Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

In den Ruinen der Zukunft

16.10.2018
So sieht die Suche nach der Zukunft aus, Fotos: Philipp Meuser & Jonas Fischer
So sieht die Suche nach der Zukunft aus, Fotos: Philipp Meuser & Jonas Fischer

Das Dokumentationszentrum Zukunft zeigt Walhalla II, ein Denkmal, das es gegeben haben wird. Ein Gespräch mit Sprecher Bastian Sistig über Vergangenheit, Zukunft und kulturelle Identität.

Am Molkenmarkt, da wird gegraben. Ab dem 18. Oktober, nonstop, bis zum 21. Oktober. Gesucht wird nach Relikten von Walhalla II, einem Denkmal, das es gegeben haben wird. Die Relikte dieser Zukunft, die noch gefunden werden, sind bis zum 28. Oktober im Dokumentationszentrum Zukunft zu sehen.

Das klingt alles ziemlich verwirrend und verwirrend ist das mit der Zukunft auch. Ist sie immerhin nur ein gedankliches Konstrukt – und doch hält sich ein Gros der Menschheit dauernd in ihr auf. Warnt vor der Klimakatastrophe, sinniert von einem nahenden Faschismus. Was dabei fehlt, ist ein Innehalten in der Gegenwart. Um die Frage zu stellen: Was hat unser Handeln heute mit der Zukunft, die wir uns da vorstellen, zu tun? Und ist das eine Zukunft, die wir wollen?

Gedankenspiele wie dieses sind ein Teil von Walhalla II, einem Kunstprojekt, das gerade in der Alten Münze gezeigt wird. Ein Team von über 30 Leuten, darunter unter anderem Architekt*innen, Kunstgeschichtler*innen, Bildhauer*innen, Dramaturg*innen, Grafiker*innen, Schauspieler*innen und Filmemacher*innen haben gemeinsam eine Ausstellung geschaffen, die Fragen nach einer aus der Vergangenheit entstandenen Zukunft mit dem Nachdenken über kulturelle Identität verwebt. Wieso sich diese Punkte vor allem da berühren, wo etwas Neues konstruiert wird, erzählt Bastian Sistig, Teil der künstlerischen Leitung des Projekts, im Interview.

Die Ausstellung „Walhalla 2“ zeigt ein Denkmal, das es gegeben haben wird. Relikte der Zukunft werden ausgegraben. Wie sieht die Zukunft aus?
Bastian Sistig:
Schlecht. Aber beschreibenswert schlecht. Hin und wieder gibt es natürlich auch utopische Momente. Je nachdem, wie wir handeln. Eben erst hat sich ja die Zukunft schon wieder verändert. Ich habe den Eindruck, es gibt zu jedem Zeitpunkt immer mehrere Möglichkeiten der Zukunft. Und in der Ausstellung kann man diesen Möglichkeiten begegnen. So kriegen die Besucher*innen hoffentlich ein Gespür dafür, dass es immer mehrere Optionen gibt, in die sich die Welt entwickeln kann. Ich glaube, es hilft uns, sich mit diesen sehr konkreten Möglichkeiten zu konfrontieren, statt vor diffusen Ängsten zu flüchten: Ist es das, was ich für die Zukunft will? Oder ist dies etwas, das ich unbedingt verhindern muss? Das ist, was wir mit dieser Ausstellung anbieten.

Vieles in der Ausstellung wirkt, als wäre Walhalla 2 ein Ort unter einer rechtskonservativen Regierung. Hängt die Idee mit dem Erstarken der AfD zusammen?
Ja. Die Idee des Projektes entstand zunächst in Reaktion auf die Rede von AfD-Politiker Björn Höcke, in der er gesagt hat, man müsse in Deutschland wieder Denkmäler statt Mahnmale bauen. Die AfD wird ja immer ganz gerne als eine rückwärtsgewandte Partei gesehen. Was nicht stimmt, die haben ja etwas vor, die wollen ja etwas gestalten. In Bezug auf die Rede von Höcke haben wir uns also gefragt: Was für ein Denkmal würde er denn errichten wollen? Wie würde das aussehen? Warum will der das überhaupt? Und kann man diese Zukunft ruinieren, noch bevor sie geschieht? Dann fingen wir an, uns mit der Idee des Denkmals selbst zu beschäftigen. Dabei sind uns vor allem diese Kaiserdenkmäler aus der Romanik im 19. Jahrhundert begegnet. Das bekannteste Beispiel ist eben die Walhalla bei Regensburg. Der bayrische König Ludwig, der Walhalla nach dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen hat bauen lassen, fragte sich: Wie kann ein zukünftig vereintes Deutschland aussehen? Das Land war ja nach dem Sieg Napoleons sehr zersplittert. Seine Idee war dann, dass es eine positive kulturelle Identität, die Fiktion einer vermeintlichen Vergangenheit geben muss, auf die sich möglichst viele beziehen und einigen können, und zwar gekoppelt an historische Personen, an Projektionsflächen.

Deswegen hat er diese ganzen Büsten aufstellen lassen?
Ja. Im Walhalla gibt es 130 Büsten von bedeutenden Persönlichkeiten. Das sind dann so Leute wie Goethe, Schiller, Karl der Große. Und diese Personen sollen dann in Kombination mit dem nordischen Valhall Mythos und einer klassizistischen Pervertierung von antiker Architektur deutsche Identität darstellen. Daran sieht man doch wie kulturelle Identität völlig dreist zusammen geklaut ist von Entscheidungsträgern, die sagen dürfen, was darf rein und was nicht. Wieso Goethe? Warum nur drei Frauen?

Denkmäler erzählen also vor allem etwas über kulturelle Identität?
Ganz spannend ist doch, dass immer, wenn Systeme zusammenbrechen, Denkmäler zerstört werden. Man kennt ja diese Bilder, auf denen die Lenin-Statuen umgeschmissen werden, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Wenn sich also eine Zerstörungswut durch Denkmäler mobilisieren lässt, dann müssen sie ja schon eine Kraft haben. Sie repräsentieren ja immer auch eine Macht. Und ich glaube, Denkmäler erzählen extrem viel vor allem über kulturelle Macht. Zum Beispiel auch im Original-Walhalla bei Regensburg. Das wird ja immer noch vom Freistaat Bayern gefördert und auch kuratiert. Jetzt überlegt man zum Beispiel dort eine Büste von Bertolt Brecht aufzustellen. Und das ist doch spannend, Brecht war ja eigentlich Kommunist – der darf jetzt aber auch da rein, weil er mittlerweile zum Kulturkanon gehört. Das erzählt insofern etwas über die Gesellschaft, als dass es eine Macht gibt, die entscheidet: Du gehörst dazu und du nicht. Und dass ist ja ein hochaktuelles politisches Feld, mit dem wir uns in der Ausstellung „Walhalla 2“ beschäftigt haben: Wie wird kulturelle Identität über Denkmäler generiert? Was passiert da, was wird da politisch entschieden, was wird da repräsentiert? Ist die Wiederholung von Geschichte denkbar? Und wie sieht dann dieses zukünftige Denkmal aus, von wem wird es gestaltet worden sein? Das anhand einer möglichen Zukunft in Gestalt eines fiktiven Walhalla II-Denkmals zu untersuchen, als Ruine, als abgeschlossene Zukunft, dessen Reste im öffentlichen Raum von Hamburg und Berlin auszugraben, erschien uns als Geste angebracht.

Also geht es um die Frage einer Leitkultur, wie sie letztes Jahr durch Thomas de Maizière wieder aufgebracht wurde?
Absolut. Diese Pseudodebatte um Leitkultur ist ja der Versuch, kulturelle Identitätspolitik basierend auf dem zu betreiben, was angeblich nicht dazu gehört. Überhaupt mussten wir zu unserem Erschrecken feststellen – das Projekt arbeitet in uns jetzt seit drei Jahren – dass die Gegenwart unser Projekt eingeholt hat. Wir haben fiktional nach Walhalla II gesucht und es wird die ganze Zeit Wirklichkeit. Weil so viel so unfassbar schnell nach rechts gerückt ist. Zum Beispiel dieser Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“: Das ist Walhalla. Jemand, der sagt: „Das gehört nicht dazu, aber das gehört dazu“. Oder Alexander Gauland, der sagt, es gebe ja nicht nur die Nazi-Vergangenheit, sondern auch eine tausendjährige tolle Vergangenheit. Man sucht also das vermeintlich Positive in der Vergangenheit, auf das man sich beziehen kann. Oder das Ausschließende. So wie die FDP beim Bäcker. Und das war erschreckend: Wir haben die Zukunft versucht auszugraben und wir haben sie gefunden – in einer eskalierenden Gegenwart.

Kann es eine Geschichtsschreibung in der Gegenwart geben?
Ich würde behaupten nur in Fragmenten. Nur in Bruchstücken. Geschichtsbücher sind ja eigentlich auch fiktionale Bücher. Da entscheiden einige Wenige: „Das ist die Deutung über eine geschichtliche Epoche” – aber das ist ja nichts Feststehendes. Geschichtsschreibung ändert sich ja – je nach politischem System und auch je nach Deutungsmoden. Deswegen würde ich immer sagen: Nein. Höchstens fiktiv. Denn wir können ja immer nur Lücken wirklich betrachten. Wenn man zum Beispiel zwei Reste hat und diese zwei Reste stehen in einer Verbindung zueinander, dann erscheint zwischen diesen Resten eine Lücke, die ich mit meiner eigenen Fantasie, meiner Interpretation, meiner Deutung füllen muss. Und dann werden wir gemeinsam beim Betrachten zu lückenhaften Geschichtenerzähler*innen. Und wenn wir diese Geschichte glaubhaft erzählen können und viele Beweise haben, dann glaubt uns das jemand. Und dann ist das vielleicht die Wahrheit. Deswegen würde ich behaupten, dass diese Ausstellung im Großen sehr dazu einlädt, über den Macht- und Wahrheitsanspruch von Fiktionen selbst und ihre politischen Gestaltungsmotive nachzudenken.

Die Ausstellung Walhalla II ist noch bis zum 28. Oktober zu sehen im Dokumentationszentrum Zukunft in der Alten Münze, Am Molkenmarkt 2, 10179 Berlin.

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