Luc Wolff hat eine konzeptuelle Auffassung von Malerei. Seine Werke bewegen sich in den Raum hinein, um dort zugleich in den Hintergrund zu rücken. Mehrere unter dem Titel „WALLPAPERS“ entstandene Serien führen das vor Augen. Die großformatigen Papierarbeiten hängen, zu Ensembles gruppiert, wie Tapeten an der Wand. Aus der Sammlung des Museums wiederum sind vornehmlich Stühle zu sehen, beispielsweise ein Entwurf von Donald Judd (Chair #84/85, 1982) oder Konstantin Grcic‘s Chair One (2003).
Sophie Aigner: Luc Wolff, im Kunstgewerbemuseum zeigen sie derzeit Ihre Serien mit dem Titel WALLPAPERS. Wie sind diese Arbeiten enstanden?
Luc Wolff: Das ist eine lange Geschichte. In meinem ersten Beruf war ich Gärtner und habe danach fast 10 Jahre im Baumschulbetrieb meiner Eltern gearbeitet, bevor ich nach Berlin zum Studium kam. Als Maler begann ich Ende der 80er-Jahre, angeregt durch das Form- und Farbenrepertoire der Natur, rudimentäre organische Formen zu untersuchen. Ich interessierte ich mich vor allem für Formtypen, die man mit einfachen, ursprünglichen Lebensformen verbindet: Samen, Sprossen, Einzeller, embryonale Formen und Ähnliches mehr. Das Vordergründige, Spektakuläre, Bunte der neuen Wilden jener Zeit lag mir nicht so. Zurückhaltung war mir wichtig. Von Anfang an verfolgte ich die Idee, wegzulassen statt zu setzen, zurückzunehmen statt zu betonen, unterzuordnen statt herauszustellen. Es war, abstrakt formuliert, der Versuch, durch Reduktion Grenzen zu überwinden, um zum Wesentlichen vorzudringen.
Ich habe zunächst auf kleinen Papierformaten gearbeitet und dabei eine Vielzahl an Entwürfen produziert, die ich dann zur Begutachtung immer wieder auf dem Boden ausbreitete. Aus den Papierarbeiten, die sich so zu größeren Blöcken zusammenfügten, entstand ein neues Ganzes, in dem das einzelne Blatt einem plötzlich nicht mehr so wichtig vorkam. So wie es im Verbund aufging, verlor das Einzelstück zunehmend an Bedeutung. Analog dazu habe ich später auch das einzelne Motiv in eine flächendeckende Struktur eingebunden. Dadurch, dass es sich permanent wiederholt hat, wurde auch das einzelne Motiv immer unwichtiger. Zurücknehmen, in den Hintergrund rücken, um Raum für Neues entstehen zu lassen – dieser Vorgang bzw. dieses Vorgehen, liegt auch der Entstehung der WALLPAPERS zu Grunde.
Die WALLPAPERS nehmen sich zurück, indem sie sich wie eine Tapete auf Wänden ausbreiten. Sie lassen sich flexibel handhaben und können, je nach Raum, in größeren oder kleineren Einheiten Verwendung finden. Sie fügen sich in einen Raum ein, passen sich an, ordnen sich als Kunstwerk unter. Sie sind im eigentlichen wie im übertragenen Sinne flexibel. Diese Eigenschaft vermitteln bzw. übertragen die WALLPAPERS schließlich auch auf die von ihnen bedeckten Wände, mit denen sie im Idealfall eins werden. Es soll der Eindruck entstehen, dass sich dabei die Starrheit und die Undurchdringlichkeit der Raumgrenzen entschärfen und der entsprechende Raum sich öffnet. Was ich an den WALLPAPERS interessant finde, ist im Übrigen der Umstand, dass sie sowohl als Kunstwerk als auch als funktionales Design wahrgenommen werden können. Ihr Status als Kunstwerk verliert an Eindeutigkeit. Bekleiden die WALLPAPERS einen Raum, stehen sie dort nur selten im Vordergrund. Sie halten sich zurück, da zwangsläufig immer etwas vor ihnen steht bzw. etwas vor ihnen passiert und sie sich dem ständigen Dialog mit ihrer Umgebung nicht entziehen können.
Sophie Aigner: Wie kam es zu dem Konzept der Ausstellung, einzelne Werkserien der „WALLPAPERS“ in Kombination mit Stücken der Sammlung des Kunstgewerbemuseums zu zeigen?
Luc Wolff: Als die Idee aufkam, meine WALLPAPERS im Berliner Kunstgewerbemuseum auszustellen, war schnell klar, dass ich diese nicht allein als Tapeten präsentieren, sondern explizit in Kombination mit besonderen Stücken aus der Sammlung zeigen möchte. Es bot sich hier die Gelegenheit, ein bedeutendes Designobjekt unmittelbar vor den WALLPAPERS zu präsentieren, um meine Arbeiten dadurch noch eindeutiger in den Hintergrund zu rücken und damit den Aspekt des Zurücknehmens also weiter zu verstärken. Es sollte bei dem Gegenüber von Kunst und Design darum gehen, in Bezug auf ihre Ausstrahlungskraft bzw. zwischen beiden Polen ein ausgeglichenes Verhältnis herzustellen, was eine überaus spannende Herausforderung war.
Sophie Aigner: Die von Ihnen ausgewählten Sammlungsobjekte des Museums sind fast ausschließlich Stühle (einmal in Kombination mit einem Tisch). Hatten Sie auch andere Gegenstände im Kopf, und nach welchen Kriterien haben Sie die Stühle ausgesucht?
Luc Wolff: Da ich die WALLPAPERS nicht allein als Kunstwerke, sondern unter einem bestimmten Blickwinkel eben auch als Tapeten ansehe, sollten die Objekte aus der Sammlung vorzugsweise aus dem Wohnbereich stammen. Ich hatte unter anderem an stapelbares Essgeschirr gedacht, nicht zuletzt wegen des Seriellen, des Repetitiven, das in mehrfacher Hinsicht auch in meinen WALLPAPERS eine Rolle spielt. Wertvolles Porzellan müsste jedoch hinter oder unter Glas gezeigt werden, was für mich aber nicht infrage kam.
Entscheidend für die Auswahl aus der Stuhlsammlung war, dass diese etwas sehr Skulpturales aufweisen, also problemlos selbst sowohl als Kunstwerke als auch gleichzeitig als Design-Objekte wahrgenommen werden können, gut händelbar sind und auch in ihren Proportionen perfekt ins Gefüge passen. Einige von ihnen sind stapelbar. Stühle erzählen etwas vom Sitzen, vom besetzten Raum, vom Wohnen schlechthin. So gesehen passen sie auch thematisch gut in den Kontext. Ich habe am Ende sowohl stapelbare Alltagsstühle ausgewählt als auch solche, die eher konzeptuell aufgefasste Entwürfe sind als praxistaugliche Sitzmöbel.
Selbstverständlich ging es mir auch darum, farbliche und formale Aspekte zwischen WALLPAPERS und Stühlen abzustimmen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Stuhl „Chair One“ von Konstantin Grcic, bei dem die Durchlässigkeit der Rückenlehne einen direkten Blick auf die Arbeit an der Wand dahinter zulässt und gleichzeitig eine Beziehung zu den Strukturen auf den Papierarbeiten nachvollziehbar macht. Letztlich wurden die idealen Kombinationen von WALLPAPER und Stuhl beim Aufbau vor Ort entschieden. Es war „wie Malen vor Ort – nur mit Gegenständen“, wie ein Helfer beim Aufbau meinte.
Sophie Aigner: Der Titel Ihrer aktuellen Ausstellung „Double Mise en Évidence“ bedeutet übersetzt „zweifache Hervorhebung“. Sie kombinieren in der Ausstellung Malerei und Designobjekte, die Sie auf Sockeln präsentieren. Sockel werden klassischerweise auch für die Ausstellung von Skulpturen verwendet.
Luc Wolff: Genau, mir ging es darum, das „Funktionale“ zu sockeln. Das Erhöhen bzw. Hervorheben des Designs durch die Sockelung hat die Unterschiede zwischen Kunst und zweckmäßiger Gestaltung verschoben und auch weitgehend aufgelöst.
Tapete und Stuhl sind hier zugleich Malerei und Skulptur, sie sind gleichzeitig und in gleichem Maße funktionales Design wie konzeptuelle Kunst. In der Ausstellung wird so der vermeintliche Unterschied zwischen freier und angewandter Kunst im althergebrachten Sinne zur Diskussion gestellt.
Sophie Aigner: In Ihren Arbeiten geht es häufig um Raumgrenzen wie Wände bzw. Mauern. Was bedeutet „der Raum“ in Ihrer Arbeit?
Luc Wolff: Unsere Lebenswelt besteht aus Räumen, in denen sich im Rahmen eines festgelegten Möglichen unser aller Leben abspielt. In meiner Arbeit gehe ich dem Bestreben nach, freie, unbesetzte Räume aufzuzeigen, in denen sich im Idealfall unsere Lebenswelt über das Bekannte hinaus entfalten kann. Ich suche dabei nach Mitteln und Wegen, alle Faktoren auszuschließen bzw. abzuschwächen, die einem entsprechenden Aufbruch entgegenstehen. Das bezieht sich in erster Linie auf Wände, die uns als feststehende raumbildende Grenzen nicht nur wie ein undurchlässiger Wall Schutz vor unbekannten äußeren Einflüssen bieten, sondern uns auch die Aussicht in die Welt dahinter verwehren. Es geht mir im Grunde darum, die mächtige Präsenz der Raumgrenze zu verringern. Das Aufweichen, das Auflösen der Grenze in einem gewissen Maße, führt dazu, die mögliche Ausdehnung oder Ausweitung eines Raumes über seine Grenzen hinweg vorstellbar zu machen. Man kann sagen – die Idee ist nicht neu –, es gelte eine Verbindung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits von Raumgrenzen herbeizuführen. Nach meiner Vorstellung offenbart sich in dem Augenblick genau das, was ich Freiraum nenne. Auch die WALLPAPERS stehen in dem beschriebenen Kontext. Den Wänden, die sie weitgehend bedecken, verleihen sie sichtbar eine neue Identität.
Der angesprochene unvereinnahmte / nicht vereinnahmte Raum steht in letzter Konsequenz für das rein Mögliche, für das Potenzielle. Über viele Jahre habe ich Arbeiten realisiert, meist temporär und ortsbezogen, in denen der freibelassene Raum thematischer Mittelpunkt war. Dabei sollte der Eindruck entstehen, der Raum sei offen für Besetzungen aller Art. Genau genommen standen einzig und allein unrealisierte Vorstellungen sowie unrealisierbare Erwartungen im Raum. Lediglich das Potenzial der leeren Stelle war gemeint. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich habe als Maler recht früh damit begonnen, in Bezug auf Form und Farbe die Grenzen der Malerei auszuloten, wie es gemeinhin heißt. Nach wenigen Jahren gab ich das Bildermalen auf und verlagerte meine Arbeit auf die Wand und später in den Raum. Ich entstamme einer Künstlergeneration, in der man keine Kunst machen wollte, die man übers Sofa hängt. Schließlich wollten wir die etablierte Welt in Frage stellen und mit unserer Arbeit diese nicht auch noch bestätigen. Viele Jahre hinweg haben wir ausschließlich temporäre und ortsbezogene Arbeiten im Raum realisiert. Das kam den konzeptuellen Inhalten unserer Arbeit eben auch sehr entgegen. Der Bezug zum Raum und seinen umgrenzenden Wänden war mir also schon immer ein zentrales Anliegen. Das ist er auch in meiner Arbeit WALLPAPERS hier im Kunstgewerbemuseum – nur spielt die Malerei dabei wieder eine bedeutendere Rolle.
„Double Mise en Évidence – WALLPAPERS von Luc Wolff“ ist eine Sonderausstellung des Kunstgewerbemuseums – Staatliche Museen zu Berlin
So 11:00 – 18:00
Mo geschlossen
Di geschlossen
Mi 10:00 – 17:00
Do 10:00 – 17:00
Fr 10:00 – 17:00
Sa 11:00 – 18:00
Die Ausstellung wurde verlängert bis zum 11.5.2025
https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/double-mise-en-evidence/
Über Luc Wolff
Luc Wolff, geboren 1954 in Luxemburg-Stadt, lebt und arbeitet in Berlin und Luxemburg. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner im elterlichen Betrieb, anschließend studierte er Landschaftsarchitektur an der Technischen Fachhochschule Berlin, parallel war er Gasthörer an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK). Seit 1988 ist er als freischaffender Künstler tätig. Er war unter anderem Stipendiat der Cité Internationale des Arts Paris und der Stiftung Kunstfonds in Bonn. 2002 war Wolff Vertretungsprofessor an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, 2004 Vertretungsprofessor an der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Es folgten Gastprofessuren, Lehraufträge und Dozenturen an verschiedenen Institutionen. Luc Wolffs Arbeit umfasst ortsbezogene, meist temporäre Interventionen im öffentlichen Raum sowie Malerei. International bekannt wurde Wolff durch seine Arbeit Magazzino auf der Biennale in Venedig 1997 als offizieller Vertreter Luxemburgs.
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