Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Leidenschaftliche Buchmacher*innen: II: AvivA und Gloria Glitzer

28.09.2020
Leidenschaftliche Buchmacher*innen –Aviva Verlag Regalwand

In der zweiten Folge der Verlagsporträts werden mit AvivA und Gloria Glitzer zwei unabhängige Verlage vorgestellt, die sich einerseits durch ein spezialisiertes Programm und andererseits durch ein erweitertes umtriebiges Verleger*innen-Selbstverständnis auszeichnen, das neben dem Büchermachen auch das Sammeln von Publikationen, das Vertreiben eines Magazins und weitere Netzwerkaktivitäten umfasst.

AvivA Verlag
Emdener Straße 33, Moabit
Webseite: https://www.aviva-verlag.de/
Gegründet 1997 von Britta Jürgs

Selbstbeschreibung: AvivA kommt aus dem Hebräischen und ist die weibliche Form von Frühling. Wir erweitern den literarischen Kanon um weibliche Stimmen und rücken bislang vernachlässigte Aspekte und Schätze des kulturellen Erbes in den Blick.

Die Räume des AvivA Verlags befinden sich im ersten Stock eines Altbaus, mit einem Balkon statt eines Schaufensters. Britta Jürgs begrüßt mich herzlich und führt mich in den Arbeitsraum, in dem sich auf dem Boden und dem Schreibtisch Bücher, Zettel und Manuskriptestapeln, an den Wänden hängen Plakate aus über 20 Jahren Verlagsarbeit. 

„Es ist gut, dass wir uns heute treffen, denn gestern wurde unser Buch A Taste of Honey von Shelagh Delaney für die Hotlist der zehn Bücher des Jahres 2020 aus unabhängigen Verlagen ausgewählt. Das ist schön, besonders weil momentan die Möglichkeiten fehlen, nach außen zu gehen und zu zeigen, was man macht. Normalerweise sind Buchmessen und kleinere Buchmärkte, Lesungen und Veranstaltungen Gelegenheiten mit Leuten ins Gespräch zu kommen und sich mit den Kolleg*innen auszutauschen. Das fällt nun alles weg. Ich merke, wie sehr mir das fehlt.“

Britta Jürgs ist nicht nur eine produktive Verlegerin, sondern auch eine umtriebige Netzwerkerin. Während unseres Gesprächs klingelt mehrmals das Telefon, unter anderem ruft eine Kollegin an, mit der zusammen sie die digitale Jahrestagung der BücherFrauen vorbereitet.

„Ich bin der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, dass wir uns zusammentun und uns vernetzen. Ich bin auch im Berliner Landesverband des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, da haben wir heute Hauptversammlung. Zudem bin ich bei den BücherFrauen aktiv, dem Netzwerk für Frauen aus der Buchbranche. Wenn ich nicht so eine überzeugte Netzwerkerin wäre, hätte ich nicht den Job als ehrenamtliche Vorständin der Kurt Wolff Stiftung angenommen. Aber die Stiftung versteht sich als Lobby für die unabhängigen Verlage und fördert die Vielfalt der Verlags- und Literaturszene, denn die unabhängigen Verlage sind es, die für das Bunte sorgen, die Bandbreite, die ungewöhnliche und riskante Projekte stemmen. Da bin ich schon am richtigen Ort.“

Die Gründerin des AvivA-Verlags Britta Jürgs ist nicht nur Verlgerin, sondern auch Vorständin der Kurt-Wolff-Stiftung, Redakteurin von Virginia und Mitglied bei den BücherFrauen

Wie kommen Sie zu Ihren Büchern? 

„Es ist unterschiedlich. Mal stoße ich selbst auf vergessene Autorinnen und deren großartige Bücher, aber oft bekomme ich Empfehlungen und Anfragen von Kolleg*innen, Übersetzer*innen und Herausgeber*innen. Bei einer Verleger*innenreise nach Georgien lernte ich die Autorin Salome Benidze kennen, deren Roman „Die Stadt auf dem Wasser“ ich danach ins Deutsche übersetzen ließ. In diesem Frühjahr folgte das Buch „Nicht mal die Vögel fliegen mehr dort“ mit Porträts von Frauen aus Georgien.“

Wann beißen Sie an? 

„Es muss mich erst einmal thematisch ansprechen, aber dann ist es von Buch zu Buch anders. Manchmal liest man drei Seiten und merkt, nee, oder es passt einfach nicht ins Programm. Je länger ich Lust habe zu lesen, desto größer die Chance, dass wir ins Gespräch kommen. Trotzdem gibt es Gründe Bücher nicht zu machen, zum Beispiel weil es unwahrscheinlich ist, dafür in meinem Verlag ein Publikum zu bekommen. Ich muss die Bücher ja auch finanzieren können. Wenn dann ein Verlagspreis kommt, wie letztes Jahr, ist das schon schön. Das eine ist das Geld, das man immer gebrauchen kann, aber das andere ist die Anerkennung und Wertschätzung, die man dadurch erfährt. Die tut gut.“

Britta Jürgs erzählt, dass es den Wunsch, einen Verlag zu gründen, schon lange gab: „Schon als Kind war ich auf der Frankfurter Buchmesse, weil mich diese Bücherwelt interessiert hat. Nach meinem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Romanistik habe ich frei in verschiedenen Bereichen des Verlagswesens gearbeitet. Dann hatte ich Ideen für Buchprojekte – beispielsweise einen Porträtband über surrealistische Künstlerinnen und Schriftstellerinnen – und wollte nicht nur etwas zu diesem Thema machen, zu dem es damals noch nichts gab, aber zugleich das Buch von Anfang bis Ende betreuen. So hat das eine zum anderen geführt, wobei die verlegerische Arbeit wirklich vielschichtig ist: Außer Manuskripteprüfen, Lektorieren und aus dem Text ein Buch zu machen gehört auch dazu, dafür zu sorgen, dass es in die Buchhandlungen und die Presse kommt.

Mein Anspruch ist es, die Aufmerksamkeit auf vergessene oder marginalisierte Themen und Personen zu lenken und Bücher zu verlegen, die nachhaltig wirken, so dass unbekannte Autor*innen in den Kanon aufgenommen werden oder sich die Kunstgeschichtsschreibung erweitert. Ein schönes Beispiel dafür ist das Buch „So viel Energie“ von Hanna Gagel über Künstlerinnen in ihrer dritten Lebensphase, das mittlerweile in der fünften Auflage erschienen ist. Oder der Erfolg des wunderbaren Gedichtbandes „Mädchenhimmel!“ von Lili Grün, einer ermordeten jüdischen Autorin aus den 1920er-Jahren, mit der wir 2014 zum ersten Mal auf der Hotlist waren. Inzwischen ist das Buch in der dritten Auflage und in Hellersdorf wurde eine Straße nach Lili Grün benannt.“

Zu guter Letzt drückt Britta Jürgs mir die aktuelle Ausgabe der Virginia – Frauenbuchkritik in die Hand. „Das ist eine seit 1986 existierende, zweimal im Jahr erscheinende Rezensionszeitschrift, die ich als Verlag vor zehn Jahren übernommen habe und schon viel länger als Redakteurin begleite. Darin besprechen wir Bücher von Autorinnen. Die Vielfalt der Bücher von Frauen sichtbar zu machen, finde ich wichtig“, sagt sie noch und ich glaube ihr sofort, denn dass sie ihre Arbeit aus voller Überzeugung macht, vermittelt sich nicht nur durch ihre vielfältigen Aktivitäten, sondern auch durch die Begeisterung und Empathie, mit der sie über sie spricht.

Künstler*innen, Verleger*innen und Sammler*innen: Franziska Brandt und Moritz Grünke sind Gloria Glitzer

Gloria Glitzer
Malplaquetstr. 17, Wedding
Webseite: http://gloriaglitzer.de/

2007 gegründet von Franziska Brandt und Moritz Grünke

Selbstbeschreibung: Gloria Glitzer is an artists group, an publisher, an avatar of the artists Franziska Brandt and Moritz Grünke. Gloria Glitzer develops, creates, and publishes artzines and artists’ books. Gloria Glitzer also runs the Risograph printing and design studio We make it and hosts the Herbarium Riso, a public library dedicated to stencil printed artists’ publications.

Ein Ladenlokal, in dem es schon von außen viel zu gucken gibt: eine große Risodruckmaschine, ausgewählte Publikationen auf bunten Acrylglasplatten an der linken Wand und ein vollbestücktes Regal mit Publikationen– inklusive Kassetten und Schallplatten rechterhand. Weiter hinten im Raum steht noch ein Schreibtisch und an der Rückwand stapeln sich diverse Drucktrommeln. Durch einen schmalen Gang geht es ins Hinterzimmer, in dem sich die Werkstatt von we make it und Gloria Glitzer fortsetzt. Ich bin sofort fasziniert von der Vielzahl an Notizen, Werkzeugen und Materialien, die an der Wand hängen, zeugen sie doch davon, dass das Büchermachen eben nicht nur eine intellektuelle Tätigkeit, sondern gleichermaßen ein Handwerk ist. 

Kaum stehe ich im Raum, sprechen wir schon über die Auswirkungen von Corona und die drei Standbeine, die hier in den Räumlichkeiten untergebracht sind. Franziska Brandt und Moritz Grünke haben sich während des Studiums an der Burg Giebichenstein in Halle kennengelernt, wo sie – nein, nicht Konzeptkunst Buch – sondern Malerei (sie) und Grafik (er) studiert haben. Noch während des Studiums ist die Idee entstanden, einen eigenen Verlag zu gründen, primär um die eigenen Publikationen zu entwickeln. 

Parallel zum Büchermachen nehmen sie regelmäßig an Kunstbuchfestivals und Ausstellungen in der ganzen Welt teil, organisieren Ausstellungen zum Thema Publizieren als künstlerische Praxis, halten Vorträge und leiten Workshops. Seit 2015 ist Moritz Grünke zudem Mitorganisator des Miss Read Festivals im HKW, Berlin, neben Messen in New York, Los Angeles und Tokio eine der größten Veranstaltungen zum Publizieren als künstlerischer Praxis. Wie eingespielt die beiden sind, wird im Gespräch deutlich, als sich die beiden wie beim Ping Pong mit dem Sprechen abwechseln. 

Was hat sich in den letzten Monaten für euch verändert? 

Durch Corona sind eigentlich alle Festivals erst verschoben oder gleich ganz abgesagt worden, auf denen wir sonst international unterwegs sind.

Die Festivals sind die Orte, an denen wir unsere Sachen zeigen, verkaufen und vorstellen. Sie sind für ein vielschichtiges Publikum zugänglich, aber dort kaufen kleine Läden, Bibliotheken, Sammlungen und Hochschulen unsere Arbeiten ein.

Es sind Netzwerktreffen, bei denen man Gleichgesinnte, Kolleg*innen und – mittlerweile –auch Freund*innen trifft.

Die Auswirkungen von Corona haben wir auch bei we make it gespürt, viele Projekte wurden abgesagt, weil die Veranstaltungen ausfielen. Es war wirklich drei Monate alles unterbrochen.

In dieser Situation haben die Corona-Hilfen tatsächlich sehr geholfen. Ab Juni ging es so langsam wieder los. Dann mußten ganz schnell die Projekte realisiert werden, die vorher auf Eis gelegt worden waren… Zum Beispiel von Menschen, die in ihren Arbeiten auf den Lockdown und Corona reagierten. Wir haben lange nicht mehr so viele Kassetten und Schallplatten gedruckt wie dieses Jahr, weil viele Musiker*innen nicht mehr auftreten konnten und nach anderen Vertrieb- und Verdienstmöglichkeiten gesucht haben.

Wir haben aufgeräumt und ‚ausgemistet‘, aber eigene, neue Arbeiten zu entwickeln ging irgendwie nicht. Wir haben uns eher blockiert geführt und waren froh, dass wir zurecht gekommen sind – auch weil unser Kind nicht in die Kita gehen konnte.

Franz hat zudem noch einen weiteren Job in einer Jugendeinrichtung, in dem sie die ganze Zeit weitergearbeitet hat. Alles zusammen war schon sehr anstrengend.

Wie seid ihr auf den Namen Gloria Glitzer gekommen? 

Der Name ist während des Studiums entstanden, als wir von einer Freundin eingeladen worden sind, bei einer Jahresausstellung der Kunsthochschule Weißensee Fantasieprodukte zu entwickeln und auszustellen. Hierfür wählten wir den Namen Gloria Glitzer. Danach haben wir ihn beibehalten, auch weil eigentlich alles gemeinsam entwickelt wird. Kollektives Arbeiten ist auch ein Stück weit eine Verweigerungshaltung gegenüber der individuellen Autor*innenschaft, das passt zu unserem DIY-Ansatz in der Kunst. Und ist für uns auch eine Haltungsfrage. Es spricht aber auch für das Teilen von Ressourcen und den kommunikativen Austausch – um nur ein paar Aspekte zu nennen.

Wie ist es dann weitergegangen? 

Das Büchermachen ist eher nebenbei entstanden. Wir dachten, wir machen neben unserer künstlerischen Arbeit auch noch Bücher, heute sind die Bücher unsere künstlerische Arbeit.

Gloria Glitzer ist als Eigenverlag gedacht. Für uns bedeutet das, dass wir den gesamten Entstehungsprozess selbstbestimmt übernehmen. Also von der Idee über das Konzept, die Gestaltung, die Produktion und auch Distribution. Damit übernehmen wir den Grundgedanken des DIY.

Wir publizieren viel, können aber von der künstlerischen Arbeit allein nicht leben. Deswegen haben wir auch das Studio we make it eingerichtet. Es ist ein Hybrid aus Büro, Showroom und Werkstatt. Über we make it produzieren wir Publikation für andere, da machen wir die Gestaltung und Produktion und beraten in konzeptionellen Fragen der Umsetzung wie Bindung, Druck, Papier usw.

Alles, was links an der Wand zu sehen ist, sind primär unsere eigenen Arbeiten, aber auch Kollaborationen mit anderen Künstler*innen. Das sind im weitesten Publikationen, die sehr unterschiedliche Inhalte haben und daher verschieden produziert sind – Riso, Offset oder Laser, das kommt drauf an. Es sind oft kleinere Auflagen, 100, 250 oder 400 Stück, die keine ISBN-Nummern haben.

Und dann gibt es noch das Herbarium Riso …

Ja, das ist eine Sammlung von mit Risographie gedruckten Publikationen aus der ganzen Welt, die steht dort auf dem Regal. Es ist eine Bibliothek und eine Inspiration, wenn Leute kommen, die hier etwas mit der Riso-Maschine drucken wollen. Aber wir verstehen es auch als ein Forschungsprojekt, bei dem wir der Frage nachgehen, wie und ob der Riso die künstlerische Arbeit beeinflusst.

Sie umfasst um die 700 Objekte, wobei wir auch unsere eigenen Publikationen hinzufügen. Dazu gehört auch eine Sammlung von Ephemera wie Flyer und eine Sammlung von Color charts. Soweit wir wissen, gibt es keine andere Sammlung, die sich auf dieses Verfahren spezialisiert hat. Und tatsächlich gibt es einige der Verlage nicht mehr, von denen wir Publikationen gesammelt haben.

Wie ist der Kontakt zur Nachbarschaft? 

Sehr gut. Wir mögen es, dass unser Studio dort ist, wo wir auch leben. Das große Fenster ist toll. Es kommen Leute rein, die irgendwas wollen…

… Steuerklärungen kopieren…Pakete abholen und so kommen wir ins Gespräch.

Es gibt zudem Zusammenarbeiten mit Nachbarinstitutionen wie Savvy Contemporary, das ist besonders schön.

Wieviel Bücher produziert ihr im Jahr? 

Ca. 5, wobei wir seit unser Kind da ist, mehr produzieren.

Wirklich? 

Ja, man geht bewusster mit seiner Arbeitszeit um.

Wo bekommt man eure Bücher – außer hier vor Ort? 

Hauptsächlich auf Festivals, in unserem Onlineshop und in einigen, wenigen ausgewählten Buchläden, wie zum Beispiel Printed Matter in New York, Print Room in Rotterdam, Bananafish in Shanghai, Boekie Woekie in Amsterdam oder Good Press in Glasgow.

In Berlin gibt es relativ wenige Orte: In Pankow das einBuch.haus und a.p. in der Lindower Straße, ein Laden, der demnächst eröffnet.

Was kosten die Bücher so? 

Unterschiedlich, zwischen 10 bis 25 Euro, das Buch „Sirene“ ist eine Ausnahme, das kostet 180 Euro. Wir verfolgen einen demokratischen Ansatz und möchten Kunst produzieren, die erschwinglich ist für viele Menschen.

Es ist tatsächlich immer ein Abwägen: Machen wir eine Publikation, die sich verkauft oder eine, die wir „erklären müssen“? In der Regel entscheiden wir uns für Zweiteres.

Ich finde die Mischung aus Freigeistigkeit und Hingabe interessant, die man den Publikationen anmerkt. Stichwort Punk. Könnt ihr damit etwas anfangen? 

Ja, das ist schon etwas, dass uns interessiert und sicher lassen sich da einige Überschneidungen finden.

Gloria Glitzer
Malplaquetstr. 17, Wedding
http://gloriaglitzer.de/

AvivA Verlag
Emdener Straße 33, Moabit
https://www.aviva-verlag.de/

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