Warum ist das Schwimmen in öffentlichen Gewässern wie dem Spreekanal eigentlich verboten? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Macher*innen des Fluss Bads Berlin schon lange und haben deswegen für den 23. September 2021 Gäste eingeladen, um mit Expert*innen zu diskutieren und Interessierte zu informieren. Gartengespräch #7 heißt die Veranstaltungsreihe und der Name ist Programm, denn es findet im Fluss Bad Garten statt, der sich direkt am Spreekanal gegenüber dem Auswärtigen Amt auf dem Gelände der ESMT (European School for Management and Technology) befindet. Er besteht aus einem rechteckigen Holzkonstrukt, das die Form eines früheren Flussbades andeutet, das sich an eben dieser Stelle befunden hat. Auf Infotafeln wird das Projekt vorgestellt und bisherige Aktivitäten dokumentiert, an einem kleinen mobilen Kiosk kann man Getränke kaufen, Holzbänke laden zum Verweilen in einer Gegend, die ansonsten vor allem repräsentativ, historisierend und staatstragend daherkommt. Sogar eine Toilette gibt es, in die man im Anschluss eine Handvoll Späne kippen soll. Komplementiert wird das Fluss Bad durch einen im Wasser liegenden Kahn, auf dem allerlei Gerätschaften herumstehen und Schilf wächst. Es handelt sich hierbei um die Forschungsstation mit mehreren Filteranlagen, mit denen getestet wird, wie man die Wasserqualität aktiv verbessern kann.
Auf dem Podium ergreift zuerst Andreas Harms das Wort und klärt über die rechtlichen Rahmenbedingungen auf. Andreas Harm ist nicht nur einer der Gründungsmitglieder des Flussbad Berlin e.V., sondern auch Rechtsanwalt und berät den Verein in Rechtsfragen. Er informiert zunächst über die Besonderheit des Gewässers, bei dem es sich um eine Bundeswasserstraße handelt, die sich im Besitz des Bundes befindet. Für den Spreekanal gelten aber das Berliner Wassergesetz und die Badewasserverordnung. Gleichzeitig sind mehrere Senatsverwaltungen zuständig, je nachdem ob man den Fluss als Verkehrsweg, als Gesundheitsgefahr oder als Stadtentwicklungsgebiet betrachtet. Zusätzlich ist noch der Bezirk Mitte zuständig, wenn es um die Wege und öffentlichen Räume um den Fluss herum geht, was vor allem für die Wasserzugänge relevant ist, die es braucht, damit das Schwimmen im Fluss möglich wird. Das Schwimmen in Gewässern wie dem Spreekanal kann demnach aus verschiedenen Gründen verboten sein: weil die Verkehrswege für die Schifffahrt freigehalten werden müssen, weil die Wasserqualität gesundheitsgefährdend ist oder weil generell das Schwimmen unter Brücken (+ 100 Meter vorher und nachher) verboten ist. Am Ende wird deutlich: mit den bestehenden Verordnungen geht es nicht, aber diese könnten geändert werden, weil sich die Nutzungsweisen der Gewässer verändert haben und im Spreekanal sowieso keine Schiffe fahren. Auch die Wasserqualität ist kein Problem, denn diese ist – bis auf die Situationen, in denen Starkregen zu kurzzeitigen Überforderungen des Abwassersystems führt – in Ordnung. Es wird deutlich: die Fluss Bad-Visionär*innen haben alle Hindernisse im Blick, haben Lösungen und einen konkreten Zeitplan erarbeitet und sind nun auf den politischen Willen derjenigen angewiesen, die die nötigen Weichen stellen können. Dafür brauchen sie eine Menge Geduld, denn die politischen Mühlen mahlen langsam. Das wird deutlich, wenn man sich die Genese das Projekts anschaut: Bereits 1998 stellte die Berliner Künstler- und Architektengruppe realities:united unter der Leitung von Tim und Jan Edler die Idee erstmalig öffentlich vor. 2012 gründete sich der gemeinnützige Verein Flussbad Berlin e.V. Seitdem ist viel passiert: regelmäßige Veranstaltungen wie der Berliner Flussbad-Pokal und Führungen entlang des Spreekanals sowie die Gestaltung des Flussbad-Gartens 2017 inklusive Freiluftausstellung sowie zahlreiche Gespräche, Runde Tische und Überzeugungsversuche, die weniger sichtbar sind. Dass die Visionär*innen mit ihrem Projekt zahlreiche Menschen begeistern – seien es Berliner*innen, die direkt in der Nachbarschaft wohnen oder arbeiten, begeisterte Schwimmer*innen oder Stadtplaner*innen, die für Nachhaltigkeit und eine Stärkung der öffentlichen Räume kämpfen – zeigen die zahlreichen Förderungen, die das Projekt bekommen hat, wie den LafargeHolcim Award for Sustainable Construction, ein Preis für nachhaltige Stadtentwicklung, eine Förderung im Programm „Nationale Projekte des Städtebaus Bundesförderprogramms“ oder die Beteiligung an der Ausstellung „Swim City“ im Deutschen Architektur Zentrum in Berlin 2020. Letztere zeigte eindrücklich, dass das Baden in der Stadt in Ländern wie der Schweiz schon lange selbstverständlich und ein beliebtes Freizeitvergnügen ist.
Architekturvermittlerin und Flussbad-Beiratsmitglied Kristin Feireiss bringt es auf den Punkt: „Im Zentrum Berlins, inmitten herausragender Kulturbauten und Wohnungen der absoluten Luxusklasse einen Ort zu haben, der für alle offen ist, an dem man sich begegnen, wo man entspannen und Spaß haben kann, der niemanden ausgrenzt – das ist einfach phantastisch. Kurz: Ein wirklich demokratischer Ort. Wenn das Projekt realisiert würde, wäre das die großartigste Sache und das positivste Zeichen für ein neues Berlin.“[1]
Ein erster Erfolg ist die Tatsache, dass der Berliner Senat das Projektgebiet 2019 als Stadtumbaugebiet ausgewiesen hat, womit die Grundlage zur Finanzierung der Planung und zur Umsetzung geschaffen wurde. So wird 2022 mit der Realisierung einer Freitreppe an der Schlossfreiheit als erster Wasserzugang begonnen! Damit wäre man wieder einen Schritt weiter, um das Schwimmen im 835 Meter langen Wasserlauf zu ermöglichen, der beim jetzigen Fluss Bad Garten beginnen und an der Nordspitze der Museumsinsel direkt vor dem Bodemuseum enden würde. Doch die Planungen sind komplex: zu ihnen gehören neben den Überlegungen, wie und wo man Umkleiden und Toiletten errichten könnte, auch die Konstruktion eines automatischen Systems, um vor durch Starkregen bedingte Verunreinigungen des Gewässers zu warnen. Vor allem aber geht es darum, ein Pflanzenfiltersystem zu erproben, das auf natürliche Weise zu einer Verbesserung der Wasserqualität beiträgt. Zu diesem Zweck ist es angedacht, im Spreekanal-Abschnitt zwischen Gertrauden-Schleusenbrücke eine mit Schilf bepflanzte Kiesschicht anzulegen: „Das Wasser sickert langsam ein, wird dabei von Mikroorganismen natürlich gereinigt, gelangt in die darunterliegende Drainageschicht und fließt von hier in den Schwimmbereich“, heißt es im Flyer. Ob das tatsächlich so funktioniert, beforscht Carsten Riechelmann in der Testfilteranlage, die im Kahn direkt am Kai aufgebaut ist. Riechelmann ist Experte für Wasseraufbereitungstechnologien. Er gehört zum Team derjenigen, die seit 2017 zwischen April und Oktober einmal wöchentlich Wasserproben aus den Becken der Filteranlage und dem Spreekanal entnimmt. Die Proben werden „vor Ort auf physikalische Parameter und im Labor auf Keimbelastung [untersucht]. Darüber hinaus erfasst die Anlage über eingebaute Sensoren permanent Wassertemperaturen, Durchflussmengen, Leitfähigkeit, Trübung, Chlorophyll- und Sauerstoffgehalt und sendet die Daten im Viertelstundentakt in eine von uns aufgesetzte Datenbank. Dort werden auch alle im Labor ausgewerteten Parameter eingetragen, sodass wir ein fortlaufendes Gesamtbild der Wassergüte und der Filterwirkungen erhalten.“[2] Diesen Winter wird die Testphase abgeschlossen und der Kahn wie geplant nicht ins Winterquartier gezogen, sondern an seine Besitzer zurückgegeben. Der 1927 gebaute Kahn braucht einen neuen TÜV und muss daher bis zum Jahresende komplett geleert werden. Eine von vielen Aufgaben, die die Mitarbeitenden des Fluss Bad-Teams bewerkstelligen müssen – zum Glück nicht mehr komplett ehrenamtlich, sondern in Teilzeitstellen oder im Rahmen des Freiwilligen Ökologischen Jahres.
Apropos Ökologie: dass man das Projekt durchaus als Teil des notwendigen Umbaus der Städte aufgrund der Klimaerwärmung denken kann, betont eine Teilnehmerin am Ende des Gesprächs, als sie das Fluss Bad als aktiven Klimaschutz bezeichnet. Bis es soweit ist, wird aber wohl noch einiges Wasser den Spreekanal hinunterfließen. Und der Verein weitere Veranstaltungen und Pokalschwimmen veranstalten, um möglichst viele Menschen an den Anblick von Schwimmer*innen im Kanal zu gewöhnen – und für das Projekt zu begeistern. Dass sie dabei immer auch gegen den Strom schwimmen müssen, daran haben sie sich langsam gewöhnt. Hoffentlich geht ihnen nicht die Puste aus!
[1] https://www.flussbad-berlin.de/wir
[2] https://www.flussbad-berlin.de/testfilter-betrieb. Hier können auch die Testergebnisse eingesehen werden.
Der Fluss Bad Garten hat bis Mitte Oktober täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet und eröffnet Anfang Mai 2022 die nächste Saison. Er befindet sich in der Sperlingsgasse Ecke Friedrichsgracht direkt am Spreekanal.
Die Gartengespräche können als Podcast auf den gängigen Plattformen wie auf iTunes, Podimo, Soundcloud oder Spotify nachgehört werden.
Am 9.10. findet als letzte Veranstaltung in diesem Jahr der „Fluss Lauf“ statt, eine 1,5 stündige Führung entlang des Spreekanals. Mit Anmeldung.