Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

„Ich favorisiere flexible, unabhängige Strukturen“

28.02.2023
Volha Hapeyeva, Ohne Titel, 2022, Displayed Words – Displaced, Klosterruine, Berlin, 2023. Foto: Diana Pfammatter

Unter dem Titel „Displayed Words – Displaced“ wird das diesjährige Winterprogramm in der Klosterruine Berlin von Fabian Schöneich kuratiert und in Kooperation mit dem CCA Berlin – Center for Contemporary Arts realisiert. Anlass für ein Porträt über einen umtriebigen Kulturakteur.

„auf dem planeten erde
leben hauptsächlich aliens
einige kommen von aldebaran
und einige von alpha centauri
denn wie sonst kann man sich 
die einsamkeit erklären
die einen am abend einhüllt
die angst in den augen eines passanten

niemand hier versteht einen 
und jeder träumt nur von einer sache –  
wie man schnellstmöglich nach hause kommt 
was drei oder fünf 
milliarden lichtjahre entfernt ist

und während die anderen aliens schlafen
sende ich diese nachricht aus
in der hoffnung 
dass noch jemand anderes hier ist
von cassiopeia“ 

Zeile für Zeile erscheint dieses Gedicht von Volha Hapeyeva auf einem digitalen Display in der Klosterruine. Es ist Teil des Projektes Displayed Words – Displaced, das im Dezember 2022 begonnen hat und bis April 2023 an drei Orten – in der Klosterruine, dem CCA Berlin und auf der eigens für das Projekt ins Leben gerufenen Website – verfolgt werden kann. Fabian Schöneich, Gründer des CCA Berlin und Kurator, hat die Autorinnen Don Mee Choi, Athena Farrokhzad, Volha Hapeyeva, Quinn Latimer, Rike Scheffler, Yasmine Seale, Hajra Waheed eingeladen, Texte zu präsentieren. Er erzählt, dass er für dieses Projekt mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD zusammengearbeitet hat und einige der Autorinnen auch Residentinnen des Künstlerprogramms sind oder waren. „Bei der Auswahl ging es um die Sichtbarmachung einer Internationalität, die in Berlin alltäglich ist. Mich beschäftigt die Frage, wie Literatur und Sprache vermittelt werden und in welcher Sprache dominante Bedeutungen und literarische Werke in einer ‚multikulturellen‘ Stadt wie Berlin transportiert werden. So sind neben Texten auf Deutsch und Englisch auch Texte in Belarussisch, Koreanisch oder Arabisch zu lesen. Die zweite Frage, die im Raum stand, war, wie man Literatur und Poesie ‚ausstellen‘ kann, wie man sie sichtbar und somit zugänglicher machen kann – neben Print und klassischen Lesungen. Das betrifft den konkreten Ort, die Klosterruine, ist aber auch eine generelle Frage.“

Der Eingang zum CCA Berlin ist gar nicht so einfach zu finden – man muss von der Kurfürstenstraße kommend um das kompakte Gebäude herum in die Frobenstraße einbiegen und dann den Seiteneingang nehmen. Die großen Fensterflächen verweisen auf die frühere Nutzung der Erdgeschossflächen als Einrichtungshaus. Übrig geblieben ist davon kaum etwas, außer ein roher Betonboden, großzügige Kellerräume und eine unbenutzbare Parkfläche im ersten Stock. Im September 2021 bezog die Galerie Heidi den vorderen Teil des Erdgeschosses, im Februar 2022 folgte das CCA Berlin. Mit der Galerie ARTCO in einem Neubau direkt gegenüber sowie der kürzlich eröffneten Galerie Molitor daneben, hat sich so ein neuer Kunstschwerpunkt etwas abseits der Potsdamer Straße gebildet – ausgerechnet in dem Teil der Straße, der trotz Gentrifizierung weiterhin als Straßenstrich genutzt wird. So können wir während wir uns im Büro des CCA Berlin unterhalten, beobachten wie mehrmals die auf der Straße stehende Eco-Toilette als sogenannte Verrichtungsbox aufgesucht wird. Fabian Schöneich sagt: „Wir kommen gut miteinander aus. Es gibt eine Art Koexistenz: man hat sich gegenseitig im Blick und respektiert sich.“ 

Fabian Schöneich lebt seit Ende 2019 in Berlin – nach Stationen am Kunstinstituut Melly in Rotterdam, an der Kunsthalle Basel und dem Portikus in Frankfurt, wo er von 2014 bis 2018 als Kurator gearbeitet hat. Auf die Frage, was das CCA Berlin ausmacht, verweist er auf den gemeinnützigen Ansatz und die institutionelle Struktur, die an Kunstvereine erinnert, aber viel flexibler ist. Das liegt zum einen an der übersichtlichen Mitarbeiter*innenzahl (neben Schöneich arbeiten im ersten Pilot-Jahr noch Edwin Nasr und Sandra Teitge für das CCA Berlin), aber auch an der spezifischen Struktur, da es keinen Vorstand, sondern einen fünfköpfigen Beirat gibt, der sich aus Kurator*innen, Journalist*innen, Sammler*innen und Künstler*innen zusammensetzt. Das bedeutet aber auch, dass weder auf Mitgliedsbeiträge noch auf eine institutionelle Förderung zurückgegriffen werden kann, weshalb Schöneich beständig damit beschäftigt ist, Gelder bei Stiftungen und Förderinstitutionen einzuwerben. Doch der Aufwand scheint sich zu lohnen: das CCA Berlin wird vom Goethe-Institut Between Bridges Foundation von Wolfang Tillmans unterstützt. Diese Form der Finanzierung hat Vorteile, bedeutet aber auch, dass sich Schöneich nur ein minimales Gehalt auszahlt und zusätzlich Geld mit anderen Jobs verdienen muss. 

Kurator und Betreiber des CCA Berlin: Fabian Schöneich, Foto: Peter Oliver Wolff

Trotz dieser überschaubaren Ressourcen hat er im ersten Jahr ein beachtliches Programm realisiert und sich bestens in der Berliner Kunstszene vernetzt. Für ihn ist das CCA Berlin ein Experiment, in dem nicht nur Kunstausstellungen, sondern auch Veranstaltungen wie Lesungen, Partys, spontane Solidaritätsveranstaltung mit der Ukraine und die Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Künstlerische Forschung stattfinden. Sein Programm setzt sich aus Kooperationen mit unterschiedlichsten Kulturakteuren zusammen – vom Distanz Verlag über Provence (ein „lifestyle brand“ aus Zürich) bis zum New Yorker Künstler*innenduo Women‘s History Museum. Darüber hinaus hat Schöneich seine Fühler in die Nachbarschaft ausgestreckt und zusammen mit Sandra Teigte ein Vermittlungsprojekt mit der Theodor-Heuss-Bibliothek angestoßen und Konzerte in der Zwölf-Apostelkirche sowie Nachbarschaftsspaziergänge durch die Frobenstraße organisiert. 

Es ist eine kleine, aber feine Ausstellung, die Anfang Februar im CCA Berlin eröffnet. Schon von weitem sind die hell erleuchteten Räume sichtbar. Durch die großen Fensterflächen kann man den Ausstellungsraum gut überblicken und schaut direkt auf zwei Arbeiten von Nicolas Moufarrege, die an zwei schmalen Stangen befestigt, im Raum zu schweben scheinen. Moufarrege, der in Alexandria geboren, in Beirut studierte und über Paris nach New York zog, querte nicht nur „Orient“ und „Okzident“ und war Teil der queeren Community, sondern wechselte beständig die Rollen vom Künstler zum Kritiker, zum Kurator, zum Autor und zurück. Ausgestellt sind Zeichnungen und Malereien, in die zum Teil Stoffe eingewebt sind und auf denen er so unterschiedliche Motive wie Mickey Mouse, einen Weihnachtsmann und arabische Schriftzeichen kombiniert. Ergänzt werden die Kunstwerke mit Doku-Material über Moufarrege wie Fotos, Kataloge und Manuskripte, die klassisch in einer Vitrine präsentiert werden.
Die konzentrierte Ausstellung, die von dem Gefühl begleitet wird, man hätte eine echte Entdeckung gemacht, kann exemplarisch für das ambitionierte Programm stehen, das Fabian Schöneich im CCA Berlin realisiert. Es ist eine Mischung aus in Berlin lebenden Künstler*innen und Künstler*innen weltweit, aus gerade angesagten künstlerischen Positionen und solchen, die bereits verstorben, gerade wieder entdeckt werden. 

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Nicolas Moufarrege, Mutant International, Ausstellungsansichten, CCA Berlin, 2023. Fotos: Diana Pfammatter/CCA Berlin
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Nicolas Moufarrege, Mutant International, Ausstellungsansichten, CCA Berlin, 2023. Fotos: Diana Pfammatter/CCA Berlin
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Nicolas Moufarrege, Mutant International, Ausstellungsansichten, CCA Berlin, 2023. Fotos: Diana Pfammatter/CCA Berlin
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Sex Work is Work: Kiezspaziergang mit Trans*Sexworks’ wren oscyth & Caspar Tate, Filmvorführung von Antje Engelmanns Renate und Gespräch, CCA Berlin, 2022. Fotos: CCA Berlin
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Sex Work is Work: Kiezspaziergang mit Trans*Sexworks’ wren oscyth & Caspar Tate, Filmvorführung von Antje Engelmanns Renate und Gespräch, CCA Berlin, 2022. Fotos: CCA Berlin

Für die nächste Ausstellung mit der Künstlerin Yu Ji, die für mehrere Monate nach Berlin kommen wird, ist er gerade dabei, eine Wohnung und einen Kitaplatz zu organisieren, aber das sei kein Problem. Im Prenzlauer Berg gäbe es eine deutsch-chinesische Kita, die wäre gleich sehr offen und unterstützend gewesen. Zum Abschluss frage ich ihn, wie er mit dem Wissen umgeht, dass er wahrscheinlich zur Mitte des Jahres die Räume verlassen muss, weil das Gebäude dann saniert werden soll (und damit nicht mehr bezahlbar sein wird). „Ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass wir etwas Neues finden werden. Durch die Corona-Pandemie steht momentan relativ viel Einzelhandel leer und ich habe ein Netzwerk von Leuten, die mich bei der Immobiliensuche unterstützen.“ Mit dieser Einstellung wird Schöneich bestimmt eine Lösung finden. 

CCA Berlin
Kurfürstenstraße 145
(Eingang via Frobenstraße)
10785 Berlin
https://cca.berlin/de/

Öffnungszeiten:
Do – Sa: 11:00–18:00
Eintritt frei

Klosterruine Berlin
Klosterstr. 73a
10179 Berlin
www.kloserruine.berlin

Öffnungszeiten LED-Installation in der Klosterruine:
Mo – So: 10:00-22:00

Displayed Words – Displaced
Bis 16.4.2023
Sprache, Text und Poesie in der Klosterruine, Berlin und online auf displayedwords.org

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