Ein Ladenlokal mit hohen Fenstern, abgenutzten Holzdielen und weißen Wänden. Hier, in der Mulackstraße in Mitte, befindet sich die Galerie Thomas Fischer, benannt nach seinem Galeristen. Fischer betreibt die Galerie seit 2011 und eröffnete sie mit einer Ausstellung von Laetitia Gendre, einer Künstlerin, die mit unterschiedlichen Medien arbeitet. Bei meinem Besuch im Januar 2023 hat sie erneut eine Einzelausstellung. Gendre präsentiert dreidimensionale Graphitzeichnungen, Malerei auf Papier und verbindet beides mit Symbolen, die sie direkt auf die Wand malt.
Die Kontinuität dieser Zusammenarbeit ist kein Zufall. Fischer ist seinen Künstler*innen treu geblieben, während sich die Räume seit den Anfängen mehrmals verändert haben. Erste Station war ein großzügiger Altbau in den Mercatorhöfen in der Potsdamer Straße, wo sich – nachdem der Tagesspiegel seinen dortigen Standort aufgegeben hatte – ein Galerienschwerpunkt bildete. Als 2019 die Miete verdoppelt wurde, war es Zeit zu gehen. Fischer machte aus der Not eine Tugend und ging auf Wanderschaft, heißt, er suchte sich temporär Räume, in denen er Ausstellung realisieren konnte. Dabei kollaborierte er unter anderem mit Andreas Murkudis in der Potsdamer Straße, Soy Capitain in Kreuzberg oder dem STUDIO 4 BERLIN in Charlottenburg. 2021, während der Corona-Pandemie, fand er dann Unterschlupf in den Räumen des Schreibwarenladens R.S.V.P. in der Mulackstraße, erstmal nur befristet, aber dann bestand die Möglichkeit zu bleiben, und er blieb.
Die Mulackstraße ist eine dieser eher unscheinbaren Nebenstraßen in Mitte, in denen sich kleine feinen Läden angesiedelt haben, die exklusive Papierwaren, Klamotten oder Kosmetik verkaufen. Im Gegensatz zur Alten Schönhauser Straße oder der Weinmeisterstraße gibt es hier kaum Laufpublikum, aber Menschen, die gezielt vorbeikommen. Dass es sich bei seinen Nachbarn nicht um Galerien handelt, sei kein Problem, sagt Fischer. Was ihn eher umtreibt, sei die Tatsache, dass junge Leute aus Neukölln die Mulackstraße nicht mehr kennen würden. Für ihn dagegen ist der Kiez vertrautes Terrain, denn er hat nach seinem Kunstgeschichts- und Kulturwissenschaftsstudium an der HU in der Sammlung Hoffmann in den Sophie-Gips Höfen gearbeitet und im von Erika Hoffmann unterstützten Projektraum Souterrain in den 2010er Jahren erste Ausstellungen realisiert – unter anderem mit Laetitia Gendre.
Ob sein Programm schon damals dadurch gekennzeichnet war, dass er sich „nicht durch Moden oder Aufgeregtheiten beirren“ ließ, dafür aber „absolut präzise“ Ausstellungen machte, wie es in der Laudatio zur Verleihung des Preises des Verbandes der Berliner Galerien heißt, den Fischer 2022 bekommen hat? Die Jury hat Thomas Fischer jedenfalls überzeugt. Sie schätzten „die ausdauernde und geradezu fürsorgliche Betreuung von Künstlern und ihrem Werk, die ausbalancierte Präsentation der Ausstellung, und die pointierte Vermittlung einer künstlerischen Position, die neugierig macht, mehr zu erfahren und den eigenen Blick an der Kunst zu schärfen.“ [1]
Schaut man sich das Programm genauer an, zeigt sich, was damit gemeint ist. Fischer hat Künstler*innen im Programm, die eher als Geheimtipp, denn als Stars gelten – und dennoch eine treue Fangemeinde haben. Dafür spricht, dass kein einziger Maler oder Malerin dabei sind aber konzeptuell arbeitende Künstler*innen, Bildhauer*innen Fotograf*innen und Zeichner*innen, die verschiedenen Jahrgängen von 1987 bis 1928 angehören und internationale Hintergründe haben.
Der Rheinländer Künstler Joachim Bandau (Jahrgang 1936) ist einer von ihnen. Er ist mit mobilen Skulpturen aus Fiberglas bekannt geworden und hat 1977 auf der documenta ausgestellt – doch seine Arbeiten haben eine Zeitlosigkeit, die nachvollziehbar macht, warum sie bei Fischer im Programm sind. Eine andere ist die Architekturfotografin Irmel Kamp (Jahrgang 1937), die mindestens so ikonische schwarz-weiß Fotos von modernen Architekturen gemacht hat wie Bernd und Hilla Becher, aber nur halb so bekannt ist.
Zur älteren Generation gehört auch der vor kurzem verstorbene Brian O’Doherty, der vielen als Kunsttheoretiker und –kritiker bekannt ist, aber auch Künstler war und bei Fischer großartige in-situ Rauminstallationen realisiert hat. [2]
Zur wesentlich jüngeren Generation gehört Sebastian Stumpf. Er führt Interventionen im öffentlichen Raum durch, die zwischen Aneignung und Slapstick changieren. Auf Fotos und Filmen springt er ins scheinbare Nichts oder steht kopfüber in der Landschaft – und wählt dabei charakterstarke Architekturen wie halb-öffentliche Räume oder Museen als Hintergrund. Seine Arbeit zeichnet sich durch eine solitäre Sprache aus und ist gleichzeitig anknüpfbar an Institutionskritik oder Diskurse um moderne und utopische Architekturen. Vielleicht ist es diese Mehrfachlesbarkeit bzw. dieses Heraustreten aus gängigen Kategorien, die alle Künstler*innen der Galerie teilen. Sie sind eigen und zugänglich zugleich. So wie das Galerieprogramm zugleich klassisch und mutig ist.
Während Fischer von seinem Job erzählt, von den Messen und Kooperationen, den Reisen zu Eröffnungen und dem Präsentsein während der Öffnungszeiten der Galerie wird deutlich, wieviel die Galerienarbeit mit Vermittlung und Netzwerken zu tun hat. Der Kund*innenstamm von Fischer umfasst dabei sowohl Einzelpersonen, die eine Edition in Raten abbezahlen, als auch große Institutionen und Museen. Im Umgang mit ihnen gilt es den richtigen Ton zu treffen. Wenn man Fischer länger zuhört, wie er fundiert über seine Künstler*innen und das Kunstfeld spricht, ohne einen unangenehmen Verkaufston anzuschlagen, kann man sich vorstellen, dass ihm das gut gelingt. Man merkt ihm an, dass ihm diese Arbeit Spaß macht, obwohl sie einen langen Atem erfordere, wie er sagt. Sein Motto: nur mit Künstler*innen zusammenzuarbeiten, mit denen er auch persönlich gut auskomme. Ein Ansatz, der sich offenbar auszahlt.
[1] Marcus Woeller: Laudatio, https://www.berliner-galerien.de/de/content/laudatio-vbki-preis-berliner-galerien-2022-marcus-woeller
[1] Parallel dazu entstand ein Buch mit den Kunstkritiken, die O’Doherty unter dem weiblichen Pseudonym Mary Josephson veröffentlichte: Thomas Fischer, Astrid Mania (Hg.): A Mental Masquerade, Leipzig 2019, https://spectorbooks.com/a-mental-masquerade
Galerie Thomas Fischer
Mulackstr. 14
10119 Berlin
+49 30 74 78 03 85
www.galeriethomasfischer.de
Öffnungszeiten: Donnerstag – Samstag, 12 bis 18 Uhr und auf Vereinbarung.