Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Komplexe Gemengelage 

01.11.2022
Entwurf des Luther-Denkmals von Albert Weis und den Architekten Zeller & Moye, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Unklare Zuständigkeiten bei der Neugestaltung des Luther Denkmals verzögern die Realisierung.

Mit Blick auf das Reformations-Jubiläum im Jahr 2017 lobte der Evangelischer Kirchenkreis Berlin Stadtmitte zusammen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Luther-Denkmals auf dem Rathausforum aus. Der Künstler Albert Weis gewann den Wettbewerb zusammen mit den Architekten Zeller & Moye. Nach der gewünschten Überarbeitung des Entwurfs und mehreren Materialtests steht einer Realisierung nichts mehr im Wege, doch der Prozess verzögert sich weiterhin. Bei einem Besuch in Albert Weis‘ Atelier geht es um mögliche Gründe für diese Verzögerungen, um seinen Ansatz einer De-Heroisierung der Luther-Skulptur und das Balancehalten zwischen künstlerischer Autonomie und Umsetzbarkeit von Kunst im öffentlichen Raum.  

Weis‘ Atelier befindet sich in großzügigen ehemaligen Gewerberäumen im Wedding. Jede viertel Stunde rauscht ein ICE wenige Meter entfernt am Fenster vorbei. Weis kocht grünen Tee, während ich mich im Atelier umschaue und dort verschiedenste Werkzeuge, Materialien und Kunstwerke entdecke – Stahlrahmen, Lochblechskulpturen und eine große skulpturale Uhr. Im abgetrennten Büro mit Doppelschreibtisch nehmen wir Platz.

Atelieransicht, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Weis holt den Entwurf für das Luther-Denkmal hervor und beginnt zu erzählen: Zusammen mit dem deutsch-mexikanischen Architekturbüro Zeller & Moye hatte er 2016 den Wettbewerb um die Neugestaltung des Luther-Denkmals gewonnen. Grundidee des Konzeptes von Weis und Zeller & Moye ist es, die ursprüngliche Version der Denkmalanlage, das um die Jahrhundertwende aufgestellt worden war, umzukehren: Statt Martin Luther wie damals erhöht auf einem Sockel darzustellen, sieht der Entwurf vor, die Architektur des Denkmals mit ihrem gesamten Volumen nach unten zu setzen und zu komprimieren, so dass ein „skulptural ausformuliertes Negativvolumen“ entsteht, wie es im Entwurf heißt. Der neue Raum der Denkmalanlage ist etwa einen halben Meter tief in den Boden gelassen. Mittig führt eine kurze Treppe hinab zu den beiden Luther-Staturen und die Passant*innen können sich rundherum auf die Kante des vertieften Raums setzen. Die Begleitfiguren, die Paul Otto etwas tiefer auf dem Podest um Luther herum positioniert hatte, werden nicht rekonstruiert, sondern durch einen einzigen Edelstahlabguß der Luther-Skulptur ersetzt. Aufeinander bezogen, aber nicht im direkten Dialog, können die beiden Luther-Statuen – die Alte und das neue Duplikat – als Einladung an die Passant*innen verstanden werden, sich zu ihnen zu positionieren. Durch den Wegfall des Podests und die Aufstellung der Statuen in Bodenhöhe, würde eine Nahbarkeit zu Luthers geschaffen. Es ist eine Art Reparatur des historischen stadträumlichen Gefüges und zugleich eine Neuinterpretation, die den Bezug zur Gegenwart sucht – indem in den Boden LEDs eingefügt sind, die einen Lichtraum schaffen und dazu genutzt werden sollen, Zitate von neuen Begleitern, Personen des 20. Jahrhunderts, zu religiösen und gesellschaftlichen Fragestellungen sichtbar zu machen. Ein Beispielsatz lautet: „Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.“ (Dietrich Bonhoeffer)

Angesprochen auf das historische Denkmal berichtet Weis, dass das damalige Denkmalensemble mit dem kämpferischen Luther eine patriotische Geste war – ein klares Bekenntnis zum Protestantismus und zum Deutschen Kaiserreich, in Abgrenzung zum katholischen Frankreich. Statt auf Initiative der Kirche (wie beim Wettbewerb 2016), war es die Stadtgesellschaft, die sich damals für dieses Denkmal eingesetzt hatte.

Weis interessiert, wie sich die Darstellungen von Luther zeithistorisch gewandelt haben – und dadurch ein Abbild der jeweiligen Moden und Ideologien darstellen. „Jede Epoche hat sich ein eigenes Bild von Luther gemacht“, sagt er. Hinzu kommt, dass sich die Form des Denkmals stetig verändert hat. Zunächst durch die Nationalsozialisten, die die Begleitfiguren zu Kriegszwecken einschmolzen, dann in der DDR-Zeit, in der der im Krieg zerstörte Sockel eingeebnet und die Luther-Figur in die Stephanus-Stiftung in Weißensee kam. Erst 1989 wurde sie – kurz vor dem Fall der Mauer – in unmittelbarer Nähe zur Marienkirche auf einem einfachen Sockel wiederaufgestellt. 2017 erfolgte die Aufstellung an ihrem ursprünglichen Standort einige Meter weiter, ergänzt um ein Hinweisschild, auf dem die Geschichte des Luther-Denkmals erläutert wird.

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Die beiden Luther-Skulpturen als Modell, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Mit der Entscheidung, Luther eine weitere Skulptur zur Seite zu stellen, verfolgen Weis und Zeller & Moyer zwei Ziele: Erstens reflektiere sie die wechselvolle Geschichte des Denkmals und der Lutherdarstellungen. Zweitens würde dadurch die heroische Pose Luthers gebrochen. So besteht der Abguss aus mehreren Segmenten und Spuren der Bearbeitung bleiben bewusst sichtbar. Auf diese Weise wird die Skulptur abstrahiert, denn ein ganzheitliches Bild, wie man es sich noch im 19. Jahrhundert von Martin Luther machen konnte, ist jetzt nicht mehr möglich. „Heute wird Luther vielschichtiger wahrgenommen.“ Weis betont, wie wichtig es ihm in diesem Zusammenhang ist, dass diese Komplexität im neuen Entwurf enthalten ist. „Da soll ja nichts verkauft werden, sondern eine Anregung gegeben werden, sich mit dem Denkmal und seiner Geschichte auseinanderzusetzen, und damit auch mit seiner eigenen Identität.“

Auf die Verzögerung der Realisierung angesprochen, verweist Weis auf die vielen Beteiligten des Projektes sowie Unklarheiten in Bezug auf die Zuständigkeiten. Wurde der Wettbewerb 2016 vom Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ausgeschrieben, sind gleichzeitig die Senatsverwaltung für Kultur und Europa sowie der Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte, die Untere Denkmalbehörde und das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirksamts Mitte von Berlin, wie auch die BSR involviert. Letztere soll künftig für die Reinigung zuständig sein.

Im Nachgang zum gewonnenen Wettbewerb hatte es auf Wunsch der evangelischen Kirche bereits eine Überarbeitung des Entwurfs sowie eine Steuerungsrunde gegeben, wo jeder seine Perspektive eingebracht habe. Weis weiß diese Runden zu schätzen, denn sie halfen, noch einmal den eigenen Standpunkt zu schärfen – und in diesem Fall, den Entwurf kompakter und schlüssiger zu machen. Gleichwohl galt es, einen Kompromiss zwischen skulpturaler Sprache, technischen Faktoren und inhaltlichen Absprachen mit den Beteiligten zu finden. Dafür sei es hilfreich, sich von vornerein klar zu sein, dass es unterschiedliche oder kritische Kommentare geben wird und der Entwurf ein Stück weit flexibel sein muss.

Nachdem alle Bedenken ausgeräumt und Materialtests abgeschlossen seien, befänden er und die Architekten sich nun schon seit Längerem im Stand-by-Modus, ein etwas mühsamer Zustand, doch Weis hat Routine in der Realisierung von Kunst im öffentlichen-Raum und zeigt mir bereits umgesetzte Projekte. Dabei geht es häufig um Umkehrungen – wenn der Grundriss einer Küche in den Außenraum übertragen wird und die Pflastersteine in der Küche ausgelegt werden oder der Grundriss von Wohnungen auf den Boden übertragen und mit weißen Betonelementen am Boden nachgezeichnet wird.

Weil es etwas abstrakt ist, über einen Entwurf im öffentlichen Raum zu sprechen, kommen wir auf die Kunstwerke an den Wänden zu sprechen. Weis‘ Interesse gilt der Architektur der Moderne, wobei er Moderne sehr weitläufig definiert, wenn er ihren Beginn mit der Darstellung von Albrecht Dürers Melencholia ansetzt. (Von Dürer ist es nur ein kleiner Schritt zu Luther, da beide Zeitgenossen waren, bemerkt Weis). Neben Objekten aus Aluminium, die mit Neon-Leuchten verschweißt sind und in ihrer Form an den Polyeder aus Dürers Bild angelehnt sind, hängen in seinem Atelier großformatige Fotoarbeiten von Scharouns Philharmonie am Kulturforum – einem prototypischen Vertreter der Nachkriegsmoderne. Auf einem der Fotografien der Philharmonie finden sich Lochbleche als Wandelement, womit sich der Kreis zu den Lochblechskulpturen im großen Atelier schließt, die Weis aus zwei Schichten (farbigen) Aluminium faltet. Es wird deutlich: Das Schaffen von Volumen und die Umkehrung von Vorder- und Hintergrund/ Höhe und Tiefe zieht sich durch sein Werk. Es ist zu hoffen, dass der Entwurf nun bald realisiert wird!

Albert Weis in seinem Atelier, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Albert Weis studierte Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München und lebt seit 2002 in Berlin. Er realisierte zahlreiche Projekte im öffentlichen Raum und für Kunst am Bau. 2027 wird er ein Projekt für einen Erweiterungsbau des Auswärtigen Amts in Berlin realisieren. Weis engagiert sich als Vorstand im Deutschen Künstlerbund und war Mitinitiator der Programme Neustart Kultur für Bildende Künstlerinnen und Künstler. Er ist Mitglied im Sachverständigenkreis Kunst am Bau beim Bundesbauministerium und im Kuratorium der Stiftung Kunstfonds Bonn.

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