Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Enthüllungen, die die ganze Nation bewegten

06.06.2024
Jonathan Sachse auf der Correctiv.Lokal-Konferenz 2024 in Erfurt. Foto: © Correctiv / Ivo Mayr
Jonathan Sachse auf der Correctiv.Lokal-Konferenz 2024 in Erfurt. Foto: © Correctiv / Ivo Mayr

Im Gespräch mit Jonathan Sachse, Gründungsmitglied des gemeinwohlorientierten Medienhauses Correctiv, das seine Büroräume im Bezirk Mitte hat. Mit den Enthüllungen über ein geheimes Treffen von AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern in Potsdam stießen sie im Januar dieses Jahres eine breite gesellschaftliche Debatte an. Der Artikel dazu wurde auf ihrer Website und bei Partnermedien veröffentlicht und anschließend als szenische Lesung inszeniert, die am Berliner Ensemble uraufgeführt wurde. Wir sprechen über die positiven und negativen Folgen der Recherchen, Superkräfte im Lokaljournalismus und die Vorteile eines flexiblen und jungen Medienhauses.

ALW: Ich würde zum Einstieg gerne mit euren Recherchen zur „Geheimplan“-Konferenz beginnen, die ihr Anfang des Jahres mit Correctiv öffentlich gemacht habt. Habt ihr damit gerechnet, dass es so ein großes Echo geben würde auf eure Enthüllungen?

JS: Wir wussten, dass es ein sensibles Thema ist und dass es politische Reaktion darauf geben würde, aber wir haben nicht ansatzweise mit dieser gesellschaftlichen Reaktion gerechnet: Mehr als drei Millionen Menschen sind auf die Straßen gegangen, besonders in den ländlichen Räumen, wo sonst nicht so die Demos waren. Die evangelische und die katholische Kirchen haben erstmals abgeraten, die AfD zu wählen. Alice Weidel hat sich von ihrem Berater getrennt, der ins Treffen involviert war usw. Im Nachhinein finde ich es immer noch beeindruckend, was passiert ist. Auch intern stellte uns das vor Herausforderungen. Wir mussten uns von einem Tag auf den anderen darauf umstellen, eine tagesaktuelle Redaktion zu sein und nicht mehr nur in einzelnen Teams an großangelegte Recherchen zu sitzen. Da war viel Flexibilität gefragt: Wir haben Tagesticker-Teams eingeführt und unsere Teams verbunden. Neben der Investigativ-Redaktion hat unsere Jugendredaktion mitgeholfen, aber auch das Faktencheckteam. Wir haben alle Leute aktiviert, die in unterschiedlichen Städten remote für Correctiv arbeiten, haben mit dem ersten Tag eine Vertrauensgruppe von Lokaljournalist*innen gegründet, die sich bis heute austauschen und eigene Recherchen zum Themenkomplex AfD und Rechtsextremismus umsetzen. Ich könnte sehr viele Einzelgeschichten erzählen, die in der Zeit passiert sind und meist positiv waren. Wir merken das zum Beispiel an den Veranstaltungen, die immer voll sind. Auf der Leipziger Buchmesse haben die Leute mehrere Stunden für unser neues Buch „Der AfD-Komplex“ angestanden!

Foto: © Correctiv / Ivo Mayr

ALW: Ich kann mir vorstellen, dass es aber auch viele Angriffe auf euch gab …

JS: Genau. Es gab seitdem eine gestiegene Zahl von Angriffen und Bedrohungen gegen Correctiv. Wir hatten das, was Hass im Netz betrifft, schon vorher erlebt, aber dieses Mal war es größer und gewaltiger. Es war die Kombination aus vielen Sachen: Die AfD hat uns als Hauptfeind auserkoren und hat Leute aufgescheucht mit Sätzen, die sehr zweideutig waren. Aus unserer Sicht gab es auch implizite Gewaltaufrufe. Es gab Tage, an denen rechte Youtuber vor der Redaktion standen und versucht haben, uns abzufangen. Wir standen eine Zeitlang zu unserem eigenen Schutz regelmäßig mit der Polizei im Austausch. Hinzu kommen die juristischen Angriffe, die nur das Ziel hatten, dass an irgendeiner Stelle ein Satz korrigiert werden muss, damit sie sagen können, Correctiv musste sich korrigieren. Da geht es nur um einen kleinen Nebensatz und nicht um den Kern der Recherche, der bis heute juristisch steht.

ALW: Ihr habt bestimmt viel gelernt!

JS: Ja. Unser Publisher David Schraven sagt dazu gerne, wir haben jahrelang trainiert, jetzt sind wir auf dem Fußballplatz [lacht]. Da ist etwas Wahres dran.

ALW: Meine Vermutung wäre, dass ihr auch deshalb so viel Wirbel gemacht habt, was die Geschwindigkeit und die Reichweite, aber auch den Support betrifft, den ihr dann losgetreten habt, weil ihr so ein großes Netzwerk habt.

JS: Ja, das würde ich erstmal unterstützen. Und dann kommen noch andere Faktoren dazu: Zum Beispiel die Geschichte so aufzuschreiben, wie wir es gemacht haben – auf Fakten beruhend, aber nicht nur nachrichtlich aufgeschrieben, sondern mit einer Dramaturgie. Dadurch wurden noch mal weitere Emotionen geweckt.

ALW: Emotion ist das eine, aber auch verständlich und nahbar zu sein in der Sprache ist wichtig.

JS: Da hab ich noch mal viel gelernt. Wir haben viel Feedback von Menschen bekommen, die eine internationale Biografie haben und uns auf bestimmte Formulierungen hingewiesen haben. Ich persönlich habe unterschätzt, wie sehr Menschen der Kern der Recherche berührt. 

ALW: Ihr habt auch eine szenische Lesung vorbereitet, die eine Woche nach den Enthüllungen am Berliner Ensemble aufgeführt und seitdem an über 40 Orten in Deutschland gestreamt wurde. Damit habt ihr noch mal eine eigene Vermittlungform gewählt.

JS: Ja, Theaterstücke basierend auf eigenen Recherchen haben wir schon öfter gemacht. Neu war der direkte zeitliche Bezug. Die Idee war, eine andere Sprache zu finden und anders zu berühren. Letztens hat mir jemand erzählt, dass es in der ARD Mediathek bisher keine Theateraufführung mit dieser Reichweite gab! Es gibt Erhebungen, denen zufolge in Deutschland jede Person im Durchschnitt seit Januar 376-mal mit Correctiv in Kontakt gekommen ist – sei es in Medien oder bei Veranstaltungen. Ich weiß nicht genau, wie es ausgerechnet wird, aber das ist ein Wert, den kann ich kaum fassen.

Szene der Theateraufführung im Berliner Ensemble. Foto: © Kolja Zinngrebe

ALW: Du bist von Anfang an, also seit 2014 dabei und hast Correctiv mitgegründet. Kannst du erzählen, wie ihr euch entwickelt habt?

JS: Als wir begonnen haben, waren wir sechs Festangestellte. Heute arbeiten über 100 Personen bei Correctiv. Mittlerweile haben wir einen Betriebsrat, verschiedene Leitungskreise und schon lange einen Ethik- und einen Aufsichtsrat. Wir haben uns in den Strukturen und personell nach und nach mehr professionalisiert.

ALW: Ihr habt eure Büroräume in der Singerstraße, im östlichsten Zipfel des Bezirks Mitte. Wie lange wart ihr dort?

JS: Seit Anbeginn.

ALW: Und seitdem seid ihr gewachsen …

JS: Die Fläche ist gleich geblieben, aber wir haben immer mehr Schreibtische reingestellt. Dabei sind gar nicht alle in Berlin, denn der Geschäftssitz ist in Essen sowie der Verlag und die Verwaltung. Es gibt weitere kleinere Standorte und Menschen, die aus anderen Städten remote für uns arbeiten. Die meisten Angestellten sind aber hier. Im Unterschied zum Anfang ist es jetzt wirklich eng geworden, wobei wir immer wieder umgebaut haben.

ALW: Euer Umzug nach Neukölln steht unmittelbar bevor. Ihr zieht dort in das Publix Haus, ein von der Schöpflin Stiftung geförderter Ort, der „eine neue Heimat für alle, die Journalismus machen, Öffentlichkeit gestalten und die Demokratie stärken“ sein möchte, wie es auf deren Website heißt. Das bedeutet, dass ihr mit anderen Medienschaffenden einen Ort teilt, was eurem Netzwerkgedanken entgegen kommt. Überwiegt die Vorfreude auf den neuen Ort oder gibt es auch ein weinendes Auge?

JS: Es überwiegt schon das Positive. Die ganzen Akteur*innen, mit denen man dort über mehrere Etagen hinweg sitzt – Reporter ohne Grenzen, Netzwerk Recherche, More in Common, also viele Unternehmen, die uns nahe stehen, da freue ich mich total drauf. Ich freue mich auch auf ein modernes Gebäude, es gibt dort ein Podcast- und ein Fernsehstudio und einen Fahrradkeller …

ALW: Und es gibt Veranstaltungsräume!

JS: Genau, es ist als offener Ort gedacht, wo alle Leute rein- und rausgehen können. Es wird einen Stammtisch geben, um enger mit dem Kiez verbunden zu sein. Das konnten wir alles in der Singerstraße nicht machen. Trotzdem gibt es ein weinendes Auge, weil es eine lange, prägende Zeit war. Ich weiß noch, wie wir am Anfang alle Ikea-Möbel zusammengeschraubt haben. Jetzt beim Umzug ist mir der erste Artikel in der taz von 2014 über Correctiv in die Hände gefallen, mit einem Foto aus dem Büro, wie wir uns damals als Startup präsentiert haben. Das gehört ja alles zur Entwicklung dazu – von so einer Startup-Mentalität bis dahin, wo wir jetzt stehen. Das schiebe ich nicht an einem Tag zur Seite. Wir behalten das Büro übrigens auch erstmal noch. Es wird weiter möglich sein, dort zu arbeiten.

Correctiv.Lokal-Konferenz in Erfurt. Foto: © Correctiv / Ivo Mayr

ALW: Eure Büros in der Singerstraße befinden sich in einer Plattenbausiedlung. Das ist eine ganz andere Nachbarschaft als in der Hermannstraße in Neukölln.

JS: Ja, das kommt noch dazu. Wobei es kein Wohngebiet war, indem wir leicht mit den Menschen vor Ort in Kontakt gekommen sind. Durch die hohen Plattenbauten war es eher eine anonyme Nachbarschaft. Aber wir haben manchmal auf dem Bolzplatz hinterm Büro mit den Kindern und Jugendlichen aus der Nachbarschaft Fußball gespielt. Das ist eine schöne Erinnerung.

ALW: Du kommst gerade von der Correctiv.Lokal-Konferenz, die ihr am letzten April-Wochenende in Erfurt organisiert und auf der ihr über Lokaljournalismus diskutiert habt. Wie war es?

JS: Ich fahre mit total positiven und dankbaren Erlebnissen zurück, das geht uns eigentlich allen so. Weil wir auf der Konferenz zweieinhalb Tage eine sehr intensive Zeit hatten mit 300 Lokaljournalist*innen aus ganz Deutschland. Wir hatten uns im Vorfeld vorgenommen, eine angenehme, dialogorientierte Atmosphäre zu schaffen und das hat gut geklappt. Deswegen sind wir total happy. Wir haben versucht, viel Nähe miteinander zu schaffen und Dialoge zu fördern, um auf lokaler Ebene mehr mit den Menschen in einen Austausch zu kommen und ich glaube, das ist uns gut gelungen. 

ALW: Was kann ich mir unter Lokaljournalismus genau vorstellen – das, was Correctiv macht, ist doch überregional und behandelt oft allgemeine Themen.

JS: Wenn ich Lokaljournalismus definiere, würde ich das total breit fassen: Von klassischen Tageszeitungen über neugegründete lokale Newsletter, Studierenden- und Obdachlosenmagazine, lokale Radios oder Podcasts. Das hat für mich alles den gleichen Wert. Das sind ja auch sehr unterschiedliche Zielgruppen. Ich glaube, da liegt eine totale Stärke drin, wenn man die Akteur*innen miteinander vernetzt, die vorher nicht verbunden waren – auch über Berichterstattungsgrenzen hinaus. Von den Themen sind wir auch breit aufgestellt, so haben wir in den letzten Jahren viel über Kitas, Schwangerschaftsabbrüche, Gewalt von AfD-Funktionären usw. gemacht, wobei wir zwei Schwerpunkte gesetzt haben: der eine ist Klima und der andere ist Bildung.

ALW: Bei „lokal“ denke ich an das örtlich lokale, aber die Themen, die du genannt hast, sind überregional oder auch universeller. Wie passt das zusammen?

JS: Wir haben uns zum Leitsatz gesetzt, dass wir Themen finden, die national relevant sind, aber lokal erzählt und vertieft werden können. Das geht nicht bei allen Themen, aber oft. Ich versuche es an einem Beispiel konkret zu machen: Wir haben zuletzt das Thema Kindergärten behandelt. Da haben wir auf Kreisebene in ganz Deutschland abgefragt, wie oft Kindergärten personell überlastet sind und den gesetzlichen Betreuungsschlüssel nicht mehr erfüllen können. Daraus ist ein Datenpaket geworden, das man sich wie eine Excel-Tabelle vorstellen kann. Da ist man als Lokalreporter*in reingegangen und hat nach seiner Region gesucht. Man konnte sich Daten rauspicken, plus ein – wir nennen es – Rezept, wo wir für alle den Hintergrund aufdröseln. Mit dieser Verbindung aus Konzeptinhalten und lokalen Daten kann man dann loslegen.

ALW: Da kommt der Netzwerkgedanke noch mal zum Tragen – dass die Daten aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und dann wieder an ein breites Netzwerk weitergetragen werden.

JS: Wir haben für das Netzwerk CORRECTIV.Lokal über die Kommunikationsplattform Slack einen digitalen Raum, um uns alle zu verschiedenen Schwerpunkten zu vernetzen. Bei einigen Themen ist das ein Selbstläufer, da kommt sofort ein Austausch zu Stande. Die Idee, Lokal-Akteuren eine Austauschplattform zu bieten, war auch ausschlaggebend für die Konferenz, die im Oktober letzten Jahres das erste Mal stattgefunden hat. Wir wollen die Leute, die sonst nur digital verbunden sind, zusammenbringen. Wenn man sich danach wiederbegegnet, ist es etwas ganz anderes. Ich bin deshalb auch sehr neugierig, was daraus entsteht.

Jonathan Sachse bei der Lokalkonferenz. Foto: © Correctiv / Ivo Mayr

ALW: Das klingt nicht unbedingt, als sei der Lokaljournalismus an sein Ende gekommen, wie seit Jahren geunkt wird. Wie ist dein Eindruck?

JS: Ich glaube, man muss super viel ausprobieren und anpassungsfähig sein, was neu gegründeten Medien tendenziell besser gelingt als alten traditionellen Häusern,. Gerade was aus dem Print kommt, ist oft schwerfällig. Es gibt aber unabhängig vom Format ein paar Schlüsselideen, wenn man die verfolgt, ist die Chance relativ groß, dass man langfristig bestehen kann. Dazu gehört, dass man lernt – und das ist eine Superkraft des Lokaljournalismus – möglichst nah an den Menschen dran zu sein, also mit ihnen in Verbindung zu stehen. Es geht darum, eine Community entstehen zu lassen, die man regelmäßig erreicht. Das heißt zum Beispiel: Man sammelt Newsletter-Kontakte im Lokalen, die man regelmäßig anschreiben, kontaktieren und auch um Geld bitten kann. Die sehen ganz konkret, was für einen Wert die Arbeit hat. Zudem glaube ich, dass man gegen den Trend super analog denken muss. Ich möchte das nicht gegeneinander stellen, aber die Lokalen zeichnet aus, dass sie an kommunikativen Orten wie Marktplätzen mit den Menschen schneller in einen Austausch gehen und eine Nähe mit ihnen herstellen können. Das können überregionale Medien wie Die Zeit und der Spiegel nicht. Dabei ist der Bedarf danach mega groß.

ALW: Aber die Arbeitsbedingungen im Journalismus sind oft nicht auf Nachhaltigkeit angelegt, im Gegenteil geht es oft um Schnelligkeit. Wie finanziert ihr euch?

JS: Was uns von anderen Medienhäusern unterscheidet, ist unsere Gemeinnützigkeit. Wir haben eine Mischfinanzierung aus drei Säulen: Die Mehrheit der Einnahmen sind tatsächlich Dauerspenden von Einzelpersonen, das sind über 10.000 Personen, die uns jeden Monat mindestens zehn Euro spenden. Das hat aber auch Jahre gedauert, diese Community zu entwickeln, die das mitträgt. Es gab noch mal einen ziemlichen Schub durch die Veröffentlichung der Geheimplan-Recherche. Die zweite finanzielle Säule sind institutionelle Förderungen, insbesondere von Stiftungen. Da stellen wir ganz regulär Projektanträge. Zum Beispiel haben wir gerade eine zweijährige Förderung der Mercator-Stiftung für unseren Klimabereich, über die wir Klimareporter*innen bei uns beschäftigen und Events umsetzen können, die sehr kostenintensiv sind. Wichtig ist mir dabei, dass es sich nicht um eine Förderung von konkreten, vorher offengelegten Recherchen handelt – uns wird nicht vorgeschrieben, welche Geschichten wir machen sollen. Dann gibt es noch einen kleineren Teil öffentlicher Gelder, damit haben wir zum Beispiel letztes Jahr die erste Lokalkonferenz finanziert. Was zurzeit an Einnahmen wächst, sind Verkäufe von Büchern über unseren Verlag. Darüber erzielen wir auch Einnahmen. Das haben wir auf der Seite transparent aufgeschlüsselt.

ALW: Ja, eure Website ist sehr auf Transparenz angelegt. Darf ich dich noch etwas Persönliches fragen? Wie bist du zum Journalismus gekommen?

JS: Ich habe Sportjournalismus studiert, habe aber nach dem Bachelor aufgehört und mich dann in Agenturen und im Social-Media-Bereich rumgetrieben. Aber ich habe relativ schnell erkannt, dass das nicht das ist, wofür mein Herz schlägt und habe als freiberuflicher Journalist weitergemacht. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass Recherche und Sport eine schöne Kombination ist. Mit Lokaljournalismus hatte ich erstmal keine Berührungspunkte, das kam so nach fünf Jahren – und jetzt ist es mein Fokus. Ich habe es sehr schätzen gelernt.

ALW: Was verbindest du mit dem Bezirk Mitte? 

JS: Ich wohne mit meiner Familie im Wedding und mag total, dass man immer über die Mauer rüberfährt. Seit ein, zwei Jahren treibt mich meine Familiengeschichte um und ich versuche die ostdeutsche Identität zu Zeiten der DDR-Diktatur, die auch einen Berlin-Bezug hat, besser zu verstehen. Das ist alles auch da, wenn ich hier in diesem Kiez unterwegs bin.

ALW: Es gibt, was die Aufarbeitung der Familiengeschichte der Wendekinder betrifft, ja gerade einen Trend – ich muss an Anne Rabe denken, aber auch an Paula Fürstenberg, mit der ich vor kurzem einen Spaziergang durch Mitte gemacht habe.

JS: Ja, ich glaube, es hat viel mit unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun und den ganzen Fragen, die da dran hängen – auch in Bezug auf die hohen AfD-Umfragewerte. Ich möchte ein bisschen tiefer gehen und mehr über die Prägungen herausfinden, die sich durch bestimmte Gesellschaftsschichten ziehen. Das habe ich bisher verpasst, jetzt versuche ich es zu verstehen und fange bei der eigenen Familie und den Stasiakten an.

Jonathan Sachse ist Gründungsmitglied von CORRECTIV und war dort als Reporter an zahlreichen Recherchen beteiligt. Im Jahr 2020 übernahm er die Leitung von CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Recherchen im Lokaljournalismus. Zu seinen Kernthemen zählen Recherchen im Lokalen, ganz grundsätzlich die Themen Machtmissbrauch und Angriffe auf die Demokratie sowie Missstände im Sport.
https://correctiv.org/team/jonathan-sachse

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