Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Für Wartende, für Vorbeigehende – für alle

08.08.2018
Belén Robedas Cubo Project in der Vitrine 01. Fotos: Franziska Harnisch
Belén Robedas Cubo Project in der Vitrine 01. Fotos: Franziska Harnisch

In Moabit gibt es Kunst unter der Erde – in der Vitrine 01 an der U-Bahnstation Birkenstraße. Doch permanent droht ihr Abriss. Ein Gespräch mit der Kuratorin Franziska Harnisch. Zu Besuch bei der Vitrine01

Ihre 60 Jahre sieht man ihr an. Der Spiegel ist ein bisschen blind, die Scheiben sind ein bisschen krumm und schief. An der Vitrine im U-Bahnhof Birkenstraße in Moabit ist alles noch Original – und wirkt dadurch aus der Zeit gefallen. Sie erinnert an eine Zeit vor Onlineshops und Influencer-Marketing, in der Läden Auslagen wie diese noch nutzten, um ihre Waren zu präsentieren und Kund*innenschaft anzulocken.

Den hinteren Teil der zweigeteilten Vitrine nutzt ein Buchladen auch noch genau zu dem Zweck. Doch der vordere dient einem anderen. In ihm wird Kunst gezeigt. Er ist die Vitrine 01.

Seit drei Jahren wird hier Monat für Monat Kunst gezeigt. Vor allem Newcomer*innen dürfen ausstellen. Initiiert hat das Projekt die Künstler*innenin Sarah Dierkes-Leifeld. 2017 stieg Franziska Harnisch in die Organisation mit ein, kuratiert die Vitrine inzwischen alleine. 39 Ausstellungen zählt der kleine Projektraum mittlerweile – und das, obwohl er wegen des Umbaus der Bahnstation eigentlich schon längst hätte abgerissen werden sollen. Wie das möglich ist und wie man für einen solchen Ort Kunst auswählt, erzählt uns Franziska Harnisch im Interview.

In U-Bahnen und U-Bahn-Stationen wird jede freie Fläche dazu genutzt, um Werbung anzubringen. Auch die Vitrinen unter Tage sind Schaufenster für Kleidung oder Bücher. Die Vitrine 01 bricht das, indem darin Kunst ausgestellt wird. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Franziska Harnisch: Sarah Dierkes-Leifeld hatte die Idee dazu vor drei Jahren. Sie arbeitete damals als Assistentin für ein Künstler*innen-Kollektiv, das viel im öffentlichen Raum arbeitet. Sie wohnt auch in Moabit und ist immer wieder an dieser Vitrine vorbeigegangen, die leer stand. Und dann hat sie die „Draussenwerber“, die Werbeflächen in Berlin vermieten, gefragt, ob sie da nicht mal eine Ausstellung drin machen kann. Man sagte ihr, sie könne das machen, dass die Vitrine danach aber im Zuge der Renovierungsarbeiten abgerissen werden soll. Das ist bis heute nicht passiert und so hat Sarah einfach von Monat zu Monat weitergemacht – und ich jetzt auch.

Wie funktioniert das dann – musst du Monat für Monat einen neuen Mietvertrag abschließen?
Nein, so gesehen gibt es keinen richtigen Mietvertrag. Ich habe eine zugesicherte Monatsjahresmiete, aber es ist immer das Risiko da, dass ich eine Ausstellung für den nächsten Monat plane und die Vitrine bis dahin schon platt ist. Das wissen die Künstler*innen aber auch. Es ist trotzdem sehr unpraktisch, weil wir keine Förderung beantragen können. Denn kein Mietvertrag, keine Förderung.

Wie finanziert ihr euch dann?
Privat. Und wir machen gerade das zweite Crowdfunding. Das ist auch das Schöne, dass die Künstler*innen da sehr kooperativ sind. Sie geben total gerne Sachen für das Funding, die wir als Dankeschön anbieten können. Oder sie bringen eine Flasche Wein zur Vernissage mit oder machen
Einladungsflyer. Ich versuche immer, den Künstler*innen nach den Crowdfundings etwas Geld zu geben, aber das ist nicht viel. Wir haben uns schon mal bei Quartiermeister beworben. Die fördern Kiez-Projekte. Und beim Projektraumpreis haben wir es probiert. Haben wir beides nicht
gekriegt.

 Franziska Harnisch bei einer Vernissage. Foto: Sarah Dierkes-Leifeld

Obwohl es kein Geld gibt, machen viele Künstler*innen mit. Was macht den Reiz der Vitrine aus?

Der Reiz ist der Ort. Man erreicht einfach alle damit: die Wartenden, die Vorbeigehenden, die Leute, die extra kommen, die Kinder, die Erwachsenen, alle Bildungsschichten. Wir haben es schon ein paar Mal beim Auf- oder Abbau erlebt, dass man angesprochen wird. Die Künstler*innen sind immer richtig erstaunt, wie gesprächsbedürftig die Menschen sind. Dann kommt noch dazu, dass diese Vitrine super schwer als Raum ist.

Inwiefern ist der Raum schwierig?
Zum einen ist der Raum U-Bahn-Station besonders. Du hast diese ganzen Leute, die nicht extra zu dir kommen. Du hast bestimmte Dinge, die nicht gehen. Zum Beispiel darfst du keine politische Kunst machen, keine Werbung, keine pornographische Sachen. Weil es ein öffentlicher Raum ist, müssen wir jugendfrei sein. Und wir dürfen nichts machen, was den Verkehr beeinflusst. Also geht nichts mit Sound und nichts mit Licht, das blendet. Und dann ist die Vitrine an sich als Raum auch eine Herausforderung. Die Glaswände sind zwei Meter hoch, der Raum hat insgesamt vielleicht fünf Kubikmeter. Außerdem hat die Vitrine einen Spiegel, was wohl das allerschwierigste an ihr ist. Weil man da die Arbeit nochmal von hinten sehen kann. Das hat einen Effekt auf die Ausstellung. Und wir haben nur eine Steckdose. Außerdem kann man zwar Dinge an die Decke schrauben, aber nicht genau in die Mitte, weil da ein Feuermelder hängt.

Wie wählst du aus, wer ausstellen darf – suchst du Künstler*innen und fragst sie?
Nein, die Leute bewerben sich. Sie schicken mir ihre Ideen, was sie in der Vitrine machen wollen. Ich bin auch überhaupt niemand, der sagt “Finde ich scheiße” oder “Finde ich gut”. Das einzige, worauf ich achte, ist, ob jemand sich Gedanken gemacht hat, was den Raumbezug angeht.

Kannst du vorher schon an den Entwürfen erkennen, ob die Idee in der Vitrine funktionieren wird?
Ich glaube, wenn ich es mir nicht gleich gut vorstellen kann, dann wird es auch schwierig für die Künstler*innen, mich davon zu überzeugen. Aber manchmal überraschen mich auch Sachen total.

Gab es auch mal etwas, was dir dann doch überhaupt nicht gefallen hat?
Nein. Also da müsste ich jetzt ganz lange überlegen. Es gab nie den Fall, dass ich dachte, ich würde es am liebsten gleich wieder herausnehmen. Ich würde das glaube ich dann auch einfach machen. Da wäre ich dann vielleicht doch ein bisschen rigoros.

Warum ist Kunst im öffentlichen Raum wichtig?
Ich glaube, es ist wichtig, weil Menschen dazu neigen, Dinge, die sie oft sehen, zu übersehen, wenn sie sich nicht verändern. Gerade Leerstände werden immer übersehen. Und wenn man immer wieder Kleinigkeiten verändert, den Leerraum füllt, nehmen die Leute es wieder wahr. Oder im Fall der Vitrine wissen sie ja auch, dass sich etwas verändert, also gucken sie auch danach. Das finde ich sehr wichtig, weil es die Sehgewohnheiten bricht, in die man sich gerne fallenlässt, weil sie bequem sind. Also gerade heute, da man immer ein Handy in der Hand hat oder nicht mehr in der Lage ist, zu warten, ohne sich zu beschäftigen. Und dann natürlich auch, weil Kunst im öffentlichen Raum für alle ist. Das ist etwas, was Berlin meiner Meinung nach nicht gut genug hinkriegt. Wir haben zwar so tolle Organisationen wie den Kulturschlüssel. Aber der Hamburger Bahnhof zum Beispiel kostet 14 Euro Eintritt, und das als staatliches Museum Berlin – das ist nicht niedrigschwellig, das schließt viele aus.

Im öffentlichen Raum ist die Wahrscheinlichkeit, dass vandaliert wird, aber deutlich größer. Vor allem in einer U-Bahn-Station kann ich mir das vorstellen. Wie viel wird die Vitrine zerkratzt, besprüht oder beklebt?
Tatsächlich nicht so viel. Ich glaube, es ist ein gewisser Respekt da. Weil die Leute sehen, da verändert sich was, da ist immer was drin, das ist Kunst.

Bis zum 15. August läuft ein Crowdfunding, bei dem man die Vitrine 01 unterstützen kann. Mit dem Geld werden nicht nur die anstehenden Kosten gedeckt. Es wird auch ein Katalog produziert. Er wird alle Ausstellungen enthalten und auch Geschichten rund um das Projekt erzählen – von Materialien, die auf das Gleis gekippt sind, von Handys, die verschwunden und auf mysteriöse Art wieder aufgetaucht sind und von einem abmontierten Feuermelder, der nicht hätte abmontiert werden sollen.

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