dauern wird, bis eine Lösung für die Bebauung des Eckwerk-Grundstücks gefunden ist, ist nicht klar.

Um das Festivalfeeling bei einem Besuch auf dem Holzmarkt zu erleben, sind diese Diskussionen momentan egal. Denn das Leben und Arbeiten auf dem bunten Gelände geht seinen Gang. Vor allem jetzt, wo mit dem Frühling die Open Air-Saison startet und der Blick auf die Spree ausgiebig genutzt werden kann.

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