Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Mitten in Mitte

20.08.2019
Das frisch sanierte Mitte Museum mit Banner zur aktuellen Ausstellung, Foto: Anna-Lena Wenzel

Nach einer drei-jährigen Umbau- und Sanierungszeit wurde am 8. August das Mitte Museum mit der Ausstellung Wer wir sind und was wir tun - mitten im Museum wiedereröffnet. Anna-Lena Wenzel hat mit der Kuratorin Susanne Weiß Über die Hintergründe und Ideen zur Ausstellung gesprochen.

Das Mitte Museum hat wieder geöffnet! Am 8. August wurde es mit der Ausstellung Wer wir sind und was wir tun – mitten im Museum nach dreijähriger Umbauphase feierlich wiedereröffnet. Die Ausstellung läuft bis zum 31. Oktober nächsten Jahres und wird dann von einer neuen Dauerausstellung abgelöst.

Die von Susanne Weiß und Theo Thiesmeier kuratierte Ausstellung verfolgt mehrere Stränge: zunächst möchte sie einen Einblick in die Arbeit des Museums geben, weswegen die Ausstellung nach den fünf Kernaufgaben eines Museums gegliedert ist: Ausstellen, Bewahren, Sammeln, Vermitteln und Forschen. In mehreren Videointerviews erfährt man mehr über den Arbeitsalltag und die Mitarbeiter*innen des Museums. Zwei weitere Audiobeiträge widmen sich einem konkreten Objekt (einem Linoleumläufer) und betrachten es aus zwei unterschiedlichen Perspektiven: aus derjenigen der Stifterin, die von der Herkunft und dem Gebrauch des Läufers erzählt, und der etwas distanzierteren Perspektive eines Ethnologen und Teppichexperten, der das kelimartige Muster analysiert, das den Läufer ziert. Hieran deutet sich an, was die Ausstellung vermitteln will: dass die vielfältigen Aufgaben des Museums meist nicht voneinander zu trennen sind.

Ausstellungsansicht des Raumes Bewahren, Foto: Theo Thiesmeier

Ein anderer Strang, den die Ausstellung verfolgt, ist die Präsentation von Objekten, die sich in der Sammlung des Museums befinden, und das Andeuten der vielschichtigen Erzählungen, die diese Objekte zu erzählen vermögen. Besonders prägnant: das Stadtmodell von Moabit aus dem frühen 20. Jahrhundert, das 1981 aus Anlass der Ausstellung Berlin – von der Residenzstadt zur Industriemetropole in der Technischen Universität Berlin entstand, und nun an der Decke des letzten Raumes im ersten Stock hängt. Aber auch im Raum nebenan führen verschiedene Objekte die materielle Vielfalt des Museums vor Augen: Zwei Zinkfiguren von Gustav Hermann Blaeser, die er 1853 als Torwächterfiguren für die Firma Borsig gestaltet hat, ein raumgreifendes Modell des AEG-Geländes, ein Großisolator aus der Porzellanmanufaktur Schomburg aus Moabit, der auch als Ready-Made von Marcel Duchamp durchgehen könnte sowie mehrere Kunstwerke: das Gemälde „Kraftwerk Moabit“ von Gustav Wunderwald und neun Aquarelle von Paul Gurk, in denen er verschiedene Witterungen in Berlin in den Jahren 1937/38 festhält.

Den dritten Strang stellen die Kunstwerke dar, die sehr unterschiedliche Bezüge zum Museum aufweisen. So hat David Polzin das temporäre Kunstdepot, das sich aus Platzmangel mitten in einem Ausstellungssaal befindet, mit weißem Duplexkarton verkleidet und an einigen Stellen mit Öffnungen versehen, an denen der Blick auf ausgewählte Szenen aus der Gemäldesammlung des Museums gelenkt wird. Zusammen mit Cornelia Herfurtner entstand zudem die Text-Bild-Collage Frauen verlassen das Museum, für die er Abbildungen von Frauen aus der Gemäldesammlung mit Tusche nachgezeichnet hat. Wilhelm Klotzek hat für seine Installation Politik der Freundschaft: der Bürgersteig einen Bürgersteig aus Stoff nachgebaut, auf den man sich legen kann, um das Stadtmodell von Moabit ausführlichst begutachten zu können.

Der Bürgersteig von Wilhelm Klotzek mit dem Stadtmodell an der Decke. Im Hintergrund Aufnahmen aus Seiichi Furuyas Serie Berlin-Ost, 1985-1987, Foto: Theo Thiesmeier

Doch bevor weiter ins Detail gegangen wird, soll noch etwas über die Geschichte des Mitte Museums berichtet werden. Dieses ging aus drei Institutionen hervor: dem Heimatmuseum Wedding, dem Heimatmuseum Tiergarten und dem Museum Mitte von Berlin. Das Gebäude in der Pankstraße 47, in dem sich das Mitte Museum heute befindet, wurde 1989 vom Heimatarchiv Wedding bezogen. Als 2004 aus den drei einzelnen Museen das heutige Mitte Museum- Regionalgeschichtliches Museum für Mitte, Tiergarten und Wedding – nach der 2001 erfolgten Fusion der früheren Berliner Bezirke entstand, wurde beschlossen, die drei Museumsbestände am Standort in der Pankstraße zusammenzuführen. Man kann sich vorstellen, dass das Museum, das in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht ist, bald aus allen Nähten platzte. Um es an die Anforderungen eines Museums des 21. Jahrhunderts anzupassen und notwendige Sanierungsarbeiten durchzuführen und es barrierefrei zu machen, wurde es von 2016 bis 2019 saniert.

Ausstellungsansicht mit 12 Bildern aus Kathrin Sonntag’s Serie Atlas im Hintergrund, Foto: Theo Thiesmeier

Um mehr über die Hintergründe der Ausstellung zu erfahren habe ich ein Interview mit der Kuratorin Susanne Weiß geführt.

Anna-Lena Wenzel: Könntest du in deinen Worten noch einmal die Idee beziehungsweise das Konzept der Ausstellung zusammenfassen?

Susanne Weiß: Die Ist-Situation des Museums war ausschlaggebend für die Entwicklung des Konzeptes. Ein Museum ist ein Ort, der anhand von Objekten Geschichte erzählt, aber auch schreibt. Die Ausstellung ist dabei nur Teil des Ganzen. Da sich das Mitte-Museum in einem Prozess der Neukonzeption seiner Dauerausstellung befindet, hat es mich als Kuratorin und ausgebildete Museologin gereizt, eine Ausstellung über die Kernaufgaben eines Museums zu machen, da sich Museumsarbeit häufig nicht vermittelt. Gleichzeitig war eine künstlerisch/ kuratorische Konzeption gefragt, so dass das Museum zum Möglichkeitsraum wurde und anhand der künstlerischen Interventionen und Arbeiten die Sammlungsobjekte ganz anders verdichtet werden konnten.

Die Ausstellung ist eine Kooperation von dir und Theo Thiesmeier. Du hast als Leiterin des Heidelberger Kunstvereins und Teil der Arbeitsgruppe „RealismusStudio“ der neuen Gesellschaft für bildende Kunst, um nur zwei Beispiele zu nennen, langjährige Erfahrungen als Kuratorin, während Theo Thiesmeier bisher vor allem als Künstler/ Filmemacher gearbeitet hat. Wie ist eure Zusammenarbeit zu Stande gekommen? Wo habt ihr euch ergänzt? Wo wart ihr unterschiedlicher Meinung?

In der Vergangenheit habe ich mit Theo Thiesmeier an zwei Projekten gearbeitet und wusste, um seine Tätigkeit im Zusammenhang mit vielen Museen, für die er seit über dreißig Jahren Filmbeiträge in Form von Interviews oder Dokumentationen erstellt. Mit meiner Nachfrage, ob er Zeit hätte mit mir an der Konzeption zu arbeiten, begann unsere Zusammenarbeit. Theo hat sowohl einen fachlichen Blick auf das Arbeitsfeld Museum, als auch einen Blick als Künstler auf die Dinge. In meinem kuratorischen Blick kommen diese Ebenen auch zusammen, aber das Gute war, dass wir beide als Ausstellungsmacher*innen gedacht und gehandelt haben – das machte uns zu einem guten Team!

In einem Saaltext ist zu lesen, dass Kunst im Regionalgeschichtlichen Museum nichts Ungewöhnliches ist, denn „die Kunstsammlung des Mitte Museums beinhaltet 1.500 Zeichnungen und künstlerische Druckgrafiken, 500 Blatt künstlerische Fotografien, 300 Gemälde und 30 Klein-Skulpturen aus der Zeit von 1770 bis heute.“ Für die Aufnahme eines Werks in die Sammlung muss jedoch ein Bezug zur Geschichte und Gegenwart des Bezirks gegeben sein. Nach welchen Kriterien habt ihr die Künstler*innen ausgewählt?

Unter anderem auch nach diesem Kriterium, aber natürlich nicht vordergründig, sondern vielmehr, ob ein Werk in Beziehung zu dem Raum mit seinen Objekten und Leitmotiven tritt. In dem Raum Ausstellen, der am eindrücklichsten von Berlins Industrialisierung erzählt, haben wir in Zusammenarbeit mit Sigrid Schulze, Werke aus der Kunstsammlung in Dialog mit den anderen Ausstellungsstücken gebracht –im Dialog verstärken sie sich gegenseitig.

Sind Arbeiten auch extra für die Ausstellung entstanden? Der Satz „Die Ausstellung stellt Verbindungen zwischen Sammlungsgegenständen und den Arbeitsfeldern der eingeladenen Künstler*innen her“, klingt eher, als hättet ihr zwischen den Objekten des Museums und den Künstler*innen vermittelt – statt das diese auf das vorhandene reagiert haben… ?

Ja, David Polzins Installation ist eine direkte Intervention mit dem Raum, in dem sich das temporäre Kunstdepot befindet. In seinen Arbeitsprozess – in Auseinandersetzung mit der Sammlung – hat er die Künstlerin Cornelia Herfurtner eingeladen und sie haben gemeinsam die neue Bild-Text-Collage Frauen verlassen das Museum entwickelt. Wilhelm Klotzeks Reportage aus Moabit, die sich die Besucher*innen, auf dem Gehweg liegend anhören können, ist ebenfalls extra für diesen Ort entstanden, dadurch findet eine Aktualisierung zwischen dem historischen Stadtmodell und dem Hier und Jetzt statt.

Aber zu dem von Dir zitierten Satz: zum Beispiel die drei ausgewählten Fotografien von Johanna Diehl verdeutlichen das Gesagte sehr gut. Sie stammen aus ihrer Serie Gefrorene Räume (2006/2007) und Johanna erforscht mittels des Mediums die Atmosphäre der Räume, das gespeicherte „Was bleibt“ – es handelt sich um Räume, die nicht mehr angefasst oder verändert worden sind, seit die Menschen sie verlassen haben. Sie sind immer noch eins, die Dinge sind in ihrem Kontext verblieben, im Kontrast zu den meisten Museumsobjekten.

Ihr habt bei der Ausstellung mit den Ausstellungsarchitekten s.t.i.f.f. zusammengearbeitet. Worin genau bestand deren Mitarbeit? In einem Saaltext heißt es, sie würden zwischen der historischen Bausubstanz und den Exponaten vermitteln. Wie tun sie das?

Einerseits durch die Wahl des Materials, das für alle Bauten verwendet wurde. Es ist eine Mischung aus Rigips und Spanplatte, die sich farblich vor der historischen, denkmalgeschützten Bausubstanz im Hintergrund hält, der schöne gelbe Farbton wird zum Hintergrund für eine Fläche auf der anders gehängt werden kann, als zum Beispiel mit den klassischen Hängeschnüren. Gleichzeitig ist das Material aber auch als Material wahrzunehmen, die Balken als Balken zu sehen. Die Architektur erhält dadurch auch einen prozesshaften Charakter, der sich auch wieder auf die Ist-Situation bezieht.

Im Raum Sammeln ist auf der Fensterbank ein Porträt von Erich Honecker platziert, doch im Text wird nicht auf die Arbeit eingegangen. Was hat es mit dem Honecker-Porträt auf sich?

Das Honecker Portrait ist ein Exponat aus dem Kunstdepot, das David Polzin als Kommentar zum Lauf der Geschichte dort platziert hat. Es steht dort hinter einem hohen Sockel, der eine Verpackung des Originalsockels der Skulptur der Persephone ist, die oben drauf steht und ursprünglich aus dem Berliner Stadtschloss kommt. 1950 beschloss die SED das Stadtschloss zu entfernen, um Platz für Großdemonstrationen zu schaffen. Honecker war zwar damals nicht persönlich an der Entscheidung beteiligt, aber von 1971 bis 1989 erster Sekretär des Zentralkomitees. Auch verbindet sich sein lakonischer Kommentar gut mit den Collagen von Wilhelm Klotzek, der 2012 verschiedene Vorschläge zum Umgang mit dem Schlossneubau machte, die jedoch keine Beachtung fanden.

Es gibt einen Künstler, Stephan Kurr, der zwar genannt wird, von dem ich aber kein Kunstwerk in der Ausstellung gesehen habe. Worin besteht sein Beitrag zur Ausstellung?

Die Arbeit von Stephan Kurr begrüßt einen gleich auf der Straße. Es handelt sich um ein Schild, in der Ästhetik eines Warnschildes „Eltern haften für ihre Kinder“. Kurr kündigt an: „Hier entsteht die Welt“. Es befindet sich gleich draußen auf dem Torpfeiler, also neben dem Banner. Die Beschilderung befindet sich im Eingangsbereich und stiftet an der Stelle eher Verwirrung, das ist aber Teil der Kunst von Stephan Kurr.

Eine Ausstellung mit Werken von Johanna Diehl, Seiichi Furuya, Cornelia Herfurtner, Wilhelm Klotzek, Stephan Kurr, Pia Linz, David Polzin, Kathrin Sonntag und Beiträgen von Mitarbeitenden des Mitte Museums

Ausstellungsdauer: 9. August 2019 bis 30. Oktober 2020

Am 26.10.2019 findet um 16 Uhr das Straßen-Happening entlang der Pank- und der Badstraße eine gemeinsame Bewegung mit Stephan Kurr statt. Treffpunkt ist am Museum.

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